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Haft III: Beschleunigungsgrundsatz bei U-Haft, oder: Mal wieder verzögerte Einholung eines SV-Gutachtens

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann ein haft(verfahrens)rechtlicher Dauerbrenner, nämlich die Frage: Wie müssen die Gerichte in Haftsachen mit der Einholung von Sachverständigengutachten umgehen. Dazu verhält sich der OLG Naumburg, Beschl. v. 22.03.2022 – 1 Ws (s) 84/22 – auf der Grundlage folgenden Verfahrensablaufs:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 06.04.2021 aufgrund eines Haftbefehls des AG Bernburg vom 09.12.2020 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl stützt sich auf den Vorwurf des Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und den Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Haftbefehl war dem Angeklagten nach Festnahme in anderer Sache am 21.01.2021 verkündet worden.

Am 25.02.2021 verurteilte das AG Bernburg den Angeklagten in dieser Sache wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahls und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Auf die Berufung des Angeklagten fand am 25.05.2021 eine erste Hauptverhandlung vor dem LG Magdeburg statt, in deren Verlauf sich herausstellte, dass eine Begutachtung des Angeklagten aufgrund dessen Drogensucht im Hinblick auf eine Unterbringung gemäß § 64 StGB notwendig war.

Mit Beschluss vom 11.06.2021 erteilte das LG Magdeburg – nach Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft Magdeburg – den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens an den Sachverständigen Dr. med. pp.. Dieser teilte am 04.07.2021 mit, dass die ambulanten Untersuchungstermine nach Zuführung des in der Justizvollzugsanstalt Burg inhaftierten Angeklagten für den 21. und 22.09.2021 vorgesehen seien. Am 03.11.2021 fragte das Landgericht per E-Mail beim Gutachter an, wann mit dem Eingang des Gutachtens gerechnet werden könne. Am 22.11.2021 ging das Gutachten bei Gericht ein. Am 23.11.2021 bestimmte der Vorsitzende Termin zur Hauptverhandlung am 09.03.2022.

Mit Urteil vom 09.03.2022 hat das LG dann unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Übrigen das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt und mit Beschluss vom gleichen Tage die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Haftbeschwerde des Angeklagten, welche die Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen rügt. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte fristgerecht Revision eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an das OLG beantragt, auf die Haftbeschwerde des Angeklagten den Haftbefehl aufzuheben.

Und die Haftbeschwerde hat Erfolg. Man muss formulieren: „natürlich“, denn so geht es nicht. Und das, was die GStA in ihrer Zuschrift, auf die sich das OLG bezieht, ausführt, ist nichts Neues, sondern das konnte man schon häufg lesen in OLG-Beschlüssen, wenn es um Verzögerungen in Zusammenhang mit der Erstellung von Sachverständigengutachten ging. Daher reichen hier jetzt m.E. die Leitsätze zu der Entscheidung:

Bei der Einholung eines Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens unerlässlich, auf zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstellen ist und gegebenenfalls zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist.

Vielleicht liest man das ja beim LG. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

U-Haft I: Beschleunigung auch nach dem Urteil, oder: Wenn das Protokoll „über Monate“ nicht fertig wird

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Ich habe hier seit längerem keine Haftentscheidungen mehr vorgestellt. das hole ich dann heute nach. Also 3 x Haft.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 21.09.2021 – 1 Ws 160/21, den mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat. Thematik: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar nach Urteilserlass. Hier hatte die Strafkammer die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls mehrere Monate nicht erledigt. Das OLG meint: Das geht nicht:

„Allerdings stellt sich der weitere Vollzug der Untersuchungshaft, die nunmehr bereits ein Jahr und zwei Monate andauert, nicht mehr als verhältnismäßig im Sinne von § 120 Abs. 1 StPO dar. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nach dem Urteilserlass in nur noch abgeschwächter Form, so dass Verfahrensverzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich geringer ins Gewicht fallen und das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs sich durch den erfolgten Schuldspruch vergrößert hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 07. März 2014 4 Ws 21/14 —, juris). Gleichwohl hat auch nach Erlass eines Urteils eine Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Inhaftierten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse zu erfolgen. Bei der Bewertung der, Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf objektive Kriterien an, die etwa in der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung liegen können. Dabei sind mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft stets höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes für deren Fortdauer zu stellen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon langandauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfG – 3. Kammer des 2. Senats -, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BA 170/06 -, dort Rn. 29 mit weiteren Nachweisen; bei juris).

Solche, nicht mehr hinnehmbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen, liegen nach Auffassung des Senats vor: Das Urteil der Kammer ist innerhalb der – gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO auf neun Wochen verlängerten – Absetzungsfrist am 28. Juni 2021 zu den Akten gelangt. Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgte demgegenüber aber erst am 5. September 2021, mithin mehr als vier Monate nach Verkündung des Urteils und mehr als zwei Monate nach Ablauf der Absetzungsfrist. Eine derartige Verzögerung, auf die der Angeklagte keinen Einfluss nehmen kann und durch die das Revisionsverfahren mangels Zustellbarkeit des Urteils (§ 274 Abs. 4 StPO) keinen Fortgang nehmen kann, verletzt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen in einem Maße, aufgrund dessen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist. Soweit es in der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer heißt, dass „aufgrund zwischenzeitlicher urlaubsbedingter Abwesenheiten des Vorsitzenden und der Protokollführerinnen konnte das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertiggestellt werden“, liegt hierin kein sich aus dem Verfahren ergebender Umstand, der die damit einhergehende Verzögerung rechtfertigen könnte. Die Hauptverhandlung, welche unmittelbar vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO begann, konnte innerhalb von elf Hauptverhandlungstagen durchgeführt werden. Diese Termine erstreckten sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten, so dass schon in dieser Zeit Teilprotokolle gefertigt wurden und damit erhebliche Zeit zur Verfügung stand, die Fertigstellung des Protokolls insgesamt vorzubereiten, so dass dieses jedenfalls in der Absetzungsfrist hätte vorliegen können. Nicht nachvollziehbar erscheint dem Senat dagegen, dass innerhalb eines mehrmonatigen Zeitfensters urlaubsbedingte Abwesenheiten ausschlaggebend für die zeitliche Verzögerung gewesen sein sollen. Zum einen dürfte es sich hierbei um überschaubare Zeiträume gehandelt haben, zum anderen sind derartige Abwesenheiten absehbar, so dass verfahrensorganisatorisch darauf hinzuwirken ist, dass etwaige (Teil-)protokolle zügig – ggf. vor Urlaubsantritt – gefertigt werden. Dies war vorliegend auch leistbar und nicht etwa mit einem solchen Aufwand verbunden, dass das Beschleunigungsgebot dahinter zurückzutreten hätte. Das vorliegende Verfahren hatte nämlich gemessen am Umfang und der Dauer anderer Verfahren, die in die Zuständigkeit einer Großen Strafkammer gehören, einen noch überschaubaren Umfang. Entsprechendes gilt für das Protokoll der Hauptverhandlung, weshalb dessen Fertigstellung erst. am 5. September 2021 eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung darstellt (vgl. hierzu auch (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021, – 5 StR 481/20 juris). Das Bundesverfassungsgericht hat mit der bereits zitierten Entscheidung schon eine Verfahrensdauer von zwei Wochen bis zur vollständigen Absetzung des Urteils und einen Zeitraum zwischen Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls und der Zustellung des Urteils von drei Wochen als Verzögerung angenommen, welche im Hinblick auf die zu erledigenden Vorgänge kaum noch zu rechtfertigen seien. Dabei hat es auch ausgeführt, dass gesetzliche Höchstfristen nicht als Regelfristen anzusehen seien. Vorliegend ist eine Verfahrensverzögerung von mehreren Monaten festzustellen. Die dem Senat aus anderen Verfahren bekannte Auslastung der Kammer und ihrer auch noch in anderen Strafkammern eingesetzten Mitglieder mit zahlreichen Haftsachen kann in der Sache nicht dazu führen, dass absehbar erforderliche prozessuale Handlungen, wie das Fertigstellen des Hauptverhandlungsprotokolls, über Monate unerledigt bleiben.

Dies gilt nicht nur für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, dessen zeitliche Beschränkung aus § 122a StPO nach Urteilserlass nicht unmittelbar gilt, sondern auch für den seitens der Generalstaatsanwaltschaft angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr. Ungeachtet der Frage, ob eine solche tatsächlich anzunehmen wäre, wäre der Vollzug weiterer Untersuchungshaft auch diesbezüglich nicht mehr verhältnismäßig.“

U-Haft I: Verzögerung durch Überlastung des Gerichts, oder: Vorhersebarer Geschäftsanfall interessiert nicht

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Heute ist dann seit längerem mal wieder ein Hafttag. Den beginne ich mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.08.2021 – 1 Ws 188/21 – 1 Ws 202/21. Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren der Haftprüfung nach den §§ 121 f. StPO – also Haftprüfung durch das OLG nach sechs Monaten.

Der Angeklagte befindet sich seit 10.02.2021 aufgrund Haftbefehls des AG vom 26.01.2021 in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten unter dem 17.04.2021 Anklage erhoben. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19.07.2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Vorsitzende hat sieben Termine zur Hauptverhandlung ab dem 13.10.2021 bestimmt. Die geplante Durchführung der Hauptverhandlung erstreckt sich über einen Zeitraum von sieben Wochen. Zur Begründung der Terminierung hat die Vorsitzende auf die Terminslage der Kammer verwiesen und auf den auf ihre Überlastungsanzeige ergangenen Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 03.05.2021 Bezug genommen.

Das OLG sagt: Aufhebung des Haftbefehls aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (§ 120 Abs. 1 StPO) , weil das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot nicht hinreichend beachtet worden ist.

Ich lasse jetzt mal die allgemeinen Textbausteine des OLG weg – da wird nur bekannte Rechtsprechung des BVerfG referiert. Zur Sache führt das OLG dann nur aus:

„…. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264, 273 ff.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 – 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23). Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264, 275; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 – 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23; Beschluss des 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 – 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 30; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Januar 2019 — 2 BvR 2429/18 —, juris, Rn. 59).

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die beschleunigte Bearbeitung in Haftsachen genügt das Verfahren nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass das vorliegende Verfahren tatsächlich komplex ist, so dass der damit verbundene Mehraufwand auch bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrens-und Untersuchungshaftdauer ins Gewicht fällt. Gründe, die den von dieser grundsätzlichen Anforderung abweichenden Beginn der Hauptverhandlung von fast sechs Monaten nach Anklageerhebung als gerechtfertigt erscheinen ließen, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Planung der Hauptverhandlung wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von dem Bundesverfassungsgericht geforderten vorausschauenden, auch größere Zeiträume umfassenden Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfG StV 2008, 198), den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend gerecht.

Die eingetretene Verzögerung kann nicht mit der außerordentlichen Belastung der Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken gerechtfertigt werden. Die Überlastung des Gerichts ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Der hohe Geschäftsanfall ist nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nicht nur von vorübergehender Dauer. Die Sicherstellung einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen hätte rechtzeitig durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz erfolgen müssen. Der auf die Überlastungsanzeige der Kammervorsitzenden ergangene Präsidiumsbeschluss vom 03.05.2021 hat die sich abzeichnende Terminierungssituation der Strafkammer nicht verbessert. Eine Hilfsstrafkammer wurde nicht eingerichtet.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft erweist sich nach allem als nicht mehr verhältnismäßig. Ein etwaiger Ausgleich der eingetretenen Verzögerungen ist nach dem vorgelegten Termins- und Ladungsplan der Strafkammer nicht vorgesehen und auch aus anderen Gründen nicht zu erwarten, so dass der Haftbefehl wegen des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot nicht aufrecht erhalten bleiben darf.“

Haft II: 18 Monate zwischen BGH-Entscheidung und neuer HV, oder: Aufhebung des Haftbefehls

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Im zweiten Posting stelle ich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.04.2021 – 3 Ws 129/21 – vor, mit dem das OLG einen Haftbefehl wegen nicht mehr gegebener Verhältnismäßigkeit aufgehoben  hat:

„Am 19.2.2018 hat das Landgericht Offenburg – nach Anklageerhebung am 14.2.2018 Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen und diesen zur Festnahme ausgeschrieben. Am 17.4.2018 wurde der Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Nachdem diesen Auflagen nicht nachgekommen wurde, wurde der Haftbefehl durch Beschluss des Landgerichts vom 26.7.2018 in Vollzug gesetzt. Nach Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Zeitraum 10.7. bis 8.8.2018 wurde der Angeklagte ab dem 9.6.2018 in Untersuchungshaft überführt, die in Zeit vom 28.2. bis 29.3.2019 zur Vollstreckung einer weiteren Ersatzfreiheit; si unterbrochen wurde. Mit Urteil des Landgerichts vom 23.11.2018 wurde der Angeklagte zu eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Durch Beschluss vom 19.11.2019 änderte der Bundesgerichtshof auf die Revision des Angeklagten den Schuldspruch, bestätigte den Strafausspruch und verwies die Sache unter Aufhebung der zugehörigen Feststellungen, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde, zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Offenburg zurück. Die Entscheidung vom 19.11.2019 ging dort erst am 6.2.2020 ein und das Verfahren wurde am 7.2.2020 der Strafkammer 1 zugewiesen. Zuvor hatte am 3.2.2020 noch die ursprünglich zuständige Strafkammer durch Beschluss den Haftbefehl aufrechterhalten, aber unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die bis dahin vollzogene Untersuchungshaft beträgt insgesamt etwas über ein Jahr und drei Monate. Die Strafkammer 1 hat am 17.7.2020 eine Sachverständige zur Gutachtenerstellung bzgl. einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beauftragt. Nach Terminsabsprache im November 2020 wurde. am 29.1.2021 Termin zur Hauptverhandlung auf den 18.5.2021 bestimmt.

Trotz mehrfacher Anpassung der Auflagen bzgl. der Außervollzugsetzung kam es seitens des Angeklagten immer wieder zu Verstößen bzgl. der Meldeauflage, zweimal zum Nichtantritt einer vorgesehenen Therapie und zuletzt zum Abbruch einer am 11.1.2021 begonnenen stationären Therapie nach wenigen Wochen.

Daraufhin hat das Landgericht durch Beschluss vom 18.2.2021 den Haftbefehl vom 19.2.2018 wieder in Vollzug gesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde.

II.

Die zulässige Beschwerde des Angeklagten ist begründet.

Zwar sind in dem Verhalten des Angeklagten durchaus beharrliche und gröbliche Zuwiderhandlungen gegen die erteilten Anweisungen im Sinne_des§116 Abs, 4 Nr. 1 StPO zu sehen, aber der Haftbefehl ist gemäß § 120 Abs. 1 StPO aufzuheben, da der Beschleunigungsgrundsatz verletzt ist.

Untersuchungshaftsachen sind von Beginn an und während der gesamten Dauer des Strafverfahrens mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben (BVerfG, StV 2009, 479 – juris). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Beschleunigungsgebot gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl, sondern sind auch für einen gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzten Haftbefehl von Bedeutung (BVerfG, NJW 2006, 668 – juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.12.2014, 1 Ws 293/14 – juris). Denn auch die Beschränkungen, denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte durch Auflagen und Weisungen ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist (hierzu insgesamt: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63.Aufl., Rdn. 3 und 5 zu § 120 m. w. N.)

Zwischen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.11.2019 und der geplanten Hauptverhandlung am 18.5.2021 liegen nahezu 18 Monate. Hinreichende Gründe, die diese Verzögerung in einer Haftsache rechtfertigen würden, sind aus dem oben dargestellten Ablauf nichtersichtlich. Der Haftbefehl ist daher wegen Verstoßes gegen das in Haftsachen stets zu beachtende Beschleunigungsverbot aufzuheben.“

U-Haft II: Mehr als zwei Jahre Untersuchungshaft, oder: Wechsel im Kammervorsitz

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Der OLG Hamm, Beschl. v. 23.07.2020 – 1 Ws 279/20 – war mir bisher durchgegangen; Dank auch hier an Oliver Garcia.

Ergangen ist er im Haftprüfungsverfahren in einem beim LG Dortmund anhängigen Verfahren. Zur Last gelegt wird dem Angeklagten ein „Heimtückemord“. Das OLG hat den Haftbefehl aufgehoben, nachdem sich der Angeklagte seit Juni 2018 in Haft befunden hat. Denn – so die Leitsätze:

1. Bei über zwei Jahre andauernder Untersuchungshaft ist dem Beschleunigungsgebot in besonderem Maß Rechnung zu tragen und bei hiergegen gerichteten Verstößen die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig anzusehen.

2. Ein notwendiger bevorstehender Wechsel des Kammervorsitzes infolge Verhinderung des/der bisherigen Vorsitzenden wegen besonderer gesundheitlicher Risiken (hier im Rahmen der Corona-Pandemie) vermag weitere Verzögerungen des Verfahrens bei bereits lange andauernder Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen, wenn die umgehende Durchführung der Hauptverhandlung nach Maßgabe der Vertretungsregelungen unter dem Vorsitz der mit dem Verfahrensgegenstand vertrauten stellvertretenden Vorsitzenden möglich ist. Gleiches gilt für einen mehrfach angezeigten Verteidigerwechsel, wenn die Fortführung des Verfahrens unter Mitwirkung des bereits bestellten Pflichtverteidigers und Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gesichert werden kann.

„Interessant“ die Ausführungen des OLG zum Vorsitzendenwechsel und zur Verteidigerbestellung:

„Auch der zwischenzeitliche Vorsitzendenwechsel mit Wirkung zum 01. Mai 2020 stand dem Neubeginn der Hauptverhandlung am 20. April 2020 mit Fortsetzungsterminen im Mai 2020 nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO entgegen.

Denn selbst wenn man angesichts der vor dem Hintergrund der Covid 19-Pandemie bestehenden individuellen Gesundheitsgefahren, die letztlich Grund für den Wechsel des Kammervorsitzenden waren, annähme, die Durchführung der Hauptverhandlung sei dem früheren Vorsitzenden, der über den 01. Mai 2020 hinaus für Fortsetzungstermine Mitglied der 39. großen Strafkammer geblieben und (vorrangig) zuständig gewesen wäre, mit der Annahme einer daraus resultierenden Verhinderung nicht zumutbar gewesen, hätte die Hauptverhandlung unter Eingreifen der kammerinternen (und ggfls. sonstigen geschäftsplanmäßigen) Vertretungsregelungen am 20. April 2020 begonnen und wie vorgesehen mit Fortsetzungsterminen im Mai 2020 durchgeführt werden können bzw. unter besonderer Beachtung des Beschleunigungsgebots werden müssen. Denn gerade für den Fall der Verhinderung ist durch die Vertretungsregelungen Vorsorge getroffen und daher die weitere Sachbehandlung möglich und gewährleistet (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1993 zu 2 BvR 1265/93, NJW 1994, 2081, 2082). Das hätte nach Lage der II.-Akten dazu geführt, dass die Hauptverhandlung unter dem Vorsitz der stellvertretenden Vorsitzenden, der die Sache bereits aus der stattgehabten, aber unter dem 12. März 2020 ausgesetzten Hauptverhandlung bekannt war, sowie den beiden weiteren Kammermitgliedern durchgeführt worden wäre. Dem entgegenstehende wichtige Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO sind den dem Senat übersandten II.-Akten nicht zu entnehmen. Insbesondere kommt es nicht mehr darauf an, dass der neue Kammervorsitzende ausweislich dem Senat übersandter Aufstellungen mit Ausnahme des 7. Mai 2020 an den für hiesiges Verfahren vorgesehenen Terminen Fortsetzungstermine in Verfahren seiner vormaligen Kammer (35. Strafkammer) vorrangig vor Terminen für die übernommene 39. Strafkammer wahrzunehmen hatte. Allerdings bemerkt der Senat lediglich ergänzend in diesem Zusammenhang, dass zumindest im Hinblick auf das vorliegende Verfahren und den insoweit besonders zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatz die unter dem 24. April 2020 beschlossene Übernahme des Vorsitzes in der der 39. Strafkammer durch den überwiegend im Mai 2020 (noch) durch Fortsetzungstermine für die 35. Strafkammer gebundenen Vorsitzenden zumindest als unbehelflich anzusehen ist und – wenn es darauf ankäme – nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO anzusehen wäre.

Dem Neubeginn der Hauptverhandlung am 20. April 2020 mit den vorgesehenen Fortsetzungsterminen stand auch nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO entgegen, dass der Angeklagte mit seiner ohnehin erst am 22. April 2020 beim Landgericht eingegangenen privatschriftlichen Eingabe vom 15. April 2020 seinem (damaligen) Wahlverteidiger Rechtsanwalt C das Mandat gekündigt und die Entpflichtung seines (damaligen) Pflichtverteidigers Rechtsanwalt E1 beantragt hatte bzw. dass dem aus dem Kreis I stammenden Rechtsanwalt E1 der Zutritt zum Gerichtsgebäude zur Haftbefehlsverkündung am 31. März 2020 verwehrt worden war, woraus aus damaliger Sicht zumindest das eventuelle Risiko einer dauerhaften Zutrittsverweigerung und damit der Nichtteilnahme an den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen resultierte. Denn es wäre ohne weiteres möglich und unter besonderer Beachtung des Beschleunigungsgebots geboten gewesen, die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten rechtzeitig, und zwar schon Ende März bzw. Anfang April 2020 durch Bestellung des damaligen Wahlverteidigers Rechtsanwalt C zum weiteren Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens zu gewährleisten. Denn ausweislich des Protokolls der Haftbefehlsverkündung vom 31. März 2020 wurde u.a. diese Frage ausdrücklich erörtert, wobei Rechtsanwalt C nochmals seine Beiordnung zum weiteren Pflichtverteidiger anregte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft keine Bedenken erhob, nachdem die Staatsanwaltschaft Dortmund und Rechtsanwalt E1 bereits jeweils unter dem 25. März 2020 insoweit keine Bedenken erhoben bzw. sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hatten. Vor diesem Hintergrund wäre die Bestellung von Rechtsanwalt C zum weiteren Pflichtverteidiger bereits am 31. März 2020, spätestens indes zeitnah nach seiner Erinnerung daran durch Schriftsatz vom 07. April 2020, geboten gewesen. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Beiordnung unterblieben ist.“