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Keine Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe – automatisch Widerruf?

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Wenn es um den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung geht, spielt häufig die Frage der mangelnden Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe ein Rolle. Denn das ist i.d.R. dann ein Weisungsverstoß, der den Widerruf zumindest aber die Verlängerung der Bewährungszeit nach sich ziehen kann (§ 56f StGB). Allerdings nicht – wie manchmal entschieden wird – automatisch, sondern nur, wenn die Gefahr neuer Straftaten droht. Das macht noch einmal der AG Backnang, Beschl. v. 20.06.2014 – 2 BWL 74/12 – deutlich, das trotz mangelnder Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe nicht widerruft und auch nicht die Bewährungszeit verlängert. In dem Beschluss heißt es:

Ferner war der Antrag auf Verlängerung der Bewährungszeit abzulehnen. Eine Verlängerung  der Bewährungszeit gem. § 56 a Abs. 1 StGB kommt in Ermangelung des Vorliegens neuer Umstände, die eine Verlängerung erforderlich erscheinen ließen, nicht in Betracht, und auch auf § 56 f StGB kann eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht gestützt werden.

Eine Verlängerung gem. § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt nur beim Vorliegen eines Widerrufsgrunds in Betracht, sie dient der Vermeidung des Widerrufs der Strafaussetzung. Der gröbliche und/oder beharrliche Verstoß gegen eine Bewährungsweisung führt alleine aber noch nicht zum Widerruf der Strafaussetzung. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Verstoß zu einer neuen, negativen Kriminalprognose führt, die der Strafaussetzung zugrunde liegenden Prognose also der Korrektur bedarf. Der Verstoß selbst ist dabei nicht mit der negativen Prognose gleichzusetzen. Darüber hinaus ist der Widerruf auch keine Sanktion für den Weisungsverstoß (BVerfG NStZ-RR 2007, 338). Wie bereits im Beschluss vom 25.09.2013 dargelegt ist maßgeblich vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung besteht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht.

Dies lässt sich vorliegend nicht feststellen. Hierfür spricht schon die nunmehr zwei Jahre andauernde Straffreiheit, neue Ermittlungsverfahren sind nicht bekannt. Auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass der Verurteilte wieder Umgang mit Betäubungsmitteln hat. Darüber hinaus ist nach wie vor nicht feststellbar, dass das Verhalten des Verurteilten die Befürchtung weiterer Straftaten rechtfertigt. Aus dem Umstand, dass der Verurteilte sich gegenüber dem Bewährungshelfer unmotiviert zeigt, vermag das Gericht nicht die Gefahr neuer Straftaten herzuleiten. Es kommt deshalb eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht in Betracht.“

Widerruf von Strafaussetzung trotz Bewährungsstrafe?

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Zwei feststehende/klassische (Grund)Aussagen des Rechts der Strafaussetzung zur Bewährung und des Widerrufs (§ 56f StGB) behandelt der KG, Beschl. v. 14.02.2014 – 2 Ws 60-61/14, nämlich die Frage der Zulässigkeit des Bewährungswiderrufs trotz positiver Prognose des letzten Tatrichters und die Frage nach der Frist für Bewährungswiderruf. Dazu zunächst die Leitsätze:

1. Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf der Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem aufgrund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen, erfährt dann eine Einschränkung, wenn dessen Prognoseentscheidung nicht durch Tatsachen belegt ist.

2. Der Ablauf der Bewährungszeit hindert den Widerruf nur dann, wenn der Verurteilte damit nicht mehr zu rechnen brauchte.

Und dazu das KG im Beschluss dann im Einzelnen:

Zu Leitsatz 1:

c) Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf einer Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem aufgrund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 – 2 Ws 498/13 – und vom 12. April 2010 – 2 Ws 175/10 – mit weit. Nachweisen), steht einem Widerruf vorliegend nicht entgegen. Denn dieser Grundsatz gilt nur dann, wenn dessen Prognose durch neue Tatsachen nachvollziehbar belegt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Juni 2003 – 5 Ws 263/03 – und 21. Mai 2003 – 5 Ws 177/03 – mit weit. Nachweisen).

Daran fehlt es hier. Die Bewährungsentscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten überzeugen nicht. Dass ihr keineswegs – wie im Urteil vom 3. März 2009 ausgeführt – (jedenfalls ohne bleibenden Erfolg) eindringlich vor Augen geführt wurde, welche Konsequenzen bei weiteren Straftaten drohen, ergibt sich bereits daraus, dass sie bereits kurze Zeit später wieder straffällig wurde. Auch die dort angeführte Ausbildung hinderte ihr kriminelles Tun nicht. Angesichts des Werdeganges der Verurteilten, die im Jahre 2011 auch den Kontakt zu ihrem Bewährungshelfer abgebrochen hat, ist die erneute Bewährungsentscheidung des Amtsgerichts vom 6. September 2013 schlicht nicht nachvollziehbar. Aufgrund der festgestellten Mängel in den Begründungen der Prognoseentscheidungen stehen die beiden jüngsten Bewährungsentscheidungen dem Widerruf nicht entgegen.

 Zu Leitsatz 2:

2. Eine Frist innerhalb der der Widerruf erfolgen muss, sieht das Gesetz nicht vor, insbesondere  § 56g Abs. 2 Satz 2 StGB ist nicht entsprechend anwendbar (vgl. OLG Hamm NStZ 1998, 478, 479; Senat NJW 2003, 2468, 2469). Grundsätzlich hindert  der Ablauf der Bewährungszeit den Widerruf nicht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. BGH NStZ 1998, 586; OLG Hamm a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ 1988, 501; Senat, Beschluss vom 15. August 2001 – 5 Ws 437/01 –). Der dafür maßgebliche Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein festlegen; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das Kriterium (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Februar 1996 – 5 Ws 471/95 –). Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte,   oder ob das Verfahren ohne einen solchen ungebührlich verzögert wurde. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss(vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 1996 – 5 Ws 7/96 –).“

Keine Regel ohne Ausnahme: Nicht immer Anrechnung von Zahlungen

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Jedem Verteidiger ist 56f Abs. 3 Satzu 2 StGB bekannt. Bei der Vorschrift handelt es sich um die Vorschrift, die die Anrechnung von Zahlungen bei Bewährungswiderruf regelt. Und: In der Praxis geht man auch von einem Automatismus aus: Nämlich, dass Zahlungen die während der Bewährungszeit erbracht worden sind, dann auf die ggf. nach einem Widerruf zu vollstreckende Strafe angerechnet werden. Nur – wie immer: Keine Regel ohne Ausnahme. Denn nach allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung entspricht die Anrechnung erbrachter Leistungen nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB regelmäßig der Billigkeit, es gilt aber eine Ausnahme bei besonderen Umständen, wie z.B. einem besonders krassen bewährungswidrigen Verhalten. Damit hat sich vor kurzem der KG, Beschl. v. 26.06.2013 – 2 Ws 303/13 – befasst.

Der Verurteilte war 2009 u.a. wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung auf drei Jahre verurteilt worden. Ihm war aufgegeben worden ab Rechtskraft des Urteils einen Betrag von 1.000 € Euro in monatlichen Raten zu je 100 € zu zahlen. Diese Auflage erfüllte der Verurteilte vollständig.

In der Folgezeit ist er insgesamt noch zwei Mal erneut straffällig geworden. Zahlungsauflagen aus den Verurteilungen hat er erfüllt. Im Januar 2013 hat ihn dann das LG Neuruppin  wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Wegen dieser Verurteilung wird widerrufen, und zwar ohne eine Anrechnungsentscheidung nach § 56f Abs. 3 StGB. Dagegen das zugunsten (!!!) eingelegte Rechtsmittel der StA. Das KG gibt aber der StVK Recht:

Die Entscheidung über die Anrechnung steht – sowohl hinsichtlich des Ob als auch hinsichtlich des Maßstabes (vgl. Hubrach a.a.O., § 56f StGB Rdn. 54; Lackner/Kühl, StGB 27. Aufl., § 56f Rdn. 14) – im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 56f Abs. 3 Satz 2 StGB). Jedoch entspricht die Anrechnung im Falle des Widerrufs (erst recht in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB; vgl. BGHSt 36, 378; 33, 326; BayObLG JR 1981, 514 mit Anm. Bloy; OLG Karlsruhe Justiz 1988, 74) regelmäßig der Billigkeit; denn der Genugtuungszweck der Auflagenerfüllung wird bei einem späteren Widerruf der Strafaussetzung bereits durch die Strafvollstreckung erfüllt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. Januar 2002 – 5 Ws 795/01 – juris und vom 30. Mai 2000 – 5 Ws 394/00 – juris; Hubrach a.a.O., § 56f StGB Rdn. 55; Schall in SK-StGB, § 56f Rdn. 48; Stree/Kinzig a.a.O., § 56f StGB Rdn. 19). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn besondere Umstände entgegenstehen, namentlich die Erfüllung der Bewährungsauflage mit Geldern aus neuen Straftaten (vgl. Lackner/Kühl a.a.O.; Schall a.a.O.; Fischer, § 56f StGB Rdn. 18; Stree/Kinzig a.a.O.; Hubrach a.a.O.), der – auch relativ – geringe Umfang der Bewährungsleistungen (vgl. OLG Bamberg MDR 1973, 154; Stree/Kinzig a.a.O.; Hubrach a.a.O.) oder ein besonders krasses bewährungswidriges Verhalten (vgl. – auch zu den anderen genannten Ausnahmefällen – Senat, Beschlüsse vom 29. Juni 2000 – 5 Ws 465/00 – und 22. Juli 1992 – 5 Ws 228/92 –).

Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nach den Gesamtumständen gegeben. Der Verurteilte hat zwar die beiden ihm erteilten Geldauflagen jeweils fristgerecht erfüllt und sich insoweit bewährungskonform verhalten. Konkrete Hinweise auf eine deliktische Herkunft des gezahlten Geldes sind nicht gegeben, mag diese auch hinsichtlich der zur Erfüllung der zweiten Auflage geleisteten Zahlungen, die im Tatzeitraum des Betäubungsmittelhandels aufgenommen wurden, nahe liegen. Die Anrechnung entspricht jedoch deshalb nicht der Billigkeit, weil die Anlasstat ein besonders krasses bewährungswidriges Verhalten des Verurteilten darstellt. Bei dem bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handelt es sich um ein Verbrechen, das im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht ist und im konkreten Fall mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten geahndet wurde. Der bereits zweimal einschlägig vorbestrafte Beschwerdegegner betrieb den verfahrensgegenständlichen Drogentransport zur Gewinnerzielung, ohne selbst drogenabhängig zu sein, und hatte eine zentrale Rolle in der Organisationsstruktur der Bande inne. Hinzu kommt, dass der Beschwerdegegner während der laufenden Bewährung bereits zuvor zwei – wenn auch für sich genommen nicht schwerwiegende – Straftaten begangen hatte, aufgrund deren die Bewährungszeit verlängert worden war. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die geleisteten Zahlungen, die lediglich eine Anrechnung im Umfang von etwa 30 Tagen rechtfertigen würden, im Verhältnis zu der zu verbüßenden Freiheitsstrafe gering sind.“

Und damit sind die Zahlungen endgültig weg.

 

Sache ist „im Drange der Geschäfte“ „leider einige Zeit liegengeblieben“. Ist das „die justizförmige Abwicklung eines Widerrufsverfahrens?

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Folgender Zeitablauf:

  • Das AG Oberhausen verurteilte den am 06.10.2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung das AG zur Bewährung aussetzte. Bewährungszeit vier Jahre.
  • Am 11. 11.2010 verurteilte das AG Oberhausen den Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Das Urteil ist seit dem 27.05.2011 rechtskräftig, nachdem der Verurteilte seine hiergegen eingelegte Berufung zurückgenommen hatte.
  • Unter dem 04.06.2011 stellte die Staatsanwaltschaft den Antrag, diegewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen. Mit einem mit einfachem Brief versandten Anschreiben vom 26.07.2011 gab das AG dem Verurteilten Gelegenheit, zu dem Widerrufsantrag Stellung zu nehmen.
  • Nachdem der Verurteilte am 08.08.2011 zum Zwecke der Vollstreckung der durch das Urteil vom 11.11.2010 verhängten Freiheitsstrafe in die JVA C aufgenommen worden war, leitete das AG das Bewährungsheft zuständigkeitshalber an das LG Bielefeld – Strafvollstreckungskammer – weiter. Die Strafvollstreckungskammer gab den Verurteilten mit Anschreiben vom 16.09.2011 Gelegenheit, zu dem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen.
  • Mit Schriftsatz vom 14.10.2011 bestellte sich Rechtsanwalt B in L zum Verteidiger des Verurteilten und bat um die Gewährung von Akteneinsicht. In der Folgezeit blieb die Strafvollstreckungskammer indes untätig. Mit Schriftsatz vom 16. 11..2011 erinnerte der Verteidiger an sein Akteneinsichtsgesuch. Die Strafvollstreckungskammer blieb indes auch weiterhin untätig. Mehrere Sachstandsanfragen der Staatsanwaltschaft und des Bewährungshelfers blieben unbeantwortet.
  • Mit Schreiben vom 29.05.2012 teilte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer der Staatsanwaltschaft und dem Bewährungshelfer mit, die Sache sei „im Drange der Geschäfte“ „leider einige Zeit liegengeblieben“, vor einer Entscheidung müsse aber noch dem Verteidiger Akteneinsicht gewährt werden. Der Verteidiger erhielt daraufhin auch Akteneinsicht in das Bewährungsheft und gab dieses am 18. 06.-2012 an die Strafvollstreckungskammer zurück.
  • Mit Schreiben vom 19. 07.2012 wies die Strafvollstreckungskammer den Verteidiger darauf hin, dass bislang keine Stellungnahme des Verurteilten oder des Verteidigers zu dem Widerrufsantrag eingegangen sei, und teilte ihm mit, dass sie, falls innerhalb einer Frist von drei Wochen keine Stellungnahme eingehe, davon ausgehe, dass die Abgabe einer solchen Stellungnahme nicht mehr beabsichtigt sei. Eine Stellungnahme des Verurteilten oder seines Verteidigers gelangte in der Folgzeit nicht zu den Akten.
  • Auch die Strafvollstreckungskammer blieb zunächst untätig, bis sie dann mit Beschluss vom 07.12.2012 die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrief.

Dagegen dann die Beschwerde des Verurteilten, der sich aucf „Vertrauensschutz“ berufen hat. Und das OLG Hamm sagt im OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2013, 3 Ws 126/13: Ist nichts mit Vertrauensschutz, denn:

„2. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes steht dem Widerruf nicht entgegen. Das Widerrufsverfahren ist zeitnah nach dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung vom 11. November 2010 eingeleitet worden. Der Verurteilte ist durch Schreiben des Amtsgerichts Oberhausen vom 26. Juli 2011 und der Strafvollstreckungskammer in Bielefeld vom 16. September 2011 auf den drohenden Widerruf der Strafaussetzung hingewiesen worden. Durch die Einsichtnahme in das Bewährungsheft im Juni 2012 und dann noch einmal durch das Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 19. Juli 2012 erhielt der Verteidiger davon Kenntnis, dass die Strafvollstreckungskammer das Widerrufsverfahren weiter voranzutreiben beabsichtigte. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte noch kein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten darauf entstehen, dass ein Widerruf der Strafaussetzung unterbleiben würde. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung derart ungebührlich lange hinausgezögert worden wäre, dass der Verurteilte mit einem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. OLG Hamm, NStZ 1984, 362). Dies ist hier nicht der Fall. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Verurteilte hier zum einen bereits ausdrücklich über die Einleitung des Widerrufsverfahrens informiert worden war und zum anderen die Bewährungszeit während der Dauer des Widerrufsverfahrens noch nicht abgelaufen war. In einer solchen Sachverhaltskonstellation sind höhere Anforderungen an die Bejahung eines schutzwürdigen Vertrauens zu stellen als in Fällen, in denen ein Widerrufsverfahren zunächst überhaupt nicht eingeleitet wurde und/oder die Bewährungszeit zum Zeitpunkt des Widerrufes bereits abgelaufen war. Darüber hinaus ist auch abzuwägen zwischen dem Zeitablauf einerseits und dem Gewicht der innerhalb der Bewährungszeit begangenen neuen Straftat – hier immerhin eine Beihilfe zur räuberischen Erpressung – und der für sie verhängten Strafe andererseits (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Gemessen an diesen Maßstäben, war die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer zwischen September 2011 und Juni/Juli 2012 (noch) nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten in das Unterbleiben des Widerrufes zu begründen. Gleiches gilt für den Zeitraum zwischen Juli 2012 und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses. Der Verurteilte musste sich nach der Sachlage vielmehr sagen, dass sich lediglich die justizförmige Abwicklung des bereits eingeleiteten Widerrufsverfahrens – aus welchen Gründen auch immer – nochmals verzögerte.“

M.E. hätte man mit guten Gründen – offenbar war keine weitere Verurteilung in der Welt – verlängern können. Denn: Muss der Verurteilte sich hier „nach der Sachlage [vielmehr] sagen, dass sich lediglich die justizförmige Abwicklung des bereits eingeleiteten Widerrufsverfahrens – aus welchen Gründen auch immer – nochmals verzögerte„? Ist der Verfahrensablauf „justizförmige Abwicklung des bereits eingeleiteten Widerrufsverfahrens“? Ich wage das zu bezweifeln.

Bewährungswiderruf: So einfach ist das nicht mit dem Wideruf

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Manchmal wird eine Strafaussetzung ein wenig schnell widerrufen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Verurteilte beim bewährungshelfer nicht oder nicht ausreichend häufig meldet. Dann sind die Strafvollstreckungskammer schnell mit dem Widerruf bei der Hand. Sie übersehen aber dann nicht selten, dass allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers schon nach dem Gesetzeswortlaut des § 56f StGB den Widerruf der Strafaussetzung nicht rechtfertigen. Maßgeblich ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht.

Das hat jetzt noch einmal der OLG Hamm, Beschl. v. 26.03.2013 –  III-1 Ws 124/13 – klar gestellt:

Der Widerruf der Strafaussetzung gern. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt allerdings neben dem beharrlichen „Sich Entziehen“ voraus, dass der Betroffene dadurch Anlass zur Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird. Allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers rechtfertigen schon nach dem Gesetzeswortlaut den Widerruf der Strafaussetzung nicht (BVerfG NStZ-RR 2007, 338). Maßgeblich ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht (BVerfG a.a.O.; Fischer, 60. Aufl. § 56f Rdnr 11, jew. m.w.N.). Dies setzt eine erneute Prognosestellung voraus, welche auf konkreten und objektivierbaren Anhaltspunkten beruht (BVerfG a.a.O.; Fischer a.a.O.). Die Strafkammer hat neben den Weisungsverstößen vorliegend keine konkreten und objektivierbaren Anhaltspunkte da- für dargelegt, aus welchem Grund der Weisungsverstoß Anlass zur Begehung neuer Straftaten bietet. Die Straftaten des Betroffenen in der Vergangenheit betreffen ausschließlich solche auf dem Gebiet des Betäubungsmittelrechts. Der Betroffene beging die der vorliegenden Strafe zugrundeliegenden Taten nach den Urteilsfeststellungen aufgrund seiner Verstrickung in das Drogenmilieu bei eigenem Suchtmittelmissbrauch und fehlenden beruflichen Perspektiven. Mit Blick auf die derzeit aufgenommene Arbeitsstelle und die vorgelegten sämtlich negativen Drogenscreenings lässt sich insoweit keine negative Prognose allein aufgrund des sich der Überwachung des Bewährungshelfers entziehenden Verhaltens des Betroffenen herleiten. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte für den Verdacht erneuten Suchtmittelmissbrauchs aufgrund des Verstoßes gegen die Weisung. Soweit die Kammer aus- schließlich darauf abstellt, dass der Betroffene ihr bzw. der Ausländerbehörde gegenüber falsche Angaben gemacht hat, vermag der Senat allein hierin keine Anhaltspunkte für eine kriminelle Neigung des Betroffenen zur gewohnheitsmäßigen Begehung von Straftaten herleiten. Die entsprechende Folgerung der Strafkammer stellt sich vielmehr als reine Mutmaßung dar.