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Nochmals: Das Geld in der Kühltruhe, oder: Fristsetzung

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Ich hatte vor einigen Tagen über den LG Landau, Beschl. v. 11.05.2017 – 3 Qs 28/17 u. 29/17 – berichtet. Der ein oder andere Leser wird sich erinnern. Das war die Sache mit den gesparten 170.000 € in der Kühltruhe (vgl. 170.000 € in der Kühltruhe “gespart”, oder: Dinglicher Arrest/Vermögensabschöpfung). In der Sache hat mit der Kollege Sorge noch einen weiteren Beschluss des LG Landau zukommen lassen, und zwar den LG Landau, Beschl. v. 02.01.2018 – 5 Qs 261/17. Er hatte sich für die Mandantin über die Dauer der Auswertung der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände beschwert. Das LG sagt: Die dauert noch nicht zu lange, aber: Allmählich wird es Zeit:

 

„Zur Begründung nehme ich auf die zutreffenden Ausführungen des Beschlusses 1 Gs 1222/ 17 vom 25.10.2017 (BI. 264 d.A.) Bezug. Die Angaben zu dem gesetzlichen Tatbestand und dem Tatvorwurf waren bereits Gegenstand der Beschlagnahmeanordnung 1 Gs 347/ 17 vom 09.03.2017 (BI. 34 d.A.).

Die Staatsanwaltschaft Landau führt gegen die Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls. Das Amtsgericht Landau erließ am 09.03.2017 einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, der am 17.03.2017 durch Beamte des Polizeiinspektion Germersheim vollzogen wurde. Bei der Durchsuchung wurden die im Beschluss des Amtsgerichts Landau 1 Gs – 1222/17 konkret bezeichneten Unterlagen beschlagnahmt, die für das weitere Verfahren und den Tatnachweis von Bedeutung waren.

Die Auswertung der Unterlagen und Durchführung weiterer Ermittlungen wurde aufgrund des eingegangenen Antrags der Beschwerdeführerin nach § 98 ‚Abs. 2 StPO vom 07.09.2017 (BI. 175 d.A.) unterbrochen und die Sachakten und Asservate wurden zu Zwecken der Weiterleitung an das Amtsgericht, an die Staatsanwaltschaft Landau übersandt.

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist bei einer Verfahrensdauer von sechs Monaten nicht ersichtlich. Von Beginn der Durchsuchung am 17.03.2017 bis zum Eingang des Antrags am 11.09.2017 gab es keine ermittlungsverzögernde Unterbrechungen. Dass die Beschlagnahme der Gegenstände nun in den achten Monat fortdauert ist nicht zuletzt durch die Erforderlichkeit der gerichtlichen Entscheidungen bedingt worden und kann den Ermittlungsbehörden nicht als willkürliche Verfahrensverzögerung angelastet werden. Die Ermittlungen wurden in angemessener Zeit geführt, Die von der Beschwerdeführerin vorgetragene „missliche personelle Lage der Ermittlungsbehörden“ hat auf die Dauer des hiesigen Ermittlungsverfahrens keinen unmittelbaren Einfluss. Die Beschlagnahme über den Beschwerdezeitpunkt hinaus rechtfertigt sich durch die noch nicht vollständig abgeschlossene Auswertung der Unterlagen.

Die Beschuldigte hat u.a. Notizen zum Verbleib der verfahrensgegenständlichen Banknoten – insbesondere auch in dem dringend zurückgeforderten Tischkalender „2017″ – gefertigt (vgl. BI. 257 d.A.). Die Beweismittel geben außerdem Aufschluss über die zwischenmenschlichen Beziehungen und streitbedingten Vorkommnisse zwischen den Beteiligten. 

Gründe die die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme auch vor dem Hintergrund des Art. 14 GG – tatsächlich in Zweifel ziehen könnten wurden nicht vorgetragen.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer jedenfalls insoweit an, als die Beschwerde derzeit noch unbegründet ist. Die Auswertung der Unterlagen wird in Anbetracht der inzwischen seit März 2017 andauernden Beschlagnahme innerhalb weniger Wochen (max. ein Monat) abgeschlossen sein müssen, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Unterlagen verfahrensrelevant sind oder ob sie mangels Beweiserheblichkeit zurückzugeben sind. Soweit die Auswertung der USB-Sticks noch nicht vollständig erfolgt ist, wird in Betracht gezogen werden müssen, die darauf befindlichen Daten zum Zweck der Auswertung zunächst auf einem anderen Datenträger zu sichern, bis eine Entscheidung über die Beweiserheblichkeit dieser Daten getroffen werden kann. Nur bei einem zeitnahen Abschluss der Auswertung der Unterlagen kann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch genügt werden.“

Man könnte auch sagen: Fristsetzung 🙂 .

Beschlagnahme, oder: Was keine Beweisbedeutung hat, darf nicht beschlagnahmt werden

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Heute dann mal ein „Mixed-Day“ – sowohl von den Gerichtsszügen her als auch von der Themati. Fangen wir „unten“ an , also mit einer LG-Enscheidung. Es ist der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.12.2017 – 18 Qs 49/17. Es geht um die Komplettspiegelung von Datenträgern, also der „Datensicherung “ der internen Festplatte eines Notebooks und einer weiteren externen Festplatte, beim ehemals Beschuldigten in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Der Beschuldigte hatte u.a. Notebook und Festplatte freiwillig herausgegeben und zudem weitere Unterlagen.  Nach „Durchsicht der Papiere“ (§ 110 StPO) und Beendigung der Durchsuchung wird (teilweise) die Beschlagnahme angeordnet. Der Beschuldigte legt „Rechtsmittel“ ein. Und sein „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ hat Erfolg, auch noch nach „Abschluss“ des Verfahrens, denn: „Angesichts der mit der Sicherung sämtlicher – also auch überschießender – Daten einhergehenden besonderen Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 18a m.w.N.) steht die Erledigung der Maßnahme ihrer Überprüfung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 98 Rn. 23 a.E.).

Zur Sache führt das LG dann aus:

„Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob die Beschlagnahmeanordnung vom 04.10.2017 formellen Anforderungen noch genügt, obwohl sie keine Darstellung des dem Beschuldigten (seinerzeit) zur Last liegenden Lebenssachverhalts (Tatverdacht) enthält. Dies dürfte in versehentlicher Verkennung des Umstands geschehen sein, dass für die Wohnung, in der die in Rede stehenden Überführungsstücke sichergestellt wurden, gerade kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, dessen Tatverdachtsschilderung die angegriffene Anordnung – eine ausdrückliche Bezugnahme einmal unterstellt – als bekannt hätte „voraussetzen“ oder an die sie hätte „anknüpfen“ können. Einer weiteren Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams an den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 steht entgegen, dass es ihnen auf Basis des zwischenzeitlich erreichten Ermittlungsstands an der einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigenden potentiellen Beweisbedeutung fehlt.

a) Die Beschlagnahme eines Gegenstands setzt gemäß § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO voraus, dass er „als Beweismittel“ für die Untersuchung von Bedeutung sein kann. Damit ist in erster Linie gemeint, dass der betreffende Gegenstand – bei bereits bestehendem oder durch ihn erst ausgelöstem Anfangsverdacht – im späteren gerichtlichen Verfahren den Tatnachweis (mit-)begründen soll. Folglich fehlt es an der erforderlichen Beweisbedeutung, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird (vgl. BGH, BGHSt 9, 351, unter II.4.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 7).

Vorliegend haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass es sich bei der S.à.r.l. entgegen ursprünglicher Verdachtslage nicht um eine Domizilgesellschaft, sondern um ein im Tatzeitraum werbend tätiges Unternehmen handelte. Davon ausgehend ist sie zu dem – nach dem Inhalt des Aktenvermerks vom 13.11.2017 voraussichtlich endgültigen – Ergebnis gelangt, weder das Verhalten des Beschuldigten noch dasjenige der Mitbeschuldigten habe zu Steuerverkürzungen i.S.v. § 370 AO geführt. Damit entfällt die tatnachweisbegründende Beweisbedeutung der in Rede stehenden Überführungsstücke in Gänze. Die Fragen des ursprünglichen Tatverdachts und der ursprünglichen Beweisbedeutung der Überführungsstücke – bezogen auf den Zeitpunkt der Sicherstellung – sind unter den gegebenen Umständen nicht mehr von Belang. Auch kommt es nicht mehr darauf an, dass die Steuerfahndung im Zuge der Aktenvorlage an den Ermittlungsrichter eine Beweisbedeutung nur in Bezug auf die Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3, IIIa/4 und IIIa/8 dargelegt hatte.

b) Dem läuft nicht zuwider, dass § 160 Abs. 2 StPO die Ermittlungsbehörden dazu verpflichtet, in gleichem Maße be- wie entlastende Umstände aufzuklären. Allein auf diesen sich zugunsten des Beschuldigten auswirkenden Ermittlungsauftrag können Grundrechtseingriffe wie die Beschlagnahme von Unterlagen nicht gestützt werden, weil es dem Beschuldigten jederzeit möglich ist, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbst vorzulegen (vgl. BVerfG, NJW 2008, 2422, unter III.3.a). Da die Strafverfolgungstätigkeit vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) aber auch nachvollziehbar und überprüfbar sein muss, spricht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts dagegen, einzelne rechtmäßig erlangte entlastende Beweismittel zur Vorbereitung einer Verfahrenseinstellung vor Rückgabe der Originale in Kopie zur Akte zu nehmen.“

Das „beschlagnahmte Handy“ des Rechtsanwalts, oder: „Steine statt Brot“

entnommen wikimedia.org Urheber User:Mattes

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Urheber User:Mattes

Der ein oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das Posting: Applaus, Applaus, oder: „…fühlte ich mich nach der Lektüre Ihres Handbuches doch wesentlich weniger hilflos“ erinnern. Da ging es um den Vorwurf der versuchten Strafvereitelung, der einem Kollegen von der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach gemacht wurde. In dem Verfahren ging es dann auch um die Beschlagnahme/Sicherstellung des Handys des Kollegen und das Auslesen der darauf befindlichen Nachrichten. Die sache ist natürlich weitergegangen. Inzwsichen gibt es dazu einen landgerichtlichen Beschluss, nämlich den LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 09.11.2015 – 2 Qs 107/15. Dazu hatte der Kollege angefragt, ob ich an dem Interesse habe. Und das mit folgender Mail, die den „Sach- und Streitstand“ sehr schön zusammenfasst (wer es juristsich aufbereitet haben möchte…..bitte den Beschluss lesen). Der Kollege schreibt:

„Sehr geehrte Herr Kollege,
in obiger Angelegenheit gibt es einen kleinen Fortschritt.

Das Landgericht hat mir jetzt bestätigt, dass die (mündliche) richterliche DuSu-Anordnung rechtswidrig war, soweit mein Handy komplett ausgewertet wurde, also nicht beschränkt auf Telefonate/SMS in Zusammenhang mit den Beteiligten des konkreten Falles. Ursache hierfür war wohl, dass die Anordnung nirgendwo nachvollziehbar dokumentiert ist, weshalb die Staatsanwaltschaft unterschiedliche Versionen darüber verbreitet, was denn eigentlich angeordnet wurde. Toller Rechtsstaat!

Allerdings: Steine statt Brot!

Der Staatsanwalt hatte damals ausdrücklich und aktenkundig verfügt, dass nur Daten bis 12.8. um 11 Uhr ausgewertet werden dürfen. Darüber hat sich die Kripo hinweg gesetzt und auch noch SMS vom 12.8.15 um 14 Uhr, 16 Uhr und 18 Uhr erfasst. Insbesondere eine SMS von 16 Uhr wurde zum Anlass genommen, den Absender des SMS ebenfalls mit einer Hausdurchsuchung zu überziehen, um auch dessen Handy noch auszuwerten.

Dazu meint das LG Bad Kreuznach: macht nix, da nicht willkürlich. Das AG hätte ja vorher den Beschluss auch auf SMS nach 11 Uhr ausdehnen können, weshalb es egal sei, wenn SMS nach 11 Uhr gleich mitbeschlagnahmt werden (von einem Anwaltshandy). Mit anderen Worten: Die Vergewaltigung ist hinzunehmen, weil das dadurch entstandene Kind so schöne Augen hat.

Scheint mir aber Standardrechtsprechung zu sein, deshalb frage ich mal an, ob der Beschluss für Ihr Archiv dennoch interessant wäre. Falls ja, scanne ich ihn am Montag ein und maile ihn durch.

Soweit gegen meine Mandantin (die Zeugin) auch ein Strafverfahren eingeleitet wurde (natürlich nicht wegen Falschaussage, sondern wegen versuchter Strafvereitelung), verweigert mir die StA als Verteidiger (nicht als ausgeschlossener Zeugenbeistand) die Akteneinsicht mit der Begründung, man prüfe, ob ich auch als Verteidiger auszuschließen sei. Mein Hinweis, dass ich vollverwertiger Verteidger bin, so lange das OLG mich nicht abschießt, interessiert die StA nicht. Aber das ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten des Falles.“

Schon ein wenig eigenartig. Aber man sieht mal wieder, wohin die Rechtsprechung des BVerfG und BGH zum Abwägungsgebot und zum hypothetischen Kausalverlauf und das Geeiere um Beweisverwertungsverbote bei Durchsuchung und Beschlagnahme führt. Steine statt Brot…

Und zu:“… ein Hinweis, dass ich vollverwertiger Verteidger bin, so lange das OLG mich nicht abschießt, interessiert die StA nicht.“ Scheinen harte Sitten zu herrschen in Bad Kreuznach.

Und auf den Kollegen komme ich heute Mittag dann noch einmal zurück….

Blind am Steuer/beim Verkehr

© Jochen Mittenzwey - Fotolia.com

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Die Klagen über Autofahrer, die „blind am Steuer“ sitzen, nehmen zu. Nun, nicht „blind“ im eigentlichen Sinn, sondern Autofahrer, die sich selbst „blind machen“, indem sie sich mit anderen Dingen beschäftigen. Und da sind die Smartphones mit ihren vielen Möglichkeiten natürlich nicht unschuldig. Es piept, es klingelt und man schaut, weil man ja nichts versäumen möchte und schwupps ist man mit dem Pkw, in dem man gerade auf der Autobahn bei 150 km/h sitzt, ein ganzes Stück blind geflogen, ohne zu sehen, was vor einem passiert. Die „Westfälischen Nachrichten“ hatten dazu heute einen Aufmacher auf der ersten Seite und berichten über die Gegenmaßnahmen der Polizei in NRW, die jetzt in unterschiedlichem Rhythmus auf den Autobahnen verschärft „Handy-Verstöße“ kontrolliert. Dazu passt dann ganz gut ein Bericht aus den „WN“ der vergangenen Woche: Polizei kassiert Handys: Münster setzt Innenminister Vorgabe bei schweren Unfällen bereits um. Danach „beschlagnahmt“ (na ja, vielleicht stellt man erst mal sicher 🙂 ) bei schweren Verkehrsunfällen mit Personenschaden, bei den die Unfallursachen nicht klar sind, das Mobiltelefon als Beweismittel.  Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wird dann später ausgewertet, ob zum Unfallzeitpunkt telefoniert worden ist. Ob man damit dem Telefonieren bzw. der Benutzung des Mobiltelefons beim Führen eines Kraftfahrzeuges ernsthaft einen Riegel vorschieben kann, wage ich zu bezweifeln. Es ist aber sicherlich eine Maßnahmen, die hinterher helfen kann, die Unfallursache zu klären.

Ach so. Was mich nervt? Das sind die Fußgänger, die ebenfalls im Blindflug durch die Stadt irren, weil man ja unbedingt beim Gehen, was ja nun auch Teilnahme am Straßenverkehr ist, kommunizieren muss, Emails abfragen muss,, twittern muss und vielleicht sogar spielen muss. Das muss doch alles nicht sein. Oder? In meinen Augen ist das ein Fluch der neuen Technik.

Beim Verteidiger gefunden –> „Verteidigungsunterlage“, kann doch nicht so schwer sein

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Was beim Verteidiger gefunden wird, ist im Zweifel eine „Verteidigungsunterlage“, das kann doch nicht so schwer sein. So kann man m.E. den BVerfG, Beschl. v. Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, überschreiben, über den neulich ja auch schon der der Kollege Hoenig berichtet hatte (vgl. hier: Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei). Ich greife den Beschluss dann hier noch einmal auf, weil er doch einige recht bemerkenswerte Passagen des BVerfG und ein in meinen Augen – gelinde ausgedrückt – doch eigenartiges Verständnis der beteiligten Instanzgerichte von „Verteidigungsunterlagen“ hat.

Es geht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Rechtsanwalt war Verteidiger eines Zahnarztes, gegen den wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges und der fahrlässigen Körperverletzung ermittelt wird.  Während der Hauptverhandlung vor dem AG (fast hätte ich geschrieben: wo sonst, aber dann schimpfen „meine Bayern“ wieder) hielt der Verteidiger einem Sachverständigen sowie einem Zeugen Patientenunterlagen vor. Das AG erließt daraufhin nach § 103 StPO einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume des Rechtsanwalts mit der Begründung, dass aufgrund der Prozessvertretung für den Zahnarzt die Annahme gerechtfertigt sei, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Patientenunterlagen führen werde. Es handele sich nicht um beschlagnahmefreie Unterlagen nach § 97 StPO, weil keine schriftlichen Mitteilungen zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem, sondern lediglich „Geschäftsunterlagen“ des Angeklagten betroffen seien.

Bei der Durchsuchung werden dann in der Kanzlei des Rechtsanwalts 17 Einzelunterlagen – weitestgehend Kopien – beschlagnahmt, darunter die getippte Form zweier „Patientenkarteikarten“, in denen der Zahnarzt den Behandlungsablauf aus seiner Sicht detailliert geschildert und deren handschriftliche Fassung er für den Rechtsanwalt eigens abgetippt hatte, sowie eine kommentierte Rechnung. Gegen die Anordnung der Durchsuchung wird Beschwerde eingelegt mit Hinweis auf BGHSt 44, 46. Das AG hilft nicht ab (was nicht überrascht) und das LG München I verwirft die Beschwerde als unbegründet. Eine Unterlage werde nicht dadurch beschlagnahmefrei, dass der Angeklagte einzelne, die Verteidigung betreffende Anmerkungen darauf setze.

Und dann geht es nach Karlsruhe – das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte die Verfassungsbeschwerde übrigens für unbegründet gehalten, u.a. deshalb, weil die Leseabschriften der Patientenkarteikarten „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen seien. Und das BVerfG „holt die Keule raus“, und meint:

  • Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Sie war „zur Verfolgung des legitimen Zwecks der Aufklärung der Anklagevorwürfe offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig. Denn etwa gewonnene Erkenntnisse würden ohnehin keine Verwendung finden können.  Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses tatsächlich vorliegenden Anhaltspunkten eine Prognose ergeben hätte, dass ausschließlich relevante Erkenntnisse aus dem nicht absolut geschützten Bereich zu erwarten seien. Derartige Prognoseerwägungen hat das Amtsgericht bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses jedoch nicht angestellt. Es hat sich weder mit der Problematik der Durchsuchung beim Strafverteidiger noch mit §  160a Abs. 1 StPO auseinandergesetzt. Dazu hätte angesichts der bereits laufenden Hauptverhandlung und der dort vorgehaltenen Unterlagen jedoch Veranlassung bestanden. Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.
  • Die Beschlagnahme verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Denn die Beschlagnahme konnte entsprechend den vorstehenden Ausführungen wegen § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht zu verwertbaren Ergebnissen führen, da die Beweiserhebung ohne ausdrückliche Prognoseerwägungen und somit unter Verstoß gegen § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO erfolgte.Und dann gibt es noch einen kleinen, aber feinen Exkurs zu in meinen Augen Selbstverständlichkeiten, was das BVerfG dem LG/AG aber wohl mal „stecken musste“: Der (erforderliche) Verteidigerbezug sei „bereits deshalb indiziert, weil die Schriftstücke beim Verteidiger aufgefunden wurden und einen Bezug zum Strafverfahren hatten. Einschränkungen der Beschlagnahmefreiheit ergeben sich dann aber nur in engem Rahmen – insbesondere, wenn etwas beschlagnahmt wird, worüber der Strafverteidiger das Zeugnis nicht verweigern dürfte, beziehungsweise bei Schriftstücken, die – wie notarielle Urkunden – für die Kenntnisnahme Dritter bestimmt sind und keiner besonderen Geheimhaltung bedürfen (vgl. Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 97 Rn. 12).“ Und:  „Die Annahme, eine beschlagnahmefähige Unterlage könne durch Anmerkungen des strafrechtlich Verfolgten zur Verteidigung nicht beschlagnahmefrei werden, ist unzutreffend. Denn von diesen Anmerkungen ist das Dokument nicht zu trennen, so dass der Bezug zur Verteidigung – und zum Zeugnisverweigerungsrecht des Strafverteidigers – gegeben ist. Hier hat der Beschwerdeführer zu 1. mit seiner getippten „Übersetzung“ der Patientenkarteikarten, die offenbar wegen der Unleserlichkeit der handschriftlichen Aufzeichnungen erforderlich war, eine Erläuterung gegeben, zu der ausschließlich sein Verteidiger Zugang haben sollte. Die Ansicht der Instanzgerichte, man könne sich diese Abgrenzungen mit dem pauschalen Verweis ersparen, es seien keine Verteidigerunterlagen, sondern „lediglich Geschäftsunterlagen“ beschlagnahmt worden, beziehungsweise es gehe um das „berufliche Verhältnis“ des Beschwerdeführers zu 1. zu seinen Patienten, verkennt, dass der Strafvorwurf ja gerade in der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zu 1. wurzelt. Er wird demzufolge ein besonderes Interesse daran haben, dass sein Strafverteidiger vor allem hinsichtlich dieser Umstände das Zeugnis verweigern darf. Die Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Privatsphäre ist daher im vorliegenden Fall kein taugliches Abgrenzungskriterium.“

Noch Fragen? Ich nicht. Ach so: Kosten? Die trägt der „Freistaat Bayern“.