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Kauf der Bedienungsanleitung? – Nein, dem steht die Unschuldsvermutung entgegen!

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Einige AG hatten in der letzten Zeit in die Diskussion um die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Stichwort: Bedienungsanleitung – mit dem Argument eingegriffen, dass der Betroffene sich ja beim Hersteller des Messgerätes eine Bedienungsanleitung kaufen könne und ihm deshalb von der Verwaltungsbehörde die Bedienungsanleitung nicht zur Verfügung gestellt werden müsse (siehe hier AG Wetzlar, Beschl. v. 4. 1. 2012 – 45 OWi 21/11; AG Wuppertal, Urt. v. 17. 10. 2011 – 12 OWi 135/11). Die Argumentation ist in meinen Augen falsch. So jetzt auch der AG Königs Wusterhausen, Beschl. v.31.07.2012 – 2.4 OWi 401/12:

„Zum herausragenden und rechtsstaatlichen Recht gehört es, dass der Betroffene, der straf-rechtlicher oder ordnungsrechtlicher Verfolgung unterliegt, sich umfassend gegen den staatlichen Eingriff zur Wehr seien können muss. Hierzu muss er Kenntnis von allen die Entscheidung begründenden Tatsachen haben. Hierzu gehört insbesondere auch die Gewinnung der Beweise, wozu im Falle Stützung einer Entscheidung auf Messergebnisse durch Geräte die Kenntnis von der Bedienungsanleitung gehört, weil auf der Grundlage dieser die Behörden die Messergebnisse zu erarbeiten haben. Bedarf es einer Bedienungsanleitung, um den Behördenmitarbeitern die ordnungsgemäße Bedienung eines Gerätes zu ermöglichen, so muss der der staatlichen Verfolgung unterliegende die Möglichkeit erhalten, zu überprüfen, ob die Behördenmitarbeiter den Anweisungen der Bedienungsanleitung gefolgt sind. Das aber wiederum setzt die Kenntnis der Bedienungsanleitung voraus. Der Betroffene ist auch keines­wegs, wie die Behörde meint, verpflichtet, sich die Bedienungsanleitung von der Herstellerfirma zu beschaffen, insbesondere nicht, hierfür auch noch Kosten aufzuwenden, Bis zum Beweis des Gegenteils — im Falle eines Bußgeldverfahrens mithin mit Rechtskraft des Bußgeldbescheides — gilt wie im Strafverfahren die Unschuldsvermutung. Behörde und gegebe­nenfalls Gericht haben dem Betroffenen die den Bußgeldbescheid tragende Verfehlung mit einer Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, die vernünftigen Zweifeln an. der Schuld Schweigen gebietet. Nicht der Betroffene hat sich zu entlasten. Zur Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils gehört allerdings auch, dem Betroffenen alles zugänglich zu machen, was die hoheitliche Maßnahme trägt, damit er sich angemessen wehren und den Behörden, seinerseits aufzeigen kann, dass die Beweisführung mangelhaft ist.“

 

 

 

Lebensakte im Bußgeldverfahren – es gibt sie – und wenn nicht sind wenigstens Auskünfte zu erteilen – gut so

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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – sicherlich nichts aus dem Sommerloch, sondern ein Thema, dass die Gerichts nun schon länger beschäftigt. Das zeigt sich für mich nicht zuletzt daran, dass ich immer wieder von Kollegen Entscheidungen der AG zu den damit zusammenhängenden Fragen zugesandt bekomme., mit der Bitte, über diese Entscheidungen dann hier zu berichten.

Tue ich gerne, vor allem, wenn man so schöne Entscheidungen bekommt wie den AG Hagen, Beschl. v. 28.06.2012 – 97 OWi 5/12 (b) -, den man überschreiben könnte: Und es gibt sie doch – die Lebensakte. Und wenn es sie nicht gibt bzw. sie nicht geführt wird, hat Verwaltungsbehörde „Auskunft zu erteilen über Reparaturen, Wartungen, vorgezogene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgeräts berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben.“ M.E. richtig.

Interessant ist die Entscheidung auch noch aus einem zweiten Grund. Sie lässt es der Verwaltungsbehörde nicht durchgehen, wenn sie überhaupt oder zögerlich entscheidet. Auch dann ist der Antrag nach § 62 OWiG zulässig.

„Die Verwaltungsbehörde hat vorliegend zwar den Antrag des Verteidigers nicht ausdrücklich abgelehnt. Aus ihrem gesamten Verhalten ergibt sich jedoch, dass die Verwaltungsbehörde das Akteneinsichtsrecht nicht oder jedenfalls nicht hinreichend erfüllt hat. Zunächst wurde am 06.02.2012 ausdrücklich auch Einsicht in die im Tenor näher bezeichneten Unterlagen begehrt. Dem ist die Behörde nicht nachgekommen, sondern sie hat stattdessen einen Bußgeldbescheid erlassen. Nachdem der Verteidiger im Einspruchsverfahren seinen Antrag wiederholt und eine gerichtliche Entscheidung beantragt hat, hat die Verwaltungsbehörde nicht etwa abgeholfen, sondern zunächst zu einer möglichen Abhilfe angehört. Sie hat auch nicht etwa zeitgleich eine Einholung der Auskünfte verfügt, woraus ein ernsthafter Abhilfewille zumindest objektiv erkennbar geworden wäre. Schließlich wurde die Akte, wiederum ohne objektiv erkennbare Abhilfebemühungen, dem Gericht vorgelegt.

Eine solch zögerliche Sachbehandlung kommt für den Betroffenen einer Ablehnung gleich. Der Betroffene hat insofern zu Recht eine gerichtliche Entscheidung verlangt, die allein aus Gründen der Rechtssicherheit auch zu ergehen hat, wenngleich eine förmliche Ablehnung seines Begehrens bislang nicht erfolgt ist. Indem die Verwaltungsbehörde aber das Verfahren ohne objektive Bemühungen der Abhilfe weiterbetrieben und sogar einen Bußgeldbescheid erlassen hat, zeigt sie zumindest so unzureichend ihren Willen zur Abhilfe, dass eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Betroffenen geboten war.“

Die zweite Entscheidung, über die ich in dem Zusammenhang „Akteneinsicht“ berichten will, ist weniger „schön“. Der AG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 5 OWi 1647/12 – stärkt der Fraktion den Rücken, die bei der Akteneinsicht mehr die Interessen der Verwaltungsbehörden im Blick hat. Das Argument: Akteneinsicht durch Übersenden einer Kopie ist für die Behörde unzumutbar, zieht m.E. aber nicht. Das geht mit einem PDF ganz einfach. Und das gibt es sicherlich auch schon in Aurich :-).

 

Paukenschlag: Höherer Toleranzabzug als Folge nicht ausreichender Akteneinsicht im Bußgeldverfahren

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Ich hatte ja vorhin mal wieder über zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Dazu passt thematisch das AG Schwerte, Urt.v. 05.07.2012 – 10 OWi 872 Js 366/12-58/12, das sich mit der Frage befasst: Welche Folgen hat die nicht (ausreichende) Akteneinsicht. Damit haben sich ja schon AG Kaiserslautern und AG Landstuhl befasst (zu letzterem unser Posting); beide Entscheidungen sollen sich übrigens – wie ich höre – in der Rechtsbeschwerde beim OLG Zweibrücken befinden, was zu erwarten war.

Das AG Schwerte geht einen anderen Weg. Es kommt nicht zum Freispruch sondern es nimmt einen höheren Sicherheitsabschlag vor und sagt: Ist dem Verteidiger auf seine Anforderung von der Verwaltungsbehörde nicht die Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung gestellt worden,  rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs hinsichtlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung um 10 %.

Der Toleranzabzug war jedoch um 10 % zu erhöhen, das ausweislich der Bußgeldakte seitens des Verteidigers mit Schriftsatz vom 31.01.2012 die Lebensakte für das Messgerät angefordert worden war und sogar wegen dieses Antrags ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt wurde. Dem ist die Verwaltungsbehörde nicht nachgekommen und hat die Lebensakte nicht übermittelt. Dementsprechend hat auch das erkennende Gericht keine genauen Erkenntnisse darüber gewinnen können, ob an dem betreffenden Messgerät zwischen Eichung (am 31.03.2011) und Messung (am 29.10.2011) Reparaturen oder sonstige Eingriffe vorgenommen worden sind. Die schriftliche Äußerung vom 15.12.2011 diesbezüglich vermag letzte Zweifel gegenüber einer Einsichtnahme in die Lebensakte nicht vollständig ausschließen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs und somit zu einer Geschwindigkeit von 91 km/h.

Ich habe meine Zweifel – ebenso wie bei AG Landstuhl – ob das so richtig ist bzw. so einfach geht oder ob sich das AG nicht zunächst mal um eine ausreichende Akteneinsicht für den Betroffenen – und für sich selbst – bemühen muss, ehe es zu einem höheren Sicherheitsabschlag kommt. Und dann stellt sich die Frage: Ist dann nicht der Weg des AG Landstuhl der richtigere? Warum verwertbar, aber dann nur mit einem höheren Sicherheitsabschlag.

Nun dem Betroffenen wird es es egal sein. Er hat so eine Chance, ggf. aus der fahrverbotsträchtigen Zone des BKatV herauszufallen. Also: Eine Entscheidung, auf die man sich berufen kann/sollte.

 

So nicht Frau Kollegin…. Mal wieder Bedienungsanleitung

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Es ist ja ein wenig Ruhe an der Front „Einsicht in die Bedienungsanleitung eingekehrt“, nachdem die Fragen die Rechtsprechung im vorigen Jahr und auch noch in den ersten Monaten des Jahres stärker beschäftigt haben. Im wesentlichen werden auch nur noch die alt bekannten Argumente ausgetauscht. Bahnbrechend Neues gibt es nicht.

Oder doch?

Vielleicht ja mit dem AG Ratzeburg, Beschl. v. 02.05.2012 – 3 OWi 700/12. Auf den ersten Blick meint man auch, dass er nichts Neues enthält. Aber dann am Ende kommt es kurz und trocken:

Da heißt es zur Begründung der Ablehnung der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung: „Der Betroffene hat jedenfalls die Möglichkeit, die Hilfe eines ortsansässigen Verteidigers in Anspruch zu nehmen.“

Frage an die Kollegin: Noch nie etwas vom Anwalt des Vertrauens gehört? Das Recht auf diesen ist m.E. mit der Argumentation tangiert. So geht es m.E. nicht. Zudem: Der Betroffene wohnt in Berlin: Also auf zu einem „Verteidigungstourismus“!!

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: AG Leutkirch versucht es mit dem Urheberrecht…

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Auf den ersten Blick bringt die Entscheidung nichts Neues habe ich gedacht, als ich von einem Kollegen AG Leutkirch, Beschl. v. 23.04.2012 – 1 OWi 47/12 übersandt bekommen habe. Ablehnung der Akteneinsicht in Bedienungsanleitung und Lebensakte, dazu gibt es viele Entscheidungen, über die ich hier ja auch schon berichtet habe (vgl. dazu auch unsere Beiträge aus VRR 2011, 250 und VRR 2011, 130 (werden übrigens bei dem ein oder anderen Beschluss – ebenso wie meine HP – als “ ungenannte Quelle“ benutzt ;-)).

Beim zweiten Lesen habe ich dann aber doch gestutzt. Das AG lehnt u.a. wegen des Urheberrechts des Herstellers des Messgerätes die Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung ab:

Die Bedienungsanleitung ist vorliegend nicht Gegenstand der Bußgeldakten geworden. Die Verwaltungsbehörde war auch nicht verpflichtet, sie zu den Akten zu nehmen, Insbesondere hätte sie hierzu auch kein Recht gehabt. Die Bedienungsanleitung der Firma Vitronic ist nämlich mit folgendem Zusatz versehen:

„Das Urheberrecht der Gebrauchsanweisung liegt bei Vitronic. Es ist nicht gestattet, die Ge­brauchsanweisung zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben!“

Damit ist klargestellt, dass derjenige, der eine Bedienungsanleitung erwirbt oder von der Firma Vitronic zur Verfügung gestellt bekommt, diese nur dadurch Dritten zugänglich machen kann, dass er den Dritten vor Ort Akteneinsicht gewährt oder an eine andere Stelle versendet, wo Akteneinsicht gewährt werden kann. Zu den Akten darf die Behörde sie nicht nehmen, da dies nur im Wege einer Vervielfältigung möglich wäre. Damit würde sie aber die vertraglichen Bezie­hung zu der Firma Vitronic verletzen.“

Hmm? Ist das denn richtig? Muss bzw. hätte sich das AG, wenn es sich denn schon auf das Urheberrecht bezieht, nicht zunächst mal die Frage klären müssen, ob ein solches überhaupt besteht und wenn ja, in welchem Umfang? Daran haben sich die ablehnenden Beschlüsse bislang m.E. alle mehr oder weniger elegant vorbeigedrückt und daran drückt sich ja auch der „Erlass des IM Niedersachsen zu Gebrauchsanweisungen vorbei. Man behauptet einfach ein Urheberrecht bzw. nimmt das von dem Hersteller  in Anspruch genommene als „Gott gegeben“ hin. So geht es m.E. nicht. M.E. muss man sich schon mit der Frage auseinandersetzen, sie entscheiden und danach dann die Frage der Akteneinsicht ausrichten. Dabei lassen wir hier mal dahin gestellt, ob das Urheberrecht, wenn es denn eins gibt, nicht hinter dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör zurücktreten muss.

Also: In meinen Augen nur ein missglückter Versuch des AG.