Schlagwort-Archive: Besorgnis der Befangenheit

Kinderbeaufsichtigung im Beratungszimmer, oder: Besorgnis der Befangenheit?

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Bei der zweiten amtsgerichtlichen Entscheidung, die eine Ablehnungsfrage zum Gegenstand hat, handelt es sich um den AG Bielefeld, Beschl. v. 05.12.2017 – 39 Ds-6 Js 42/17-824/17. In ihm geht es letztlich auch um Terminschwierigkeiten. Das AG und der Verteidiger haben nach einem Termin, der wegen Verhinderung eines Zeugen ausgefallen ist, „die Enden nicht wieder zusammen bekommen“. Der Angeklagte hat dann das Mandant zu seinem ursprünglichen Verteidiger beendet. Ein weiterer Verteidiger hat dann einen Ablehnungsantrag gestellt und den wie folgt begründet: „Während des Termins vom 29.08.2017 habe sich ein Schulkind zur Beaufsichtigung der Richterin im Beratungszimmer bei geöffneter Tür befunden. Die Verteidigung nimmt insoweit auf die Entscheidung des BGH in dem Verfahren 2 StR 228/17 Bezug. Zudem werde die Verteidigung durch die Terminsverfügungen der Richterin ausgeschlossen. …). Der Antrag hat beim AG keinen Erfolg. Zur Kinderbeaufsichtigung heißt es:

„Auch der Umstand, dass sich während des Termins vom 29.08.2017 ein Schulkind – der 9-jährige Sohn der Richterin – im Beratungszimmer aufhielt und die Richterin die Tür zum Sitzungssaal geöffnet hielt, führt nicht zu ihrer Befangenheit Allerdings trifft es zu, dass dann, wenn der Richter der Sitzung nicht die volle Aufmerksamkeit widmet, sondern sich parallel privaten Aufgaben zuwendet, eine Befangenheit angenommen werden kann. Dies hat der BGH etwa für die private Handy-Nutzung während der Sitzung bejaht (vgl. BGH 2 StR 228/14). Dieser Fall unterscheidet sich aber von dem vorliegenden. Denn die Richterin war Im vom BGH entschiedenen Fall die Beisitzerin; sie nutzte das Handy während der laufenden Sitzung, Der hier vorliegende Fall ist eher damit zu vergleichen, dass das Handy auf Rufbereitschaft gestellt wird und gelegentlich aufs Handy geschaut wird. Denn wenn ein 9-jähriges Kind allein im Beratungszimmer spielt, weil an dem Tag die Kinderbetreuung nicht gewährleistet werden konnte, lenkt das als solches die Aufmerksamkeit der Richterin nicht ab. Dies wäre erst dann der Fall – ähnlich der Nutzung des Handys – wenn konkreter Betreuungsbedarf besteht. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall. Die bloße beiläufige Überwachung des Sitzungszimmers führt aber nicht zu einer Reduzierung der Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung. Der weitere Antrag vom 27.11.2017 enthält keine weiteren Argumente und war deshalb ohne erneute dienstliche Stellungnahme zurückzuweisen. Einzig der Umstand, dass die dienstliche Äußerung inhaltsleer gewesen sei, wird zusätzlich vorgetragen. Die dienstliche Stellungnahme ist zwar kurz, aber keinesfalls inhaltsleer.“

Na, ich habe erhebliche Zweifel, ob das aus der zitierten BGH-Entscheidung folgt. Denn m.E. stellt der BGH in seiner Entscheiung – für mich zutreffend – darauf ab, dass die dort abgelehnte Richterin offenbar bereit gewesen sei, ihre private Kommunikation über ihre dienstliche Pflicht zur Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung zu stellen. Was unterscheidet den Fall von dem hier vom AG Bielefeld entschiedenen, in dem während der Hauptverhandlung das Kind im Beratungszimmer beaufsichtigt wird.

Eine ganz andere Frage ist, ob der Antrag nach so langer Zeit überhaupt noch zulässig oder ob der vorgetragene Grund nicht verspätet (vorgetragen) war.

Nachträgliche Terminskollision, oder: Wenn die Amtsrichterin die Terminsverlegung nicht will, befangen

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Heute dann drei amtsgerichtliche Entscheidungen, zwei davon befassen sich mit Ablehnungsfragen (§§ 24 ff. StPO). Ich eröffne mit dem AG Wuppertal, Beschl. v. 05.12.2017 – 28 OWi 623 Js 1805/17 (131/17), den mir der Kollege T.F. Schubert aus Marl während meines Urlaubs übersandt hat.

Es geht um die in der Praxis immer wieder auftretenden und Schwierigkeiten bereitenden Fragen der Terminsverlegung; dass sie Schwierigkeiten machen, zeigen die vielen Postings zu der Problematik in der Facebook-Gruppe: „Fachanwälte für Strafrecht….“. Ausgangspunkt der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 12.11.2017 ist zunächst Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 24.01.2018 bestimmt worden. Nachdem ein für diese Hauptverhandlung geladener Zeuge mitgeteilt hat, dass er diesen Termin nicht wahrnehmen könne, da es sich zum Termintage in Urlaub befinde, hat die Abteilungsrichterin den Termin mit Verfügung vom
22.11.2017 auf den 06.12.2017 vorverlegt. Dies geschah, nachdem dieser Termin mit dem Sekretariat des Verteidigers abgesprochen war. Das EB des Verteidigers ist am 24.11.2017 hinsichtlich der Umladung unterzeichnet worden. Mit Schriftsatz vom 28. November hat der Verteidiger sodann beantragt, den Termin vom 6. Dezember aufzuheben. Zur Begründung hat er vorgetragen und anwaltlich versichert, er habe im Rahmen einer Pflichtverteidigung vor dem Landgericht Essen am 28.11.2017 einen Fortsetzungstermin für den 06.12.2017 um 9:15 Uhr erhalten. Auch könne im hiesigen Verfahren ein Kollege der Anwaltskanzlei nicht einspringen, da diese entweder urlaubsabwesend oder durch andere Termine gebunden seien. Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 30.11.2017 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin vom 06.12.2017 bestehen bleibe. Die Ladung sei ihm am 24. November zugegangen. Die Ladung des Termins, wegen dem Verlegung beantragt worden sei, sei aber erst am 28.11.2017 erfolgt. Ergänzend hat die Abteilungsrichterin mitgeteilt, dass der Verteidiger abwägen möge, ob er den Termin am 06.12.2017, bei dem kein Anwaltszwang herrsche, wahrnehmen wolle. Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 01.12.2017 hat er dann nochmals darauf hingewiesen, dass der Fortsetzungstermin in Essen erst in der Hauptverhandlung am 28.11.2017 festgesetzt worden sei und er als Pflichtverteidiger diesen auch wahrnehmen müsse. Er halte diesen Termin auch für vorrangig. Erneut bat er um Aufhebung des Termins am 06.12.2017. Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 01.12.2017 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe. Eine weitergehende Begründung erfolgte nicht.

Das AG macht dann Ernst mit den §§ 24 ff. StPO und sieht den Ablehnungsantrag als begründet an:

„Bei einer Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung dieses Sachverhaltes liegt ein oben beschriebener Ausnahmefall vor, bei dem wegen verweigerter Terminverlegung die Besorgnis der Befangenheit der Abteilungsrichterin zu bejahen ist.

Der Verteidiger hat erhebliche und nachvollziehbare Gründe für seinen Terminverlegungsantrag vorgetragen und die Tatsachen anwaltlich versichert. Es ist nach Akteninhalt zweifelsfrei, dass er den Hauptverhandlungstermin hier wegen eines erst am 28_11.2017 von einer Strafkammer in Essen bestimmten Fortsetzungstermins am 06.12.2017, in welchem er zum Pflichtverteidiger bestellt ist, nicht wahrnehmen kann. Auch hat er anwaltlich versichert, dass ein Mitglied der Anwaltskanzlei nicht an seiner Stelle einspringen kann, da alle verhindert seien. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und des Rechts des Betroffenen, sich von einem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen, war die Zurückweisung des – erstmaligen – Antrags auf Terminverlegung für den Betroffenen schlechthin unzumutbar, wodurch sein Grundrecht auf rechtliches Gehör und das auf ein faires Verfahren verletzt worden ist. Dies begründet die Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Abteilungsrichterin.“

M.E. passend.

Befangen? Ja, wenn die Richterin mittags mit dem Geschädigten Essen geht

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Und als zweite „Wochenauftaktsentscheidung“ kommt dann hier der BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 90/17. Er ist in einem Sicherungsverfahren ergangen und hat u.a. auch eine Befangenheitsproblematik zum Gegenstand. Es geht um die „Begründetheit“ einer Selbstablehnung (§ 30 StPO), die von einer zuständigen Richterin erklärt worden und von der Strafkammer nicht anerkannt worden ist. Das wird vom BGH als rechtsfehlerhaft beanstandet:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Geschädigter im vorliegenden Verfahren ist ein Richter am Landgericht Hildesheim. Noch vor Beginn der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende Richterin der zuständigen 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim eine Erklärung ab, mit der sie Selbstanzeige zu Umständen machte, die ihrer Ansicht nach eine Befangenheit begründen könnten: Der Verletzte sei ein Kollege, zu dem sie eine enge Bindung habe. Sie kenne ihn bereits aus der gemeinsamen Asses-sorenzeit und nehme mit ihm seit 2011 nahezu täglich – im Kreise weiterer Kollegen – das Mittagessen ein. Dabei würden auch regelmäßig Gespräche mit privatem Inhalt geführt. Aufgrund dieses – über kollegiale Beziehungen hinausgehenden – Verhältnisses zum Geschädigten sei sie dem Beschuldigten gegenüber nicht unvoreingenommen. Sie halte sich für befangen.

Mit Beschluss vom 28. Juni 2015 hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Hildesheim festgestellt, dass ein Grund, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu rechtfertigen, nicht vorliege. Ob die Richterin sich selbst für befangen halte, sei ohne Belang. Im Übrigen lege das dienstliche Verhältnis zwischen der Vorsitzenden Richterin und dem Verletzten keine Voreingenommenheit nahe. Ein solches Verhältnis könne nur dann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn es besonders eng sei und auf die persönlichen Verhältnisse ausstrahle. Aus der Anzeige ergebe sich jedoch weder eine dienstliche Zusammenarbeit noch ein privates Verhältnis, das die Schwelle zur Freundschaft überschreite.

Hiergegen wendet sich die Revision mit der Begründung, dass die Feststellung, ein Grund für Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richterin liege nicht vor, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar sei. Maßgeblich sei, dass die Vorsitzende Richterin ausdrücklich und unmissverständlich mitge-teilt habe, gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen zu sein. Diese innere Einstellung offenbare ihre Befangenheit.

2. Durch die Verfahrensweise des Landgerichts wurde der Beschuldigte seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG). Im Einzelnen:

a) In den Fällen des § 30 StPO kann das Revisionsgericht den Be-schluss, durch den die Selbstanzeige eines Richters wegen eines Verhältnis-ses, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, für begründet oder für nicht begründet erklärt wird, grundsätzlich nicht überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 1973 – 1 StR 541/72, BGHSt 25, 122, 127 mwN; vom 5. Januar 1977 – 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 99). Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO betrifft lediglich den Fall der Ablehnung des Richters nach § 24 StPO, nicht die Selbstanzeige eines Richters nach § 30 StPO. Der Grundsatz der Nichtüberprüfbarkeit gilt indes nicht ausnahmslos. Vielmehr kann im Falle einer objektiv willkürlichen Verfahrensweise mit der Verletzung von § 16 Satz 2 GVG im Revisionsverfahren eine Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begehrt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1968 – 2 StR 360/67, BGHSt 22, 94, 100; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 30 Rn. 9). So greift eine Rüge, § 16 Satz 2 GVG sei verletzt, durch, wenn das Verfahren des § 30 StPO missbraucht wird, indem ein Richter Anzeige nach § 30 StPO erstattet und das Gericht sie für begründet erklärt, obwohl sowohl der Anzeigende als auch das Gericht keine Befangenheit besorgen (LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., § 30 Rn. 24). Denn durch eine grundlose Selbstablehnung darf ein Angeklagter nicht dem verfassungsrechtlich garantierten gesetzlichen Richter entzogen werden (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1993 – 3 StR 512/93, BGHR StPO § 30 Selbstanzeige 1). Nichts anderes gilt, wenn die Selbstablehnung des Richters aus Gründen, die rechtlich unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar sind, für unbegründet befunden wird.

b) Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Feststellung, Gründe für den Anschein einer Befangenheit der Vorsitzenden Richterin seien nicht gegeben, ist angesichts der in der Selbstablehnung vorgetragenen Angaben nicht vertretbar. Schon die von der Richterin angezeigten äußeren Umstände zu ihrem Verhältnis zu dem Geschädigten rechtfertigten die Besorgnis ihrer Befangenheit nach § 24 Abs. 1 Alternative 2, Abs. 2 StPO. Nach ihren Angaben besteht eine enge Bindung zu dem Verletzten, die auch in das Privatleben hineinreicht. Dies lässt aus der Sicht eines verständigen Angeklagten den Schluss zu, dass ihr Verhältnis zu dem Verletzten über dienstliche Beziehungen, die für sich allein die Annahme von Befangenheit nicht rechtfertigen können (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 24 Rn. 10 mwN), hinausgehen. Ob die Zurückweisung der Selbstanzeige bereits deshalb nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern – weil willkürlich – mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht mehr zu vereinbaren ist, kann indes dahinstehen. Denn die Vorsitzende Richterin hat zudem ausdrücklich mitgeteilt, dass sie gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen sei. Zwar ist es für die Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält, da es maßgeblich nicht auf dessen subjektive Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1972 – BvA 1/96, BVerfGE 32, 288, 290). Teilt der Richter dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zu dem Angeklagten, die diesem – jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird – bei verständiger Würdigung Grund zu der Annahme liefert, dass der betreffende Richter eine innere Haltung gegen seine Person eingenommen hat, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst.“

Hier hat die Richterin Gründe für ihre Befangenheit angeführt, die schon für sich die Ablehnung gerechtfertigt hätten. Indem sie gleichzeitig erklärt hat, deshalb gegenüber dem Beschuldigten voreingenommen zu sein, musste dieser auch bei verständiger Würdigung davon ausgehen, dass sie ihn und seine Tat nicht unbefangen beurteilen würde. Vor diesem Hintergrund ist die Ent-scheidung der Strafkammer, der Beschuldigte habe keinen Grund, an der Un-parteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu zweifeln, nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar und damit objektiv willkürlich.“

Deutliche Worte des BGH: „nicht vertretbar“.

Befangen?, Ja, wenn die Haft unverhältnismäßig lange dauert.

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Gelinde ausgedrückt – ein wenig zu lange hat die Haft aufgrund eines § 230-er-Haftbefehls beim AG Bautzen gedauert. Hauptverhandlung war am 01.03.2017. Der Angeklagte bekommt zwar einen Pflichtverteidiger, der tut aber nicht so richtig etwas. Erst als sich ein Wahlverteidiger einschaltet, wird der Angeklagte am 05.10.2017 entlassen. Der Direktor des AG Bautzen hält im AG Bautzen, beschl. v. 14.11.2017 – 40  Ds 560 Js 24562/15  – die Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des „agierenden (?) Amtsrichters für gegeben:

Für die Untersuchungshaft ist in § 121 Abs. 1 StPO bestimmt, dass deren Vollzug we­gen derselben Tat, solange kein auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maß­regel lautendes Urteil ergangen ist, nur aufrechterhalten werden darf, wenn die beson­dere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtferti­gen. Hingegen gibt es für die sogenannte Sitzungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO eine entsprechende Fristenregelung nicht. Freilich ist auch und erst recht bei der Anord­nung einer Maßnahme nach dieser Vorschrift, die lediglich die Feststellung voraus­setzt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht erschienen und sein Ausblei­ben nicht genügend entschuldigt ist, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beach­ten. Denn ein Eingriff in die persönliche Freiheit kann nur hingenommen werden, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklä­rung der Tat und auf rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006 — 2 BVR 473/06, Rn. 16, zitiert nach Ju­ris). Gerade die Sitzungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO verpflichtet daher das Gericht zu einer schleunigen Terminierung (vgl. Julius in: Gercke/Julius/Temming, StPO, 5. Aufl., § 213 Rn. 8, § 230 Rn. 7, jeweils m.w.N.). Mit Rücksicht darauf sind besondere Um­stände, die ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richter rechtfertigen, gege­ben, wenn in einer Haftsache der Angeklagte den Eindruck gewinnen kann, die Bestim­mung eines zeitnahen Termins zur Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden unter­bleibe ohne nachvollziehbaren Grund (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2005 – 2 Ss 83/05, zitiert nach Juris).

Einen solchen Eindruck kann hier der Angeklagte aufgrund der Verfahrensweise des abgelehnten Richters, auch wie sie ihm durch dessen dienstliche Äußerung vorn 16.10.2017 bekannt geworden ist, gewinnen. Eine Wiedervorlage der Akte an einen Richter, zumal den Vertreter des abgelehnten Richters, nach dessen Verfügung vorn 08.05.2017 (GA 145R), mit der der abgelehnte Richter „z.T.“, also Wiedervorlage zum Termin der Hauptverhandlung angeordnet hat, ohne dass sich eine entsprechende Terminsverfügung bei den Akten befindet, ist erst für den 26.09.2017 und zwar aus An­lass der Beantragung eines Einzelsprechscheins durch den jetzigen Wahlverteidiger des Angeklagten dokumentiert (GA 149). Dieser Umstand lässt – objektiv – befürchten, dass sich der Angeklagte noch länger als bis zum 05.10.2017 ohne Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung in Haft befunden haben würde, wenn nicht sein jetziger Wahlverteidiger für ihn tätig geworden wäre. Dabei kann dahinstehen, ob die letztlich eingetretene Dauer der Sitzungshaft von nahezu sechs Monaten unter Berücksichti­gung des staatlichen Interesses an der vollständigen Aufklärung der hier dem Ange­klagten konkret vorgeworfenen Tat und, falls er sich dieser schuldig gemacht haben sollte, seiner raschen Bestrafung noch als verhältnismäßig angesehen werden könnte; eine längere Dauer wäre jedenfalls nicht verhältnismäßig gewesen. Diese Sicht nimmt im Übrigen auch der abgelehnte Richter ein, denn er hat den Haftbefehl sofort aufgeho­ben, als er selbst am 05.10.2017 das Verfahren wieder bearbeitet hat. Eine Verantwor­tung dafür, dass bis zu diesem Tag eine Hauptverhandlung nicht stattgefunden, sogar nicht einmal ein Termin hierfür – verbindlich – bestimmt worden war, träfe den abge­lehnten Richter in der Wahrnehmung des Angeklagten bei verständiger Würdigung nur dann nicht, wenn dieser spätestens nun zur Kenntnis nehmen müsste, dass das ein­getretene Versäumnis bei der Terminierung ausschließlich auf einem weisungswidrigen Verhaften der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beruhte. Gerade hierzu schweigt aber die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters aufgrund seines ausdrücklichen Verzichts „auf die weitere Darstellung der allein geschäftsinternen Ab­läufe“. Auch sein Eingeständnis, die Kontrolle über den Fristablauf nach dem 30.08.2017 nicht stets mit der allgemein gebotenen Sorgfalt überwacht zu haben, bleibt im Ungefähren. Weitere Aufklärung ist freilich schon deshalb geboten gewesen, weil die Aktenführung den genauen Gang des Verfahrens in der Zeit nach dem 26.04.2017, als der abgelehnte Richter „Terminierung“ verfügt hat, nicht erkennen lässt. Zumindest aufgrund der verbliebenen, vom abgelehnten Richter zu vertretenden Ungewissheit kann der Angeklagte die Schlussfolgerung ziehen, nach seiner Inhaftie­rung habe der abgelehnte Richter die Bestimmung eines zeitnahen Termins zur Hauptverhandlung ohne nachvollziehbaren Grund unterlassen.“

Das stimmte die „Krähentheorie“ mal nicht 🙂 .

Nachschau beim „Facebook-Profil“ der Sachverständigen, oder: Wenn die SV sich zu G20 und der Sicherungsverwahrung äußert

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Urheber Munhuu94 – Own work

Heute mache ich dann mal keinen Thementag, sondern einen Tag „Kessel Buntes“, allerdings aus StGB und StPO – und nicht – wie meist am Samstag – aus dem (Verkehrs)Zivilrecht. Und ich eröffne mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 15.08.2017 – 1Ks 100 Js 40760/16, ergangen in einem beim Schwurgericht  anhängigen Verfahren. Den hat mir der Kollege M. Stephan aus Dresden übersandt.

Im Verfahren scheint es – jedenfalls ist das m.E. aus dem Gesamtzusammenhang der Beschlussgründe zu entnehmen – auch um die Anordnung von Sicherungsverwahrung zu gehen. Dazu hat das Gericht eine Sachverständige beauftragt. Die haben die Verteidiger erfolgreich – was nicht so häufig ist – wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 74 StPO) abgelehnt.

Zur Begründung des Ablehnungsantrags ist vorgetragen worden, „dass die Sachverständige auf ihrem öffentlich zugänglichen Facebookprofil Inhalte gepostet habe, die geeignet seien für einen vernünftigen und verständigen Angeklagten den Eindruck zu erwecken, dass die Sachverständige nicht mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit ihr Gutachten erstatten könne. So habe sie anlässlich der Vorkommnisse zum G-20-Gipfel in Hamburg u.a. gepostet, dass sie „nicht übel Lust (habe), 75 % der Verfasser, die sich hinter einem Nicknamen verstecken, in die nächstgelegene Sicherungsverwahrung zu gutachten!“ Darüber hinaus seien auch Zweifel dahingehend angemeldet, dass mit in den Akten enthaltenen höchst persönlichen Daten gesetzeskonform umgegangen werde, wenn die Sachverständige am 13.07.2017 in ihrem Facebook account gepostet habe: „Hurra. Ich werde geliebt. Zwei Umzugskartons von der Staatsanwaltschaft. Mein Wochenende ist gesichert. Freizeitstress wird da nicht aufkommen!“ Auch sei in einem Zeitungsartikel die Sachverständige mit einem Doktortitel genannt worden, den sie nicht innehabe.“

Die Sachverständige hat zu den vorgetragenen Gründen – in meinen Augen – „bemerkenswert“ Stellung genommen und ausgeführt, der Facebookpost sei als Ausdruck der freien Meinungsäußerung anzusehen, der keinen Bezug zu dem aktuellen Strafverfahren aufweise. Der monierte Facebookpost über den Erhalt der Akten sei anonymisiert und nicht geeignet, die Datensicherheit in diesem Verfahren zu gefährden.

Das LG hat es – m.E. zutreffend – anders gesehen und hat dem Ablehnungsantrag – übrigens in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft – als begründet angesehen:

Der Sachverständigen pp. ist zwar insoweit Recht zu geben, dass die überwiegenden von der Verteidigung genannten Umstände nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit gegen die Sachverständige zu begründen, wie der Zeitungsartikel aus dem Jahr 2008 und die dortige Bezeichnung als Doktor, sowie der Facebookpost im Bezug auf dem Eingang von umfangreichen Akten und die damit begründete Besorgnis, dass mit sensiblen Daten der Angeklagten nicht sorgfältig umgegangen werde.

Allerdings ist unter Berücksichtigung der sehr weitreichenden Rechtsprechung des BGH zur Frage von Posts in öffentlich zugänglichen Facebookprofilen, auch von solchen Äußerungen, die keinen konkreten Bezug zu einem bestimmten Verfahren aufweisen, der von der Sachverständigen gepostete Facebookeintrag zu den Vorkommnissen auf dem G-20-Gipfel unter Zugrundelegung dieses strengen Maßstabes geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der Sachverständigen zu begründen, dies auch unter Berücksichtigung dessen, dass sie mit dem Post – wie von dieser näher erläutert – offensichtlich das Stilmittel der Übertreibung anwendet, um einen humoristischen Effekt zu erzielen.

Die Äußerungen sind jedenfalls geeignet, für einen verständigen Angeklagten den Eindruck zu erwecken, dass die Sachverständige die Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus sachfremden Erwägungen und nicht objektiv beurteilten könnte. Da die Facebookseite auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit der Sachverständigen enthält, ist auch ein Bezug zu ihrer beruflichen Tätigkeit gegeben und die Äußerungen nicht nur als im privaten Rahmen abgegeben zu werten, zumal das Facebookprofil öffentlich zugänglich ist. Unter Zugrundelegung des strengen Maßstabes des BGH sind die Äußerungen damit geeignet, dass ein Angeklagter den Eindruck gewinnen könnte, dass es der Sachverständigen an der gebotenen Neutralität mangele.

Der Einwand der Sachverständigen, dass dies der Unschuldsvermutung entgegenlaufe und ein sicherer Nachweis der die Befangenheit begründenden Umstände erfolge müsse, greift nicht.

Zur Begründetheit des Befangenheitsantrages ist es gerade nicht erforderlich, dass die abgelehnte Person tatsächlich befangen ist, sondern unter Beurteilung eines verständigen Angeklagten Misstrauen in die Unparteilichkeit gerechtfertigt erscheint und der Eindruck der mangelnden Neutralität aus Sicht eines verständigen Angeklagten erweckt wird. Insofern ist nicht entscheidend, dass der abgelehnte Richter oder Sachverständiger tatsächlich diese innere Haltung aufweist. Dies beinhaltet gerade auch keine Vorverurteilung der Sachverständigen, der auch keinerlei strafrechtsrelevante Handlungen im Zusammenhang mit dem Facebookpost zur Last gelegt werden.“

Zur Befangenheit aufgrund der Äußerungen bei Facebook hatten wir ja schon einige, nämlich:

Der Beschluss zeigt: Es kann sich lohnen, bei Facebook mal Nachschau zu halten. Die Verteidiger hatten es hier getan 🙂 .