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Haft I: Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft, oder: Vier Jahre U-Haft und Beschleunigungsgebot

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In die neue Woche starte ich dann mit zwei Haftentscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Köln, Beschl. v. 23.09.2025 – 2 Ws 489/24 -, der noch einmal zum Beschleunigungsgebot und zur Fortdauer der U-Haft Stelluneg nimmt.

Das AG hat gegen den verurteilten Angeklagten am 06.08.2020 einen Haftbefehl wegen Totschlags erlassen. Der Verurteilte hat sich aufgrund dieses Haftbefehls seitdem bis zum 20.12.2022 in Untersuchungshaft befunden.

Die Hauptverhandlung hat ab dem 03.03.2021 stattgefunden. Das Urteil vom 19.03.2021, durch das der Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist, hat der BGH auf die Revision des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 08.06.2022 insgesamt aufgehoben. Nach der Schlussverfügung des BGH vom 22.09.2022 ist das Verfahren am 10.11.2022 wieder beim LG eingegangen. Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 28.11.2022 hat das LG den Haftbefehl mit Beschluss vom 20.12.2022 außer Vollzug gesetzt.

Während der ab dem 26.09.2023 terminierten Hauptverhandlung ist der Angeklagte an dem Fortsetzungstermin am 05.12.2023 nicht erschienen. Aus diesem Grund hat die Kammer den Haftbefehl mit Beschluss vom selben Tag wieder in Vollzug gesetzt. Seit seiner Festnahme am 08.12.2023 befindet sich der Angeklagte erneut in Untersuchungshaft. In der Zwischenzeit hat das LG den Angeklagten mit Urteil vom 19.12.2023 erneut wegen u.a. versuchten Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Das LG hat den Haftbefehl vom 06.08.2020 aufrecht zu erhalten und in Vollzug zu belassen.

Nach dem Eingang der Revisionen beider Angeklagten und der Übersendung der Akten hat der Generalbundesanwalt am 26.06.2024 die Rücksendung der Akten nach deren Eingang am 21.06.2024 veranlasst, da auf einem Protokoll vom 12.12.2023 die Unterschrift des Protokollführers fehlte. Nach der Rücksendung der Akten hat das Verfahren dem Bundesgerichtshof im Dezember 2024 vorgelegen. Mit Beschluss vom 29.01.2025 hat der Bundesgerichtshof den Schuldspruch des Angeklagten dahingehend abgeändert, dass dieser wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist. Zudem ist mit der Entscheidung der Strafausspruch der beiden Angeklagten und die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB aufgehoben worden.

Hiernach sind die Akten am 30.06.2025 erneut beim LG eingegangen. In einem Haftprüfungstermin vom 30.07.2025 hat das LG den Haftbefehl aufrecht erhalten. Dagegen die Haftbeschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Das OLG hat seine Entscheidung umfassend begründet. Ob überzeugend, mag jeder für sich nach dem Selbststudium entscheiden. Das OLG sieht jedenfalls die Verhältnismäßigkeit nocht nicht verletzt. Wegen des Umfangs der Begründung stelle ich hier nur die Leitsätze ein, die wie folgt lauten:

1. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren, wie dem Revisionsverfahren, bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft zu beachten. Allerdings vergrößert sich mit der Verurteilung auch das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Angeklagten als erwiesen angesehen worden ist.

2 Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ist grundsätzlich auch bei einem außer Vollzug gesetzten Haftbefehl zu beachten, da der Angeklagte durch diesen aufgrund von ggf. der flankierenden Maßnahmen belastet ist. Es gilt jedoch aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte keinen Freiheitsentzug im engeren Sinne erleidet, sondern – mit den auflagebedingten Einschränkungen – seinen Alltag selbstbestimmt gestalten kann, nur in eingeschränktem Maße.

3. Zu zu berücksichtigenden Verfahrensverzögerungen im Revisionsverfahren.

4. Die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ergibt sich nur dann aus dem Umstand, dass der Angeklagte bereits 2/3 der maximal noch drohenden Freiheitsstrafe verbüßt hat, wenn die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung aus der Haft bereits sicher vorliegen würden.

5. Der Umstand, dass der Bundesgerichtshof ein Urteil des Tatgerichts einmal in Gänze und einmal in Bezug auf den Strafausspruch aufgehoben hat, begründet bei einer komplexen Beweislage keine Verfahrensverzögerung.

6. Ob eine partnerschaftliche Beziehung den Fluchtreiz erhöht oder eher eine regulierende Wirkung entfaltet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.