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1 Jahr und 2 Monate für Diebstahl von Katzenfutter (72,46 €) „nicht unvertretbar hoch“?

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Wann ist eigentlich eine Freiheitsstrafe unvertretbar hoch und löst sich – so die Formulierung in der Rechtsprechung – nach oben von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs? Das habe ich mich beim Lesen des BGH, Beschl. v. 21.03.2012 1- StR 100/12 gefragt.

In dem InBeschluss hat der BGH – man ist geneigt zu schreiben: natürlich der 1. Strafsenat – eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für den Diebstahl von Katzenfutter im Wert von 72,46 € als noch nicht unvertretbar hoch angesehen und das landgerichtliche Urteil in dem Punkt „gehalten“. M.E. kann man daran erhebliche Bedenken haben. Man kann viele Gründe anführen: Der Grenze für den Wert einer geringwertigen Sache wird zum Teil erst bei 50 € gezogen (§ 248a STGB) , ein nicht völlig belangloser Schaden bei einem Verkehrsunfall (§ 142 StGB) liegt auch zum Teil bei bis zu 50 € und die OLG ziehen die Grenze bei Bagatelldelikten auch anders (damit setzt sich der BGH nicht auseinander). Und, wenn man bedenkt, was man sich sonst alles für ein Jahr und zwei Monate erlauben kann – ich erinnere mal an das Steuerstrafrecht und die Rechtsprechung gerade des 1. Strafsenats dazu, dann scheint mir die Strafe – selbst unter Berücksichtigung der Vorbelastungen der Angeklagten – unvertretbar zu hoch zu sein.

Das LG hatte übrigens – quasi als „Zugabe“ – auch noch keine Bewährung gewährt. Insoweit hat der BGH das landgerichtliche Urteil allerdings aufgehoben. Das LG hatte zu der Frage gar nichts geschrieben. Das hat der BGH beanstandet:

In dieser Sache war die Angeklagte vom 11. November 2011 bis zum 9. Dezember 2011 – erstmals – in Haft (§ 230 Abs. 2 StPO) in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Deshalb lag hier eine Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nicht so fern, dass auf eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände im Hinblick auf die der Angeklagten zu stellende Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und auf das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verzichtet werden konnte.“

Aber nach den Formulierungen ist die Bewährungsfrage auch kein „Durchmarsch“.

„Rebellisches Wesen“ – dennoch Bewährung

Strafaussetzung zur Bewährung setzt nach § 56 Abs. 1 StGB eine sog. positiver Sozialprognose voraus. Ob die vorliegt oder nicht, muss eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergeben und dabei hat längere strafrechtliche Unauffälligkeit erhebliches Gewicht. Das zeigt deutlich der BGH, Beschl. v. 08.02.2012 -2 StR 136/11:

„Die Begründung, mit der das Landgericht das Fehlen einer hinreichend positiven Sozialprognose angenommen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Umstand, dass die Angeklagte ein stark „ausgeprägtes Geltungsbedürfnis“ habe, „das sie, wie auch in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck gekommen sei, durch äußere Umstände, wie teure Markenartikel zu kompensieren suche“, mag wie ihr „rebellisches Wesen“ oder ihre finanzielle Situation, in der der von ihr als angemessen und ihr zustehend empfundene Lebenszuschnitt nicht zu finanzieren sei (vgl. UA S. 80), gegen eine positive Prognose sprechen. Auch könnte ihr Verhalten in der Hauptverhandlung durchaus Aufschluss darüber geben, ob sie eine Einsicht, durch ihre Taten Unrecht verwirklicht zu haben, entwickeln wird. Die nach § 56 StGB erforderliche Gesamtwürdigung der Angeklagten und ihrer Taten ist insoweit aber unvollständig, als die Kammer es außer Betracht lässt, dass die Angeklagte trotz dieser negativen Faktoren offenbar nach ihren letzten aufgedeckten Taten im Februar 2008 bis zur Hauptverhandlung in dieser Sache im No-vember 2010 strafrechtlich nicht mehr auffällig geworden ist. Mit diesem gewichtigen Umstand, der für eine positive Entwicklung der Angeklagten spricht und womöglich die aufgezählten negativen Faktoren entkräften konnte, hätte sich deshalb das Landgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzen müssen.“

Dem BGH, Beschluss mekrt man m.E. deutlich an, wohin der BGH tendiert, nämlich zur Bewährung.

Gibt es in Bayern keine Bewährung mehr?

Das dem BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 1 StR 50/12 – zugrunde liegende landgerichtliche Urteil (LG Deggendorf) berechtigt m.E. zu der – provokanten – Frage, ob es in Bayern keine Bewährung (§ 56 StGB) mehr gibt. Das LG hat zu deren Voraussetzungen nämlich keine Ausführungen gemacht, obwohl diese wohl nötig und erforderlich waren (leider teilt der BGH-Beschluss den Sachverhalt nicht mit. Das war dann selbst dem 1. Strafsenat des BGH ein wenig viel/streng und er hat aufgehoben und zurückverwiesen:

….Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat seine Entscheidung nicht begründet. Unabhängig von der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO sind aus materiell-rechtlichen Gründen Ausführungen im Urteil zur Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als Grundlage für die revisionsgerichtliche Nachprüfung geboten ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2011 – 4 StR 283/11 mwN).
Dies ist hier der Fall, weil angesichts der konkreten Umstände des Falles eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht so fern liegt, dass eine ausdrückliche Erörterung der Aussetzungsfrage entbehrlich erscheint. Der Angeklagte ist – von den hier abgeurteilten binnen weniger Minuten begangenen Taten abgesehen – nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde 2006 zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Taten haben bei den beiden Geschädigten „keine bleibenden Verletzungen“ verursacht, weshalb die Strafkammer jeweils feststellte, „dass sich die Strafe noch im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens bewegen kann“ (UA S. 20). Der Angeklagte hat die Taten nicht bestritten, sondern von seinem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht zur Sache einzulassen. Zu dem Motiv der Tat hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.“

Den Angeklagten wird es freuen. Denn die Zeit, die es gebraucht hat und die es noch braucht bis zu einer neuen Verhandlung ist „Vorbewährungszeit“ – wenn er sie denn straffrei durchgestanden hat.

 

Nur gewaltfreie Straftaten in der Bewährungszeit – kein Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe

Das OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2011 – III-1 Ws 573/11 behandelt den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten lebenslangen Freiheitsstrafe. Das OLG weist darauf hin, gewaltfreie Straftaten in der Bewährungszeit grundsätzlich nicht zum Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe führen können. Die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe wegen erneuter Straffälligkeit des Verurteilten müsse sich nach der Erwartung richten, auf der die Strafaussetzung beruhte. Die Begehung von Straftaten, die weder Gewaltdelikte noch sonst schwerwiegende Straftaten ähnlichen Charakters darstellen, rechtfertigten einen Widerruf daher grundsätzlich nicht. Dies gelte zumindest dann, wenn sich die Strafaussetzung auf die Erwartung stützt, der Verurteilte werde künftig keine Gewalttaten begehen und diese Erwartung durch die Nachverurteilung nicht in Frage gestellt wird.

Im Einzelnen:

Gemäß § 57a Abs. 3 S. 2 StGB gelten für den Widerruf der Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe die Regelungen in § 56f StGB entsprechend. Gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Entscheidung über den Widerruf muss sich an dieser Erwartung ausrichten. Sie kann nach keinem anderen Maßstab erfolgen als demjenigen, der bei der Strafaussetzung angelegt worden ist (KG NStZ 2004, 156, zit. bei JURIS Rdnr 7). Beim Widerruf der Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist zudem zu berücksichtigen, dass im Falle des Widerrufs vom Verurteilten kein zeitiger Strafrest zu verbüßen ist, der Verurteilte vielmehr wieder in eine zeitlich unbeschränkte, möglicherweise bis zu seinem Lebensende dauernde Verwahrung genommen wird (OLG Karlsruhe NStZ 2011, 92, zit. bei JURIS Rdnr 9; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig § 57a Rdnr 17; Fischer, 57. Aufl. § 57a Rdnr 25). Daher gilt hier in verstärktem Maße, dass nicht jede in der Bewährungszeit begangene Straftat zum Widerruf führen kann, sondern nur erneute Gewaltdelikte oder sonstige schwerwiegende Straftaten ähnlichen Charakters (OLG Karlsruhe a.a.O.; KG a.a.O. JURIS Rdnr 6; Schönke/Schröder a.a.O.). Der Prüfungsmaßstab kann grundsätzlich kein anderer sein als derjenige, der bei der Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe angelegt wird (OLG Karlsruhe a.a.O., KG a.a.O., jew. m.w.N.). Bei lebenslanger Freiheitsstrafe darf die Annahme fortbestehender Gefährlichkeit des Täters indes nur auf Delikte von Art und Schwere bezogen werden, wie sie in der begangenen Tat zu Tage getreten ist (OLG Karlsruhe a.a.O.; KG a.a.O. JURIS Rdnr 7, BVerfG NStZ 1998, 374, KG NStZ-RR 1997, 382, 383).

Bewährungswiderruf – nur kein Kontakt zum Bewährungshelfer reicht nicht

Die Bewährung kann nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB u.a. dann widerrufen werden, wenn sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzieht. Was manchmal übersehen wird: Das allein reicht nicht, denn es heißt in 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 „und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie [die verurteilte Person]  erneut Straftaten begehen wird“ . Dazu das OLG Hamm, Beschl. v. 20.10.2011 – III 3 Ws 212/11.

Anlass zu der Besorgnis im Sinne des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen wird, besteht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine ungünstige Legalprognose vorliegen, wobei der Weisungsverstoß bzw. die mangelhafte Kooperation mit dem Bewährungshelfer allein eine solche nicht rechtfertigen.

Kann man ja mal dran denken und an der Stelle argumentieren.