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Der unrichtige Rat des Rechtsanwalts; oder: Trau, schau wem

In der letzten Zeit sind wiederholt Entscheidungen veröffentlicht worden, die sich mit der Frage auseinander setzen, ob das Ausbleiben des Angeklagten/Betroffenen in der Berufungshauptverhandlung oder in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens entschuldigt ist, wenn der Angeklagte/Betroffene aufgrund eines unrichtigen Rates oder Hinweises seines Verteidigers ausbleibt.

Zusammenfassend wird man sagen können: Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht in diesen Fällen das Ausbleiben grds. als entschuldigt an, so lange der Angeklagte/Betroffene keinen Grund hatte dem Rat/Hinweis seines Verteidigers zu misstrauen. Das bestätigt jetzt noch mal der OLG Hamm, Beschl. v. 31.01.2013, III-1 RBs 178/12:

„Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Die Voraussetzung eines Ausbleibens „ohne genügende Entschuldigung“ lag im Hauptverhandlungstermin nicht vor. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist überwiegend anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein kann, wenn es auf einem (wenn auch unrichtigen) Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (OLG Hamm, Beschluss vom 06.03.2006, 4 Ss OWi 44/06; OLG Hamm, NZV 1999, 307; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rdnr. 32).
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Ein Fall, dass ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vom Verteidiger erteilten Auskunft bestanden hätten, die den Betroffenen zur Nachfrage bei Gericht veranlasst hätten (vgl. insoweit BayObLG, NZV 2003, 293 m.w.N.), lag hier nicht vor. Dies hätte man allenfalls annehmen können, wenn die Ladung zu dem neuen Hauptverhandlungstermin am 19.10.2012 dem Betroffenen deutlich nach dem entsprechenden Hinweis des Verteidigers zugegangen wäre, so dass er Zweifel hätte haben müssen, ob es noch bei der angedachten Verfahrensweise (Beschlussentscheidung) verblieb. Ein solcher Ablauf ist hier aber nicht ersichtlich.

 

Falsche Auskunft/falscher Rat des Verteidigers – i.d.R. ist das Ausbleiben dann entschuldigt

Es ist h.M., dass im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht. Das hat jetzt noch einmal das  LG Frankfurt (Oder) im  LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 23.10.2012 – 22 Qs 104/12 – bestätigt. Da hatte der Verteidiger den Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dem Betroffenen erklärt, er brauche zur Hauptverhandlung nicht zu kommen, die könne wegen des Ablehnungsgesuchs nicht stattfinden. Das AG hat dann in der Hauptverhandlung den Einspruch des Betroffenen verworfen (§§ 73, 74 OWiG).

Das LG hat Wiedereinsetzung gewährt und führt aus:

„Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist allgemein anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2003, 85; OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 245; KG Berlin, Beschluss vom 09.05.2012, 3 Ws (B) 260/12 = DAR 2012, 395; Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 44 StPO Rn. 22a). Rat und Mitteilung des Verteidigers, der Betroffene müsse nicht zu einem bestimmten Termin erscheinen, sind aber nicht unbeschränkt und in jedem Fall geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Ein Vertrauen auf einen entsprechenden Hinweis des Verteidigers ist dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist. Bestehen ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von der Verteidigung erteilten Auskunft oder Beratung, ist der Betroffene gehalten, Zweifel durch Nachfragen bei Gericht zu klären. Tut er dies nicht, gereicht ihm dies zum Verschulden (BayObLG a.a.O., S. 85, 86).

Vorliegend vermag die Kammer Umstände, aus denen sich für den Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft des Verteidigers, das Gericht müsse erst über das Ablehnungsgesuch befinden, vorher könne der Hauptverhandlungstermin nicht durchgeführt werden, deshalb müsse der Betroffene am 12.07.2012 nicht erscheinen, hätten ergeben können, nicht zu erkennen. Der Betroffene ist juristischer Laie; er verfügt nicht über detaillierte Kenntnisse des Straf- bzw. OWi-Verfahrensrechts. Er durfte auf die Information seines Verteidigers vertrauen, zumal in dem Wiedereinsetzungsgesuch glaubhaft gemacht worden ist, dass der Verteidiger die Nichtdurchführung des Termins als sichere Folge des Ablehnungsgesuchs geschildert und außerdem auch mitgeteilt habe, dass er den Betroffenen anrufen werde, falls sich etwas anderes ergeben sollte. Die Ausführungen des Verteidigers, dass zunächst über den Befangenheitsantrag befunden werden müsse, waren auch insofern richtig, als einem abgelehnten Richter bis zur Erledigung des Befangenheitsantrags alle nicht unaufschiebbaren Amtshandlungen untersagt sind (vgl. § 29 Abs. 1 StPO). Im Übrigen hatte der Verteidiger mit Stellung des Befangenheitsantrags darum ersucht, ihm vor einer Entscheidung die dienstliche Äußerung der Richterin zur etwaigen Erwiderung zu übermitteln, was nicht geschehen ist.“

Zeuge erscheint nicht – das kann teuer werden

In der Praxis ist es nicht selten, dass ein Zeuge dem Gericht mitteilt, er könne einen Termin, zu dem er geladen sei, aus beruflichen Gründen nicht wahrnehmen, Dann stellt sich immer die Frage, Termin aufheben und verlegen, oder was. Für den Zeugen im Hinblick auf seine Zeugenpflicht und die Folgen bei deren Verletzung von Bedeutung. Denn die Pflicht eines Zeugen, vor Gericht zu erscheinen, ist in den Verfahrensordnungen als eine allgemeine Staatsbürgerpflicht normiert. Sie gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Zeugenpflicht mit der Wahrnehmung beruflicher Pflichten kollidiert. Das Gericht ist deshalb auch nicht verpflichtet, Termine mit einem Zeugen, der auf eine berufliche Verhinderung hinweist, abzustimmen. Kommt der Zeuge nicht und ist sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt, so kann ein Ordnungsgeld verhängt werden. So musste es ein Zeuge im Rheinland bitter erfahren. Er kam nicht zum Termin. Ergebnis: Ordnungsgeld von 500 €. Dagegen dann die Beschwerde des Zeugen, über die der OLG Köln, Beschl. v. 22.12.2011 – 2 Ws 796/11 – entschieden hat. Rechtsmittel hat Erfolg nur wegen der Höhe des Ordnungsgeldes. Das wird auf 400 € reduziert.

„Das Fernbleiben des Zeugen war nicht genügend entschuldigt. Die Pflicht eines Zeugen, vor Gericht zu erscheinen, ist eine allgemeine Staatsbürgerpflicht. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Zeugenpflicht mit der Wahrnehmung beruflicher Pflichten kollidiert. Das Gericht ist deshalb auch nicht verpflichtet, Termine mit einem Zeugen, der auf eine berufliche Verhinderung hinweist, abzustimmen (BVerfG NJW 2002, 955). Dies gilt vorliegend umso mehr, als in keiner Weise nachvollziehbar ist, warum der Zeuge in L. kurzfristig für jemanden einspringen musste, anstatt den Termin, zu dem er bereits am 18.10.2011 geladen worden ist, wahrzunehmen. Zudem war der Zeitpunkt seiner Vernehmung bereits zuvor von 10.15 Uhr auf 15.30 Uhr verlegt worden, weil der Zeuge mitgeteilt hatte, am 10.11.2011 von 10 bis 12 Uhr in M. einen Vortrag zu halten. Dem Gericht wäre eine prozessökonomische Durchführung eines Strafverfahrens nicht möglich, wenn es auf jedwede Terminänderungen, die ein Zeuge in Kenntnis eines bereits abgesprochenen Gerichtstermins vornimmt, Rücksicht nehmen müsste.

Allerdings erscheint das Verschulden des Zeugen, der sich zuvor bereits zweimal Termine freigehalten hatte, zu denen er erschienen, aber nicht vernommen worden ist, nicht so groß, dass die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von 500 € erforderlich wäre. Dem Senat erscheint aufgrund der Gesamtumstände vielmehr ein Ordnungsgeld von 400 €, ersatzweise 4 Tage Ordnungshaft – wie von der Staatsanwaltschaft beantragt – als Ahndung ausreichend.“

Verstehen kann man die sicherlich bei Zeugen vorliegende Verärgerung: Zweimal erschienen, nicht vernommen. Dann dritter Termin, nicht erschienen und Ordnunsgeld…

 

Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung: Wann ist es entschuldigt?

Die Frage, wann das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung entschuldigt ist und das dem Erlass eines haftbefehls entgegensteht, spielt in der Praxis immer wieder eine Rolle. Mit der Problematik setzt sich jetzt auch der Beschluss des LG Aurich vom 11.01.2011 – 12 Qs 5/11 auseinander. Insofern eine interessante Entscheidung, weil sie den Stand der rechtsprechung zu der Porblwmatik schön zusammenfasst, und zwar:

1. Fiebrige Erkältung reicht grds. aus.

2. Auch, wenn der Angeklagte sich damit schon mal entschuldigt hat. Wennd as gericht ihm misstraut, muss es etwas unternehmen.

3. Auch, wenn die Entschuldigung erst spät kommt.

Verkehrsstau ist ausreichende Entschuldigung für Ausbleiben…

in der Hauptverhandlung, aber: Man muss eine genügende Zeitreserve einplanen, darf also nicht zu knapp abfahren. Dann reicht der Verkehrsstau als Entschuldigung wohl nicht aus. Das lässt sich dem Beschl. des OLG Nürnberg. v. 27.08.2010 – 2 St OLG Ss 91/10 entnehmen. Dort hießt es:

„Ein Stau kann grundsätzlich eine ausreichende Entschuldigung für ein Ausblei­ben im Termin darstellen. Der Angeklagten kann auch nicht zum Vorwurf ge­macht werden, dass sie evtl. zu spät von zu Hause zum Gericht losgefahren sei. Im Schreiben vom 02.02.2010 (BI. 164 d.A.) hat ihr Verteidiger vorgetragen, dass sie bereits um 8.00 Uhr zu Hause zu dem um 10.30 Uhr beim Landgericht Ans­bach beginnenden Berufungshauptverhandlungstermin abgefahren sei deshalb eine genügende Zeitreserve eingeplant gehabt habe.“