Schlagwort-Archive: Begründungsanforderungen

Strafzumessung II: Fahrverbot nach § 44 StGB, oder: Kurzfristige Freiheitsstrafe

© stockWERK – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.05.2019 – 4 Rv 28 Ss 175/19, der ganz gut zum gestern vorgestellten AG Dortmund, Urt. v. 03.05.2019 – 767 Ls-800 Js 1003/18 -15/19 – passt. In der OLG-Entscheidung geht es nämlich auch noch einmal um das (neue) fahrverbot nach § 44 StGB. Es geht um das Zusammenspiel von § 47 StGB – also kurzfristige Freiheitsstrafe – und § 44 StGB. Dazu möchte das OLG etwas lesen:

„Zu beachten ist aber, dass nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter besonderen Umständen in Betracht kommen soll (BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 – 1 StR 189/71, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer StGB, 66. Aufl., § 47 Rn.2 und 5). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (BGH, Beschluss vom 3. März 1994 – 4 StR 75/94, juris Rn. 3 und BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer, aaO, § 47 Rn. 5). Den daraus unter dem Gesichtspunkt der sachlich-rechtlichen Nachprüfbarkeit folgenden Begründungsanforderungen (vgl. KK-StPO/Kuckein/Bartel, aaO, § 267 Rn. 25, 32) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da ein bestimmender Gesichtspunkt zur Frage der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nicht erörtert wird und sich die Strafzumessung insofern als lückenhaft erweist.

b) Denn das Landgericht setzt sich in den schriftlichen Urteilsgründen nicht mit der Frage auseinander, ob ein – zusätzlich zu einer Geldstrafe – angeordnetes Fahrverbot im vorliegenden Fall die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen von fünf bzw. zwei Monaten entbehrlich machen kann. Dies lässt besorgen, dass die Bestimmung des 44 StGB in der seit dem 24. August 2017 – und somit zur Tatzeit bereits gültigen – Fassung nicht berücksichtigt wurde, die es nunmehr ermöglicht, ein Fahrverbot als Nebenstrafe über den Bereich der Verkehrsdelikte hinaus bei allen Straftaten anzuordnen. Dabei soll die Anordnung des Fahrverbots bei Delikten ohne Verkehrsbezug, die also nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden, nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich“ dann in Betracht kommen, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verhindert werden kann. In dieser Aufzählung kommt – neben dem Ziel, auf mit der Geldstrafe nicht hinreichend zu beeindruckende, etwa besonders vermögende Täter besser einwirken zu können – insbesondere auch der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, durch die Neufassung des § 44 StGB und die dadurch bewirkte Erweiterung des Strafensystems für den Bereich der kleineren bis mittleren Kriminalität die Anordnung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen in bestimmten Fällen zu vermeiden (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 18/11272, S. 14, 16 f.; zu den verfolgten Zielen auch Schöch in NStZ 2018, 15 (16 ff.); zur Kritik an der Neufassung des § 44 StGB Fischer, aaO, § 44 Rn. 7, 17ff. mwN; Schönke/Schröder/Kinzig StGB, 30. Aufl., § 44 Rn. 1b mwN). Diese vom Gesetzgeber verfolgten Ziele wurden durch die Einfügung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB betont, die auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses erfolgte, um den Gerichten „Leitlinien“ für die Entscheidung an die Hand zu geben und die Fallkonstellationen hervorzuheben, bei denen die zusätzliche Verhängung des Fahrverbots im Falle allgemeiner Straftaten vornehmlich in Betracht kommt (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung, BT-Drucks. 18/12785, S. 43).

Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs der Nebenstrafe eines Fahrverbots auf allgemeine Straftaten und die mit dieser Ergänzung des Strafensystems verfolgten Ziele begründen zwar, wie auch § 267 Abs. 3 StPO deutlich macht, keine generelle Erörterungspflicht in Urteilen. Dementsprechend bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Anordnung eines Fahrverbots zu erfolgen hat, insbesondere dann nicht, wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, keine auf ein Fahrverbot gerichteten Anträge gestellt wurden und klar auf der Hand liegt, dass die Anordnung des Fahrverbots unter keinem der in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Gesichtspunkte in Betracht kommt und auch sonst keine besonderen Umstände zu ihrer Anwendung drängen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2019 – 2 RVs 15/19, juris Rn. 9 ff.).

Anders ist dies allerdings zu beurteilen, sofern die Umstände des Falles die Anordnung eines Fahrverbots naheliegend erscheinen lassen (OLG Düsseldorf, aaO, juris Rn. 13), weil etwa eine Fallkonstellation nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB erörterungsbedürftig erscheint. In solchen Fällen kann die Nichtbehandlung der Frage, ob ein Fahrverbot anzuordnen ist oder dies zu unterbleiben hat, einen sachlich-rechtlichen Mangel begründen, der auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt.

So verhält es sich hier. Dem Urteil liegt eine Konstellation zugrunde, für die der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 44 Abs. 1 StGB dem Gericht die Prüfung ermöglichen wollte, ob durch die Kombination einer Geldstrafe mit einem Fahrverbot die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe vermieden werden kann. Angesichts der insofern eröffneten Ermessensentscheidung und den hierzu in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB formulierten „Leitlinien“ für typische Anwendungsfälle des Fahrverbots bei Nichtverkehrsstraftaten (vgl. BT-Drucks. 18/12785, S. 43), handelt es sich vorliegend um einen bestimmenden Aspekt der Strafzumessung, der nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen zu behandeln ist. Die Erörterung ist zwingend geboten, weil die verfahrensgegenständlichen Delikte dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, der Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen über eine Fahrerlaubnis verfügt und die im Rahmen des § 47 StGB angestellten Erwägungen – zumal das Amtsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung schon die Verhängung einer Gesamtgeldstrafe für ausreichend erachtet hatte – jedenfalls nicht derart eindeutig für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen sprechen, dass diese nicht möglicherweise doch durch die zusätzliche Sanktionierung mit einem Fahrverbot vermieden werden könnten. Dabei ist auch zu sehen, dass der Angeklagte zwar schon mehrfach strafrechtlich und darunter auch wiederholt wegen Körperverletzungs- und Aggressionsdelikten in Erscheinung getreten ist. Auf diese Taten wurde aber – neben Verfahrenseinstellungen nach den §§ 45, 47 JGG – durch Urteile vom 21. Mai 2012 und 25. September 2013 noch mit jugendstrafrechtlichen Mitteln der richterlichen Weisungen sowie Arbeits- und Geldauflagen reagiert. Erst durch einen Strafbefehl des Amtsgerichts Rottenburg vom 19. April 2017 erfolgte dann eine Sanktionierung nach Erwachsenenstrafrecht, wobei wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und mit versuchter vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen à 10 Euro gegen ihn verhängt wurde. Der Angeklagte wurde bislang noch nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und auch ein Fahrverbot wurde gegen ihn offenbar noch nicht verhängt. Zudem zeigte sich der Angeklagte ausweislich der Feststellungen, die im angegriffenen Berufungsurteil getroffen wurden, geständig und einsichtig im Hinblick auf seinen problematischen Suchtmittelkonsum und seine Neigung zu aggressivem Verhalten, zumal er sich diesbezüglich um die Erlangung fachlicher Hilfe bemüht hatte.“

Den erwähnten OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2019 – 2 RVs 15/19 – hatte ich hier übrigens auch vorgestellt – siehe Fahrverbot I: Neues Fahrverbot nach § 44 StGB im Altfall, oder: Milderes Gesetz?

Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt, oder: So schwer ist das doch gar nicht

© monticellllo – Fotolia.com

Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung kommt dann vom OLG Karlsruhe. Das OLG behandelt im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.04.2019 – 2 Rv 4 Ss 105/19 – mal wieder den Dauerbrenner: Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). .

„b) Jedoch vermögen die Darstellungen in den Urteilsgründen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Begehung der Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 StGB) nicht zu tragen. Das Amtsgericht hat eine vorsätzliche Tatbegehung angenommen und dies im Kern auf die „einschlägigen Vorstrafen“ des Angeklagten sowie darauf gestützt hat, dass ihm wegen einer Trunkenheitsfahrt am 27.11.2015 die Fahrerlaubnis entzogen und erst drei Tage vor der hier in Rede stehenden Trunkenheitsfahrt wieder erteilt worden sei. Diese Würdigung erweist sich als unzureichend.

1) Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet. Die Feststellung der Fahruntüchtigkeit als innere Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen. Bei einem – wie hier – insoweit nicht geständigen Angeklagten müssen die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwendeten Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkten gewürdigt werden. Nur so wird dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) schlüssig erbracht ist und alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2012 – III-3 RVs 8/12 – juris Rn. 7 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2010 – 5 Ss 198/10 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dabei kann nach wohl einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, auch bei deutlich die Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) übersteigenden BAK-Werten ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht allein hieraus auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden; einen Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer ab einer bestimmten BAK seine Fahruntüchtigkeit erkennt, gibt es nicht (OLG Hamm aaO Rn. 8; OLG Stuttgart aaO Rn. 16; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 316 Rn. 46, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung kommt es daher auf die Umstände des Einzelfalles an. Zu würdigen sind dabei insbesondere – soweit feststellbar – die Täterpersönlichkeit, der Trinkverlauf, der Zusammenhang zwischen Trinkverlauf und Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters vor und während der Fahrt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 05.02.2013 – (2) 53 Ss 1/13 (4/13) -, juris Rn. 7; OLG Hamm aaO).

Dabei kann nach obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, zwar aus einer vorangehenden einschlägigen Bestrafung und der damit verbundenen Warnwirkung je nach den Umständen des Einzelfalles auf ein vorsätzliches Handeln des Täters bei der neuen Trunkenheitsfahrt geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.07.1995 – 3 Ss 164/94, NStZ-RR 1996, 85; Fischer aaO Rn. 46). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der der früheren Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt in einem Mindestmaß mit dem aktuell zu beurteilenden vergleichbar ist. Nur in diesem Fall ist es denkbar und auch naheliegend, dass der Täter aus seiner früheren Bestrafung und dem darin liegenden Hinweis auf seine derzeitige Fahruntüchtigkeit vor der erneuten Trunkenheitsfahrt entsprechende Schlüsse gezogen hat, die den Vorwurf vorsätzlichen Handelns rechtfertigen. Es ist deshalb jedenfalls in der Regel unerlässlich, dass der einer einschlägigen Vorverurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, aus dem auf die vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden soll, in den Urteilsgründen mitgeteilt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26.09.2018 – 3 Ss 25/18, BeckRS 2018, 28087; Beschluss vom 10.07.1997 – 21 Ss 138/97, NZV 1998, 123; abweichend KG Berlin, Urteil vom 24.11.2014 – (3) 121 Ss 155/14 (115/14), NZV 2015, 403).

2) Vorliegend hat sich das Amtsgericht bei der Darstellung der „einschlägigen Vorstrafen“ darauf beschränkt, die – ersichtlich dem Bundeszentralregisterauszug entnommenen – Daten zweier Urteile festzustellen, wonach der Angeklagte am „17.12.2005“ (offenkundig gemeint war insoweit wohl der 17.12.2015) wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu 60,- Euro verurteilt und eine Sperre für die Fahrerlaubniserteilung bis zum 16.12.2016 verhängt wurde und am 21.08.2017 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 50,- Euro verurteilt wurde. Diese bezüglich des Urteils vom 17.12.2015 noch um Angaben des Angeklagten ergänzten Ausführungen – so gab der Angeklagte offenbar an, seine Blutalkoholkonzentration habe bei der damaligen Trunkenheitsfahrt „mehr als zwei Promille Alkohol betragen“ – genügen jedenfalls vorliegend nicht.

Es erschließt sich schon nicht, aus welchem Grunde das Amtsgericht „insbesondere aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen“, also aufgrund von mehreren vorangegangenen Straftaten davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte vorsätzlich handelte. Sollten die ausgesprochen knapp gehaltenen Ausführungen des Amtsgerichts – was naheliegt – dahingehend zu verstehen sein, dass mit einer der „einschlägigen Vorstrafen“ die Verurteilung vom 21.08.2017 gemeint gewesen ist, lässt sich mit Blick darauf, dass der Angeklagte dortmals wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, nicht aber wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt wurde aus, nichts dafür herleiten, inwieweit er hieraus überhaupt Lehren für zukünftiges Trink- und Fahrverhalten hätte ziehen müssen.

Ob und inwieweit die mit Urteil vom 17.12.2015 geahndete Trunkenheitsfahrt und die verfahrensgegenständliche Sache tatsächlich vergleichbar waren, lässt sich anhand der äußerst knappen und nur nach der Erinnerung des Angeklagten referierten Darstellung zur damaligen Trunkenheitsfahrt nicht erkennen. Schon mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte an einen mutmaßlich deutlich höheren Promillewerte erinnerte (“über zwei Promille“), versteht es sich jedenfalls nicht von selbst, inwieweit er aus der damaligen Fahrt Rückschlüsse auf seine Fahruntüchtigkeit bei der verfahrensgegenständlichen Trunkenheitsfahrt gezogen haben muss.
Zu eingehenderer Erörterung der Schuldform bestand auch im Hinblick darauf Anlass, dass nach den Ausführungen des Amtsgerichts bei der Abnahme der Blutprobe bei den entsprechenden Tests keine besonderen (alkoholtypischen) Ausfallerscheinungen zu bemerken gewesen waren, sondern vielmehr der Angeklagte „nicht merkbar“ unter Alkoholeinfluss stand, was es zumindest nicht gänzlich fernliegend erscheinen lässt, dass für den Angeklagten selbst die alkoholische Beeinflussung weniger spürbar war und er sich deshalb für fahrtüchtig gehalten haben könnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 27.02.2008 – 2 Ss 23/08, NZV 2008, 304).

Soweit das Amtsgericht ergänzend darauf abgehoben hat, dass der Angeklagte nach Entzug der Fahrerlaubnis in der Zwischenzeit „sogar wegen einer MPU längere Zeit abstinent“ gelebt habe, begegnet dies vorliegend ebenfalls Bedenken. Das Amtsgericht teilt nicht mit, aus welchem Grunde das wegen einer anstehenden medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) abstinent geführte Leben des Angeklagten Rückschlüsse auf sein subjektives Vorstellungsbild zu seiner Fahr(un)tüchtigkeit zulassen soll. Dies versteht sich – jedenfalls ohne jegliche nähere Erörterung – auch nicht von selbst. Denn der Umstand, dass der Angeklagte in dem Wissen einer anstehenden MPU abstinent gelebt hat, lässt naheliegende Rückschlüsse zunächst nur auf seine Fähigkeit, auf Alkoholkonsum verzichten zu können, zu, nicht aber darauf, von welchen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf seine Fahrtüchtigkeit er selbst im Einzelnen ausging.

2. Aus den dargelegten Gründen konnte die Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr keinen Bestand haben. Das Urteil ist daher wegen des aufgezeigten Mangels nach § 353 StPO mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Säckingen zurückzuverweisen. Ausgenommen von der Aufhebung sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, da sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind und daher bestehen bleiben können. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen, bleiben insoweit möglich.“

Auch zu der Problematik ist im Grunde genommen alles gesagt – mehrfach. Daher verwundert es, dass die OLG es immer wieder wiederholen müssen. Aber: Verwundert es wirklich?

(Isolierte) Fahrerlaubnissperre, oder: Ein Bisschen begründen sollte man schon

© eyetronic Fotolia.com

Heute dann gleich noch einmal ein Verkehrsrechtstag. Und den eröffne ich – wie gestern – auch mit einer BGH-Entscheidung, nämlich dem BGH, Beschl. v.  27.03.2019 4 StR 360/18. Das LG hatte gegen den Angeklagten eine isolierte Sperrfrist von zwei Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt.

Der BGH beanstandet die „Begründung“:

„b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet jedoch die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69a Abs. 1 Satz 3 StGB. Die Strafkammer hat zur Begründung der angeordneten zweijährigen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis lediglich angeführt, der Angeklagte habe sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gezeigt, dass er tateinheitlich in zwei Fällen am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen zu sein. Diese Begründung reicht zum Beleg der Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht aus. Soll gegen den Täter wegen einer nicht im Katalog des § 69 Abs. 2 StGB enthaltenen Straftat – wie es bei dem vom Angeklagten verwirklichten vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG der Fall ist – die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet werden, muss das Tatgericht eine Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit vornehmen, mit der die fehlende Eignung belegt wird, wobei der Umfang der Darlegung vom Einzelfall abhängt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. November 2017 – 4 StR 427/17, StV 2018, 414, 415; vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 487/14, juris Rn. 3; vom 17. Mai 2000 – 3 StR 167/00, NStZ-RR 2000, 297, 298); eine solche einzelfallbezogene Begründung der fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr lässt das angefochtene Urteil vermissen.“

Für mich einer dieser „Kopfschüttelentscheidungen“. Man muss ja – auch nach der Rechtsprechung des BGH – in diesen Fällen nicht viel schreiben, aber etwas mehr als den Gesetzestext dann vielleicht doch. Das sollte eine Strafkammer wissen.

Revision III: Wenn man das Revisions 1 x 1 nicht beherrscht, oder: Finger weg….

© J.J.Brown – Fotolia.com

Und die letzte Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 29.01.2018 –  2 StR 416/18 – ist mal wieder eine, bei der man in die Tischkante beißen möchte, wenn man den Beschluss liest. Aber nicht wegen der Ausführungen des BGH, sondern wegen des Unvermögens des Verteidigers, der es nicht auf die Reihe gebracht hat, eine seine offenbar zahlreichen Verfahrensrügen zulässig zu begründen. Und das in einem Verfahren, in dem das LG den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte. Das bleibt nur ein ungläubiges Kopfschütteln:

a) Die Rügen der Verletzung formellen Rechts sind unzulässig, da sie nicht in dem nach § 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Umfang ausgeführt sind.

aa) Die Rüge, das Landgericht habe gegen seine Amtsaufklärungspflicht verstoßen, indem es pflichtwidrig unterlassen habe, Protokolle der aufgezeichneten Telefongespräche zu verlesen, wurde nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben, da die Revision nicht vorträgt, welches bestimmte, für den Beschwerdeführer günstige Beweisergebnis erzielt worden wäre, sondern lediglich auf vermutete und mögliche Beweisergebnisse abstellt.

bb) Die Rüge der unrechtmäßigen Mitwirkung von als befangen abgelehnten Richtern ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, da bereits der Inhalt der Ablehnungsanträge nicht mitgeteilt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338 Rn. 29 mwN).

cc) Auch soweit die Revision die Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rügt, ist die Rüge unzulässig erhoben, da weder der Beweisantrag noch der Ablehnungsbeschluss mitgeteilt werden, sondern insofern lediglich auf das Protokoll Bezug genommen wird.

dd) Soweit die Revision ein „Verwertungsverbot gem. § 100a StPO“ rügt, wird aus den Ausführungen nicht erkennbar, welches Verfahrensgeschehen der Beschwerdeführer im Einzelnen beanstandet. Auch diese Rüge ist daher unzulässig.“

Ungläubiges Kopfschütteln und der Aufruf: Lasst doch die Finger von der Revision, wenn ihr es nicht könnt. Hier war es ja auch nichts Besonderes/Außergewöhnliches, was der BGH verlangt/lesen möchte, sondern schlichtes „Revisions 1 x 1“.

OWi III: Verfahrensrüge „Nichtladung des Verteidigers“, oder: Verteidiger als Hellseher?

entnommen openclipart.org

Und als letzte Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 23.10.2018 – 4 RBs 313/18. Er stammt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen zur Anforderung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gerügt hatte der Betroffene mit seiner Verfahrensrüge, dass die Hauptverhandlung beim AG ohne seinen Wahlverteidiger durchgeführt worden war. Ich hatte mich beim „Einsender“ der Entscheidung erkundigt, warum er nicht anwesend war. Grund: Das AG hatte schlicht vergessen, den Kollegen H. Urbanzyk aus Coesfeld zu laden. Der Kollege hatte dann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege und auch darauf hingewiesen, dass ggf. Beweisanträge gestellt worden wären. Als Antwort hat er vom OLG darauf erhalten:

„Soweit der Betroffene hinsichtlich der Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Wahlverteidiger die Verfahrensrüge erhebt, genügt diese bereits nicht den Begründungsanforderungen der §§ 344 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG, weil nicht vorgetragen wird, welche Beweisanträge der Wahlverteidiger im Falle seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestellt hätte. Allein die Behauptung, dass das Urteil auf dem gerügten Fehler bestehe, da ein anderer Verfahrensgang unter Beisein des Wahlverteidigers als möglich angenommen werden könne, genügt nicht.“

Sorry „liebes“ (?) OLG: Wie soll das den bitte gehen?. Mal wieder der Verteidiger als Hellseher, der – ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben – darlegen soll, welche Beweisanträge er, wenn er teilgenommen hätte, gestellt hätte. Wie soll der Verteidiger das denn wissen, was sich ggf. aus dem Verlauf der Hauptverhandlung ergeben hätte, wenn er zugegen gewesen wäre und Zeugen ggf. hätte befragen können?

Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich das OLG mal mit der Frage auseinander gesetzt hätte, ob hier nicht in der Tat ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorgelegen hat. Es geht um einen Verstoß gegen § 19 StVO – Überquerens einer Bahnübergangs unter Verstoß gegen die Wartepflicht. Der Bußgeldbescheid hatte eine Geldbuße von immerhin 240,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das AG vergisst (!!!) dann den Wahlverteidiger zu laden und „verhandelt durch“. Der Kollege nennt es: „überrumpelt den Mandanten“, der auf seinen Wahlverteidiger verzichtet. Und das soll dann kein Verstoß gegen den Grudnsatz des fairen Verfahrens sein? Aber die Frage muss man ja nicht beantworten, wenn man die Zulässigkeitsrügen für die Verfahrensrüge (zu) hoch legt.