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Strafzumessung III: Drei Fälle Leistungserschleichung ==> 4 Monate, oder: Da zuckt selbst das BayObLG

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Und als dritte Entscheidung des Tages dann noch den BayObLG, Beschl. v. 21.05.2019 – 203 StRR 594/19. Er nimmt Stellung zur Frage: Welche Strafe ist bei Bagatelldelikten angemessen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Leistungserschleichung in drei Fällen (Gesamtschaden: 9 €) zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die auf die Rechtsfolgen beschränkt worden war, hat das LG den Angeklagten mit Urteil vom 22.11.2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten (Einzelstrafen je zwei Monate) verurteilt (ist eben Bayern).

Das BayObLG meint:

„Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) und hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Monate zu reduzieren ist.
Die Verhängung der Einzelstrafen von jeweils zwei Monaten und der daraus gebildeten viermonatigen Gesamtfreiheitsstrafe halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da sie angesichts der geringen Schadenshöhe und fehlender weiterer besonderer strafschärfender Kriterien keinen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht mehr darstellen. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich allein Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht kann die Entscheidung nur auf Rechtsfehler nachprüfen. Darunter fällt aber auch die Überprüfung, ob sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, ob sie also in grobem Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.07.2014, 2 OLG 2 Ss 170/14 – unveröffentlicht, OLG Hamm Beschluss vom 06.03.2014, III-1 RVs 10/14 – juris; BGH Beschluss vom 15.04.2014, 2 StR 626/13 – juris; Fischer, StPO, 66. Auflage, § 46 Rn 146, 149a).

Bei einer Verurteilung wegen eines Bagatelldelikts, wie etwa Leistungserschleichung, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Verhängung einer auch nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzzeitigen Freiheitsstrafe, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 47 StGB vorliegen. In der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung von Handlungs- und Erfolgsunwert kann nämlich ein Weniger an Erfolgsunwert (hier: geringe Schadenshöhe) durch ein Mehr an Handlungsunrecht (hier: vielfache, teils einschlägige Vorstrafen, der Angeklagte stand unter Bewährung) ausgeglichen werden. Beim Angeklagten handelt es sich um einen hartnäckigen Rechtsbrecher, der sich in der Vergangenheit weder durch Geldstrafen noch durch eine Vielzahl von Freiheitsstrafen, die zum Großteil auch vollzogen wurden, beeindrucken ließ. In derartigen Fällen ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.06.1994, 2 BvR 710/94 – juris).

Allerdings wird bei Bagatelldelikten die Dauer der Freiheitsstrafe dadurch begrenzt, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zur geringen Schadenshöhe stehen muss. Die verhängte Strafe darf sich daher weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320). Bei Leistungserschleichungen mit geringer Schadenshöhe ist auch bei hartnäckigen Wiederholungstätern, abhängig von den konkreten Strafzumessungsgründen, in der Regel die Verhängung der einmonatigen Mindeststrafe geeignet, gerechter Schuldausgleich zu sein. Die im vorliegenden Fall verhängten, darüber liegenden Einzelstrafen und die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe stellen im vorliegenden Fall aufgrund Fehlens besonderer Erschwernisgründe somit keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar.

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist die Rechtsfolge vom Senat herabzusetzen (§ 354 Abs. 1a Satz 2 StPO). Angesichts der vom Berufungsgericht angeführten Strafzumessungserwägungen ist aus dem Strafrahmen des § 265a Abs. 1 StGB auf Einzelstrafen von jeweils einem Monat und eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Monaten zu erkennen.
(…)“

Immer noch ganz schön heftig….

OWi I: Abstandsunterschreitung, oder: Vorsatz nicht schon bei Unterschreitung von 3/10 des halben Tachowertes

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Heute dann drei Owi-Entscheidungen, und zwar zum „materiellen Recht“.

Auf die erste Entscheidung, den BayObLG, Beschl. v. 02.08.2019 – 201 ObOWi 1338/19 – hatte ich gestern in Zusammenhang mit den Einsichtsentscheidungen schon hingewiesen. Hier kommt er heute noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des BayObLG zum Vorsatz bei der Absatzunterschreitung:

„b) Demgegenüber konnte auf die Sachrüge hin der Schuldspruch keinen Bestand haben, soweit das Amtsgericht von einer vorsätzlichen Tatbegehung ausgeht.

Nach den diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 9 km/h überschritt, innerhalb der gesamten Beobachtungsstrecke von ca. 300 m und nicht nur im Bereich der Messstrecke, einen zu geringen und sich augenscheinlich auch nicht verändernden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten. Das Amtsgericht hat ausgeschlossen, dass auf der ca. 300 m langen Beobachtungsstrecke ein Einscheren eines anderen Fahrzeugs oder ein Abbremsen des vor dem Betroffenen fahrenden Fahrzeugs stattfand, das den zu geringen Abstand im Messbereich verursacht haben könnte. Es ist weiter davon ausgegangen, dass es der Betroffene „offensichtlich eilig“ hatte und das vor ihm fahrende Fahrzeug überholen wollte. Zu seinen Gunsten hat es unterstellt, dass der Betroffene davon ausgegangen ist, dass das vorausfahrende Fahrzeug auf die mittlere Spur wechseln würde, wenn der gerade stattfindende Überholvorgang abgeschlossen sein würde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene „in Erwartung dieses Spurwechsels“ noch dichter auf, wobei der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug kurzfristig nur noch etwa 18 m betragen hatte (UA S. 7/8).

Diese Ausführungen tragen trotz des erkennbaren Bemühens um eine sorgfältige Beweiswürdigung die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht. Vorsätzliche Tatbegehung setzt voraus, dass der Betroffene die Unterschreitung des erforderlichen Abstandes erkennt und zumindest auch billigend in Kauf nimmt. Dieses voluntative Vorsatzelement wurde vorliegend nicht hinreichend begründet. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich nicht ausschließen, dass das zu nahe Auffahren auf einer momentanen (groben) Unaufmerksamkeit des Betroffenen beruhte. Soweit das Amtsgericht aus dem Umstand, dass der Betroffene hierbei auch noch die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt, es offensichtlich eilig hatte und nach dem Überholvorgang wieder auf die mittlere Spur einscheren wollte, einen anderen Schluss gezogen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Annahmen des Amtsgerichts zur Motivation des Abstandsverstoßes des Betroffenen und seinem weiteren Fahrverhalten bewegen sich nämlich letztlich im Bereich bloßer Vermutungen. Weder wird im Urteil eine entsprechende Einlassung des Betroffenen mitgeteilt, die einen solchen Schluss tragfähig begründen könnte, noch vermag sich ersichtlich das Amtsgericht insoweit auf die in Augenschein genommene Videoaufzeichnung zu stützen. Allein aus der Länge der Beobachtungsstrecke von 300 Metern, auf der sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen keine wesentliche Abstands- oder Geschwindigkeitsänderung zeigte, kann aber nicht auf ein vorsätzliches Verhalten geschlossen werden, da angesichts der hohen Geschwindigkeit diese Strecke binnen sehr kurzer Zeit durchfahren wird und eine momentane Unaufmerksamkeit nicht auszuschließen vermag. Die Ansicht des Amtsgerichts hat ohne das Hinzutreten sonstiger für eine billigende Inkaufnahme sprechender oder gegebenenfalls indiziell beweisrelevanter Umstände – wie etwa einem Drängeln durch Setzen des Blinkers und/oder Betätigung der Lichthupe – zur Konsequenz, dass letztlich in allen vergleichbaren Fällen stets Vorsatz anzunehmen wäre (OLG Bamberg DAR 2010, 708; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2017 – 3 Ss OWi 836/17 bei juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.07.2018 – 2 Ss OWi 819/18; BayObLG, Beschluss vom 15.04.2019 – 202 ObOWi 442/19).

Der Senat verkennt nicht, dass gerade bei Abstandsverstößen sonstige für eine billigende Inkaufnahme sprechende oder wenigstens in diese Richtung deutende indiziell beweisrelevante Umstände häufig nur schwer festzustellen sein werden. Von Tatvorsatz wird ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall erst ab einem Abstand von nur noch 2/10 des halben Tachowertes ausgegangen werden können. In solchen Fällen wird Fahrlässigkeit schon deshalb kaum noch lebensnah zu begründen sein, da eine derartige Fahrweise permanent die volle Aufmerksamkeit selbst eines erfahrenen Kraftfahrers erfordert und nur ausnahmsweise mit einer momentanen groben Unaufmerksamkeit erklärt werden kann (vgl. BayObLGSt 1991, 54, 55; BayObLG, Beschluss vom 15.04.2019 – 202 ObOWi 442/19; Burhoff/Gieg Handbuch für das straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 140 m.w.N.).“

(Akten)Einsicht I: Beiziehung von Messunterlagen, oder: Warum wundere ich mich über das BayObLG nicht?

Der Tag heute ist mal wieder drei Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren gewidmet. Alle Entscheidungen hängen schon etwas länger in meinem Blogordner. Ich bitte die „Einsender“ um Nachsicht.

Zunächst stelle ich den BayObLG, Beschl. v. 02.08.2019 – 201 ObOWi 1338/19 – vor. Ergangen ist er in einem Rechtbeschwerdeverfahren betreffend eine Abstandsunterschreitung.

Der Betroffene hatte mit seiner Rechtsbeschwerde u.a. auch die unterbliebene beiziehung verschiedener Messunterlagen beanstandet. Ohne Erfolg, das BayObLG bleibt auf der Linie, auf der sich früher auch das OLG Bambwerg bewegt hat:

„Soweit der Betroffene in diesem Zusammenhang die unterbliebene Beiziehung diverser Messunterlagen beanstandet, versagt die Verfahrensrüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung bzw. der Verletzung des allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren (st.Rspr.; rechtsgrundsätzlich neben OLG Bamberg DAR 2016, 337 zuletzt insbesondere OLG Bamberg NZV 2018, 425, jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Bamberg StraFo 2016, 461; DAR 2017, 715; NZV 2018, 80; ferner u.a. OLG Oldenburg ZfS 2017, 469 sowie Beschluss vom 23.07.2018 – 2 Ss [OWi] 197/18 bei juris; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 – 2 RBs 202/16 bei juris; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.11.2017 – Ss Rs 39/2017 sowie vom 25.10.2017 – Ss Rs 17/2017 beide bei juris und vom 15.11.2017 – 1 OWi 2 SsBs 52/17 [unveröffentlicht]; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2018, 156; OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.05.2018 – 4 Rb 16 Ss 380/18 sowie OLG Koblenz, Beschl. v. 17.07.2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18 bei juris; aus dem Schrifttum wie hier u.a. BeckOK/Hettenbach OWiG [20. Edit.-Stand: 01.10.2018] § 71 Rn. 79 a; Röß NZV 2018, 507 ff. und Hannich, in: FS für Thomas Fischer [2018], S. 655 ff., insbesondere S. 666 f., 670 f. m.w.N.). Vielmehr handelt es sich bei Anträgen auf Beiziehung entsprechender Unterlagen um Beweisermittlungsanträge, deren Ablehnung regelmäßig nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (vgl. § 244 Abs. 2 StPO bzw. § 77 Abs. 1 OWiG) gerügt werden kann. Der gegenteiligen, mit der st. Rspr. des BVerfG und des BGH in Begründung und Ergebnis nicht vereinbaren Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 = NZV 2018, 275) kann aus den bereits vom OLG Bamberg insbesondere in seiner Entscheidung vom 13.06.2018 (NZV 2018, 425) dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Hieran ist auch in Ansehung der im Schrifttum erhobenen Kritik (u.a. Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541 ff.; Wendt NZV 2018, 441 ff.; Leichthammer NJW 2018, 3760 ff. und Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016], OWiG-Bezüge zum Straßenverkehrsrecht, Rn. 152.2 [Aktualisierung vom 12.12.2018]) festzuhalten. Anlass zu einer Divergenzvorlage an den BGH besteht weiterhin nicht (vgl. hierzu OLG Bamberg NZV 2018, 80).“

Warum wundert mich das nicht?

Rechtsbeschwerde nach dem StVollzG, oder: Die Einlegung kann auch durch audiovisuelle Übertragung erfolgen

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Dehani bandara – Eigenes Werk

In der zweiten Entscheidung, dem BayObLG, Beschl. v. 06.08.2019 – 203 StObWs 892/19 – hat das BayObLG zur Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde (§ 116 StVollzG) Stellung genommen.

Die war zu Protokoll der Geschäftsstelle im Wege der audiovisuellen Übertragung eingelegt worden. Nachdem das BayObLG sich die Verfahrensweise vom AG Nördlingen hatte schildern lassen, hat es die Einlegung der Rechtsbeschwerde als formwirksam angesehen:

„Die Rechtsbeschwerde wurde wirksam zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Nördlingen eingelegt (§ 118 Abs. 3 StVollzG). Die Aufnahme der Rechtsbeschwerde durch die
Geschäftsstelle im Wege der audiovisuellen Übertragung der Erklärung des Gefangenen widerspricht nicht dieser Regelung. Im Übrigen wäre es nicht mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen, ohne dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zu geben, auf etwaige Bedenken des Senats zu reagieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.02.2016, 2 BvR 854/15, juris Rn. 3 m. w. N.; Beschl. v. 29.10.2015, 2 BvR 1493/11, juris Rn. 33 m. w. N.).

1. Das Formerfordernis des § 118 Abs. 3 StVollzG dient insbesondere dazu, die Effektivität des Rechtsschutzes für Gefangene zu sichern. Die Einschaltung entweder eines Rechtsanwalts oder – bei Einlegung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle – des Urkundsbeamten soll zugunsten des in der Regel rechtsunkundigen Beschwerdeführers dazu beitragen, dass sein Rechtsmittel nicht von vornherein an Formfehlern oder anderen Mängeln scheitert (Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, 15. Ed. 01.02.2019, StVollzG § 118 Rn. 4).

Die Einlegung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle im Wege der audiovisuellen Übertragung ist nicht explizit geregelt, dies steht ihrer Zulässigkeit indes nicht entgegen. Es ist vielmehr durch Auslegung des § 118 Abs. 3 StVollzG zu ermitteln, ob die mit dem Formerfordernis bezweckten Ziele auch mit einer Einlegung der Rechtsbeschwerde mittels gegenseitiger audiovisueller Übertragung erreicht werden (vgl. zu § 314 Abs. 1 StPO: BGH, Beschl. v. 26.03.1981, 1 StR 206/80, BGHSt 30, 64 ff).

Soweit der Gesetzgeber in verschiedenen Verfahrensordnungen den Einsatz von Videokonferenztechnik geregelt hat, erfolgte dies in der Regel vor dem Hintergrund des für die Verhandlung und Beweisaufnahme geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes.

Beispielhaft seien dazu folgende Regelungen genannt:
§ 185 Abs. 1a GVG zur Übertragung des Dolmetschers bei einer Verhandlung, Anhörung oder Vernehmung;
§ 128a Abs. 1, 2 ZPO zur Übertragung der mündlichen Verhandlung an einen anderen Ort, an dem sich die Parteien, ihre Bevollmächtigten, Zeugen oder Sachverständige aufhalten;
§ 58b StPO zur Übertragung der Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung;
§ 118a Abs. 2 StPO zur Übertragung der mündlichen Verhandlung bei Haftprüfungen;
§ 138d Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 247a Abs. 2 Satz 2 StPO zur Anhörung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer im Verfahren zur Ausschließung eines Verteidigers;
§ 163 Abs. 3 i.V.m. § 58b StPO zur Vernehmung eines Zeugen durch Beamte des Polizeidienstes;
§ 163a Abs. 1 i.V.m. § 58b StPO zur Vernehmung des Beschuldigten vor Abschluss der Ermittlungen;
§ 233 Abs. 2 Satz 3 StPO zum Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die an einen anderen Ort übertragen werden kann;
§ 247a StPO zur audiovisuellen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in der Hauptverhandlung;
§ 462 Abs. 2 Satz 2 StPO zur mündlichen Anhörung des Verurteilten vor Strafvollstreckungs- und anderen, genauer bezeichneten Entscheidungen.

Auch das StVollzG wurde durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25.04.2013 (BGBl 2013, 935) geändert. Die Einfügung des § 115 Abs. 1a StVollzG zur Anhörung des Gefangenen in Verfahren zur Entscheidung über Anträge auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG ist nach der Gesetzesbegründung nur eine Klarstellung (BT-Drs. 17/1224 S. 14).

All diese Regelungen betreffen Anhörungen oder Vernehmungen von am gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen, während die Einlegung eines Rechtsmittels durch eine einseitige Erklärung erfolgt. Das Gericht kann in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Strafgefangenen ermöglichen, die Einlegung der Rechtsbeschwerde unter Nutzung von qualitativ hochwertiger Videokonferenztechnik zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ohne dass es dazu einer gesetzlichen Regelung bedürfte. Denn Verfahrensrechte anderer Verfahrensbeteiligter sind insoweit nicht betroffen.

2. Die Einlegung der Rechtsbeschwerde im Wege der Videokonferenz entspricht dem Formerfordernis der Einlegung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle gemäß § 118 Abs. 3 StVollzG, wenn zwischen dem in einer Justizvollzugsanstalt befindlichen Gefangenen und dem sich an einem anderen Ort befindlichen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine gegenseitige audiovisuelle Übertragung besteht und die Erklärung des Gefangenen, Rechtsbeschwerde einlegen zu wollen, dabei abgegeben wird.

Mit dem Formerfordernis soll der Erschienene belehrt und beraten, seine Berechtigung und die Ernstlichkeit seines Willens geprüft, die Erklärung entgegengenommen und in die rechte Form gebracht und über die Verhandlung ein Protokoll geführt werden (BGH a.a.O.). Diese Aufgaben, Rechte und Pflichten sind dem Rechtspfleger als Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1.a) RPflG). Diese Ziele werden – anders als bei einer nur telefonischen Verbindung – auch bei einer gegenseitigen audiovisuellen Übertragung des Beschwerdeführers und des Urkundsbeamten erreicht.

a) Der Urkundsbeamte kann sich bei einer audiovisuellen Übertragung Gewissheit über die Identität des Erklärenden verschaffen. Dies ist erforderlich, weil das Protokoll als öffentliche Urkunde vollen Beweis dafür erbringt, dass eine bestimmte Erklärung von der im Protokoll
bezeichneten Person abgegeben wurde (§ 415 ZPO; BGH, Beschl. v. 26.03.1981, 1 StR 206/80).

Diese Anforderung steht vorliegend nicht im Vordergrund, da bei dem von der Anstalt zur audiovisuellen Erklärung der Rechtsbeschwerde nach § 118 Abs. 3 StVollzG Vorgeführten regelmäßig keine Zweifel an der Identität bestehen. Aus den Stellungnahmen der Anstalt und des Amtsgerichts Nördlingen ergibt sich, dass der betroffene Gefangene – wie bei einer persönlichen Protokollierung der Rechtsbeschwerde – in den Raum geführt wird, in dem sich die Videokonferenzanlage befindet, und der Vorführbeamte der Anstalt bestätigt, dass es sich um den bestellten Gefangenen handelt. Wie bei der persönlichen Protokollierung sieht der Urkundsbeamte den Erklärenden und kann bei Zweifeln über dessen Identität weitere Ermittlungen vornehmen.

b) Das mit dem Formerfordernis der Rechtsmitteleinlegung bezweckte Ziel, den Betroffenen vor übereiltem Einlegen von Rechtsmitteln abzuhalten, und einen Prüfstein für die Ernsthaftigkeit seines Anfechtungswillens darzustellen, wird auch bei der audiovisuellen Übertragung erreicht.
Die Vorbereitungen zur Vorführung des Gefangenen zur audiovisuellen Übertragung unterscheiden sich nicht von denen zur persönlichen Vorführung bei dem Urkundsbeamten. In beiden Fällen muss der Gefangene gegenüber Bediensteten der Anstalt seinen Wunsch nach Vorführung bei dem Urkundsbeamten äußern. In der Folge wird ihm ein meist einige Tage später liegender Termin genannt, an dem er dem Urkundsbeamten entweder unmittelbar oder zur audiovisuellen Übertragung vorgeführt wird. Eine spontane und unüberlegte Einlegung der Rechtsbeschwerde wird durch die audiovisuelle Übertragung nicht gefördert.

c) Sonstige Nachteile der audiovisuellen Übertragung im Vergleich zur persönlichen Aufnahme der Erklärung sind nicht ersichtlich. Der Urkundsbeamte kann bei der gegenseitigen audiovisuellen Übertragung wie bei einem persönlichen Gespräch Nachfragen stellen und das Anliegen und den Willen des Antragstellers ermitteln. Die aufgenommene Rechtsmittelerklärung wird dem Gefangenen nach Übermittlung an die Anstalt mit verschlüsselter E-Mail zur Durchsicht vorgelegt. Der Antragsteller kann Änderungen anbringen. Abschließend billigt der Antragsteller den aufgenommenen Antrag mit seiner Unterzeichnung in Anwesenheit des Vorführbeamten, der sodann an das Amtsgericht zurück gesandt wird.“

Müsste dann ggf. auch bei anderen Rechtsmittel gehen/erlaubt sein.

Fahrverbot III: Absehen vom Fahrverbot wegen drohendem Arbeitsplatzverlust, oder: Urteilsanforderungen

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Und – wie gesagt – auch die dritte Entscheidung des Tages kommt vom BayObLG. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 31.07.2019 – 202 ObOWi 1244/19.

Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Abstandsverstoßes verurteilt, Von der Verhängung des an sich verwirkten Härtefalls hat es abgesehen und das mit drohendem Arbeitsplatzverlust begründet. Das passt der Staatsanwaltschaft (natürlich) nicht. Sie legt Rechtsbeschwerde ein. Und das BayObLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen auf:

3. Indes halten die Erwägungen des Amtsgerichts zum Absehen von dem an sich verwirkten Fahrverbot einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Dass mit Blick auf die festgestellte Vorahndungslage allein die von ihm als glaubhaft angesehene Versicherung des Betroffenen, es habe bei ihm ein Umdenken stattgefunden, weshalb er seit der verfahrensgegenständlichen Tat straßenverkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten sei, nicht ansatzweise genügt, um ein Absehen vom Fahrverbot zu rechtfertigen, hat das Amtsgericht bereits selbst zutreffend erkannt. Soweit darüber hinaus das Amtsgericht das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Fahrverbotes mit der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes begründet hat, hält dies rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand.

a) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kann auch beim Vorliegen einer beharrlichen Pflichtverletzung außerhalb des gesetzlichen Regelfalles – wie im vorliegenden Fall – trotz der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer ein Absehen von einem an sich verwirkten Fahrverbot dann gerechtfertigt sein, wenn dieses über bloße Erschwernisse bei der Berufsausübung hinaus zu einer massiven Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen führt. Dabei müssen zum einen von dem Betroffenen in substantiierter Weise Tatsachen vorgetragen werden, welche die Annahme einer Existenzgefährdung greifbar erscheinen lassen (BVerfG NJW 1995, 1541). Zum anderen hat der Tatrichter im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeitsplatzes bzw. der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Betroffenen positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen. Da ein Betroffener die Anordnung eines Fahrverbotes in aller Regel als besonders belastend empfindet, wird er häufig ihn besonders treffende angebliche Härten geltend machen. Dies zwingt den Tatrichter, eine derartige Einlassung ausweislich seiner Urteilsgründe besonders kritisch zu prüfen und nicht ohne weiteres als glaubhaft und überzeugend zu übernehmen. Nur so kann das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles ausgeschlossen werden und wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung – wenn auch eingeschränkt – nachzuprüfen (vgl. nur OLG Bamberg, Beschl. v. 11.04.2006 – 3 Ss OWi 354/06 = ZfSch 2006, 533 = DAR 2006, 515 = VRS 111 [2006], 62w.N.).

b) Die bisher zum Absehen vom Fahrverbot getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts reichen für die Bejahung eines Härtefalls nicht aus. Die Annahme einer Existenzgefährdung des Betroffenen durch das Amtsgericht ist für das Rechtsbeschwerdegericht nicht hinreichend überprüfbar, die Begründung daher lückenhaft und nicht tragfähig. Das Amtsgericht stützt seine Entscheidung maßgeblich auf „das vom Betroffenen vorgelegte und in der Hauptverhandlung verlesene Schreiben seines Arbeitgebers, wonach dem Betroffenen für den Fall eines 1-monatigen Fahrverbotes gekündigt würde“. Es führt weiter aus, dass dies insofern nachvollziehbar sei, da es sich bei dem Arbeitgeber des Betroffenen um einen Kleinbetrieb handele, bei dem ein einmonatiger Ausfall eines Arbeitnehmers und Fahrers nicht durch organisatorische Maßnahmen aufgefangen werden könne. Auch würde der Betroffene von seinem Arbeitgeber keinen einmonatigen Urlaub erhalten.

aa) Für den Senat ist schon nicht erkennbar, ob das Amtsgericht nicht nur die Tatsache einer im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes drohenden Kündigung, sondern auch seine Erwägungen zur Betriebsgröße und zur Handhabung des Urlaubs in diesem Betrieb auf den Inhalt der Arbeitgeberbestätigung stützt, oder ob diese lediglich auf einer entsprechenden, nicht überprüften Einlassung des Betroffenen beruhen. Stützt sich der Tatrichter im Rahmen seiner Beweiswürdigung maßgeblich auf eine schriftliche Bestätigung, so muss er jedenfalls regelmäßig deren Inhalt in ihrem Wortlaut bzw. sinngemäß so wiedergeben, dass dem Senat, welcher bei der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge auf die Urteilsurkunde beschränkt ist, eine hinreichende Überprüfung möglich ist. Weil dies hier jedenfalls nicht zweifelsfrei geschehen ist, kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht insbesondere aufgrund der Arbeitsgeberbestätigung tatsächlich von einer Existenzgefährdung des Betroffenen in Folge drohenden Arbeitsplatzverlustes ausgehen durfte. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass die tatrichterlichen Erwägungen letztlich doch in wesentlichen Teilen auf den Angaben des Betroffenen beruhen, die das Amtsgericht nicht hinreichend kritisch hinterfragt hat.

bb) Darüber hinaus besteht in aller Regel Anlass, die Stichhaltigkeit entsprechender Angaben in Bezug auf einen drohenden Arbeitsplatzverlust – mögen sie auf einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen selbst beruhen oder sich aus einer schriftlichen Bestätigung seines Arbeitgebers ergeben – kritisch zu überprüfen. Der Tatrichter muss dabei – das lehrt die Erfahrung – in Rechnung stellen, dass in solchen Fällen entsprechende Bestätigungen seitens des Arbeitgebers nicht selten aus bloßer Gefälligkeit für den betroffenen Arbeitnehmer ausgestellt werden. Zur Überprüfung wird daher regelmäßig die zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers, seines Personalverantwortlichen oder des sonstigen Ausstellers der Bestätigung veranlasst sein (vgl. nur OLG Koblenz, Beschl. v. 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14 = Blutalkohol 51 [2014], 353; KG DAR 2016, 281; OLG Hamm BA 42, 157; KG VRS 127, 74; OLG Bamberg ZfS 2009, 648; OLG Bamberg, Beschl. v. 22.01.2009 – 2 Ss OWi 5/09 = NZV 2010, 46). Je allgemeiner und floskelhafter eine derartige Bestätigung in ihren Aussagen und Formulierungen gehalten ist, umso mehr muss sich dem Tatrichter ihre Überprüfung aufdrängen, um sich hinreichend vom sicheren Eintritt der nach aller Erfahrung kaum jemals wirklich auftretenden Konsequenz eines Arbeitsplatzverlustes infolge der Verhängung eines – wie hier nur einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenen – Fahrverbotes zu überzeugen und damit sicher auszuschließen, dass es sich um eine bloße Gefälligkeitserklärung des Arbeitgebers handelt. Kritisch begegnen muss der Tatrichter in diesem Zusammenhang aber auch Erklärungen des Betroffenen bzw. seines Arbeitgebers zur angeblich fehlenden Möglichkeit, das im Raum stehende Fahrverbot ganz oder in Teilen im Urlaub abzuleisten, zumal sich die Beteiligten regelmäßig mehrere Monate auf eine mögliche Ableistung des Fahrverbotes einstellen konnten. Schließlich wird der Tatrichter auch die Möglichkeiten innerbetrieblicher Überbrückungsmaßnahmen sowie einer Freistellung des Betroffenen kritisch hinterfragen müssen.“