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Durchsuchung I: Die vorgetäuschte Polizeikontrolle, oder: Zulässig ja, Beweisverwertungsverbot nein, aber Pflicht zur Offenlegung

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Heute dann mal ein Tag mit drei Entscheidungen  zu Durchsuchungsfragen. Zunächst dazu das BGH, Urt. v. 26.04.2017 – 2 StR 247/16 -, schon etwas älter, aber erst vor kurzem auf der Homepage des BGH veröffentlicht. Es geht um sog. legendierte Polizeikontrollen auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Es handelt sich um ein BtM-Verfahren. Der Angeklagte hatte in den Niederlanden Kokain übernommen und beabsichtigte, dieses nach Deutschland einzuführen. Als die Kriminalpolizei Frankfurt am Main über einen am Fahrzeug des Angeklagten angebrachten Peilsender feststellte, dass sich der Angeklagte wieder auf der Autobahn in Deutschland befand, entschloss sie sich, das Fahrzeug von der Verkehrspolizei Wiesbaden im Rahmen einer Verkehrskontrolle anhalten und durchsuchen zu lassen, um die mitgeführten Betäubungsmittel sicherzustellen. Dabei wurden im Inneren des Fahrzeugs mehrere Päckchen Kokain aufgefunden. Ein richterlicher Beschluss für die Durchsuchung des Fahrzeugs, der die Offenbarung der im Hintergrund geführten verdeckten Ermittlungen zur Folge gehabt hätte, wurde nicht eingeholt, um den Hintermann nicht zu warnen. Der Ermittlungsrichter in Limburg erließ gegen den Beschuldigten Haftbefehl in Unkenntnis der im Hintergrund laufenden Ermittlungen in Frankfurt am Main. Erst nach Festnahme des Hintermanns, aber noch vor Anklageerhebung gegen den Beschuldigten, wurden die Erkenntnisse aus dem in Frankfurt am Main geführten Ermittlungsverfahren offengelegt.

Der Angeklagte hat im Verfahren ein Beweisverwertungsverbotr geltend gemacht. Ohne Erfolg. Hier zunächst die Leitsätze der für BGHSt bestimmten Entscheidung:

  1. Zur Rechtmäßigkeit sogenannter legendierter Kontrollen.
  2. Es gibt weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Die Polizei kann auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungs­grundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden.
  3. Ob auf präventiv-polizeilicher Grundlage gewonnene Beweise im Strafverfahren verwendet werden dürfen, bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Der BGH sieht in seiner Entscheidung die polizeirechtliche Durchsuchung als zulässig an. Die Fahrzeugdurchsuchung sei zwar nicht nach § 36 Abs. 5 StVO, wohl aber nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG ge­rechtfertigt. Einer vorherigen richterlichen Anordnung habe es nach die­sen Vorschriften nicht bedurft. Die gefahrenabwehrrechtlichen Vorschriften gestatteten insbesondere auch die Suche nach illegalen Betäubungsmitteln (BGH NStZ-RR 2016, 176). Die wegen Art. 13 GG strengeren Voraussetzungen für die Durchsu­chung von Wohnungen (vgl. §§ 38, 39 HSOG) würden für eine Fahrzeugdurch­suchung nicht gelten.

Der Auffassung stehe Rechtsprechung anderer Senate des Bun­desgerichtshofs nicht entgegen, etwa zum Lockspitzeleinsatz (BGHSt 45, 321, 337 f.) oder einer durch die Polizei vorgetäuschten „allgemei­nen“ Verkehrskontrolle, nachdem die Polizei zuvor Luft aus dem Reifen des Täterfahrzeugs gelassen hatte (BGH NStZ 2010, 294, wobei wohl auch dort davon ausgegangen werde, dass bei einer legendierten Kontrolle sichergestellte Betäubungsmittel grundsätzlich zu Be­weiszwecken verwertbar sind; vgl. auch BGH NStZ-RR 2016, 176).

Der BGH verneint dann ein Verwertungsverbot: Die aufgrund der gefahrenabwehrrechtlich zulässigen Fahrzeugdurch­suchung gewonnenen Erkenntnisse könnten nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten im Strafverfahren verwendet wer­den. Die Vorschrift regele die Verwendung von Daten im Strafverfahren, die durch andere – nichtstrafprozessuale – hoheitliche Maßnahmen erlangt wurden. Gedanklicher Anknüpfungspunkt sei die Idee des hypothetischen Ersatzeingriffs als genereller Maßstab für die Verwendung von personenbezogenen Informationen zu Zwecken des Strafverfahrens, die nicht auf strafpro­zessualer Grundlage erlangt worden. Damit komme es bei der „Umwidmung“ von auf präventiv-polizeilicher Rechtsgrundlage erlangter Daten nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gerade nicht darauf an, ob die formellen Anordnungsvo­raussetzungen nach der StPO, wie hier etwa das Vorliegen ei­ner richterlichen Durchsuchungsanordnung, gewahrt worden sind. Diese Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO seien vorlie­gend gegeben. Die Erkenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung dienten zur Aufklärung einer „schweren Straftat“ im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO, aufgrund derer eine Durchsuchung nach der StPO ohne Weite­res hätte angeordnet werden dürfen. Dem stehe nicht entgegen, dass die gefahrenabwehrrechtliche Durchsu­chung des Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zulässig ist. Entscheidend ist, dass ein Ermittlungs­richter bei hypothetischer Betrachtung einen entsprechenden richterlichen Durchsuchungsbeschluss auf strafprozessualer Grundlage zweifelsfrei erlassen hätte.

Allerdings: Der BGH sieht das Verhalten der Ermittlungsbehörde, die in Frankfurt geführten Hin­tergrundermittlungen gegen den Angeklagten zunächst nicht aktenkundig zu machen und damit dem Ermittlungsrichter in Limburg einen unvollständigen Sachverhalt zu unterbreiten, im Hinblick auf den Fair-Trial-Grundsatz und das Gebot der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit nicht unbedenklich. Das im Vorverfahren tätige Gericht müsse den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können, denn es müsse in einem rechtsstaatlichen Verfahren schon der bloße Anschein ver­mieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361, 362 f.).

Also, Ja, aber…..

Strafvollzug III: Im JVA-Disziplinarverfahren nicht belehrt ==> Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren

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Bei der dritten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das LG Detmold, Urt. v. 17.05.2017 – 22 Ns 35/17, das mit der Kollege Dr. Pott aus Detmold übersandt hat. Es geht in der Entscheidung nicht unmittelbar um „Strafvollzug“. Das Verfahren, in dem das Urteil des LG ergangen ist, hat aber seinen Ausgang im Strafvollzug genommen. In der sache geht es um die Unverwertbarkeit einer Aussage im Strafverfahren, die ein JVA-Insasse im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ohne Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht gemacht hat.

Festgestellt worden ist vom LG in etwa folgender Sachverhalt: Der spätere Angeklagte ist Insasse in einer JVA. Bei einer Kontrolle wird ein Handy gefunden. Es besteht der Verdacht, dass dieses Handy durch einen Strafvollzugsbeamten in die JVA geschmuggelt und an den Angeklagten gegen Zahlung eines Geldbetrages übergeben worden ist. Gegen den Angeklagten wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Disziplinarverfahrens wird er zweimal von einer Strafvollzugsbeamtin vernommen, aber zu keinem Zeitpunkt über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Der Angeklagte gibt auf mehrfache Nachfrage bei der zweiten Vernehmung dann an, welcher Vollzugsbeamte ihm das Handy in die JVA geschmuggelt habe. Daraufhin wird ein Straf- und Disziplinarverfahren gegen Strafvollzugsbeamten eingeleitet. Da man dem bestreitenden Strafvollzugsbeamten glaubt, wird das Verfahren gegen diesen eingestellt. Gegen den Angeklagten wrid ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung eingeleitet und Anklage erhoben. Der Angeklagte macht in dem Strafverfahren selbst keine Angaben zur Sache. Der Verwertung der Zeugenaussage der Strafvollzugsbeamtin, die den Angeklagten in dem Disziplinarverfahren vernommen hatte, wird vom Verteidiger widersprochen. Das LG spricht den Angeklagten A daraufhin frei, nachdem das AG Detmold den Angeklagten noch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt hatte.

Das LG führt zur Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten bei seiner Anhörung aus:

aa) Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, wurde der Angeklagte im Rahmen der disziplinarischen Befragung nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Dies führt dazu, dass seine Angaben über die Herkunft des Mobiltelefons, die in den Vermerken vom 14.03. und 15.03.2016 niedergelegt sind, nicht verwertbar sind. Sie unterliegen aufgrund eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 StPO einem umfassenden Verwertungsverbot.

Im Einzelnen:

Das Verfahren bei Disziplinarverstößen innerhalb einer Justizvollzugsanstalt ist in § 106 StVollzG geregelt. Eine dem § 136 StPO entsprechende Belehrung im Rahmen einer disziplinarischen Anhörung eines Strafgefangenen ist darin zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein belehrender Hinweis des Gefangenen zu seinem Aussageverweigerungsrecht jedoch dann geboten, wenn dieser Vorwurf zugleich ein mit Strafe bedrohtes Verhalten betrifft (BGH, Urteil vom 09.04.1997 — 3 StR 2/97). Dies folgt daraus, dass der Betroffene aufgrund des Freiheitsentzuges in seiner Rechtsstellung allgemein schon einschneidend beschränkt ist und er sich im Disziplinarverfahren der Gefahr einer Ahndung mit strafähnlichem Charakter gegenüber sieht.

Dies war auch vorliegend der Fall. Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, bestand spätestens zum Zeitpunkt der zweiten Vernehmung am 15.06.2016 gegen den Angeklagten nicht nur der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 115 OWiG durch Entgegennahme des Mobiltelefons (dazu Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 115 Rn. 7 ff.). Vielmehr stand auch der Vorwurf einer Bestechung nach § 334 Abs. 1 StGB im Raum, nachdem der Angeklagte angegeben hatte, dem Justizvollzugsbeamten für das Mobiltelefon 150,00 € bezahlt zu haben, obwohl das Mobiltelefon möglicherweise einen deutlich geringeren Wert hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt handelte es sich nicht mehr um eine informatorische Vorabbefragung des Angeklagten, sondern um eine Vernehmung im Rahmen des disziplinarischen Verfahrens. Dass auch die vernehmende Beamtin, die Zeugin pp. dies entsprechend einstufte, zeigt sich bereits daran, dass beide Vermerke über die Befragungen mit „Vernehmungsnotiz“ überschrieben sind. Dem entsprechend hätte der Angeklagte, der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend, spätestens vor der zweiten Vernehmung über sein Schweigerecht belehrt werden müssen.

Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht begründet — nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs — im Falle des rechtzeitigen Widerspruchs grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 38, 214 m.w.N.). Dies gilt nur dann nicht, wenn feststeht, dass der Beschuldigte sein Recht zu schweigen auch ohne Belehrung gekannt hat (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 136 Rn. 20 m.w.N.). Das ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht festzustellen. Der Angeklagte ist zwar insoweit erfahren, als gegen ihn ausweislich des Registerauszugs bereits mehrere Strafverfahren geführt wurden und er auch bereits mehrere Jahre in Haft saß. Alleine diese ist jedoch nicht ausreichend, um eine sichere Kenntnis von seinen Rechten anzunehmen. Bei der Vernehmung durch die Zeugin pp. handelte es sich gerade nicht um den „klassischen“ Fall einer polizeilichen Vernehmung, wie ihn § 136 StPO vorsieht. Aufgrund der unmittelbar drohenden Disziplinarmaßnahme und seiner Inhaftierung befand sich der Angeklagte vielmehr in einer besonderen Drucksituation. Selbst die Zeugin pp.  als erfahrene Justizvollzugsbeamtin dachte in dieser Situation nicht an das Schweigerecht des Angeklagten, sodass ihm diese Kenntnis nicht ohne weiteres unterstellt werden kann.

Der Verteidiger hat der Verwertung der Aussage der Zeugin pp. als Vernehmungsbeamtin des Angeklagten in beiden Instanzen rechtzeitig widersprochen, sodass auch die formalen Voraussetzungen des Verwertungsverbots erfüllt sind.

Das in der Folge eingreifende Verwertungsverbot ist umfassend und bezieht sich auf sämtliche Angaben des Angeklagten im Rahmen der Vernehmung durch die Zeugin pp. Es betrifft insbesondere auch seine Angaben bezüglich der Täterschaft des Zeugen pp.. Eine Aufspaltung des Verwertungsverbots dahingehend, dass sich das Verwertungsverbot nur auf Angaben zu bereits in der Vergangenheit begangenen Straftaten und nicht auf Angaben bezieht, durch die der Vernommene neue Straftaten begeht, ist nicht möglich. Das Verwertungsverbot ist insoweit spiegelbildlich zu dem Schweigerecht, welches dem Angeklagten zusteht und über welches er zu belehren ist. Auch dieses Schweigerecht ist umfassend und bezieht sich nicht auf einzelne Beweisfragen. Hätte der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, hätte  er den Zeugen pp. auch nicht belastet, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und der etwaigen falschen Verdächtigung besteht. Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte aufgrund der Vernehmungssituation in der Justizvollzugsanstalt und der drohenden disziplinarrechtlichen Maßnahmen — wie bereits dargestellt — in einer besonderen Drucksituation befand.“

Sehr schön begründet vom LG. Ich frage mich, auf welcher Grundlage das AG zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Die BGH-Entscheidung ist immerhin von 1997.

Traffistar S 350 Semi-Station, oder: Fortlaufender Gesetzesverstoß, aber kein Verwertungsverbot

Heute geht es zunächst mal um Traffistar S 350, und zwar in der Version „Semi-Station S350“. Über ein solches Geschwindigkeitsmessgerät hatte ich ja neulich schon mit dem AG Mettmann, Urt. v. 14.02.2017 – 32 OWi 723 Js 1214/16-461/16 (vgl.Traffistar S 350: Beweiserhebungs-, aber kein Beweisverwertungsverbot in Mettmann) berichtet. Zu diesem Messverfahren hat mir gestern der Kollege T. Geißler aus Wuppertal den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.2017 – 3 RBs 167/17 geschickt. Der befasst sich auch mit diesem Verfahren, aber nicht im Hinblick auf die Frage standardisiertes Messverfahren o.Ä., sondern mit einer ganz anderen Problematik, die allerdings auch schon im AG Mettmann, Urt. v. 14.02.2017 – 32 OWi 723 Js 1214/16-461/16  eine Rolle gespielt hat. Nämlich: Die Frage, ob es sich bei der Gerät um eine „festinstallierte Anlage“ handelt? Verneint man das, wäre Folge, dass nicht der Kreis Mettmann, der dieses Gerät immer wieder/immer noch verwendet zur Geschwindigkeitsmessung befugt wäre, sondern nach § 48 Abs. 2 Satz 2 OBG NRW die Polizei. Und daran schließt sich dann die weitere Frage an: Was ist mit den unter Verstoß gegen diese Zuständigkeitsregelung durchgeführten Messungen? Verwertbar?

Das OLG Düsseldorf sagt – wohl anders als das seiner Entscheidung zugrunde liegende AG-Urteil: Nicht festinstalliert, und daher:

„Vor diesem Hintergrund war der Kreis Mettmann zu der Geschwindigkeitsmessung mit der konkret gewählten Messanlage nicht befugt. Sie hätte durch die Polizei erfolgen müssen (vgl. § 48 Abs. 2 S. 2 OBG NRW: „… unbeschadet der Zuständigkeit der Polizeibehörden … „). Insoweit sei bemerkt, dass der fortlaufende Gesetzesverstoß des Kreises Mettmann bei der Überwachung des gesetzmäßigen Verhaltens der in seinem Bezirk befindlichen Verkehrsteilnehmer nicht nur den Senat irritiert, sondern auch dem Rechtsempfinden der – durch entsprechende Berichterstattung sensibilisierten — Öffentlichkeit wenig zuträglich erscheint.“

Tja, bemerkenswerte Diktion, wenn man von „fortlaufendem Gesetzesverstoß“ spricht. Nur, diesen markigen Worten folgen dann leider keine Taten. Denn das OLG verneint ein Beweisverwertungsverbot. Zu dem Ergebnis kommt es über die Anwendung der Rechtskreistheorie und sagt: „..keine irgendwie geartete Schutzfunktion für den Betroffenen..“ und die Polizei hätte ja auch messen können. Das geht in die Richtung, die auch das AG Mettmann im Urt. v. 14.02.2917 eingeschlagen hat. Alles schön und gut, nur: Wie muss man eigentlich damit umgehen, wenn Ordnungsbehörden offenbar unberirrt die Zuständigkeitsregeln verletzten. Rechtskreistheorie hin, Rechtskreistheorie her. Habe ich als Betroffener nicht einen Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Messverfahren. Und warum hat man nicht einfach mal den Mumm, aus solchen Verstößen Beweisverwertungsverbote abzuleiten. Ich bin sicher, das würde ganz schnell dazu führen, dass nur noch der misst, der auch zuständig ist und so freches Verhalten von Kreisen ein Ende hat.

„Durchsuchung war rechtswidrig“, oder: Wenn sich eine Strafkammer von 241 kg Haschisch nicht verführen lässt.

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Der Kollege Siebers aus Braunschweig hat mir das LG Frankfurt, Urt. v. 23.02.2017 – 5/4 Kls — 36/16  5272 Js 240513/16 – übersandt, das er selbst auch von einem der Verteidiger des Verfahrens erhalten hatte. Obwohl der Kollege selbst zu dem Urteil auch schon gebloggt hat (vgl. hier: Unzulässige Durchsuchung) greife ich das Urteil hier heute auch noch einmal auf. Grund? Es fällt m.E. schon aus dem Rahmen, dass die Strafkammer, wie es in der Praxis sonst leider häufig der Fall ist, sich von den 241 kg Haschisch nicht verführen lässt und die Durchsuchung eben nicht als (noch) zulässig ansieht oder ein Beweisverwertungsverbot verneint.

Der Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kostenpflichtig zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dabei ging es um das Zurverfügungstellen einer Lagehalle. Vorgeworfen worden ist dem Angeklagten darüber hinaus bewaffneter unerlaubter Handel mit 241 kg Haschisch, die in einem abgetrennten Raum der Lagerhalle bei einer Durchsuchung sicher gestellt worden waren. Insoweit hatte der Angeklagte jedoch über seine Verteidiger der Verwertung der Durchsuchungsergebnisse mit der Begründung widersprochen, die Durchsuchung sei wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen rechtswidrig gewesen. Das LG hat den Widerspruch anerkannt.

Dabei ist es von in etwa folgendem Verfahrensgeschehen ausgegangen: Am Mittwoch, den 21.09.2016 ist im Laufe des Vormittags durch einen Hinweisgeber, dem seitens der Staatsanwaltschaft Darmstadt Vertraulichkeit zugesichert worden war und zu dem keine näheren Erkenntnisse vorlagen, der Hinweis eingegangen, dass in einer Halle in der X.- Straße zwischen den Hausnummern 1 und 3 in Kelkheim größere — im hohen zweistelligen bis dreistelligen Kilobereich — Mengen Betäubungsmittel gelagert seien. Vor dieser Halle stehe öfter ein Geländewagen, VW Touareg, mit dem Kennzeichen ppp. Eine Halteranfrage habe den Angeklagten als Inhaber des Fahrzeugs ergeben, gegen den aber keinerlei polizeilichen Erkenntnisse bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hätten. An dem Tag stand ein Sondereinsatzkommando kurzfristig zur Verfügung gewesen, so dass insgesamt zehn Beamte des LKA zu dieser Lagerhalle fuhren. Für diesen Einsatz hatten sie die Anweisung, den Angeklagten als Halter des vor der besagten Halle mehrfach vom Hinweisgeber gesichteten Fahrzeugs zu kontrollieren, festzunehmen und vor allem die Halle zu durchsuchen. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss wurde nicht eingeholt. Warum ließ sich nicht klären. Bei der zunächst vorgenommener Observierung der Lagerhalle durch die Beamten vor Ort wurde um 16.09 Uhr beobachtet, dass der Angeklagte mit seinem Pkw bei der Halle vorfuhr. Er betrat diese mehrfach betreten und brachte verschiedene Gegenstände aus der Lagerhalle zum Fahrzeug und fuhr dann weg. Einige Beamte des MEK folgten dem Angeklagten und hielten um 16.20 Uhr wenige hundert Meter von der Halle entfernt an, kontrollierten den Angeklagten und nahmen ihn und fest. Die anderen Beamten blieben bei der Lagerhalle. Die Kontrolle des Angeklagten und seines Pkw ergab keine Hinweise auf Betäubungsmittel. Dem Angeklagten wurde von einem Beamten mitgeteilt habe, dass die Beamten nun beabsichtigten, die Lagerhalle zu durchsuchen. Ihm wurde dazu gesagt, dass er – der Angeklagte – dieser Durchsuchung zustimmen könne, andernfalls würde man mit einem richterlichen Beschluss ebenfalls durchsuchen. Daraufhin erklärte der Angeklagte sein Einverständnis mit der Durchsuchung.

Das LG sieht die Durchsuchung als unzulässig an und geht von einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der 241 kg Haschisch aus. Begründung in Kurzfassung – die Langfassung des Urteils ist lesenswert:

Missachtung des Richtervorbehalts: Gefahr im Verzug hat objektiv nicht vorgelegen. Denn es hat zum Zeitpunkt der Durchsuchung um 16.30 Uhr keine Gefahr des Beweismittelverlusts bestanden. Denn jedenfalls nach Kontrolle und Festnahme des Angeklagten sowie Durchsuchung seines Pkw einschließlich der aus der Halle in den Pkw geladenen Gegenstände um 16.20 Uhr sei klar gewesen, dass der Angeklagte keinerlei Betäubungsmittel aus der Halle entfernt hatte, so dass spätestens in diesem Moment Gefahr im Verzug als Grund für die Annahme einer Eilkompetenz der ausführenden Beamten nicht anzunehmen war.

Beweisverwertungsverbot: Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führte hier nach Auffassung des LG auch zu einem Beweisverwertungsverbot. Das LG bejaht einen schwerwiegenden gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Es sei ganz bewusst ein gesamtes MEK zum Zwecke der Durchsuchung zu der Lagerhalle ausgesandt worden, ohne dass auch nur versucht wurde, an einem Werktag tagsüber zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen oder wenigstens einen Staatsanwalt in diese Ermittlungsmaßnahmen einzubeziehen.

Kein hypothetischer rechtmäßiger Ermittlungsverlauf: Bei einer derartigen Verkennung des Richtervorbehalts kommt nach Auffassung des LG auch dem Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs keine Bedeutung zu. Es sei hier vor allem fraglich, ob bei dem zum Zeitpunkt der Durchsuchung vorliegenden polizeilichen Ermittlungsstand überhaupt eine richterliche Durchsuchungsanordnung wäre erlassen worden.

Und auch mit der vermeintlichen Einwilligung wird das LG „fertig“:

„Schließlich ist das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung auch nicht durch eine vermeintliche Zustimmung des Angeklagten zur Durchsuchung geheilt. Zunächst durften gemäß den obigen Anforderungen die eingesetzten Beamten des MEK des Hessischen Landeskriminalamts nicht ohne richterlichen Beschluss zum Zwecke einer Durchsuchung eingesetzt werden, lediglich in dem Vertrauen darauf, dass der Angeklagte einer solchen Maßnahme zustimmen werde. Vielmehr hätten sie sich rechtzeitig unter Berücksichtigung des Richtervorbehalts um eine Durchsuchungsanordnung bemühen müssen. Darüber hinaus lag unter den hiesigen Voraussetzungen auch keine wirksam freiwillig gewährte Durchsuchung der Lagerhalle vor. Dabei ist nämlich entscheidend, dass eine Durchsuchung nur dann in Aussicht gestellt werden darf, wenn deren Voraussetzungen vorliegen. Andernfalls kann nicht von einer Wirksamkeit der Einwilligung ausgegangen werden (vgl. OLG Hamburg, StV 2008, 12, Rn. 11; Meyer-Goßner, StPO, 59. Aufl. 2016, § 105, Rn. 1). Daran fehlt es bei der vorliegend vom Angeklagten eingeholten Einwilligung. So berichteten die Zeugen W. und G. davon, dass sie unabhängig voneinander dem Angeklagten, nachdem er durch mehrere Beamte des MEK in seinem Pkw angehalten, kontrolliert, gefesselt und vorläufig festgenommen worden war, erklärt hätten, dass sie nun beabsichtigen würden, die Lagerhalle zu durchsuchen. Er könne dazu sein Einverständnis geben, ansonsten würden sie auch ohne dieses Einverständnis mittels richterlichen Beschlusses durchsuchen. Der Zeuge G. erklärte zudem, er habe dem Angeklagten überdies erklärt, dass seine Zustimmung sich später beim Richter positiv für ihn auswirken könne. Daraufhin habe dieser zugestimmt. Diese Art und Weise, eine Zustimmung des Angeklagten für die von vornherein geplante Durchsuchung einzuholen, entsprach nicht den gesetzlichen Anforderungen. Abgesehen davon, dass bereits fraglich ist, ob der Angeklagte in dieser — nach eigenen und gut nachvollziehbaren Angaben — ihn vollkommen überrumpelnden Situation — gerade vom MEK aus dem Auto geholt, gefesselt und festgenommen — überhaupt in der Lage war, ein rechtlich wirksames Einverständnis zu erklären, entsprach jedenfalls die Belehrung durch die beiden polizeilichen Zeugen keineswegs den tatsächlichen Umständen und war deshalb falsch. Denn sie suggerierten dem Angeklagten, dass eine Durchsuchung der Halle — neudeutsch gesprochen — „alternativlos“ war und seine eigene Erklärung praktisch bedeutungslos. Denn weder lag bereits ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vor, aufgrund dessen eine unmittelbare Durchsuchung — wie sie dem Angeklagten suggeriert worden war —, hätte durchgeführt werden können, noch war ein solcher wenigstens beantragt worden. Jedenfalls war aber zu diesem Zeitpunkt keineswegs klar, wie es dem Angeklagten jedoch suggeriert wurde, dass anhand der eher schwachen Beweislage überhaupt die Voraussetzungen nach § 102 StPO für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses vorgelegen hätten.“

Wenn es doch nur mehr von solchen Entscheidungen standhafter Kammern gäbe.

Traffistar S 350: Beweiserhebungs-, aber kein Beweisverwertungsverbot in Mettmann

Zum Wochenauftakt dann das AG Mettmann, Urt. v. 14.02.2017 – 32 OWi 723 Js 1214/16-461/16. Es geht um einen „Blitzer“ auf der BAB A 3. Gemessen wird mit Traffistar S 350. Das AG sagt: TraffiStar S 350 ist ein standardisiertes Messverfahren.

Interessant ist die Entscheidung aber vor allem aus einem anderen Grund: Geltend gemacht war ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen § 48 OBG NW. Danach ist die Überwachung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen durch die Kreisordnungsbehörden nur mit in fest installierten Anlagen eingesetztem technischen Geräten zulässig. TraffiStar S 350 ist aber nach Auffassung des AG – insoweit zutreffend – nicht fest installiert.

Ein Beweisverwertungsverbot hat das AG hingegen abgelehnt:

„Unter Abwägung der vom BGH vorgegebenen Kriterien kann hier kein Beweisverwertungsverbot angenommen werden. Vorliegend ist eine Vorschrift über die Zuständigkeit für die Erhebung eines Beweismittels beeinträchtigt. Diese dient der Aufgabenteilung im Bereich der Verkehrsüberwachung zwischen der Polizei und der Ordnungsbehörde und ist Ausprägung des in NRW geltenden Trennungssystems. Damit es zu keiner Verschwendung von Ressourcen kommt, ist es erforderlich die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder gegeneinander abzugrenzen. Dies ist durch die Regelung des § 48 Abs. 2 S. 3 OGB geschehen. Eine solche Vorschrift dient nicht, zumindest nicht in erster Linie, dem Schutz des Betroffenen, sondern wie ausgeführt, der Verhinderung der Verschwendung von Ressourcen. Die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Betroffenen werden durch diesen Verstoß nicht im Ansatz berührt. Der Betroffene kann gegen eine Messung durch die Ordnungsbehörde ebenso vorgehen wie gegen eine Messung durch die Polizei. Auch besteht kein unterschiedlicher Bewertungsmaßstab je nachdem wer die Messung durchgeführt hat. Letztlich ist es für den Betroffenen selbst und seine Stellung im Verfahren völlig unerheblich, ob die Messung nun von der Ordnungsbehörde oder der Polizei durchgeführt wird.

Es handelt sich bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um Ordnungswidrigkeiten von einigem Gewicht. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist eine der Hauptursachen von Verkehrsunfällen. Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten, die durch das hiesige Messverfahren geahndet werden, sind nach § 4 Abs. 2 StVG und der Bußgeldkatalogverordnung mit mindestens einem Punkt im Fahreignungsregister und oft mit einem Fahrverbot belegt. Aus dieser Bewertung und der letztendlichen Konsequenz aus der Ansammlung von Punkten im Fahreignungsregister (Entzug der Fahrerlaubnis) kann bereits die erhebliche Bedeutung (im Rahmen der Ordnungswidrigkeiten) der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erkannt werden.

Es ist auch die Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung zu berücksichtigen. Wäre die Anlage von der Polizei aufgestellt worden, läge ein Verstoß gar nicht vor und die Messungen wären insoweit unproblematisch zu verwerten. Dabei kann wohl dahin stehen, ob die Messungen durch die Kreispolizeibehörde oder durch die Autobahnpolizei durchzuführen wäre, da es sich bei beiden Behörden, um die Polizei im Sinne des § 48 Abs. 2 OBG handeln dürfte.

Eine solche schwerwiegende Rechtsverletzung, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt ist, liegt hier nicht vor. Zum einen ist schon das besondere Gewicht der Verletzungshandlung zu verneinen, da „lediglich“ gegen eine Zuständigkeitsvorschrift verstoßen wurde und zum anderen liegt auch keine grobe Verkennung der Rechtslage vor, da die Auffassung der Ordnungsbehörde zumindest rechtlich vertretbar erscheint und die Frage für ein solches Gerät nicht (ober)gerichtlich geklärt ist. Zumal die Auffassung der Ordnungsbehörde teilweise auch vom Amtsgericht Mettmann vertreten wird. Die Rechtslage ist damit nicht eindeutig, sondern auslegungsbedürftig. Daraus ergibt sich auch, dass ein bewusster oder willkürlicher Verstoß hier nicht vorliegt.“

Na, das mag für die Vergangenheit ggf. richtig sein. Aber: Was ist für die Zuknuft, wenn der Kreis Mettmann, um den es hier geht, in Kenntnis des vom AG angenommenen Beweiserhebungsverbotes weiterblitzt? Wir werden dazu sicherlich etwas vom OLG Düsseldorf hören. Hoffentlich Gutes 🙂 .