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Haft I: Beschleunigungsgebot während laufender HV, oder: Wenn das Gericht die HV nicht gut vorbereitet

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Heute dann ein „Haft-Tag“, also Entscheidungen zu Haftfragen.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.04.2023 -1 Ws 34/23 (S) –  zur Beachtung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen während laufender Hauptverhandlung.

Hier der Sachverhalt in Kurzform:

  • Der Angeklagte befindet sich seit nunmehr zehn Monaten und zwei Wochen ununterbrochen in Untersuchungshaft wegen Btm-Delikten, und zwar bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
  • Anklageerhebung unter dem 23.09.2022
  • Mit Beschluss vom 07.11. Eröffnung des Hauptverfahrens.
  • Beginn der Hauptverhandlung nach schwierigen Terminsabsprachen am 13.02.2023.
  • Verzögerungen in der Hauptverhandlung wegen nicht ausreichender Vorbereitung der Hauptverhandlung durch die Strafkammer
  • Voraussichtliches Ende der Hauptverhandlung im Mai 2023.

Wegen weiterer Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das OLG Brandenburg hat jetzt den Haftbefehl während laufender Hauptverhandlung aufgehoben. Es sieht den Beschleunigungsgrundsatz verletzt. Dazu führt es – nach Darstellung der obergerichtlichen Rechtsprechung  – aus:

3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft erweist sich jedoch infolge vermeidbarer, dem Angeklagten nicht zuzurechnender Verfahrensverzögerungen nach dem Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 23. November 2022, die in einer Gesamtschau des Verfahrens mit dem Recht des Angeklagten auf Beachtung des im rechtsstaatlichen Verfahren verankerten Beschleunigungsgebots nicht mehr vereinbar sind, als unverhältnismäßig.

…..

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verkennt der Senat nicht, dass das Ermittlungsverfahren zügig geführt wurde. Die Anklageerhebung gut vier Monate nach der Inhaftierung des Angeklagten pp. ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch hat die – gerichtsbekannt hochbelastete – 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam das Verfahren zunächst angemessen gefördert.

c) Im Anschluss an den Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 23. November 2022 kam es jedoch zu erheblichen Verfahrensverzögerungen, die der Justiz zuzurechnen und mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht mehr vereinbar sind. Die Strafkammer hätte angesichts des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen für eine effiziente Verfahrensplanung und Durchführung der Hauptverhandlung Sorge tragen müssen.

aa) Eine in Anbetracht der bereits lang andauernden Untersuchungshaft des Angeklagten pp. erhebliche Verfahrensverzögerung ist bereits darin zu erkennen, dass das Landgericht Potsdam nicht schon am 29. November 2022 die mit den Verteidigern abgestimmten Termine für die Hauptverhandlung anberaumt und den Auslandszeugen geladen hat. Es war bereits zu diesem Zeitpunkt damit zu rechnen, dass dieser Zeuge möglicherweise nicht bereit ist, vor Gericht in Deutschland zu erscheinen und insoweit eine über ein Rechtshilfeersuchen zu realisierende Videovernehmung notwendig werden kann. Die durch das erst am 13. Februar 2023 gestellte Rechtshilfeersuchen eingetretene Verzögerung, die dazu geführt hat, dass der Zeuge pp. erst am 24. März 2023 vernommen werden konnte, wäre bei vorausschauender Planung der Hauptverhandlung zu vermeiden gewesen.

bb) Auch nach der richterlichen Verfügung zur Ladung der Verfahrensbeteiligten am 20. Dezember 2022 ist die Sache nicht mit dem gebotenen Nachdruck betrieben worden. Spätestens mit Eingang des Auswerteberichts der Digitalen Forensik des Zollfahndungsamts Berlin-Brandenburg bezüglich des iPhones 12 des Angeklagten pp. (Anfang Januar 2023 wäre es erforderlich gewesen, den Sachstand bezüglich der noch ausstehenden, ersichtlich für die Aufklärung relevanten Auswerteberichte zu erfragen. Gegebenenfalls wäre dafür Sorge zu tragen gewesen, dass die entsprechenden Berichte zumindest zu einem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hätten, der den Verteidigern noch vor Beginn der Hauptverhandlung eine entsprechende Akteneinsicht ermöglicht hätte.

Es ist vor diesem Hintergrund mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot nicht vereinbar, dass die Hauptverhandlung nach gegenwärtigem Sachstand erst frühestens am 16. Mai 2023 beendet sein wird, mithin zu einem Zeitpunkt, an dem die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten pp. bereits ein Jahr angedauert hätte.

Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung verlangt, dass in umfangreicheren Haftsachen im Ergebnis einer effizienten Verfahrensplanung in ausreichendem Umfang Hauptverhandlungstage stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot regelmäßig vorliegt, wenn nicht mindestens an einem Tag in der Woche beziehungsweise an weniger als vier Tagen im Monat verhandelt wird (BVerfG, StV 2008, 198).

Bislang wurde vorliegend in einem Zeitraum von sieben Wochen lediglich an vier Hauptverhandlungstagen verhandelt. Hinzu kommt, dass die geringe Anzahl an Hauptverhandlungsterminen nicht dadurch ausgeglichen wird, dass an diesen Tagen besonders aufwändige Verhandlungen durchgeführt worden sind. Insgesamt ist 15 Stunden und 25 Minuten verhandelt worden, was eine Verhandlungsdauer von im Schnitt lediglich weniger als vier Stunden bedeutet. Die Ursachen für die kurze Dauer der Hauptverhandlungstermine liegen dabei vorwiegend in der Sphäre der Justiz, etwa die beschränkte Möglichkeit der Saalnutzung am 28. Februar 2023 oder die weitere durchzuführende Hauptverhandlung am 24. März 2023. Durch die tatsächliche Unterschreitung der ursprünglich geplanten Hauptverhandlungsdauer wird die vorstehend bereits für die Hauptverhandlungsplanung festgestellte Verfahrensverzögerung weiter vertieft.

Der Wegfall der Hauptverhandlungstermine vom 22. Februar 2023, 6. und 7. März 2023 beruht auf einem der Justiz anzulastenden Fehler. Entgegen der Auffassung der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam in der Nichtabhilfeentscheidung vom 10. März 2023 ist die Aufhebung der drei genannten Hauptverhandlungstermine nicht dem Verhalten der Verteidiger geschuldet, die lediglich ihr Recht auf vollständige Akteneinsicht geltend gemacht haben, sondern der oben geschilderten unzureichenden Vorbereitung der Hauptverhandlung seitens der Kammer.

Ferner stehen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch eine zu geringe Terminierungsdichte bevorstehende, aber schon deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleich (BVerfG, Beschluss vom 18.02.2020 — 2 BvR 2090/19BeckRS 2020, 2100).

Damit ist hier auch zu berücksichtigen, dass in den bevorstehenden sechs Wochen bis zum 16. Mai 2023 nur drei Hauptverhandlungstermine angesetzt sind (12. April 2023, 2. und 16. Mai 2023). Soweit die sicher zu erwartende — und somit auch weiterhin – sehr geringe Hauptverhandlungsdichte auf die Verhinderung der Verteidiger wegen anderweitiger pp. Verpflichtungen zurückzuführen ist, wird die Verantwortlichkeit der eintretenden Verfahrensverzögerung nicht maßgeblich in die Sphäre des Angeklagten pp. verlagert.

Zwar ist grundsätzlich auch die Verteidigung gehalten, in ihrer Terminplanung ausreichenden Raum für die Wahrnehmung der Hauptverhandlung der Mandanten zu belassen. Von den Verteidigern konnte vorliegend jedoch nicht erwartet werden, dass sie sich mehrere Fortsetzungstermine freihalten, da die Fortsetzungstermine durch eine mangelnde Vorbereitung der Hauptverhandlung notwendig geworden waren. Die geringe Terminierungsdichte ist hier nicht vorwiegend auf Verhinderungen der Verteidiger zurückzuführen, die nicht bei effizienter Planung der Hauptverhandlung weitgehend hätten vermieden werden können.

Die Strafkammer wäre im Übrigen bei der gegebenen Sachlage nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten gewesen, bei der Terminierung Flexibilität zu zeigen, etwa durch Verschiebung von Terminen in anderen Verfahren (BVerfG, Beschluss vom 18.02.2020 — 2 BvR 2090/19BeckRS 2020, 2100). Die in der Stellungnahme der Kammervorsitzenden vom 27. März 2023 erwähnte einwöchige Fortbildungsveranstaltung eines Richters konnte insofern nicht als Verhinderungsgrund seitens der Kammer berücksichtigt werden.

Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, welchen Einfluss der Auslandsurlaub der Schöffin auf die Terminierung der Fortsetzungstermine gehabt hat. Denn es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar, dass die Strafkammer in der Zeit vom 13. Februar 2023 bis zum 16. Mai 2023 — mithin in einem Zeitraum von mehr als drei Monaten —nur an insgesamt sieben Tagen einen Hauptverhandlungstermin durchführt, wobei an den ersten vier Terminen die Dauer der Hauptverhandlung durchschnittlich nur weniger als vier Stunden betrug, und im Monat April 2023 lediglich an einem Tag Hauptverhandlung anberaumt ist.

Die eingetretenen und bevorstehenden Verzögerungen können nicht mit der dem Senat bekannten sehr hohen Belastung der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam gerechtfertigt werden. Die Überlastung der Strafkammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Der hohe Geschäftsanfall ist nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nur von vorübergehender Dauer. Die Sicherstellung einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen hätte rechtzeitig durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz erfolgen müssen.

In der Gesamtschau liegt ein erheblicher Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, bei dem — wie oben dargelegt — allein die Schwere der Taten und die sich daraus ergebende Straferwartung nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2014, 2 BvR 1457/14.“

Man merkt dem OLG deutlich an, dass es „not amused“ ist.

U-Haft I: Beschleunigungsgrundsatz nach Urteil, oder: Fehler bei der Protokollerstellung

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Heute dann der zweite „Hafttag“ in 2023, also noch einmal drei Entscheidungen zu Haftfragen.

Ich beginne mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 20.10.2022 – 1 Ws 107/22. Das OLG hat Stellung genommen zur Untersuchungshaftfragen, insbesondere zum Beschleunigungsgrundsatz bei verzögerter Urteilszustellung wegen fehlender Protokollfertigstellung.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 10.12.2020 in Haft wegen der Vorwurfs eines BtM-Delikts. Nach Beginn der Hauptverhandlung am 28.05.2021 hat das LG Bremen den Angeklagten nach 33 Hauptverhandlungstagen am 11.02.2022 unter Teilfreispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 7 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Maschinenpistole) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung eines Betrages in Höhe von 949.476,- EUR angeordnet. Der weitere Vollzug der U-Haft wurde angeordnet.

Der Angeklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Am 09.05.2022 hat die Vorsitzende der Strafkammer die Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe, die am 27.04.2022 zur Geschäftsstelle gelangt sind, verfügt. Durch weitere Verfügung der Vorsitzenden vom 20.06.2022 wurde die Übersendung der Akten gemäß § 347 Abs. 1 StPO an die Staatsanwaltschaft veranlasst. Dort wurde ausweislich einer Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 11.07.2022 festgestellt, dass die Teilprotokolle vom 20. und 29. Hauptverhandlungstag jeweils nicht von der eingesetzten Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnet worden waren. Nachdem die fehlenden Unterschriften noch am 11.07.2022 nachgeholt worden waren, verfügte die Vorsitzende unter dem 14.07.2022 erneut die Zustellung des Urteils. Die Verfügung wurde am 20.07.2022 ausgeführt. Rechtsanwalt D. verweigerte seine Mitwirkung bei der Zustellung, indem er das Empfangsbekenntnis nicht abgab, was er damit begründete, dass das per EGVP an ihn übersendete Schriftstück, welches u.a. die Angabe „2. Schreiben 20.07.2022 Urteil A.“ enthalten hatte, nicht eindeutig identifizierbar bezeichnet worden sei. Nachdem die Akten der Vorsitzenden am 05.08.2022 erneut vorgelegt worden waren, verfügte sie noch am selben Tag abermals die Urteilszustellung an Rechtsanwalt D., die ausweislich des durch den Verteidiger nunmehr abgegebenen Empfangsbekenntnisses sodann am 08.08.2022 erfolgte.

Bereits mit Datum vom 17.06.2022 hatte Rechtsanwalt D. die für den Angeklagten eingelegte Revision mit einem insgesamt 2.877 Seiten umfassenden Schriftsatz begründet, die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt sowie die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer beantragt. Mit Schriftsatz vom 16.08.2022 erklärte der Verteidiger, dass davon abgesehen werde, die Revisionsbegründungsschrift vom 17.06.2022 auf die erneute Urteilszustellung hin abermals zu übersenden; sie solle vielmehr „uneingeschränkt fortgelten“.

Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt D. ebenfalls vom 16.08.2022 wendete sich der Angeklagte gegen den Haftfortdauerbeschluss der Kammer vom 11.02.2022 und beantragte, den Haftbefehl wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes aufzuheben. Das hat die Kammer abgelehnt. Dagegen dann die Beschwerde zum OLG, die keinen Erfolg hatte. Das OLG hat seine Entscheidung umfassend begründet. Das hier im Einzelnen einzustellen, würde den Rahmen sprengen. Ich beschränke mich also auf die Leitsätze, die lauten:

1. Das Ergehen auch einer noch nicht rechtskräftigen tatrichterlichen Verurteilung begründet ein Indiz für das Bestehen eines dringenden Tatverdachts auch für das Beschwerdegericht im Haftbeschwerdeverfahren.

2. Das Beschleunigungsverbot verliert seine Bedeutung nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils, es vergrößert sich aber mit dieser Verurteilung das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Angeklagten als erwiesen angesehen worden ist.

3. Eine von der Justiz zu vertretende Verzögerung des Verfahrens kann dadurch kompensiert werden, dass derselbe Umstand zugleich dafür ursächlich geworden ist, dass weitere Verfahrensschritte früher abgeschlossen werden konnten, als dies im Übrigen der Fall gewesen wäre. So kann, wenn wegen zunächst fehlender Protokollfertigstellung die Übersendung eines schriftlichen Urteils zu wiederholen ist und dadurch der Lauf der Revisionsbegründungsfrist erst verzögert in Gang gesetzt wurde, die Verzögerung dadurch teilweise kompensiert werden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Revisionsgegenerklärung bereits auf die nach der ersten, letztlich nicht wirksam erfolgten Urteilszustellung erstellte Revisionsbegründungsschrift hin erstellt.

4. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse ist auch zu würdigen, ob eine Verfahrensverzögerung auf ein allgemeines Organisationsdefizit der Justiz bzw. auf eine entsprechende Absicht zurückzuführen ist, oder ob sich um ein bloßes Versehen im Einzelfall gehandelt hat. Ungeachtet der hohen Sorgfaltsanforderungen an die Strafjustiz, die in besonderer Weise bei der Bearbeitung von Haftsachen gelten, ist eine Fehlerfreiheit nicht erreichbar.

Rest dann bitte im verlinkten Volltext lesen.

U-Haft III: Geringe Terminsdichte verzögert 7 Monate, oder: Warum meldet sich der Verteidiger nicht mal?

In der dritten Entscheidung des Tages, dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.10.2022 – 1 Ws 184/22 – geht es u.a. auch um die Terminsdichte.

Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem 13.03.2020 in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 27.07.2020 Anklage zur Jugendkammer des LG. Die Anklageschrift, beim LG am 10.08.2020 eingegangen, wurde dem Angeklagten, seiner ihn gesetzlich vertretenden Mutter und dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt pp. aufgrund Verfügung des Vorsitzenden vom gleichen Tag zugestellt. Am 11.08.2020 wurden mit der Kanzlei des Verteidigers telefonisch Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung abgestimmt. Mit Beschluss vom 21.08.2020 ordnete der Vorsitzende der Jugendkammer Rechtsanwalt pp. als weiteren Pflichtverteidiger bei. Mit Beschluss vom 07.09.2020 ließ die Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Zugleich wurde der Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses neu gefasst und Haftfortdauer angeordnet. Mit Verfügung vom 08.09.2020 bestimmte der Vorsitzende der Jugendkammer Termin zur Hauptverhandlung auf den 21.09.2020 sowie abgestimmte 13 Fortsetzungstermine bis 28.01.2021.

Die Hauptverhandlung fand schließlich zwischen dem 21.09.2020 und dem 02.08.2022 an insgesamt 57 Verhandlungstagen statt. Mit Urteil vom 02.08.2022 wurde der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Frankenthal legten Revision gegen das Urteil ein.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner am 04.08.2022 erhobenen Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung unter Verweis auf eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Die Jugendkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerde hatte dann aber beim OLG Erfolg.

Das OLG nimmt zum Beschleunigungsgrundsazu auf der Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung Stellung und legt da, dass er hier irreparabel verletzt ist, was zur Aufhebung des Haftbefehls führe:

„2. Das Verfahren ist gemessen an diesen Grundsätzen nicht mit der für Haftsachen erforderlichen Beschleunigung betrieben worden.

Bis zum Beginn der Hauptverhandlung ist zwar keine Verzögerung eingetreten. Auch hat die Hauptverhandlung bereits sechs Wochen nach Eingang der Anklageschrift begonnen. Die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung ist aber dem Gebot einer vorausschauenden, auch größere Zeiträume umfassenden Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 52, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12 –, Rn. 52, juris), nicht gerecht geworden.

Bereits terminiert wurde mit einer Frequenz von durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstag pro Woche. In der mehr als 22 Monate dauernden Hauptverhandlung wurde dann gerade einmal an 57 Tagen tatsächlich verhandelt, darunter waren zehn Kurztermine von unter einer halben Stunde. Selbst bei Berücksichtigung dieser Kurztermine (vgl. hierzu BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, Rn. 52; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, Rn. 102) ergibt dies eine durchschnittliche wöchentliche Sitzungsdichte von 0,59 Tagen, die damit deutlich unter den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts liegt. Auch bei der Terminierung ab Februar 2021, mithin mehr als vier Monate nach Beginn der Hauptverhandlung, ist weiterhin mit durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstermin pro Woche geplant worden. Insbesondere mit fortschreitender Dauer der Untersuchungshaft wäre jedoch eine Verdichtung der Termine – gegebenenfalls auch nur unter Teilnahme des Sicherungsverteidigers – zwingend erforderlich gewesen. Hier hätte das Landgericht berücksichtigen müssen, dass sich der Angeklagte im März 2021 bereits ein Jahr in Untersuchungshaft befand und dies nur in ganz besonderen Ausnahmefällen seine Rechtfertigung finden kann. Bis zum Ende der annähernd zwei Jahre dauernden Hauptverhandlung fand keine erkennbare Verdichtung der Termine statt.

Erkrankungen von Verfahrensbeteiligten können als schicksalhafte Ereignisse die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz objektiv feststehender Verzögerung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, juris Rn. 27; Beschluss vom 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 18; Beschluss vom 11.06.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 30; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 70). Der Senat hat deshalb berücksichtigt, dass es zu Terminsaufhebungen wegen Krankheit, auch COVID-19-Erkrankungen sowie in diesem Zusammenhang erforderlichen Quarantänezeiten auf Seiten des Gerichts sowie weiterer Verfahrensbeteiligter gekommen ist.

Die für die 28.01.2021, 19.07.2021, 05.01.2022, 10.01.2022, 14.01.2022, 26.01.2022, 17.03.2022, 21.03.2022, 12.05.2022 und 19.07.2022 bestimmten Termine konnten aufgrund Erkrankung auf Seiten des Gerichts, des Sachverständigen, des Angeklagten oder der Verteidigung nicht stattfinden. Der Termin vom 06.12.2021 wurde wegen Verdachts einer COVID-19 Erkrankung aufgehoben. Zudem waren Termine am 08.10.2020, 21.01.2021, 24.01.2022 und 11.02.2022 aufgrund Erkrankung eines Sachverständigen nur als Kurztermine wahrnehmbar, da die eigentlich vorgesehene Beweisaufnahme nicht stattfinden konnte.

Es kann auch offen bleiben, ob sich die Zeiträume, in denen wegen Urlaubs der Kammermitglieder keine Termine stattfanden, in angemessenem Rahmen gehalten haben. Denn selbst bei Berücksichtigung aller Zeiten, in denen sowohl durch Urlaub von Kammermitgliedern als auch der Verteidigung eine Terminierung nicht möglich war, sowie der Termine, die infolge Krankheit auf Seiten des Gerichts und der weiteren notwendigen Verfahrensbeteiligten aufgehoben werden mussten, ergibt sich lediglich eine durchschnittliche wöchentliche Verhandlungsdichte von 0,86 Tagen.

Die Terminsdichte ist auch unabhängig von der Frage des Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme sowie deren Komplexität, der Anzahl von – hier nicht relevanten – gestellten Verfahrens- und Befangenheitsanträge und der hierdurch bewirkten Verfahrensverzögerung zu beurteilen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 55 m.w.N., juris). Solche Gesichtspunkte können lediglich die Dauer der Hauptverhandlung, nicht aber die geringe Terminsdichte erklären. Besonderheiten, die zu der geringen Terminsdichte geführt haben, etwa die Durchführung weiterer Ermittlungen, die Suche nach erst während der Hauptverhandlung bekannt gewordenen Zeugen oder die Ladung von Auslandszeugen, sind nicht erkennbar und von dem Vorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung auch nicht angeführt worden.

Soweit die geringe Terminsdichte auf von der Verteidigung geltend gemachte Terminkollisionen zurückzuführen ist, führt dies nicht grundsätzlich dazu, dass der Justiz die Verfahrensverzögerung nicht anzulasten ist. Dies gilt auch dann, wenn derartige Terminkollisionen durch eine vorausschauende, weit in die Zukunft reichende Terminplanung wegen der Terminsbelastung des Verteidigers und des Sicherungsverteidigers nicht vermieden werden können. Die Strafkammer darf nicht ausnahmslos auf Terminkollisionen der Verteidiger Rücksicht nehmen. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob nicht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung andere Pflichtverteidiger hätten bestellt werden müssen oder inwieweit die Verteidiger in der laufenden Hauptverhandlung mit Blick auf das Beschleunigungsgebot hätten verpflichtet werden können, andere – weniger dringliche – Termine zu verschieben, um eine Beschleunigung einer bereits lang dauernden Hauptverhandlung zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17.07.2006 – 2 BvR 1190/06 –, juris).

Das Recht eines Angeklagten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu lassen, gilt nicht uneingeschränkt, sondern kann entsprechend den einfachgesetzlichen Vorschriften der § 142 Abs. 5 Satz 3, § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO durch wichtige Gründe begrenzt sein (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 243 m.w.N.; siehe auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01 –, NStZ 2002, S. 99 f.). Ein solcher Grund kann in bestimmten Konstellationen auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sein. Es ist deshalb von vornherein verfehlt, bei der Terminierung jede Verhinderung eines Verteidigers zu berücksichtigen. Vielmehr muss zwischen dem Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, und seinem Recht, dass der Vollzug von Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert, sorgsam abgewogen werden. Die Terminslage des Verteidigers kann angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.02.2007 – 2 BvR 2563/06 –, BVerfGK 10, 294-308, Rn. 37 f.).

Soweit sich aus der Akte ergibt, dass der Pflichtverteidiger bereits bei der ersten Absprache der Termine dargestellt hatte, dass er nicht an einer an den dargelegten Voraussetzungen zu messenden Terminsfrequenz zur Verfügung stehen könne, hätte folglich der Austausch des Pflichtverteidigers nahe gelegen.

Ob eine Terminsverdichtung auch mit Blick auf weitere Haftsachen der Kammer nicht erfolgt ist, kann offen bleiben. Die außerordentliche Belastung der Jugendkammer des Landgerichts kann eine Verfahrensverzögerung nicht rechtfertigen. Eine Überlastung der Kammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen.

3. Damit ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung befand sich der Angeklagte seit über 28 Monaten in Untersuchungshaft. Bereits die ursprüngliche Terminsbestimmung blieb mit 14 Verhandlungstagen in 19 Wochen hinter den Anforderungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zurück. Auch die weitere Planung der Hauptverhandlung wurde diesen Vorgaben mit 68 Verhandlungstagen in (mehr als) 97 Wochen nicht gerecht, zumal verschiedene Termine lediglich als Ersatztermine für ausgefallene Verhandlungstage bestimmt wurden. Tatsächlich wurde in dem genannten Zeitraum dann lediglich an 57 Tagen verhandelt. An 20 dieser Verhandlungstage wurde weniger als zwei Stunden verhandelt. Im Durchschnitt ist in dem Verhandlungszeitraum nur etwas mehr als 1 1/2 Stunden pro Woche verhandelt worden. Da es sich bei dem in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten zunächst noch um einen Jugendlichen, später Heranwachsenden handelte, war dem Beschleunigungsgebot auch gem. § 72 Abs. 5 JGG besonders Rechnung zu tragen (Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09.04.2002 – 1 HPL 12/02 –, juris).

Der Angeklagte ist wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Zu Recht führt die Generalstaatsanwaltschaft dazu aus, der Angeklagte sei wegen schwerster Straftaten schuldig gesprochen und zur Höchststrafe verurteilt worden, die gegen einen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz verhängt werden kann.Das Verfahren war schon aufgrund der Tatvorwürfe auch durchaus komplex. Die Hauptverhandlungstermine bedurften nicht nur der Abstimmung mit den Verteidigern, sondern auch mit weiteren Rechtsanwälten, mehreren Sachverständigen und vier Schöffen; allerdings ist insoweit zu beachten, dass von den Sachverständigen allenfalls der psychiatrische Sachverständige während der gesamten Beweisaufnahme anwesend sein musste und eine Verhinderung der anwaltlichen Vertreter der Nebenkläger gem. § 398 StPO der Terminierung nicht entgegenstand. Schließlich gestaltete sich die Vernehmung der Nebenklägerinnen schon im Hinblick auf die Tatvorwürfe sicherlich ausgesprochen schwierig, bedurfte deshalb einer entsprechenden organisatorischen Vorbereitung und konnte auch nicht unter Zeitdruck durchgeführt werden.

Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates ist zu berücksichtigen, dass sich das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs durch die Verurteilung des Angeklagten ganz erheblich vergrößert hat.

Die durch die geringe Terminsdichte eingetretene Verzögerung beträgt mehr als sieben Monate (32 Wochen). Der Senat ist bei dieser Schätzung davon ausgegangen, dass die tatsächlich für die Hauptverhandlung benötigten 57 Verhandlungstage regelmäßig in weniger als 57 Wochen stattfinden müssen. Die 20 Sitzungstage mit einer Dauer von unter zwei Stunden hat der Senat lediglich als halbe Verhandlungstage berücksichtigt mit der Folge, dass sich die an sich notwendige Verhandlungsdauer auf 47 Wochen reduziert. Danach hat der Senat die von dem Vorsitzenden genannten Urlaubszeiten der Richter und Verfahrensbeteiligten (in den Kalenderwochen 42, 43, 44, 52 sowie 53 im Jahr 2020 und in den Kalenderwochen 13, 14, 21, 22, 31, 32, 33, 34, 41 und 42 im Jahr 2021) sowie die Krankheitszeiten (in den Kalenderwochen 3, 4 und 29 im Jahr 2021) hinzugerechnet. Mithin hätte die Hauptverhandlung nach 65 Wochen beendet sein müssen, hat sich aber tatsächlich 97 Wochen hingezogen. Allerdings wurde mit dem besonders zügigen Beginn der Hauptverhandlung ein Zeitraum von sechs Wochen kompensiert, was die Verzögerung auf knapp sechs Monate (26 Wochen) zurückführt. Eine weitere Kompensation der Verzögerung im Revisionsverfahren ist nicht mehr zu erwarten. Dies ist zwar – etwa durch eine besonders beschleunigte Absetzung der Urteilsgründe – theoretisch möglich; auf die entsprechende Anfrage hat der Vorsitzende der Strafkammer allerdings am 22.09.2022 mitgeteilt, dass die Urteilsgründe noch nicht abgesetzt sind.

Die schon von ihrer Dauer her erhebliche Verzögerung wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, weil sie nicht durch schicksalhafte Ereignisse eingetreten ist, sondern bereits durch die unzureichende Terminierung angelegt war. Hinzukommt, dass nicht nur an zu wenigen Tagen in dem langen Zeitraum der Hauptverhandlung verhandelt worden ist, sondern auch noch die tatsächlich stattgefundenen Verhandlungstage mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer von knapp drei Stunden nur unzureichend genutzt worden sind. Ein Bemühen, die Verhandlungsdichte im Laufe der Hauptverhandlung zu irgendeinem Zeitpunkt zu erhöhen, ist nicht erkennbar. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Senat bei der Schätzung des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung lediglich eine Terminsdichte zugrunde gelegt hat, bei der das Landgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben gerade noch eingehalten gehabt hätte.

Dieser krasse Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz ist auch vor dem Hintergrund des hohen Gewichts des Strafanspruchs im vorliegenden Fall und unter Berücksichtigung der Überlegung, dass nach einer Verurteilung Verfahrensverzögerungen geringeres Gewicht beizumessen ist, nicht hinnehmbar.

Dass die Verteidigung während der annähernd zwei Jahre laufenden Hauptverhandlung zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerung des Verfahrens gerügt hat, ist befremdlich, aber unerheblich und macht lediglich deutlich, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger und die Bestellung eines Sicherungsverteidigers, der regelmäßig mit demselben (Haupt-)Verteidiger die Verteidigung übernimmt, mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsmaxime nur schwer vereinbar ist….“

Warum sich der Verteidiger beim dem Ablauf nicht mal „gemeldet“ hat, erschließt sich mir (auch) nicht.

U-Haft II: Zahl/Dichte von gerichtlichen Terminen, oder: „Wäre sowieso nicht möglich gewesen“ Argumentation“

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Die zweite Entscheidung zu Haftfragen, der OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2022 – 5 Ws 243/22 – befasst sich mit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. von § 121 Abs. 1 StPo – also „Sechs-Monats-Prüfung“.

Der Sachverhalt der Entscheidung lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Der Angeklagte befindet sich seit dem 02.03.2022 ununterbrochen in U-Haft. Die StA hat am 23.05.2022 Anklage gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung und zwei weitere Angeklagte wegen Beihilfe beim LG erhoben. Das LG hat eine Frist zur Stellungnahem von drei Wochen festgesetzt. Am 18.07.2022 hat der Berichterstatter vermerkt, dass ihm die Akte nunmehr das erste Mal vorgelegen habe. Eine Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt sei der Kammer aufgrund Überlastung durch zahlreiche laufende Verfahren sowie der Erkrankungen des Vorsitzenden und dessen Stellvertreters nicht möglich gewesen. Die Kammer hat am selben Tag die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem AG beschlossen.

Nach Eingang der Akten am 19.07.2022 hat das AG am 25.07.2022 Terminsvorschläge für den 25.08.2022, 15.09.2022 und 06.10.2022 unterbreitet. Während der Verteidiger des Angeklagten alle drei Termine hätte wahrnehmen könnte, war der Verteidiger eines Mitanklagen verhindert; der Verteidiger des anderen Mitangeklagten hat nicht reagiert. Unter dem 16.08.2022 schlug die Vorsitzende des Schöffengerichts sodann als weitere Termine den 17.10.2022, 31.10.2022, 10.11.2022, 17.11.2022, 21.11.2022, 24.11.2022 und dem 01.12.2022 vor.

Mit Beschluss vom 16.8.2022 hat das AG die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten gem. §§ 121, 122 StPO dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG hat die Voraussetzungen des Haftbefehls bejaht und die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.

Das OLG meint, dass das Verfahren zwar nicht hinreichend gefördert worden sei, meint aber dann:

„(4) Die vorstehend unter (3) beschriebene, nicht hinreichende Verfahrensförderung hat jedoch im Ergebnis nicht zu einer Verfahrensverzögerung geführt, so dass insofern keine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist.

Auf die Anfrage des Senats haben sämtliche Verteidiger mitgeteilt, an welchen Tagen eine Terminierung im Oktober 2022 hätte stattfinden können, wenn diese am 16.08.2022 vom Amtsgericht angefragt worden wäre. Nach den erteilten Auskünften ist davon auszugehen, dass nach Urlaubsrückkehr der Vorsitzenden zum 04.10.2022 Rechtsanwalt S am 12.10.2022, 17.10.2022 und 24.10.0222 verhindert gewesen wäre und Rechtsanwalt O lediglich am 05.10.2022, 07.10.2022, 10.10.2022, 13.10.2022 und 18.10.2022 zur Verfügung gestanden hätte. Rechtsanwalt R hätte sich – die etwaige außerplanmäßige Fortsetzung des von ihm in der Stellungnahme vom 12.09.2022 angesprochenen Schwurgerichtsverfahrens ließ keine andere Planung zunächst im Zeitraum vom 04.10.2022 bis zum 16.10.2022 im Urlaub befunden und war im Zeitraum vom 17.10.2022 bis 31.10.2022 vollständig austerminiert. Selbst bei der gebotenen Verfahrensförderung durch die Unterbreitung weiterer Terminsvorschläge wäre daher eine Terminierung unter Beteiligung der weiteren Pflichtverteidiger Rechtsanwalt R und Rechtsanwalt O im Oktober 2022 nicht zustande gekommen.

(5) Für den Monat November 2022 sind von der Vorsitzenden Richterin insgesamt vier Terminsvorschläge unterbreitet worden. Der Senat kann offen lassen, ob diese Anzahl hinreichend ist. Jedenfalls sind am 10.11.2022 und 17.11.2022 Hauptverhandlungstermine und damit der erste Termin noch im ersten Drittel des Monats November 2022 zustande gekommen, so dass es insofern nicht zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung gekommen ist.

(6) Schließlich ist bis zum jetzigen Verfahrensstadium nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende Richterin nicht durch Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten eine zügigere Terminierung ermöglicht hat. Soweit ein früherer Prozessbeginn an der Verhinderung des Verteidigers des nicht inhaftierten Angeklagten scheitert, ist zwar an die Möglichkeit der Trennung der Verfahren in diesem Zusammenhang zu denken. (Gärtner in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 121 StPO). Die Trennung steht gleichwohl im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 2 StPO Rn. 14). In die Gesamtabwägung sind hierbei insbesondere der Freiheitsanspruch des Betroffenen und das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit einzustellen. Danach ist vorliegend einerseits zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis zum Beginn der Hauptverhandlung acht Monate und eine Woche in Untersuchungshaft verbracht haben wird. Zum anderen wären die abgetrennten Angeklagten, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zutreffend hingewiesen hat, ebenfalls zu laden gewesen und hätten von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch machen können. Insbesondere im Hinblick darauf dass der Mitangeklagte D sich am 27.05.2022 umfangreich gegenüber der Polizei eingelassen hat, wäre daher eine erhebliche Behinderung der Sachaufklärung zu besorgen gewesen. Wegen des gewichtigen Tatvorwurfs überwiegt jedenfalls gegenwärtig das Strafverfolgungsinteresse noch den Freiheitsanspruch des Angeklagten, so dass dieser (noch) zurückzutreten hat.

(7) Gleiches gilt im Ergebnis, soweit der Verteidiger des Angeklagten nunmehr die Auffassung vertritt, dass die Pflichtverteidiger der Mitangeklagten von ihren Pflichten hätten entbunden werden können, um eine zügigere Durchführung des Verfahrens zu ermöglichen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs überwog jedenfalls im damaligen Verfahrensstadium das Interesse der Angeklagten von den Verteidiger ihres Vertrauens verteidigt zu werden. Dass Rechtsanwalt R zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass aufgrund seiner starken Terminsbelastung nunmehr die Terminswahrnehmung durch seinen Kanzleikollegen Rechtswalt T angedacht sei, rechtfertigt keine andere Bewertung, da dies für das Gericht nicht erkennbar und dies nicht gehalten war, dem Mitangeklagten E einen Verteidigerwechsel anzusinnen.“

Ob das so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Mich würde schon interessieren, was das BVerfG dazu sagen würde. Denn das OLG argumentiert mit einer „Kompensation verkehrt“, nämlich nicht damit, dass, was zum Teil als zulässig angesehen wird, Verzögerungen durch spätere besondere Beschleunigung kompensiert werden können, sondenr segnet die Verzögerungen mit der hypothetischen Überlegung ab, die Verhandlung habe an den grundsätzlich gerichtlich im Oktober zusätzlich anberaumten Terminen wegen Verhinderung der Verteidiger der Mitangeklagten ohnehin nicht durchgeführt werden können. Also eine „Wäre sowieso nicht möglich gewesen“ Argumentation“. Und. Die Ausführungen des OLG zur Frage der Abtrennung des Verfahrens gegen den inhaftierten Angeklagten sind m.E. auch nicht überzeugend. Fazit: Man will den Haftbefehl eben halten.

Haft III: Beschleunigungsgrundsatz bei U-Haft, oder: Mal wieder verzögerte Einholung eines SV-Gutachtens

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann ein haft(verfahrens)rechtlicher Dauerbrenner, nämlich die Frage: Wie müssen die Gerichte in Haftsachen mit der Einholung von Sachverständigengutachten umgehen. Dazu verhält sich der OLG Naumburg, Beschl. v. 22.03.2022 – 1 Ws (s) 84/22 – auf der Grundlage folgenden Verfahrensablaufs:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 06.04.2021 aufgrund eines Haftbefehls des AG Bernburg vom 09.12.2020 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl stützt sich auf den Vorwurf des Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und den Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Haftbefehl war dem Angeklagten nach Festnahme in anderer Sache am 21.01.2021 verkündet worden.

Am 25.02.2021 verurteilte das AG Bernburg den Angeklagten in dieser Sache wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahls und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Auf die Berufung des Angeklagten fand am 25.05.2021 eine erste Hauptverhandlung vor dem LG Magdeburg statt, in deren Verlauf sich herausstellte, dass eine Begutachtung des Angeklagten aufgrund dessen Drogensucht im Hinblick auf eine Unterbringung gemäß § 64 StGB notwendig war.

Mit Beschluss vom 11.06.2021 erteilte das LG Magdeburg – nach Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft Magdeburg – den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens an den Sachverständigen Dr. med. pp.. Dieser teilte am 04.07.2021 mit, dass die ambulanten Untersuchungstermine nach Zuführung des in der Justizvollzugsanstalt Burg inhaftierten Angeklagten für den 21. und 22.09.2021 vorgesehen seien. Am 03.11.2021 fragte das Landgericht per E-Mail beim Gutachter an, wann mit dem Eingang des Gutachtens gerechnet werden könne. Am 22.11.2021 ging das Gutachten bei Gericht ein. Am 23.11.2021 bestimmte der Vorsitzende Termin zur Hauptverhandlung am 09.03.2022.

Mit Urteil vom 09.03.2022 hat das LG dann unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Übrigen das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt und mit Beschluss vom gleichen Tage die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Haftbeschwerde des Angeklagten, welche die Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen rügt. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte fristgerecht Revision eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an das OLG beantragt, auf die Haftbeschwerde des Angeklagten den Haftbefehl aufzuheben.

Und die Haftbeschwerde hat Erfolg. Man muss formulieren: „natürlich“, denn so geht es nicht. Und das, was die GStA in ihrer Zuschrift, auf die sich das OLG bezieht, ausführt, ist nichts Neues, sondern das konnte man schon häufg lesen in OLG-Beschlüssen, wenn es um Verzögerungen in Zusammenhang mit der Erstellung von Sachverständigengutachten ging. Daher reichen hier jetzt m.E. die Leitsätze zu der Entscheidung:

Bei der Einholung eines Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens unerlässlich, auf zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstellen ist und gegebenenfalls zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist.

Vielleicht liest man das ja beim LG. Die Hoffnung stirbt zuletzt.