Schlagwort-Archive: Besorgnis der Befangenheit

AG III: Wenn der Sachverständige befangen ist, oder: „Diener zweier Herren“ geht nicht

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Und zum Tagesschluss dann noch das AG Schmallenberg, Urt. v. 12.10.2022 – 5 Ds 47/22. Es nimmt in einer „Brandsache“ zur Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen Stellung.

Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten vorgeworfen am 31.03.2021 fremde technische Einrichtungen, namentlich Maschine, in Brand oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört zu haben. Der Angeklagte ist Mitarbeiter der Firma H in Q und für die Errichtung und Wartung von Blockheizkraftwerken zuständig. Eine solche Anlage, die auch von der Firma unter Mitwirkung des Angeklagten in Schmallenberg-M erbaut wurde, befindet sich dort beim Hotel U.

Am 31.03.2021 war der Anklagte mit der Wartung und Prüfung der Anlage beauftragt. Ihm wird vorgeworfen, dass er dabei unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einen Verschlussdeckel des Öleinfüllstutzens an einem der beiden Motoren nicht richtig wieder aufgeschraubt habe und es dabei zu einem Brand gekommen sei. Hierbei soll nach Angaben des geschädigten Zeugen U ein Sachschaden von 360.000,00 Euro und mit dem Ausfallschaden ein Gesamtschaden von ca. 600.000,00 Euro entstanden sein. Hierauf habe die Feuerversicherung bislang lediglich 80.000,00 Euro gezahlt.

Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt und sich wie folgt eingelassen: Es habe aufgrund einer Überspannung im Netz eine Störung an der Anlage vorgelegen. Er habe dann an dem Motor die Ventileinstellung überprüft, den Schaltschrank und Sensoren überprüft und den Wärmetauscher gereinigt. Dann habe er die Anlage wieder gestartet. Den Ölwechsel mache er immer mit einem warmen Motor, da das Öl dann dünnflüssiger sei. Das Öl werde an einem speziellen Ventil mit einer Ölpumpe (Bohrmaschinenpumpe) abgesaugt und auf dem gleichen Weg wieder eingefüllt. Aufgrund der großen Mengen sei dies viel einfacher als ein Einfüllen von Hand über den Öldeckel. Dieser sei eigentlich bei der Anlage völlig überflüssig und werde nie genutzt. Er habe ihn daher noch nie abgeschraubt. Auch an diesem Tag sei er nicht an dem Deckel (ein einfacher Kunststoffdeckel mit Gewinde) gewesen. Er sei sich sicher, dass der Deckel auch auf dem Gewinde gesessen habe, da ansonsten das Öl sofort herausspritzen würde und er dies habe bemerken müssen.

Das AG hat frei gesprochen und macht dabei folgende Ausführungen zu dem Sachverständigen im Verfahren:

„….

Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen C.

Bei diesem ist zunächst festzustellen, dass der Angeklagte den Sachverständigen ohne weiteres nach § 74 i.V.m. § 26 StPO wegen Besorgnis der Befangenheit hätte ablehnen können. Der Sachverständige hat sein Gutachten zunächst für die Staatsanwaltschaft erstellt. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war er aber gleichzeitig für die Feuerversicherung in dieser Sache tätig. Diese wiederum hat aufgrund des § 86 VVG ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Feststellung, dass der Angeklagte den Brand durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt hat. Dies wird auch dadurch belegt, dass die Versicherung, obgleich der Versicherungsfall eindeutig gegeben ist, den Schaden bislang nur zu einem unangemessen kleinen Teil reguliert hat. Dies ist rechtlich und sachlich nur schwer nachzuvollziehen.

Völlig unabhängig davon, ist das mündlich im Hauptverhandlungstermin erstattete Gutachten aber auch inhaltlich nicht geeignet, dem Angeklagten mit einer zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit ein Verschulden nachzuweisen. ….. „

StPO III: Besorgnis der Befangenheit des Richters, oder: Wenn der Richter von“vorgeworfenen Taten“ spricht

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Und zum Tagesschluss dann noch einen kleinen, aber feinen AG-Beschluss, und zwar der AG Tiergarten, Beschl. v. 29.09.2022 – 217c 88/22 -, den mir der Kollege Laudon aus Hamburg (ja, der von der Strafakte) geschickt hat.

Der Kollege hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf der sexuellen Nötigung, Vergewaltigung pp. die zuständige Richterin abgelehnt.Der Kollege hatte im ersten Termin der Hauptverhandlung noch vor Verlesung der Anklageschrift beantragt, die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung auszuschließen und sich dabei auf § 171b GVG berufen.

Nach Beratung hatte das Schöffengericht dann folgenden Beschluss verkündet:

„Der Antrag des Angeklagten auf Ausschließung der Öffentlichkeit wird abgelehnt

Ihm ist zuzugeben, dass ihm durch die Berichterstattung über die hiesigen Vorwürfe von Sexualstraftaten Nachteile entstehen können.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass dies bei dieser Art des Verfahrens immer der Fall ist und es keinen gesetzlichen Ausschlussgrund darstellt.

Das Interesse an der öffentlichen Erörterung überwiegt hier, weil durch die vorgeworfenen Taten der Angeklagte selbst die Privatsphäre anderer (hier der Zeuginnen pp. zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung gemacht hat.“

Zur Begründung hatte der Kollege darauf verwiesen, dass die abgelehnte Richterin die erst noch zu beweisende Tatbegehung vorausgesetzt, zum anderen § 171b StGB rechtsfehlerhaft angewendet habe. Und er hatte mit dem Antrag Erfolg:

„Der Ablehnungsantrag ist unbegründet (sic! – so im Original). Nach dem Inhalt des Ablehnungsantrags, der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin und der Akten im Übrigen ergibt sich für den Angeklagten — bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus dessen Perspektive —die Annahme, die abgelehnte Richterin würde ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Befangenheit ist eine innere Haltung eines Richters, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflusst, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters — sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art — am Verfahrensgang und am Ausgang des Verfahrens begründet. Es kommt für die Prüfung der Ablehnungsberechtigung grundsätzlich auf den Standpunkt des Ablehnungsberechtigten an; maßgebend ist freilich nicht dessen allein subjektiver Eindruck; vielmehr müssen vernünftige Gründe für das Ablehnungsbegehren vorliegen, die nach Maßgabe einer objektivierenden Wertung einem aus dem Blickwinkel des ablehnungsberechtigten Verfahrensbeteiligten vernünftig urteilenden Dritten einleuchten würden. „Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln“; es ist ein „individuell-objektiver Maßstab“ anzulegen (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Auflage, München 2019, § 24 Rn. 3 mit einer Vielzahl von Nachweisen aus der Rspr.).

Bei der Prüfung der Ablehnungsfrage ist zwar der Standpunkt des Angeklagten wesentlich, dieser muss aber vernünftige Gründe für sein Ablehnungsbegehren vorbringen, die jedem unbefangenen Dritten einleuchten (BGH, Urteil vom 11.09.1956, Az.; 5 StR/56, Leitsatz 2., in: JR 1956, 68, zitiert nach JURIS). Auf die Frage, ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, kommt es nicht an (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO-Kommentar, 63. Auflage, München 2020, § 24 Rn. 6 und 8, m. w. N.).

Vorliegend ergibt sich die Besorgnis der Befangenheit allerdings nicht aus der möglicherweise falschen Rechtsanwendung im Sinne eines Rechtsirrtums. Denn derartige Irrtümer ließen die Besorgnis der

Befangenheit allenfalls dann zu, wenn sie abwegig oder willkürlich waren, was vorliegend nicht der Fall ist.

Die Besorgnis der Befangenheit ergibt sich vielmehr aus der Formulierung im dargestellten Beschluss, „durch die vorgeworfenen Taten“ habe „der Angeklagte selbst die Privatsphäre anderer (hier der Zeuginnen pp.) zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung gemacht“. Diese Wortwahl lässt sich ohne viel Mühen dahingehend verstehen, dass die abgelehnte Richterin bereits davon ausgeht, der Angeklagte habe 2 Vergewaltigungen, nämlich „die vorgeworfenen Taten“, begangen. Denn wenn die abgelehnte Richterin mitteilt, der Angeklagte selbst habe die Privatsphäre anderer zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht, dann lässt sich daraus unschwer der Schluss ziehen, dass er die Taten begangen habe. Die abgelehnte Richterin hat diesen Beschluss in der Hauptverhandlung einschließlich der Begründung verkündet und ihn sich damit zumindest nach Außen hin zu Eigen gemacht.

Selbst wenn davon auszugehen sein kann, dass die abgelehnte Richterin diesen Schluss nicht hat ziehen wollen, so muss beim Angeklagten doch der Eindruck der Befangenheit der Richterin bleiben, weil sie die Gelegenheit der dienstlichen Äußerung nicht genutzt hat, um den möglicherweise ungewollten Eindruck richtig zu stellen.“

Bitte nicht durch den Eingangssatz irritieren lassen. Das „unbegründet“ steht so im Original des Beschlusses. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber: Man hat offenabr beim AG Tiergarten nur Vorlagen, in denen Ablehnungsgesuche als unbegründet zurückgewiesen worden sind.

Im Übrigen: M.E. zutreffend. „Schön“ die Formulierung: „Diese Wortwahl lässt sich ohne viel Mühen …..

StPO I: Vorläufige Einschätzung in anderem Verfahren, oder: Besorgnis der Befangenheit in Folgeverfahren?

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Ich starte in die 37. KW dann mit zwei StPO-Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit.

In der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.06.2022 – 1 Ws 203/22, 1 Ws 204/22 – geht es um die Frage der (Besorgnis der) Befangenheit in den Fällen de sog. Vorbefassung.

Folgender Sachverhalt:

„Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat unter dem 29. März 2022 gegen die Beschwerdeführer und vier weitere Angeschuldigte Anklage vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg wegen Beihilfe zu einem am TT. MM 2021 in Ort1 von dem gesondert verfolgten FF begangen Mord an GG erhoben. FF selbst ist in dem gegen ihn gesondert geführten Verfahren 5 Ks 1204 Js 72704/21 (1/22) wegen dieser Tat sowie wegen Mordes an HH, mit der er nach jesidischem Recht verheiratet war, am 13. Mai 2022 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden.

In dem Verfahren gegen FF hatte die Schwurgerichtskammer unter dem 26. April 2022 eine vorläufige Einschätzung der auf der Basis der bisherigen Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse abgegeben und dabei unter anderem ausgeführt, dass der Angeklagte, der fälschlicherweise von einer sexuellen Beziehung zwischen den später Getöteten ausgegangen sei, zur Tatzeit an einem lang anhaltenden Eifersuchtswahn (ICD-10: F22.0) gelitten habe. Sollte der Angeklagte die Taten auf Grund eines spontanen Tatentschlusses begangen haben, sei von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen. Möglicherweise habe er dann auch nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt, so dass die beiden vorgeworfenen Taten als Totschlag zu werten seien. Wenn allerdings festgestellt würde, dass der Angeklagte spätestens während eines Treffens mit den Angeschuldigten im vorliegenden Verfahren vor Begehung der Taten diesen von einer sexuellen Beziehung zwischen den späteren Tatopfern erzählt, diese ihm geglaubt und – getragen von tradierten jesidischen Überzeugungen hinsichtlich der Ehre der Familie – zusammen mit ihm einen Plan zur Tötung beider Personen entwickelt oder ihn zumindest in einem solchen Plan bestärkt bzw. unterstützt hätten und der Angeklagte sodann im Zusammenwirken mit diesen Personen und nicht etwa autonom auf Grund eines spontanen Entschlusses die Taten begangen hätte, sei von einer voll erhalten Schuldfähigkeit auszugehen. Im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung am 13. Mai 2022 führte der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer unter Darlegung der Telekommunikation zwischen FF und den Angeschuldigten und Darstellung deren Beteiligung an der Tötung des GG unter anderem aus, diese hätten – getragen von tradierten jesidischen Überzeugungen hinsichtlich der Ehre der Familie – dessen Tötung entweder mit ihm zusammen geplant oder ihn in einem solchen Plan bestärkt bzw. unterstützt.

Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer und die beisitzenden Richter, die auch im vorliegenden Verfahren nach der Geschäftsverteilung zuständig wären, haben unter Verweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 (1128/17 – Meng/Deutschland) unter dem 13. bzw. 16. Mai 2022 – der Vorsitzende unter Darstellung des Hinweisbeschlusses vom 26. April 2022 sowie des Inhalts der mündlichen Urteilsbegründung – Selbstanzeigen gemäß § 30 StPO abgegeben. Unter Bezugnahme auf diese Selbstanzeigen haben die Angeschuldigten AA und BB den Vorsitzenden Richter des Schwurgerichts und die Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2022, auf den wegen der Einzelheiten ebenso Bezug genommen wird wie auf die übrigen bezeichneten Schriftstücke, hat die wegen der Ablehnung sämtlicher Mitglieder der Schwurgerichtskammer zuständige 4. große Strafkammer unter gleichzeitiger Feststellung, dass eine Befangenheit nicht zu besorgen ist, die Befangenheitsanträge der Angeschuldigten gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht CC, den Vorsitzenden Richter am Landgericht DD und den Richter am Landgericht EE als unbegründet zurückgewiesen“

Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte. Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf dne verlinkten Volltext. Hier stelle ich nur den (amtlichen) Leitsatz zu der Entscheidung ein, und zwar:

Die Vorbefassung des erkennenden Richters mit einem einen anderen Tatbeteiligten betreffenden Strafverfahren vermag auch im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 (1128/17 – Meng/Deutschland) grundsätzlich nur dann die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn im Ursprungsverfahren hinsichtlich des nunmehr beschuldigten Tatbeteiligten über das für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch Erforderliche hinausgehende Feststellungen getroffen oder hierfür entbehrliche rechtliche Bewertungen vorgenommen worden sind.

 

StPO III: Befangenheit nur bei „objektiven“ Gründen, oder: Terminsfragen und dienstliche Äußerung

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Und weil es so schön war mit einer Entscheidung aus einem Zivilverfahren, dann hier gleich noch eine weitere, und zwar der KG, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 U 69/19. In dem (Ablehnungs)Verfahren geht es u.a. um einen Terminsverlegungsantrag und Fragen der Begründung des Ablehnungsantrags. Die Ausführungen des KG dazu kann man ggf. auch im Strafverfahren verwenden:

„Die Ablehnungsersuchen des Klägers sind nicht begründet, weil kein Grund vorliegt, der nach § 42 Abs. 2 ZPO geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Solche Gründe folgen weder aus der Zurückweisung des Terminverlegungsantrags (1.) noch aus der nach dem Empfinden des Klägervertreters menschenverachtenden und behindertenfeindlichen Einstellung des abgelehnten Richters (2.). Schließlich gibt auch der Inhalt der dienstlichen Erklärungen des Richters keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (3). Eine Kostenentscheidung ist ebenso wenig veranlasst wie eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (4.).

1. Die Zurückweisung des Antrags, den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28. März 2022 kurzfristig wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Klägervertreters aufzuheben, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit nicht. Alleiniger Gegenstand eines Ablehnungsverfahren nach §§ 42 ff. ZPO ist eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht die inhaltliche Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Ein Ablehnungsersuchen kann daher grundsätzlich nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61; OLG Dresden, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 4 W 300/20, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2013 – 17 U 221/12, MDR 2014, 242; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 42 Rn. 28). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 2006 – 15 W 31/06, NJW-RR 2006, 1577; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 42 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen vermag der Umstand, dass der abgelehnte Richter dem Terminverlegungsantrag einer Partei nicht entsprochen hat, die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, weil eine Aufhebung oder Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nach § 227 ZPO nur beim Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 6. April 2006 – V ZB 194/05, NJW 2006, 2492 [2494]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. Mai 2021 – 9 W 25/21, NJW-RR 2021, 1077; OLG Brandenburg NJ 2019, 390; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5 Aufl. 2020, § 42 Rn. 20 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 42 Rn. 14 m. w. N. in Fn. 81). Anders ist es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Verlegung oder Aufhebung des Termins offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei schlechthin unzumutbar wäre und somit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzte (BGH, Urteil vom 28. April 1958 – III ZR 43/56, BGHZ 27, 163 [167] = NJW 1958, 1186; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 3 W 41/20, NJW-RR 2020, 1325; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. September 1998 – 1 W 32/98, NJW-RR 1999, 1291 [1292]) oder sich aufgrund der Ablehnung des Verlegungsantrags der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt (OLG Dresden, Beschluss vom 22. November 2016 – 18 WF 985/16, NJ 2017, 29; KG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 2006 – 15 W 43/06, NJW 2006, 2787).

Ausgehend von diesem Maßstab sind für eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit in dem hier vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Dies folgt bereits daraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Aufhebung des Termins wegen der fehlenden Glaubhaftmachung der eingetretenen Erkrankung tatsächlich nicht vorlagen. Zwar ist eine Partei zur Glaubhaftmachung der geltend gemachten Hinderungsgründe gemäß § 227 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur auf Aufforderung des Gerichts bzw. des Vorsitzenden verpflichtet. Wird ein Terminänderungsantrag – wie in dem hier vorliegenden Fall – allerdings erst unmittelbar vor dem anberaumten Termin unter Hinweis auf eine Erkrankung gestellt und bleibt dem Vorsitzenden daher keine Zeit, die Partei zur Glaubhaftmachung der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit aufzufordern, müssen die Gründe für die Verhinderung bereits in dem Verlegungsantrag so angegeben und untermauert werden, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst zu beurteilen vermag (BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – AnwZ (Brfg) 43/14, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschluss vom 13. April 2021 – 6 A 2041/18, juris Rn. 12, VGH München, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 11 ZB 16.30121, NJW 2017, 103; Prütting/Gehrlein/Kazele, ZPO, 13. Aufl. 2021, § 227 Rn. 2; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 227 Rn. 8).

…..

2. Die Besorgnis der Befangenheit ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der abgelehnte Richter nach dem Empfinden des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten von einem „aggressiven Zynismus“, einer „noch nicht erlebten Variante richterlicher Selbstherrlichkeit“ sowie einer „Menschen-Verachtung und speziell Behinderten-Feindlichkeit“ geprägt sei und nicht über ein „Minimum an menschlichem Einfühlungsvermögen“ verfüge.

Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters vermögen nur objektive Gründe zu rechtfertigen, welche vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 – II ZB 2/10 – Rn. 13, NJW 2011, 1358; BGH, Beschluss vom 02. Oktober 2003 – V ZB 22/03 –, BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164; BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2000 – 1 BvR 539/96 –, BVerfGE 102, 122 (125) = NJW 2000, 2808). Es gilt somit ein objektiver Maßstab, der allerdings durch die Bezugnahme auf den Standpunkt der ablehnenden Partei einen gewissen subjektiven Einschlag erhält (Musielak/Voit/Heinrich, 18. Aufl. 2021, § 42 ZPO Rn. 6; Conrad, MDR 2015, 1048 f.). Ein erfolgreiches Ablehnungsersuchen setzt danach nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist vielmehr, ob aus Sicht der ablehnenden Partei objektiv nachvollziehbare Gründe vorliegen, welche an seiner Unparteilichkeit zweifeln lassen (vgl. auch MüKoZPO/Stackmann, a. a. O., Rn. 4). Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge der ablehnenden Partei reichen hingegen grundsätzlich nicht aus, um ein Ablehnungsersuchen zu rechtfertigen (Wieczorek/Schütze/Gerken, a. a. O., § 42 Rn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 32. Aufl. 2021, § 42 Rn. 9).

Nach diesen Maßstäben vermag die Befürchtung des Klägers, aufgrund einer negativen Einstellung des abgelehnten Richters gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten unfair behandelt zu werden, die Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen. Denn diese subjektive Befürchtung beruht nicht auf auch nur annähernd objektiv nachvollziehbaren Erwägungen. Die Verfügung vom 25. März 2022, mit dem der abgelehnte Richter die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 28. März 2022 aus – wie bereits dargelegt – rechtlich zutreffenden Gründen abgelehnt hat, ist in einem höflichen und gegenüber den Parteien respektvollen Ton verfasst. Darüber hinaus ist der abgelehnte Richter dem Prozessbevollmächtigten des Klägers dadurch entgegenkommen, dass er ihm eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Wege der Ton- und Bildübertragung angeboten hat.

3. Schließlich begründen auch die von dem abgelehnten Richter abgegebenen dienstlichen Erklärungen vom 28. März 2022 – entgegen der mit dem Schriftsatz vom 29. März 2022 geltend gemachten Auffassung des Klägers – nicht die Besorgnis der Befangenheit…..“

StPO I: „wir befinden nicht über moralische Mitschuld“, oder: Wie zweckmäßig sind moralische Bewertungen?

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Heute dann wieder ein StPO-Tag, und zwar ein „Befangenheitstag“, also (nur) Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit (§§ 24 ff. StPO).

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 03.03.2022 – 4 StR 379/21. Der BGH äußert sich zu Äußerungen des Vorsitzenden im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung gegenüber der Mitangeklagten nach Abtrennung der bis dahin gegen sie und den Angeklagten gemeinsam geführten Hauptverhandlung. Auf diese Äußerungen – dazu siehe unten im Zitat – war ein gestützten Befangenheitsantrag des Angeklagten des Angeklagten gestützt worden. Der BGh hat gegen dessen Zurückweisung keine Bedenken.:

„1. Die Rüge einer Verletzung der „§§ 24 Abs. 2, 338 Nr. 3 StPO, Art. 6 Abs. 1 EMRK“ ist unbegründet. Die Zurückweisung des auf Äußerungen des Vorsitzenden im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung gegenüber der Mitangeklagten nach Abtrennung der bis dahin gegen sie und den Angeklagten gemeinsam geführten Hauptverhandlung gestützten Befangenheitsantrags des Angeklagten begegnet auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 ? 1128/17, NJW 2021, 2947, keinen Bedenken

Die Äußerungen des Vorsitzenden, die Kammer habe nicht darüber zu befinden, ob sie ? die Mitangeklagte ? eine „moralische Mitschuld“ am Tode des Säuglings trage, sowie sein erläuternder Hinweis, er gehe ? dem rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend ? davon aus, dass E. durch den Angeklagten zu vier verschiedenen Zeitpunkten Rippenserienfrakturen zugefügt worden seien, begründen jenseits von Fragen der Zweckmäßigkeit moralischer Bewertungen in einem Strafverfahren nicht die Besorgnis, der Vorsitzende trete dem Angeklagten nicht mehr unvoreingenommen gegenüber.

Die mündlichen Ausführungen des Vorsitzenden zu den Ergebnissen der bis zur Abtrennung zur Urteilsverkündung gegen die Angeklagten gemeinsam durchgeführten Hauptverhandlung stimmen inhaltlich mit der den Verfahrensbeteiligten übersandten „vorläufigen Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses der Beweisaufnahme“ vom 5. Februar 2021 überein und tragen erkennbar vorläufigen Charakter. Die mündliche Urteilsbegründung enthielt schließlich ? anders als das schriftliche Urteil in der Fallkonstellation, die dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 ? 1128/17, NJW 2021, 2947 zugrunde lag ? keine nähere Feststellung oder Würdigung des dem Angeklagten zur Last liegenden Tötungsverbrechens zum Nachteil seines Sohnes.“