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Beratungshilfe auch noch nach Zustellung der Anklage, oder: Ja, das geht

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Auch in Corona-Zeiten gibt es am Freitag  RVG-Entscheidungen. Denn es gibt ja auch eine Zeit nach Corona 🙂 .

Und heute beginne ich die Reihe mit dem AG Bad Segeberg, Beschl. v. 03.03.2020 – 18 UR II 808/19. In ihm geht es um die Frage: Kann Beratungshilfe auch noch nach Zustellung der Anklageschrift bewilligt werden? Das AG sagt: Ja:

Die Erinnerung ist auch begründet, weil dem Antragsteller Beratungshilfe zu bewilligen war. Dies deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 BerhG vorliegen. Der Antragsteller ist zunächst als Bezieher sog. Grundsicherung bedürftig und kann die erforderlichen Mittel der Rechtsberatung nicht aufbringen. Andere Möglichkeiten als die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes stehen dem Betroffenen nicht zur Verfügung, auch ist sein Begehren nicht mutwillig.

Die Voraussetzung der Bewilligung von Beratungshilfe liegen auch trotz des Umstandes vor, dass zum Zeitpunkt der Mandatierung eines Rechtsanwaltes durch den Antragsteller ihm die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel bereits zugestellt worden war. Denn der in § 1 Abs. 1 BerHG genannte Tatbestand des Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ liegt in der vorliegenden Konstellation zur Überzeugung des Gerichtes nicht vor.

Die Frage, wann in Strafsachen in zeitlicher Hinsicht für eine Beratung des Beschuldigten bzw. Angeklagten Beratungshilfe gewährt werden kann, wird nicht einheitlich beantwortet. In der Literatur wird einerseits vertreten, dass die Zustellung der Anklageschrift bzw. des Strafbefehls den Endpunkt der Bewilligungsmöglichkeit darstellen soll (PollerHärtl/Köpf-Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 1 BerHG, Rz. 40, inhaltlich identisch Köpf, Beratungshilfegesetz, § 1, Rz. 40). Auf der anderen Seite besteht auch die Auffassung, dass in entsprechenden Verfahren die Bewilligung der Beratungshilfe so lange möglich sein soll, wie kein Pflichtverteidiger bestellt worden ist (Burhoff/Volpert-Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen Rz. 290). Die Rechtsprechung vertritt, soweit erkennbar, einhellig die letztgenannte Auffassung (AG Augsburg v. 9.9.1988 -1 UR II 1058, iuris; AG Köln v. 13.2.1984 -662 UR II 1514/82, iuris). Diese ist inhaltlich zutreffend. Die in § 1 Abs. 1 BerHG aufgenommenen Schranke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Passus „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens“ ist inhaltlich konsequent vor dem Hintergrund, dass in zivil- und familiengerichtlichen Verfahren vor den Gerichten zwei verschiedene Möglichkeiten der Prozess- bzw. Verfahrensführung für bedürftige Personen durch die Institute der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe bestehen. Insofern besteht die aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Zugangsmöglichkeit bedürftiger Verfahrensbeteiligter zu den Gerichten in nahtloser Abfolge von Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe. Diese Systematik besteht für den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren nicht. Hier gibt es zwar das Institut der Pflichtverteidigung aus § 141 StPO, welches auf die Regelung zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO aufbaut. Bei ihm finden allerdings die Kriterien der Bedürftigkeit, des Erfolges der beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie der fehlenden Mutwilligkeit keinerlei Berücksichtigung. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Gesichtspunkt der Fürsorge des Staates, wie er auch bei der Verfahrenspflegerbestellung bzw. des Verfahrensbeistandes im Rahmen des Gesetzes zur Regelung des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufzufinden ist. Aus diesem Grunde ist die Pflichtverteidigerbestellung auch nicht abhängig von einer willentlichen Handlung seitens des Beschuldigten oder Angeklagten in Gestalt eines Antrages oder der Darlegung von persönlichen bzw. objektiven Voraussetzungen, sondern allein von der rechtlichen Einschätzung des Gerichtes. Damit aber greift der maßgebliche Gesichtspunkt, der zur Aufnahme des in § 1 Abs. 1 BerHG genannten Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ geführt hat, nicht ein. Denn dieser besteht ja nicht darin, Hilfe generell zu versagen, sondern nur darin, die zugrunde liegenden Systeme der antragsabhängigen Hilfebewilligung zeitlich randscharf abzugrenzen. Und dieser Gesichtspunkt greift in Strafverfahren nicht. Dort besteht gerade kein nahtloser Übergang verschiedener Möglichkeiten bedürftiger Personen, rechtliche Beratung außerhalb oder während eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Wollte man nun die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beratungshilfe nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehles versagen, so würde einem wirtschaftlich Bedürftigen, gegen den die öffentliche Klage erhoben wird und der vom Gericht keinen Pflichtverteidiger bestellt bekommt, gleichsam von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit genommen, sich in der rechtlich höchst prekären Situation einer konkreten Strafverfolgung rechtlich kompetenten Rat in Anspruch zu nehmen. Hierfür allerdings besteht durchaus ein Bedürfnis, da die Fragen der Folgen eines Strafverfahrens, einer etwaigen Einlassung in der Hauptverhandlung, des Ablaufes des Gerichtstermines an sich pp. wegen der einschneidenden Folgen eines Strafverfahrens nicht durch anderweitige Erkenntnisquellen mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden können. Diese Folgen aber können nicht in der Intention des aus dem Sozialstaatsgebot ausfließenden Beratungshilfegesetzes gelegen haben.“

Und hier – weil im Beschluss zitiert – mal wieder der Hinweis auf „Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl.,“ den man – auch in Corona-Zeiten hier bestellen kann – für die Zeiten nach Corona 🙂 .

Beratungshilfe, oder: In welcher Form muss der Berechtigungsschein beim elektronischen Festsetzungsantrag beigefügt werden?

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Heute am Gebührenfreitag dann zunächst eine Entscheidung, die m.E. in die Rubrik gehört: Wenn der Gesetzgeber nicht aufpasst, muss die Rechtsprechung es richten.

Es handelt sich um den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.12.2019 – 9 W 30/19. Ergangen ist er in/nache einem Beratungshilfeverfahren. Dem Rechtssuchenden war ein Berechtigungsschein für die Inanspruchnahme von Beratungshilfe erteilt worden. Der Rechtsanwalt, der die Beratung erteilt hatte, reichte seinen Vergütungsfestsetzungsantrag im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs ein. Dem Antrag hatte er eine – bearbeitete – Abbildung des Berechtigungsscheins beigefügt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat den Vergütungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass dem Antrag der Berechtigungsschein nicht im Original beigefügt sei. Das AG hat der Erinnerung des Rechtsanwalts stattgegeben. Auf die Beschwerde der Landeskasse hat das LG Saarbrücken (RVGreport 2019, 478) den AG-Beschluss aufgehoben und den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Das OLG Saarbrücken war dann mit der Sache aufgrund der (zugelassenen) weiteren Beschwerde des Rechtsanwalts befasst. Es hat den AG-Beschluss „wiederhergestellt“:

„Die weitere Beschwerde ist begründet und führt zur Wiederherstellung der Entscheidung des Erinnerungsrichters. Der Beschluss des Beschwerdegerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, § 546 ZPO)

Wird einem Rechtsuchenden Beratungshilfe (§§ 1, 2 BerHG) gewährt, richtet sich die Vergütung der Beratungsperson gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BerHG nach den für die Beratungshilfe geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 RVG wird die Vergütung auf Antrag durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des in § 4 Abs. 1 BerHG bestimmten Gerichts festgesetzt.

Zu dem Inhalt des Antrags ist im RVG geregelt, dass dieser eine Erklärung über die von der Beratungsperson bis zum Tag der Antragstellung erhaltenen Zahlungen zu enthalten hat und dass bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr bestimmte zusätzliche Angaben erforderlich sind (vgl. § 55 Abs. 5 Satz 2, 3 RVG). Weitere Anforderungen an den Antrag enthält das RVG nicht, solche ergeben sich allerdings aus der auf der Grundlage von § 11 BerHG erlassenen BerHFV. Nach § 1 Nr. 2 BerHFV hat die Beratungsperson für ihren Antrag auf Zahlung einer Vergütung das in der Anlage 2 zur BerHFV bestimmte Formular zu verwenden. In diesem Formular, das auch hier verwendet wurde, ist in der Textzeile „Der Berechtigungsschein im Original oder der Antrag auf nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe ist beigefügt“ das Zutreffende anzukreuzen. Hierauf gestützt wird allgemein angenommen, dass ein erteilter Berechtigungsschein stets im Original durch die Beratungsperson vorzulegen sei (vgl. NK-GK/Stollenwerk, 2. Aufl., § 55 RVG Rn. 9; Poller/Teubel/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 55 RVG Rn. 22; Lissner/Dietrich, Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 3. Aufl., Rn. 344).

Zumindest dann, wenn der Festsetzungsantrag – wie hier – in elektronischer Form eingereicht wird, ist die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins jedoch nicht in jedem Fall erforderlich.

Gemäß § 12 b Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG können Anträge in Beratungshilfeangelegenheiten auch als elektronisches Dokument übermittelt werden. Das gilt auch für den Antrag der Beratungsperson auf Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gemäß § 55 RVG (vgl. NK-GK/Klos, aaO, § 12 b RVG Rn. 12; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., § 12 b Rn. 3). Zwar wurde die Anlage 2 zur BerHFV im Zusammenhang mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht geändert. § 3 Abs. 2 Satz 1 BerHFV enthält lediglich eine Öffnungsklausel dahingehend, dass die Länder Änderungen oder Anpassungen von dem in der Anlage 2 bestimmten Formular zulassen dürfen, die es, ohne den Inhalt zu verändern oder dessen Verständnis zu erschweren, ermöglichen, das Formular in elektronischer Form auszufüllen und dem bearbeitenden Gericht als strukturierten Datensatz zu übermitteln. Von dieser Befugnis hat das Saarland bislang keinen Gebrauch gemacht. Die unterbliebene Anpassung des Antragsformulars an die Verfahrensabläufe des elektronischen Rechtsverkehrs steht indes der elektronischen Übermittlung des Antrags auf Vergütungsfestsetzung nicht entgegen (ebenso Lissner/Dietrich, aaO, Rn. 344 aE; vgl. auch [zur elektronischen Übermittlung eines Prozesskostenhilfe-Erklärungsvordrucks] LAG Sachsen, NZA-RR 2019, 278 m. zust. Anm. Müller; Tiedemann, jurisPR-ArbR 10/2019 Anm. 7). Hiervon geht auch das Beschwerdegericht ersichtlich aus und die Landeskasse zieht ebenfalls nicht in Zweifel, dass der von dem Beschwerdeführer über das beA eingereichte Antrag auf Festsetzung seiner Vergütung gegen die Landeskasse formell wirksam gestellt ist.

Nach der Vorschrift in § 130 a Abs. 1 ZPO, die aufgrund der Verweisungen in § 12 b Satz 2 RVG und § 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG auf Vergütungsfestsetzungsanträge im Beratungshilfeverfahren anwendbar ist, können auch die zu einem Antrag gehörenden Anlagen als elektronisches Dokument eingereicht werden. Als höherrangige Norm geht § 130 a Abs. 1 ZPO nach der allgemeinen Kollisionsregel („lex superior derogat legi inferiori“; vgl. hierzu etwa Staudinger/Honsell, BGB [2018], Einl. BGB Rn. 147) der BerHFV vor. Unabhängig davon, ob der Text des in der Anlage 2 zur BerHFV enthaltenen Antragsformulars („Der Berechtigungsschein im Original … ist beigefügt“) überhaupt eine Rechtsnorm darstellt, durch welche die Beratungsperson zur Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins verpflichtet wird, ist es somit aufgrund der Normhierarchie zulässig, bei einem elektronisch gestellten Vergütungsfestsetzungsantrag auch den Berechtigungsschein als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Den Vorschriften des RVG als gegenüber § 130 a ZPO gleichrangigen Normen ist eine Verpflichtung zur Vorlage des Berechtigungsscheins im Original nicht zu entnehmen.

Aus der Verweisung in § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG auf § 104 Abs. 2 ZPO folgt, dass es für die Festsetzung der durch die Beratungsperson beanspruchten Vergütung genügt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines in Nr. 2500 ff. VV-RVG geregelten Gebührentatbestands glaubhaft gemacht sind (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, aaO, § 55 Rn. 33). Die Gebühr ist also festzusetzen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2007 – II ZB 10/06, NJW 2007, 2187 Rn. 8; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 16. Aufl., § 104 Rn. 18), wobei sich das Gericht aller Beweismittel bedienen kann (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO).

Voraussetzung aller bei der Beratungshilfe in Betracht kommenden Gebührentatbestände ist (sofern kein Fall des § 6 Abs. 2 BerHG vorliegt), dass aufgrund eines durch das Gericht erteilten Berechtigungsscheins eine Beratungshilfeleistung erbracht wurde (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 2010, 304, 305). An die Erteilung des Berechtigungsscheins wird deshalb für den Vergütungsanspruch angeknüpft, weil das Gesetz bei der Bewilligung von Beratungshilfe – anders als bei der Prozesskostenhilfebewilligung (vgl. § 120 ZPO) – keine Beiordnung eines Rechtsanwalts vorsieht. Die danach bei der Geltendmachung des Vergütungsanspruchs durch die Beratungsperson erforderliche Glaubhaftmachung, dass der Rechtsuchende unter Vorlage des Berechtigungsscheins um eine Beratung oder Vertretung gebeten hat, kann dadurch erfolgen, dass die Beratungsperson den ihr von dem Rechtsuchenden ausgehändigten Berechtigungsschein im Original vorlegt. Zwingend erforderlich ist das gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG i.V.m. § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO aber nicht, sofern das Gericht aufgrund sonstiger Umstände das Vorliegen dieser Voraussetzung für glaubhaft gemacht hält.

Im konkreten Fall lässt die Begründung in dem Beschluss des Erinnerungsrichters erkennen, dass dieser die als elektronisches Dokument übermittelte Abbildung des Berechtigungsscheins mit den von dem Beschwerdeführer vorgenommenen Ergänzungen (Durchstreichung, Kennzeichnung als „entwertet“, Kanzleistempel und Unterschrift) als ausreichend erachtet, um die tatsächlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV-RVG als glaubhaft gemacht anzusehen, und die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins aus seiner Sicht hierfür nicht notwendig war. Diese Würdigung wird von dem Landgericht, das lediglich aus Rechtsgründen die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins für erforderlich hält, nicht in Zweifel gezogen. Da sie einen Rechtsfehler nicht erkennen lässt, ist sie auch für die Entscheidung über die weitere Beschwerde zugrunde zu legen.

Auch die Funktion des Berechtigungsscheins gebietet dessen Vorlage im Original nicht. …..“

Erstattung von Kopiekosten, oder: Erstattung (natürlich) auch im Rahmen der Beratungshilfe

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Die zweite „Kopienentscheidung“ kommt mit dem AG Schwerin, Beschl. v. 16.09.2019 – 18 UR Il 221I18 B – aus dem Nordosten der Republik.

Entschieden hat das AG im Rahmen der Beratungshilfe über die Erstattung(sfähigkeit) von Fotokopiekosten. Das ist in dem Bereich ein wenig ein gebührenrechtlicher Dauerbrenner, der immer wieder mal entschieden werden muss. Das AG hat die vom Rechtsanwalt geltend gemachten Fotokopiekosten – der Rechtsanwalt hatt die Akte im Rahmen der Akteneinsicht kopiert – als erstattungsfähig angesehen:

„Die gemäß § 56 RVG, § 573 ZPO zulässige Erinnerung ist begründet.

Der Anspruch auf Festsetzung der Kopierkosten folgt aus § 1 RVG in Verbindung mit Nr. 7000 VV RVG. Gemäß Nr. 7000 Nr. 1 a W RVG sind Kosten für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten zu ersetzen, soweit deren Herstellung zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

Vorliegend ist daher darüber zu entscheiden, ob die Anfertigung von 193 Kopien aus der Verfahrensakte geboten war. Unter Bezugnahme auf das vorstehende verbleibt bei dem Erinnerungsführer als Beratungsperson ein Ermessen hinsichtlich der Erforderlichkeit von Kopien aus einer Gerichtsakte, welche durch ihn auch auszuüben ist. Ein vollständiges Kopieren ohne vorherige Einsicht unter Gesichtspunkten der Zeitersparnis würde diesem Grundsatz nicht genügen und daher eine Erstattung ausschließen.

Dass unter dem Gesichtspunkt der Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten auch bei der Beratungshilfe grundsätzlich Kopierkosten zu ersetzen sind, ergibt sich daraus, dass Bemittelte und Unbemittelte auch bei der Beratungshilfe grundsätzlich gleich zu behandeln sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.10.2008, 1 BvR 2310/06). Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten berät, um die Reaktion in einem Strafverfahren zu besprechen, benötigt dazu Ablichtungen aus der Ermittlungsakte. Zwar bestünde auch die Möglichkeit, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten zu dem Zeitpunkt in sein Büro bestellt, zu dem die Akte sich bei ihm befindet. Dies würde jedoch dazu führen, dass die aktenführende Stelle durch die Setzung der Akteneinsichtsfrist über die Möglichkeit einer sachgerechten Beratung entscheiden würde. Das daraus eine Schlechterstellung des unbemittelten Rechtssuchenden entsteht, ergibt sich daraus, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten Ladungen nicht zwangsweise durchsetzen kann und die aktenführende Stelle in der Regel keine Kenntnis von den terminlichen Verpflichtungen des Mandanten hat, und auf die Kenntnis dieser in diesem Verfahrensabschnitt auch kein Anspruch besteht. Verdeutlicht wird dieses Dilemma an folgendem Beispiel: Würde die aktenführende Stelle dem Rechtsanwalt Akteneinsicht von drei Tagen gewähren, befände sich der Mandant jedoch im Urlaub, im Krankenhaus oder wäre er aus anderen Gründen nicht erreichbar, wäre eine spätere Beratung nur noch aufgrund von Notizen möglich (vgl. AG Halle, Beschluss vom 08.02.2010 Az.: 103 Il 3103/09).

Nach dem Vortrag des Erinnerungsführers belief sich der Umfang der Akte auf weit über 200 Seiten, sodass durch die Anfertigung von 193 Kopien keinesfalls die gesamte Akte kopiert worden ist.

Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass auf Grund der Mandantenbesprechung, der Akteninhalt noch einmal unter einen erneuten Blickwinkel betrachtet werden muss. Ein weiterer Grund für das Erfordernis der Aktenkopie ist, dass der Rechtsanwalt gemäß § 50 Abs. 1 BRAO durch Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit muss geben können (vgl. AG Riesa, Beschluss vom 27. Juni 2012 – 002 UR Il 00885/10).“

M.E. zutreffend. Wie will der Rechtsanwalt sonst richtig beraten.

Beratungshilfe, viel Lärm um nichts, oder: Auch Auslagen werden (natürlich) erstattet

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„Freitag ist Zahltag“ hieß es früher häufig. Bei mir im Blog heißt es: „Freitag ist Gebührentag“. Und den eröffne ich heute mit dem AG Riesa, Beschl. v. 16.08.2 UR II 345/16. Der Kollege A. Michl aus Oschatz hat ihn mir geschickt, zusammen mit dem in der Sache wegen der Gebühren geführten Schriftwechsel. Das waren mehr als 20 Seiten, die da angefallen.

Und wer nun meint, es sei um richtig große Beträge gegangen. Nein, es ging/geht nur um die Frage: Sind im Rahmen der Festsetzung von Beratungshilfegebühren für Strafsachen  für den Rechtsanwalt – auch – die Pauschale für Post- und Telekommunikationsauslagen und die Dokumentenpauschale nebst anteiliger Umsatzsteuer festzusetzen? Die zuständige Rechtspflegerin meinte nein – und ist dann zu großer Form aufgelaufen – wahrscheinlich sind anderer wichtigere Gebührensachen liegen geblieben. Denn hier musste man dem Kollegen doch mal zeigen, was Sache ist und den sächsischen Staatshaushalt vor dem sonst drohenden Bankrott bewahren. Denn immerhin ging es ja um rund 40 €.

Der Kollege hat die Sache „durchgefochten“. M.E. zu Recht, denn sonst muss er sich demnächst die Entscheidung der Rechtspflegerin vorhalten lassen, getreu dem Satz: Haben wir immer schon so gemacht. Dabei hatte die Rechtspflegerin hier übersehen, dass gerade das AG Riesa früher schon anderer Ansicht gewesen ist.

Und so ist es gekommen, wie es kommen musste: Der Richter hat es gerichtet und die abgesetzten Auslagen festgesetzt:

„…Die Urkundsbeamtin geht in ihrer ablehnenden Entscheidung davon aus, dass eine Einsichtnahme in Strafakten nur möglich ist, wenn sich der Rechtsanwalt als Strafverteidiger angezeigt hat. In diesem Fall läge deshalb keine bloße Beratung mehr vor, sondern der Anwalt habe die Vertretung seines Mandanten in dem Strafverfahren übernommen. Nach S. 2 Abs. 2 Satz 2 BerHG könne in Straf- und Ordnungswidrigkeitsangelegenheiten aber lediglich für die Beratung, nicht auch für die anwaltliche Vertretung Beratungshilfe gewährt werden.

Die zuständige Bezirksrevisorin hält die Frage der Erstattungsfähigkeit der Auslagen bei Beratungshilfe für Strafsachen für streitig; auch bei dem angerufenen Gericht habe es in der Vergangenheit unterschiedliche Auffassungen gegeben.

Richtig ist die Rechtsansicht, dass auch in Strafsachen Kopiekosten und entsprechende Auslagen im Rahmen der Beratungshilfe erstattungsfähig sind, wenn sie im Rahmen der Beratung angefallen sind und die übrigen Voraussetzungen der Beratungshilfe vorliegen. Der Antragsteller hat hinreichend dargelegt, dass ihm die geltend gemachten Auslagen durch Anfertigen von Kopien der Straf- oder Ermittlungsakte für seine Handakte entstanden sind. In ihrer Höhe sind diese Auslagen nicht zu beanstanden. Der Rechtsanwalt muss sich auch nicht auf kostengünstigere Vorgehensweisen verweisen lassen, wenn diese zur Erfüllung seiner Beratungsleistung nicht ebenso geeignet sind.

a) Die von der Urkundsbeamtin vertretene Ansicht ist nicht überzeugend. Zum einen ist dem im Vergütungsverfahren als Antragsteller auftretenden Rechtsanwalt ein Beratungshilfeschein für die Beratung in einem bestimmten Strafverfahren bewilligt worden. Sofern im Zusammenhang dieser Beratungstätigkeit Auslagen anfallen, sind ihm diese zu erstatten (Nr. 7002 RVG-VV i.V.m. S. 8 Abs. 1 BerHG). Eine Differenzierung dahingehend, dass Kopien aus der Akte ausschließlich einer anwaltlichen Vertretung dienen würden und nicht zugleich einer Beratung, dürfte kaum möglich sein. Sofern die Urkundsbeamtin der Ansicht ist, der antragstellende Rechtsanwalt habe seinen Mandanten im Strafverfahren umfassend vertreten, müssten folgerichtig auch alle übrigen Gebühren abgesetzt werden; denn auch insoweit ist eine Trennung zwischen Beratung, für die Beratungshilfe bewilligt wurde, und Vertretung des Ratsuchenden als dessen Strafverteidiger schwerlich durch* führbar. Fraglich ist, welche Wirkung dann noch dem Berechtigungsschein zukommen würde.

b) Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Antragsteller sich im Ermittlungs- oder Strafverfahren als Strafverteidiger angezeigt hat, weil ihm andernfalls keine Akteneinsicht durch Übersendung der Verfahrensakte hätte erteilt werden dürfen (S. 147 Abs. 1 u. 4 StPO), schließt das nicht aus, dass er seinen Mandanten auf der Grundlage der bewilligten Beratungshilfe beraten hat und ihm zu diesem Zweck die geltend gemachten Auslagen entstanden sind (AG Halle (Saale), Beschluss vom 08.02.2010 103 3103/09; Groß        in: Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 13. Aufl., 2015, S. Rn. 17). Sofern er im weiteren Verfahrensverlauf als Wahl- oder Pflichtverteidiger weitergehende Vergütungsansprüche erwirbt, werden Leistungen auf der Grundlage des Beratungshilfegesetzes gegebenenfalls zu verrechnen sein.

Der Wortlaut des S. 2 Abs. 2 BerHG lässt in keiner Weise erkennen, dass Kosten, die einem Strafverteidiger erwachsen, nicht erstattungsfähig sind. Es kommt ersichtlich nicht auf den Status des Rechtsanwalts als Rechtsberater, Parteivertreter, Prozessbevollmächtigter oder Strafverteidiger an, sondern es ist auf seine Tätigkeit abzustellen. Gebühren und Auslagen, die für die Beratung anfallen, sind auch bei strafrechtlicher Beratung aus der Staatskasse zu erstatten, wenn die übrigen Voraussetzungen des Beratungshilfegesetzes vorliegen.

c) Im Regelfall ist für eine sachgerechte Beratung die Anfertigung von Kopien aus der Ermittlungs- oder Strafakte erforderlich. Der die Vergütung begehrende Rechtsanwalt braucht deshalb hierzu nichts weiter vorzutragen (vgl. auch AG Riesa, Beschluss vom 27.06.2012 — 2 UR Il 885/10, juris), insbesondere braucht er sich als Organ der Rechtspflege (S. 1 BRAO) nicht vorhalten zu lassen, er hätte sich anderweitig behelfen können (vgl. AG Riesa a.a.O.; AG Germersheim, Beschluss vom 02.03.2017 – 1 UR II 461/16, juris).

d) Auch die Entstehung von Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen ist hinreichend ersichtlich. Diese Auslagen können schon im Zusammenhang mit der Akteneinsicht und dem Schriftverkehr mit dem Beratenen entstanden sein.“

Viel Lärm um wenig/nichts. Ich weiß nicht, ob man die Arbeitszeit nicht besser verwenden könnte.

Auslagenpauchale und AVP bei der Beratungshilfe, oder: Was Bezirksrevisoren meinen, ist nicht Gesetz

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Viel Lärm um Nichts? Nun ja. Nicht um Nichts, aber um wenig. Aber auch Kleinvieh macht eben Mist. Und das gilt eben gerade auch im Rahmen der Beratungshilfe, wo dem Rechtsanwalt/Verteidiger nun ja nicht gerade besonders hohe Gebühren zustehen. Und dann soll er noch auf eine Auslagenpauschale Nr. 7000 VV RVG und auch die Erstattung der Kosten der Aktenversendung verzichten müssen. Das meinten jedenfalls Bezirksrevisor und ihm folgend die Rechtspflegerin in einem Verfahren. Anders dann das AG Germersheim auf die Erinnerung. Das hat im AG Germersheim, Beschl. v. 02.03.2017 – 1 UR II 461/16 – festgesetzt:

„Die Auffassung des Bezirksrevisors, wonach die Auslagenpauschale und die Gebühr für die Aktenversendung im Rahmen der Akteneinsicht nur dann zu erstatten sei, wenn der Rechtsanwalt im Einzelfall die Notwendigkeit darlege, ist nicht haltbar. Auch dann, wenn der Rechtsanwalt, nicht als Verteidiger, sondern lediglich im Rahmen der Beratungshilfe tätig wird, handelt es sich um ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, in dem er tätig wird. Eine ordnungsgemäße Beratung des Mandanten ist ohne vorherige Akteneinsicht sinnvoll nicht möglich, zumal der Rechtsanwalt trotz der nur sehr kärglichen Entlohnung der Beratungshilfe für die Richtigkeit der Beratung haftet.

Das Amtsgericht Mannheim (AG Mannheim, Beschl. v. 05.06.2012 – 1 BHG 380/11) hat in einem ähnlich gelagerten Falle zu Gunsten desselben Rechtsanwaltes ausgeführt:

Zusätzlich ist vorliegend die Postpauschale gemäß VV RVG Nr. 7002 in Höhe von 6,00 Euro angefallen. Denn Rechtsanwalt S. hat Schriftverkehr mit dem Polizeipräsidium Mannheim geführt und die Anforderung der Ermittlungsakte war auch sachgerecht und notwendig, da – wie Rechtsanwalt Sorge zu Recht ausführt, eine Beratung in einem Strafverfahren ohne Kenntnis des Inhalts der Ermittlungsakte in aller Regel nicht möglich ist. Die Akteneinsichtnahme selbst mag zwar durch die Beratungsgebühr abgegolten sein, die Anforderung der Akte aber nicht.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass aus der negativen Fassung des Gesetzestextes („Auslagen … werden nicht vergütet, wenn …, zu schließen ist, dass wenn dies nicht geschehen soll, die Beweislast für die Tatsache, dass die Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben des Rechtsanwaltes nicht erforderlich waren, bei der Staatskasse liegt (Schoreit/Groß a. a. O. Rdnr. 3; Mayer/Kroiß a. a. O. Rdnr. 121 mit weiteren Nachweisen).

Dieser Nachweis ist vorliegend nicht erbracht, es ist vielmehr vom Gegenteil auszugehen.

Dem schließt sich das erkennende Gericht vollumfänglich an.

Dass die Ergebnisniederschrift der Tagung der Bezirksrevisoren im Außenverhältnis nicht bindet, sondern allein die Gesetzeslage maßgeblich ist, ist selbstverständlich.“

Der letzte Satz ist wohltuend. Denn manchmal hat man schon den Eindruck, dass Bezirksrevisoren meinen: Wir sind das Gesetz. 🙂