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Befangen II: Befangene SV im „Amoklauf-Verfahren“, oder: Forensisch-psychiatrisches Fallseminar geplant

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Wuppertal, Beschl.  v. 05.06.2024 – 23 KLs 11/24 (45 Js 27/24), geht es um die Besorgnis der Befangenheit einer Sachverständigen. Dem jugendlichen Angeschuldigten wird versuchter Mord u. a. vorgeworfen. Der Angeschuldigte hat die (gerichltiche) Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung seines Antrages hat er im Wesentlichen vorgebracht: Das Institut für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung in Essen habe nur knapp eine Woche nach Anklageerhebung – am 03.05.2024 – für den 28.05.2024, 17:00 bis 19:15 Uhr ein Fallseminar beworben, wonach Frau PD Dr. Pp., Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, über den „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal berichten werde (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext).

Der Antrag hatte Erfolg:

„Das Ablehnungsgesuch des Angeschuldigten vom 27.05.2024 ist begründet.

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters (§ 24 StPO) berechtigen. Die Besorgnis der Befangenheit setzt daher Umstände voraus, die auf eine innere Haltung des Sachverständigen hinweisen, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte. Ohne Bedeutung ist, ob der Sachverständige wirklich befangen ist; es kommt nur darauf an, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheint und ob dem Ablehnungsgesuch vernünftige, jedem unbeteiligten Dritten einleuchtende Gründe zugrunde liegen, wobei mehrere Gründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind.

Dies trifft vorliegend in der Gesamtschau aller Umstände zu. Denn die Sachverständige plante die Durchführung eines forensisch-psychiatrischen Fallseminars in Form einer Intervision von forensischen Sachverständigen, wobei es thematisch um das hiesige Strafverfahren gehen sollte, das sich noch im Zwischenverfahren befindet und gegen einen jugendlichen Angeschuldigten richtet. Dieses Seminar wurde mittels einer E-Mail beworben, in der es u. a. hieß, dass Frau PD Dr. Pp. über einen „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal berichten wird. Diese E-Mail wurde an ausgesuchte Teilnehmer geschickt, die überwiegend selbst Mitarbeiter der LVR-Universitätsklinik waren. Die Durchführung des Seminars war in einem geschlossenen Rahmen an der LVR-Klinik Essen mit 20 bis 25 Teilnehmern geplant, wobei alle Teilnehmenden namentlich bekannt waren und eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatten. Der Name des Angeschuldigten sollte nicht genannt werden. Zu der Durchführung des Seminars kam es letztlich nicht.

Die Kammer hat maßgeblich gewürdigt, dass durch die Beschreibung des Seminars in der E-Mail – „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal – in Verbindung mit der überregionalen medialen Präsenz des Geschehens und trotz des Umstandes, dass der Angeschuldigte nicht namentlich genannt werden sollte, eine Zuordnung zu dem hiesigen Strafverfahren auf der Hand liegt. Bereits dieser Umstand führt dazu, dass jedenfalls aus der Sicht des Angeschuldigten Anlass zu der Besorgnis bestand, dass die Sachverständige seine Persönlichkeit nicht mehr mit der gebotenen Unvoreingenommenheit würdigen werde, wenn sie geplant hatte, ohne ihn zuvor danach zu fragen, seine Probleme in Gegenwart Dritter zu erörtern und ihn damit – jedenfalls aus seiner Sicht – bloßzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.1980, Az.: 2 StR 387/79).

Auch ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass sich das Strafverfahren gegen einen Jugendlichen richtet, dem, was sich auch dem Rechtsgedanken des § 48 JGG entnehmen lässt, ein besonderer Schutz seiner Privatsphäre zusteht, was ebenfalls – vom Standpunkt des Ablehnenden aus – ein gerechtfertigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen nahelegt. Denn die geplanten Äußerungen der Sachverständigen im Rahmen des Fallseminars waren nicht allgemeiner Natur, sondern konkret auf das Verfahren gegen den Angeschuldigten bezogen, was sich schon aus der Beschreibung des Seminars in der E-Mail ergibt. Bei dieser Sachlage rückt für die Bewertung in den Hintergrund, dass sich die Sachverständige nicht vor einer breiteren Öffentlichkeit (etwa durch eine Publikation o. ä.) äußern wollte, sondern gegenüber einem begrenzten, zur Verschwiegenheit verpflichteten Teilnehmerkreis. Letztlich sollte das Seminar dazu dienen, der Sachverständigen zu ermöglichen, ihre bisherigen Überlegungen im Sinn einer Intervision gegenüber Dritten, nicht am Verfahren beteiligten Personen, zur Diskussion zu stellen. Ein solche Intervision, wie sie gegebenenfalls bei einer Heilbehandlung erforderlich sein könnte, sieht die Strafprozessordnung im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung indes nicht vor.

Hinzu kommt, dass dieses Fachseminar ohne die Kenntnis der Kammer und weiteren Verfahrensbeteiligten mit einem für diese unbekannten Teilnehmerkreis, der möglicherweise auch aus Personen besteht, die nicht selbst Mitarbeiter des LVR-Universitätsklinikums sind, stattfinden sollte. Auch der genaue Inhalt des Seminars war nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund in Verbindung mit dem Umstand, dass das Seminar noch vor einer möglicherweise durchzuführenden Hauptverhandlung stattfinden sollte, kann sich jedenfalls aus Sicht des Angeschuldigten der Eindruck einer inneren Haltung der Sachverständigen verfestigen, die ihre Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte.

Schließlich erscheint aus Sicht der Kammer auch der in der E-Mail verwendete Begriff „Amoklauf“ bedenklich, auch wenn dieser in Anführungszeichen gesetzt wurde und das Thema schlagwortartig beschreiben sollte, da dies auf eine endgültige Bewertung hindeuten kann, obwohl eine etwaige Hauptverhandlung noch nicht stattgefunden hat.

Die Kammer hat auch gewürdigt, dass das Seminar letztlich nicht stattgefunden hat. Maßgeblich ist indes bereits, dass es geplant war und die Absage erst im Hinblick auf den Befangenheitsantrag des Angeschuldigten erfolgte.“

StPO I: Nachwirkungen der EuGH-EncroChat-Vorlage, oder: Hin und Her/Eiertanz in Berlin

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, bunt durch den StPO-Garten.

Zunächst hier etwas aus Luxemburg, und zwar vom EuGH. Ergangen ist der EuGH, Beschl. v. 04.07.2024 – C 288/24 – in dem beim LG Berlin anhängigen EncroChat-Verfahren, in dem LG Berlin ja einige EncroChat betreffende Fragen dem EuGH vorgelegt hat. Der hat ja auch inzwischen geantwortet (vgl. hier: StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen).

In der Entscheidung vom 04.07.2024 geht es auch um dieses Verfahren, aber nicht mehr wegen der zunächst vom LG Berlin gestellten Fragen, sondern um die Auswirkungen des vom LG eingeleiteten Vorabentscheidungsfragen.

Es geht zunächst mal in etwa um folgenden Sachverhalt, Genaueres im Volltext und hier: Die 25. Strafkammer des LG Berlin hatte das Verfahren gegen den Angeklagten zwar im August 2023 eröffnet, einen Haftbefehl gegen den Angeklagten abgelehnt und die – inzwischen beantworteten- Rechtsfargen dem EuGH vor einer Verhandlung der Sache  zur Beantwortung vorgelegt. Das Verfahren hat man bis zur Entscsheidung aus Luxemburg ausgesetzt. Auf die Beschwerde der StA erlässt dann das KG den Haftbefehl und hebt  die Aussetzung des Verfahrens auf. Es soll vor der Beantwortung der Vorlagefragen verhandelt werden. Dann hebt auf die Beschwerde des Angeklagten wiederum die Strafkammer den Haftbefehl des KG auf und verweist darauf, dass gem. Art. 267 AEUV vor einer Beantwortung der Vorlagefragen nicht verhandelt werden kann, da die Frage der Verwertbarkeit der Daten vorentscheidend für die Beweisaufnahme ist. Das KG hebt die Entscheidung des LG wiederum auf und ordnet die Wiederverhaftung des Angeklagten an. Die Strafkammer verhandelt aber weiterhin nicht, weil die Vorlagefragen vom EuGH nicht beantwortet sind. Daraufhin hebt das KG auf die Beschwerde des Angeklagten den Haftbefehl im März 2024 wegen Unverhältnismäßigkeit auf, weil die Strafkammer „trotz der in der Entscheidung des Senats vom 06.12.2023 nochmals eindeutig und umissverständlch erläuterten Rechtslage auch in der Folgezeit das Verfahren nicht in der rechtlich gebotenen Weise … durch Anberaumung einer Hauptverhandlung … gefördert hat.“

Die Staatsanwaltschaft Berlin lehnt daraufhin die Vorsitzende der Strafkammer wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Strafkammer legt dann im Ablehnungsverfahren dem EuGH die folgende Rechtsfragen vor:

  1. Ist Art. 267 AEUV dahin gehend auszulegen, dass er das vorlegende Gericht berechtigt oder sogar verpflichtet, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in Bezug auf das Ausgangsverfahren keine Verfahrenshandlungen vorzunehmen, die einen Zusammenhang zu den Vorlagefragen aufweisen?
  2. Verbietet es Art. 267 AEUV, eine Besorgnis der Befangenheit allein darauf zu stützen, dass ein Richter die Entscheidung des Gerichtshofs über sein Vorabentscheidungsersuchen abwartet?
  3. Gilt dies jeweils auch für eine strafrechtliche Haftsache, für die ein besonderes Beschleunigungsgebot gilt?

Der EuGH hat mit der Entscheidung vom 04.07.2024 wie folgt geantwortet:

  1. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass im Rahmen eines Strafverfahrens, das aufgrund der Inhaftierung des Beschuldigten einem Beschleunigungsgebot unterliegt, ein nationales Gericht, das ein Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hat, das Ausgangsverfahren bis zur Antwort des Gerichtshofs auf dieses Ersuchen fortsetzt, indem es Verfahrenshandlungen vornimmt, die einen Zusammenhang mit den Vorlagefragen aufweisen.
  2. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Richter allein deshalb mit Erfolg abgelehnt werden kann, weil er die Entscheidung des Gerichtshofs über das ihm vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen abwartet, obwohl das Ausgangsverfahren eine inhaftierte Person betrifft.

Die Antwort auf die dritte Frage ergibt sich nach Auffassung des EuGH aus den beiden anderen Antworten.

Wenn man es liest kann man nur den Kopf schütteln und man fragt sich, ob man das nicht anders hätte lösen können als mit einem solchen „Eiertanz“. Die Frage geht an das KG und die StA Berlin, nicht an die Strafkammer, deren „Standfestigkeit2 ich nur bewundern kann. Denn, was soll sie denn anderes tun, als sie getan hat. Sie braucht – so sagt sie – für ihr Verfahren Antworten/Vorgaben aus Luxemburg. Dann ist es doch nur folgerichtig, wenn sie nicht verhandelt und auch nicht verhaftet. Wenn KG und StA meinen, das tun zu können, nur zu. Allerdings: Wie gesagt – warum löst man es nicht anders, z.B. über eine HB-Aussetzung usw.?

Man darf gespannt sein, wie der Eiertanz weitergeht.

StPO II: War (Revisionssenats)Vorsitzende befangen?, oder: Abgelehnte Verlängerung der Begründungfrist

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In dem zweiten Beschluss, den ich heute vorstelle, dem BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23, geht es um die Frage der Befangenheit im Revisionsverfahren.

Der Angeklagte ist om LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.08.2023.

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 02.09.2023 entscheiden werde. Mit Schriftsatz vom 23.08.2023 legitimierte sich ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.09.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Übersendung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den BGH und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.09.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Der BGH hat den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Tags darauf verwarf der Senat die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. hier: BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23).

Der BGH hat die Ablehnungsanträge zurückgewiesen:

„1. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

2. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 1; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2020 – 5 StR 630/19, juris Rn. 18; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 24; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom 8. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 – 4 StR 67/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S., wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Und wer gedacht hat, dass die Sache damit ihr Ende gefunden hat. Nein, es gibt noch Anhörungsrügen. Auf die komme ich noch zurück.

StPO I: Ablehnung einer Schöffin durch die StA, oder: Persönliche Beziehungen allein reichen nicht, aber ….

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Und heute dann mal wieder Verfahrensrecht, also ein wenig StPO, und zwar zweimal BGH, einmal AG.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 25.10.2023 – 2 StR 195/23 – zur Ablehnung einer Schöffin durch die Staatsanwaltschaft, das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zu Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen des LG war der Angeklagte von einem gesondert verfolgten B. beauftragt, von diesem in den Niederlanden bestelltes zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmtes Marihuana abzuholen. Zur Verbringung der Betäubungsmittel nach Deutschland hatte der Angeklagte den Opel Corsa seiner damaligen Lebensgefährtin organisiert. Der Angeklagte fuhr in dem Opel Corsa und B. in seinem SUV Seat nach E. Dort tauschten sie die Fahrzeuge und B. lud das Rauschgift in Abwesenheit des Angeklagten in den Opel Corsa, mit dem er das Marihuana über die Grenze nach Deutschland verbrachte. Der Angeklagte fuhr mit dem Seat voraus, um bei eventuellen Kontrollen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein bis zwei Tage nach ihrer Rückkehr tauschten sie die Fahrzeuge zurück und der Angeklagte erhielt eine Entlohnung von 500 EUR.

Die Staatsanwaltschaft hat Revision zu Lasten des Angeklagten eingelegt. Ihre Verfahrensrüge  hat sie damit begründet, dass bei dem Urteil eine Schöffin mitgewirkt habe, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2, § 28 Abs. 2 Satz 2, § 31 Abs. 1 StPO). Dieser Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die an dem angefochtenen Urteil mitwirkende Schöffin J. teilte dem Vorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag nach Verlesung der Anklage mit, dass es sich bei dem Angeklagten um den ehemaligen Partner ihrer „angeheirateten Nichte“ handele, den sie auf Familienfeiern fünf- bis sechsmal getroffen und mit dem sie sich auch unterhalten habe. Die Beziehung zwischen der „Nichte“ und dem Angeklagten sei beendet, ihr letzter persönlicher Kontakt zum Angeklagten sei über drei Jahre her. Nach Bekanntgabe dieser Umstände durch den Vorsitzenden gegenüber den Verfahrensbeteiligten erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass das im Anklagesatz erwähnte Tatfahrzeug, der Opel Corsa, der „Nichte“ gehöre, diese aber nicht gewusst habe, wofür der Angeklagte sich das Fahrzeug geliehen habe.

Nach einer circa fünfundvierzigminütigen Sitzungsunterbrechung verlas die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ein gegen die Schöffin gerichtetes Ablehnungsgesuch und begründete dieses mit deren „Verwandtschaftsverhältnis“ zur Eigentümerin des mutmaßlichen Tatfahrzeugs. In ihrer sich anschließenden dienstlichen Äußerung bestätigte die abgelehnte Schöffin, dass die durch den Vorsitzenden vorgetragenen Tatsachen zu ihrer Bekanntschaft zum Angeklagten zutreffend seien. Die Strafkammer hat den Ablehnungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Selbstanzeige der Schöffin als unbegründet erachtet. Sie hat ausgeführt, dass mangels enger persönlicher Beziehung der Schöffin zum Angeklagten eine Besorgnis der Befangenheit nicht bestehe.

Nach Auffassung des BGH beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht die Mitwirkung der Schöffin als erkennende Richterin.

Zunächst hier die Leitsätze, die sich mit der Frage befassen, ob auch die StA die Besorgnis der Befangenheit geltend machen kann, und zwar:

  1. Bei den gesetzlichen Vorschriften, nach denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 24 Abs. 1 und 2, § 31 StPO), handelt es sich nicht um Rechtsnormen, die im Sinne des § 339 StPO lediglich zugunsten des Angeklagten wirken.
  2. Die Staatsanwaltschaft kann in Ausübung ihrer Rolle als „Wächterin des Gesetzes“ Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Entscheidung über von ihr gestellte Ablehnungsgesuche ungeachtet von deren Angriffsrichtung mit der Revision rügen.
  3. Ein Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft ist gerechtfertigt, wenn sie bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist.

Zum Befangenheitsgrund führt der BGH dann aus:

„c) Der Zurückweisungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab der § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO nicht stand. Das feststehende Verfahrensgeschehen, auf dessen Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, Rn. 4; vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ 2023, 168, 170 Rn. 47), ist geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Schöffin zu begründen.

aa) Die Ablehnung eines (Berufs-)Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO, der nach § 31 Abs. 1 StPO für einen Schöffen entsprechend gilt, gerechtfertigt, wenn die ablehnende Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist (vgl. allgemein zu § 24 StPO BGH, Urteil vom 28. Januar 1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4, 7). Nicht erheblich ist, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209).

bb) Dabei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die §§ 22, 23 StPO Ausschlussgründe aufgrund typisierter Verhältnisse oder Beziehungen erschöpfend regeln. Sie sind eng auszulegen und dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass für bestimmte Fälle § 24 StPO allgemein „zur Lückenfüllung“ herangezogen wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 Ws 156/16, Rn. 8; KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 22 Rn. 3).

Grundsätzlich gilt daher, dass, soweit nicht die im Gesetz aufgeführten persönlichen Verhältnisse oder Beziehungen vorliegen, von der Fähigkeit des Richters auszugehen ist, sich von Befangenheit frei zu halten (vgl. Löwe/Rosenberg/Siolek, StPO, 27. Aufl., § 24 Rn. 30; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9). Gleichwohl vermögen persönliche Beziehungen des Richters zu Angeklagten, Verletzten oder Zeugen je nach Intensität und konkreter Sachlage die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 12). Sie lassen eine Ablehnung aber nur dann als begründet erscheinen, wenn eine besonders enge Beziehung vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 24 Rn. 11 („eng befreundet“); SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 24 StPO Rn. 18, 20; weitgehender wohl MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 2. Aufl., § 24 Rn. 28 („freundnachbarschaftliche Verhältnisse“ reichen teilweise aus)) oder ein besonderer Zusammenhang mit der Strafsache besteht, der besorgen lässt, dass der Richter der Sache nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenübersteht (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 48. Ed., § 24 Rn. 10; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9; Temming in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 24 Rn. 13; Fischer/Kudlich, JA 2020, 641, 646).

cc) Hiervon ausgehend ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht allein in der persönlichen Bekanntschaft der Schöffin zum Angeklagten keinen Befangenheitsgrund gesehen hat. Es fehlt an einer persönlichen Beziehung mit der für die Begründung einer Besorgnis der Befangenheit erforderlichen Intensität zwischen den beiden Personen. So kam es bis zur Hauptverhandlung zu lediglich fünf oder sechs Begegnungen mit nur kurzen Unterhaltungen. Hinzu tritt, dass seit dem letzten persönlichen Kontakt mehr als drei Jahre vergangen sind und auch eine indirekte persönliche Beziehung zum Angeklagten aufgrund der – zwischenzeitlich beendeten – Partnerschaft zu der „Nichte“ der Schöffin nicht (mehr) existiert.

dd) Allerdings hat es das Landgericht versäumt, die persönlichen Beziehungen der Schöffin in eine Gesamtschau einzuordnen, was hier zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit führt.

Besondere Umstände ergeben sich vorliegend daraus, dass die fortbestehende persönliche Beziehung der Schöffin zu ihrer „Nichte“, der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten, einen Zusammenhang zu der Strafsache aufweist. Diese war die Eigentümerin des für die Einfuhrtaten (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) genutzten Tatfahrzeugs. Zwar würde eine etwaige Verfahrensbeteiligung der „Nichte“ als Zeugin eine Besorgnis der Befangenheit noch nicht ohne weiteres begründen. Dem steht bei der anzunehmenden Schwägerschaft dritten Grades (§ 1590 BGB) die gesetzgeberische Wertung des § 22 Nr. 3 StPO entgegen. Der durch den PKW als Tatmittel begründete enge Sachbezug zu der Strafsache berührt aber das Verhältnis der Schöffin zum Angeklagten dergestalt, dass diese ein Interesse daran haben könnte, dass zwischen der Betäubungsmitteleinfuhr und ihrer „Nichte“ keine Verbindung hergestellt und diese nicht zu einer potentiell Tatbeteiligten wird und so, je nach Einlassung des Angeklagten, diesem wohlwollend oder ablehnend gegenüberzustehen.

Aus Sicht der ablehnenden Staatsanwaltschaft war damit bei verständiger Würdigung dieser Gesamtumstände die Besorgnis gerechtfertigt, der Schöffin fehle die erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit. Die zu einer möglichen Befangenheit unergiebige dienstliche Äußerung der Schöffin vermag diese Wertung nicht auszuräumen, erschöpft sie sich doch allein darin, die Bekanntschaft zum Angeklagten zu bestätigen.“

StPO II: Augenscheinseinnahme ohne Beteiligte, oder: Besorgnis der Befangenheit

Und als zweite Entscheidung dann der AG Schwerin, Beschl. v. 25.10.2023 – 259 Js 17643/23 OWi. Er stammt zwar aus dem Bußgeldverfahren, aber in der Entscheidung geht es um eine StPO-Frage. Nämlich. Besorgnis der Befangenheit (§ 24 StPO).

Das AG geht von Befangenheit des entscheidenden Richters aus – der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Der Befangenheitsantrag gegen den abgelehnten Richter vom 11.10.2023 ist zulässig, insbesondere unverzüglich gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 25 Abs. 2 StPO gestellt.

Zwar hat der Verteidiger des Betroffenen das Ablehnungsgesuch nicht unmittelbar nach dem Hinweis des abgelehnten Richters im Hauptverhandlungstermin am 11.10.2023, dass er sich am Vortag zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung zur Messstelle begeben, ein Foto von der Messstelle gefertigt und von den zufällig dort anwesenden Messbeamten pp. und pp. den genauen Aufstellungsort des Messgerätes erfahren habe, sondern erst nach Durchführung der zeugenschaftlichen Vernehmung der Zeugen pp. und sowie Inaugenscheinsnahme des vom abgelehnten Richter am Vorabend von der Messstelle gefertigten Fotos gestellt. Gleichwohl geht das Gericht von der Rechtzeitigkeit des Antrags aus, da dieser noch innerhalb des Hauptverhandlungstermins am 11.10.2023 unmittelbar nach Erörterung der Sach- und Rechtslage gestellt worden ist, zu einem Zeitpunkt als, wie sich aus der Erklärung des Verteidigers vom 17.10.2023 zur Stellungnahme des abgelehnten Richters vorn 11.10.2023 ergibt, gerade mit Blick auf die Erklärungen des Zeugen pp.. zur Messskizze und den „neuen“ örtlichen Gegebenheiten – jedenfalls für diesen Zweifel an einem Tatnachweis ergeben hatten.

Der Ablehnungsantrag ist auch begründet.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes gem. § 24 Abs. 1 und 2 StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt eines vernünftigen bzw. verständigen Ablehnenden aus zu beurteilen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist. Solcherlei ist anzunehmen, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dass dies vorliegend anzunehmen ist, ergibt sich aus Folgendem:

Der abgelehnte Richter hat hier zwischen zwei Sitzungstagen die Örtlichkeit einer Geschwindigkeitsmessung in Augenschein genommen und die zufällig dort anwesenden Zeugen des Verfahrens pp. und pp. 1 (jedenfalls) zum Standort des Messgerätes befragt. Diese Verhaltensweise lässt den Schluss zu, der abgelehnte Richter halte eine solche Ortsbesichtigung/ Befragung von Zeugen im Rahmen seiner Aufklärungspflicht für seine Entscheidungsfindung für erforderlich. In einem solchen Fall, gleich ob innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung wäre es strafprozessual jedoch erforderlich gewesen, die lnaugenscheinsnahme/ Ortsbesichtigung und Vernehmung/Befragung von Zeugen vorab sämtlichen Prozessbeteiligten mitzuteilen (vgl. da-zu die Regelungen der §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 86, 162, 165, 168 d Abs. 1 i.V.m § 168 c Abs. 5 S. 1, 225, 224 StPO). Im konkreten Fall hat der abgelehnte Richter ohne Rücksicht auf die vorgenannten strafprozessualen Regelungen allein für sich die Möglichkeit eröffnet, unter Ausschluss des Betroffenen und seines Verteidigers die Messörtlichkeit in Augenschein zu nehmen und die Vernehmung/Befragung von Zeugen des Verfahrens durchzuführen. Dieses prozessuale Vorgehen kann für eine Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung den Eindruck einseitiger Verfahrensführung erzeugen und begründen.

Die nachträgliche dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters entkräftet nach Wertung des Gerichts den Anschein der Voreingenommenheit nicht. Diese lässt nicht erkennen, dass sich der abgelehnte Richter mit der zentralen Frage der Anwesenheitsrechte von Prozessbeteiligten bei richterlichen „Ermittlungshandlungen“ inhaltlich auseinandergesetzt hat. Die Äußerung, er habe – auch ohne Mitteilung an die Prozessbeteiligten – ein „Recht“… „ im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die Örtlichkeit einer Messung vor Durchführung einer Hauptverhandlung anzuschauen“, und der (erneute) Hinweis darauf, dass er die Zeugen zufällig dort angetroffen habe, wodurch offensichtlich die Befragung der Messbeamten gerechtfertigt werden soll, geben vielmehr auch weiterhin für eine Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung ausreichend Anlass, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln.