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Wie werden Messdaten in die HV eingeführt?, oder: Augenscheinseinnahme oder Urkundenverlesung

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In der Rechtsprechung der OLG ist seit einiger Zeit nicht mehr unstreitig, wie Messdaten und Messprotokolle in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Der Streit geht darum, ob das im Wege des Urkundsbeweises nach § 249 StPO zu erfolgen hat oder ob ggf. auch die Inaugenscheinnahme ausreicht. Dazu hat sich jetzt auch das OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.01.2017 – 2 Ss OWi 762/16 – geäußert.

Das OLG verweist darauf, dass durch die Inaugenscheinnahme einer Urkunde regelmäßig nur das Vorhandensein und die Beschaffenheit der Urkunde, nicht aber deren Inhalt belegt wird. Diese strenge Differenzierung findet nach Ansicht des OLG jedoch dann eine Grenze, wenn sich der gedankliche Inhalt der Urkunde im Rahmen der Inaugenscheinnahme bereits durch einen Blick miterfassen lässt, was für Messdaten auf einem Messfoto der Fall sein.

Das OLG Stuttgart schließt sich damit der Auffassung des KG im KG, Beschl. v. 12. 11. 2015 – 3 Ws (B) 515/15. Anderer Ansicht ist aber die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung der OLG (vgl. aus neuerer Zeit den im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.10.2014 – 2 Ss OWi 1139/14; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2016 – IV- 3 RBs 132/15 und dazu: Bezugnahme auf die Daten in einem Messfoto – Geht das?; OLG Schleswig, Beschl. v. 02.04.2014 – 1 Ws OWi 59/14 und dazu Qualifizierter Rotlichtverstoß – eine Urteils-Checkliste vom OLG).

Die Auswirkungen dieses Streits sind erheblich. Sie entscheiden über Wohl und Wehe des Urteils des Amtsrichters.

Klassischer Fehler XVIII: Hauptverhandlung ohne den Angeklagten

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Ich hatte ja schon einige Male Postings zu § 338 Nr. 5 StPO betreffend einen Teil der der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten. Meist stehen diese Fragen in Zusammenhang mit § 247 StPO. Im BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – 1 StR 212/14 – ist es dann mal nicht die Entfernung nach § 247 StPO, sondern eine nach § 231b StPO. Zum Ablauf und zur Begründung führt der BGH aus:

1. Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO (§ 231b Abs. 1 StPO) hat Erfolg, weil die Hauptverhandlung (hier Einnahme eines Augenscheins) in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt ist.
Durch Beschluss des Landgerichts wurde der Angeklagte gemäß § 177 GVG für die weitere Vernehmung der Zeugin B. am 15. November 2013 aus dem Sitzungszimmer entfernt, nachdem er zuvor mehreren sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden … nicht nachgekommen war …
Nach Entfernung des Angeklagten machte die Zeugin weitere Angaben. Im Protokoll heißt es sodann: „Die von der Polizei gefertigten Lichtbilder der Wohnung der Geschädigten B. wurden in Augenschein genommen.“
Die Zeugin machte sodann weitere Angaben zur Sache. Der Angeklagte wurde über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage B. informiert (§§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO).
Die Lichtbilder werden im Protokoll anschließend nicht mehr erwähnt.
…..

b) Die Rüge ist auch begründet.
Durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274 StPO), dass während der Vernehmung der Zeugin B., bei der der Angeklagte nach § 177 GVG ausgeschlossen war, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder durchgeführt wurde. Nach den Gesamtumständen ist hier davon auszugehen, dass es sich um einen förmlichen Augenschein gehandelt hat und die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf eingesetzt worden sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2002 – 5 StR 477/02).

Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlaufe einer Zeugenvernehmung hätte keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 4 StR 529/13 mwN).

Der Wortlaut des Protokolls ist eindeutig: Die Bilder wurden „in Augenschein genommen“. Auf die Einschätzung des Sitzungsstaatsanwalts in seiner Gegenerklärung, wo nach seiner Erinnerung die Lichtbilder „als Hilfe dienten, die Angaben des Zeugen B. betreffend ihrer Wohnverhältnisse nachvollziehen zu können“, kommt es danach nicht an.

Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass kein förmlicher Augenschein erfolgt ist. Denn dort heißt es: „Dieses Geschehen konnte B. anhand von in Augenschein genommenen Lichtbildern …“ (UA S. 20) und „beruhen u.a. … auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Wohnung von B.“ (UA S. 26). Umstände, die die Beweiskraft des Urteils in Zweifel ziehen könnten (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2002 – 1 StR 270/02), liegen danach nicht vor.

Eine gegebenenfalls zulässige Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.

Danach ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorgenommen und auch nicht in seiner Anwesenheit wieder-holt worden (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07). Dass der Angeklagte hier nicht nach § 247 StPO sondern nach § 177 GVG entfernt wurde, ist für die Beurteilung des Verstoßes ohne Bedeutung. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 4 StR 529/13), ohne dass dies durch den Entfernungsbeschluss gedeckt war; denn die Augenscheinnahme gehörte nicht zur Vernehmung (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt 57. Aufl. Rn. 7 und 20 ff. zu § 247 StPO). Es stand auch nicht zu befürchten (vgl. § 231b Abs. 1 StPO), dass der Angeklagte bei nachträglicher Inaugenscheinnahme der Lichtbilder (bei seiner Unterrichtung gemäß §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO) den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde.“

Klassischer Fehler: Warum merkt denn keiner, dass der Angeklagte nicht da ist?

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Ein „klassischen Fehler“ in Zusammenhang mit der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung hat zur Aufhebung des späteren landgerichtlichen Urteils durch den BGH, Beschl. v. 19.11.2013 – 2 StR 379/13 geführt. „Klassisch“? Ja, denn es wird häufig übersehen, dass während der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nur die Zeugenvernehmung in Abwesenheit des Angeklagten als Beweisaufnahme durchgeführt werden darf/kann. Alle anderen Teile der Beweisaufnahme müssen in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt bzw. später – wenn sie in seiner Abwesenheit durchgeführt worden sind – wiederholt werden. So z.B. eine Augenscheinseinahme während der Zeugenvernehmung. Das hatte die Strafkammer in Köln übersehen, die während der Abwesenheit des Angeklagten der vernommenen Zeugin eine Luftbildaufnahme von „Google Earth“ vorgelegt hatte, die den Platz zeigte, auf dem sich die Tat ereignet hatte. Die Aufnahme wurde mit der Zeugin erörtert, wobei sie Standorte von Personen und Fahrzeugen auf dem Bild markierte und kennzeichnete. Anschließend wurde – so das Protokoll  der Hauptverhandlung – die Skizze von allen Verfahrensbeteiligten in Augenschein genommen und Erklärungen seitens des Vorsitzenden abgegeben.

Gerügt worden ist mit der Verfahrensrüge ein Verstoß gegen §§ 338 Nr. 5, 230, 247 StPO. Und: Mit Recht, sagt der BGH, denn die „Augenscheinseinnahme“ war nicht nur ein Vernehmungsbehelf:

Aus dem Protokollvermerk ergibt sich, dass es sich bei der Betrachtung des Luftbilds um ein Beweiserhebung durch „Augenschein“ und nicht lediglich um einen Vernehmungsbehelf bei der Befragung der Zeugin gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Gegen-stand der Beweisaufnahme war nicht etwa nur die Erläuterung einer Skizze, welche die Zeugin zur Illustration ihrer Angaben während der Vernehmung an-gefertigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – 1 StR 391/03, NStZ-RR 2005, 260 f.). Vielmehr wurde eine außerhalb der Hauptverhandlung angefertigte und ausgedruckte Luftbildaufnahme in der Hauptverhandlung betrachtet und erörtert, was bereits für sich genommen – unabhängig von der Bewertung der Einzeichnungen durch die Zeugin – einen Fall des Augenscheinsbeweises darstellt.

Die Ausschließung des Angeklagten von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung rechtfertigte aber nur die Verhandlung in seiner Abwesenheit während der Zeugenvernehmung, nicht bei der Erhebung von Sachbeweisen (vgl. Senat, Urteil vom 7. April 2004 – 2 StR 436/03, StV 2005, 6 f.).

Der Augenscheinsbeweis war auch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, da die Luftbildaufnahme den Tatort betraf. Sie gab den Richtern und Verfahrensbeteiligten einen Eindruck von dessen Gestaltung zur Tatzeit und den dort herrschenden räumlichen Verhältnissen.
Gemäß § 338 Nr. 5 StPO ist davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 8. August 2007 – 2 StR 224/07, NStZ 2007, 717, 718), auch wenn die Urteilsgründe auf diesen Augenschein nicht ausdrücklich Bezug nehmen und die Aussage der Zeugin H. im Rahmen der Beweiswürdigung im Hinblick auf den Tatvorwurf als nicht aussagekräftig bezeichnet wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der visuell durch eine Luftbildaufnahme vom Tatort vermittelte Eindruck für die Entscheidungsfindung unausgesprochen von Bedeutung war.

Wie gesagt, ein klassischer Fehler. Man fragt sich, warum das bei der Strafkammer keiner merkt. Wenn man sich schon auf dünnen = gefährlichen Boden begibt, dann muss man aber auch die Fallstricke kennen. Und die sind bei § 247 StPO beträchtlich.

Augenscheinseinnahme geht nicht ohne der Angeklagten

In Zusammenhang mit der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach § 247 StPO werden in der Praxis häufig Fehler gemacht. Das merkt man deutlich daran, dass Aufhebungen von landgerichtlichen Entscheidungen durch den BGH häufig auf gerade diesen Fehlern beruhen. Ein Klassiker ist die Entfernung des Angeklagten und die dann in seiner Abwesenheit durchgeführte Vernehmung des Zeugen, bei dem diesen dann ein Lichtbild gezeigt wird, das in Augenschein genommen wird.

Zu der Problematik hat jetzt vor kurzem noch einmal der BGH in seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 1 StR 264/10 Stellung genommen. Danach gilt: Wird in einem Strafverfahren der Angeklagte vor Vernehmung eines Zeugen aus dem Sitzungszimmer entfernt und dann dem Zeugen ein Lichtbild zur Augenscheinseinnahme vorgelegt, zu dem dieser Aussagen macht, so ist dieses Lichtbild dem Angeklagten innerhalb der Verhandlung ebenfalls vorzulegen. Die Nichtvorlage des Lichtbildes begründet einen absoluten Revisionsgrund. Denn die Augenscheinseinnahme ist vom restriktiv auszulegenden Begriff der Vernehmung nicht umfasst, so dass bei Nichtvorlage des Bildes ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde.

Muss man als Verteidiger drauf achten und dann ggf. die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erheben.