In einem Verfahren, in dem jetzt vor kurzem eine „Befangenheitsfrage“ vom BGH mit BGH, Beschl. v. 18.12.2014 – IX ZB 65/13 – entschieden werden musste, geht es um Schadensersatz wegen der Verletzung anwaltlicher Berufspflichten. Die beklagten Rechtsanwälte haben den Kläger in einem Vorprozess/Arzthaftungsprozess vertreten. Nach Abweisung der Klage hatten sie auftragsgemäß Berufung eingelegt, die sie aber nicht rechtzeitig begründet haben. Der Kläger nimmt sie deshalb auf Schadensersatz in Höhe des im Vorprozess verlangten Schmerzensgeldes von 50.000 € sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch, die er durch die im Vorprozess streitgegenständliche ärztliche Fehlbehandlung erlitten habe und künftig noch erleiden werde, in Anspruch. Im Anwaltshaftungsverfahren ist nach der Geschäftsverteilung des LG für die Entscheidung des Rechtsstreits (wieder) die Kammer zuständig, die bereits mit dem Vorprozess befasst war. Der Kläger hat den Kammervorsitzenden und ein weiteres Mitglied der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, dass der Fall demjenigen des gesetzlichen Ausschlusses des mit der Sache vorbefassten Richters nach § 41 Nr. 6 ZPO entspreche. Das Ablehnungsgesuch blieb insgesamt erfolglos. Der BGH geht davon aus, dass die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltshaftungsprozess weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit darstellt. Er führt aus:
a) Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 – VI ZR 109/59, NJW 1960, 1762 f; vom 5. Dezember 1980 – V ZR 16/80, NJW 1981, 1273 f; Beschluss vom 24. Juli 2012 – II ZR 280/11, NJW-RR 2012, 1341 Rn. 2; BVerwG, NJW 1975, 1241; NJW 1980, 2722; BFHE 242, 271 Rn. 23). Im Streitfall haben die abgelehnten Richter, die im Anwaltshaftungsprozess in erster Instanz tätig werden sollen, nur in einem Vorprozess mitgewirkt, dessen für den Kläger negativer Ausgang den Anlass für die streitgegenständliche Haftungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wort-laut der Vorschrift nicht erfasst.
Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. ……
b) Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden Haftungsprozess auch keinen Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Besorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über § 42 ZPO im Endergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die – wie ausgeführt – aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist.
aa) Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Unerheblich ist, ob der Richter sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung berufene Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 1986 – X ZR 70/84, NJW-RR 1986, 738; vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03, WM 2003, 946; st. Rspr.; s. ferner BVerfG NJW 1993, 2230 mwN; Prütting/ Gehrlein/Mannebeck, ZPO, 6. Aufl., § 42 Rn. 5; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO § 42 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, aaO § 42 Rn. 9). Der nach § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft zu machende Ablehnungsgrund kann, wenn wie hier keiner der Ausschlusstatbestände des § 41 ZPO vorliegt, nur in konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen.
bb) Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus (a.A. LG Darmstadt, NJW-RR 1999, 289, 290; Baur in Festschrift Larenz, 1973, S. 1063, 1073 f). Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO § 42 Rn. 15 f). Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnten Richter aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den sich aus dem von ihnen seiner Zeit entschiedenen Arzthaftungsprozess ergebenden Anwaltshaftungsfall objektiv und angemessen zu beurteilen, hat der Kläger nicht dargetan und nicht glaubhaft gemacht.“
Im Strafverfahren läuft die Argumentation ja ähnlich.