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Durchsuchung I: Durchsuchung im „KiPO-Verfahren“, oder: Kein Anfangsverdacht, nicht verhältnismäßig

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Und dann auf in die neue Woche. Ich starte hier mit Entscheidungen zur Durchsuchung (§§ 102 ff.).

Zunächst stelle ich den LG Detmold, Beschl. v. 11.04.2022 – 23 Qs 27 / 22 – vor, den mir der Kollege Schulze aus Bielefeld geschickt hat. Es geht um die Frage der Rechtswidrigkeit in einem KiPo-Verfahren. Der Sachverhalt ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung. Also dann hier:

„Die Staatsanwaltschaft Detmold führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 3 StGB in der ab dem 13.03.2020 geltenden Fassung, § 184c Abs. 3 StGB in der ab dem 17.01.2015 geltenden Fassung).

Am 19. April 2021 teilte das National Center For Missing und Exploited Children (NCMEC) dem BKA mit, dass ein bislang unbekannter Nutzer des Internetdienstes „Dropbox“ unter Nutzung der E-Mailadresse pp. am 31. Oktober 2020 um 14:35 Uhr MEZ nach der Bewertung des NCMEC kinder- und jugendpornographische Inhalte ins Internet hochgeladen habe.

Eine Bestandsanfrage zu dieser E-Mailadresse ergab folgende Daten:
Name: pp. – Recovery E-Mail: pp. -Rufnummer: pp.

Eine Bestandsabfrage für die Rufnummer pp. wurde wie folgt beantwortet:
Vorname: pp. – Nachname: pp. – Geb-Datum: pp. – Straße/Nr.: pp. – PLZ/Ort: pp.

Nach Auskunft des LKA NRW aus polizeilichen Informationssystemen konnten die Angaben wie folgt bestätigt und ergänzt werden:
Vorname: pp. – Nachname: pp. – Geb-Datum: pp. – Geb-Ort: pp. – Straße/Nr,: pp. – PLZ/Ort: pp.

Nach weiteren Ermittlungen konnte festgestellt werden, dass unter der Wohnanschrift des Beschuldigten vier weitere Personen gemeldet sind.

Nach der Einschätzung des LKA NRW vom 11. November 2021 handelte es sich bei den in Rede stehenden Inhalten bei vier von fünf Dateien um Kinder- und Jugendpornographie gemäß §§ 184b, c StGB. Es bestehe nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Verdacht, dass der Beschuldigte am 31. Oktober 2020 um 14:35 Uhr (MEZ) Kinder- und Jugendpornographie besessen und verbreitet habe.

Am 08. Dezember 2021 ordnete das Amtsgericht Detmold auf Antrag der Staatsanwaltschaft Detmold gemäß §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung der Person des Beschuldigten, der Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen des Beschuldigten zur Auffindung von Beweismitteln an. Die Durchsuchung habe insbesondere den Zweck, für die Ermittlung erforderliche Beweismittel (Computer, Laptops, Mobiltelefone, Tablets und Speichermedien aller Art) aufzufinden. Zugleich wurde die Beschlagnahme der Beweismittel angeordnet. Zur Begründung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, dass der Beschuldigte einer Straftat nach § 184b Abs. 3 StGB, §§ 1, 105 JGG hinreichend tatverdächtig sei. Der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten ergebe sich aus den bisherigen polizeilichen Ermittlungen.

Die angeordnete Durchsuchung wurde am 27. Januar 2022 vollzogen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. Januar 2022 hat der Beschuldigte gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 08. Dezember 2021 Beschwerde eingelegt und beantragt, festzustellen, dass der angefochtene Beschluss unrechtmäßig ergangen ist und die Durchführung der Durchsuchung den Beschuldigten in seinen Rechten verletzt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass kein Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten vorgelegen habe. Die in den Berichten des BKA und des LKA für den Tatverdacht angeführten Tatsachen würden einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Das BKA unterhalte Verträge mit der NCMEC, nutze aktiv deren Datenbanken über eine Schnittstelle und betreibe somit ein aktives Outscourcing illegaler Ermittlungsmethoden zur Generierung eines Anfangsverdachtes.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 01. März 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Detmold zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß § 304 StPO grundsätzlich statthafte Beschwerde ist nach erfolgter Vollziehung der Durchsuchung mit dem Begehren, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung festzustellen, zulässig. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Denn die Durchsuchung war nach der zur Zeit der Anordnung gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig,

1. Gemäß § 102 StPO kann eine Durchsuchung bei dem einer Straftat Verdächtigen auf Antrag der Staatsanwaltschaft u.a. angeordnet werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird. Aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) sind daran jedoch strenge Maßstäbe geknüpft. Erforderlich ist der Anfangsverdacht einer bereits begangenen Straftat, d.h. zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verdächtige eine bestimmte Straftat begangen hat (Meyer-Goßner/Schmitt/ Köhler, StPO, 62. Auflage, § 102 Rn. 2 m.w.N.). Neben dem Tatverdacht erfordert der erhebliche Eingriff der Durchsuchung in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffen eine besondere Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2004 – 2 BvR 1873/04).

Die Maßnahme muss geeignet im Hinblick auf den verfolgten Zweck sein, sie muss erforderlich in dem Sinne sein, dass weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen, und schließlich muss sie in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – 2 BvR 389/13).

Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen nach Auffassung der Kammer bereits Bedenken, ob zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ein hinreichender Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten vorlag. Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen konnte lediglich festgestellt werden, dass die Dateien über die E-Mailadresse pp. hochgeladen wurden. Die zu dieser Adresse hinterlegte Rufnummer pp. wurde allerdings der Mutter des Beschuldigten zugeordnet. Hinzu kommt, dass unter der ermittelten Wohnanschrift neben dem Beschuldigten noch vier weitere Personen amtlich gemeldet sind, von denen zumindest zwei aufgrund ihres Geschlechts und Alters potentiell als Tatverdächtige in Betracht kommen.

Mit Rücksicht auf den damit nur geringen Tatverdacht ist die beantragte Durchsuchung nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall jedenfalls nicht mehr als verhältnismäßig anzusehen. Die Kammer geht zunächst davon aus, dass eine Durchsuchung nicht (mehr) zum Auffinden von Beweismitteln führen würde. Dafür spricht bereits der erhebliche Zeitablauf. Die maßgeblichen Videodateien wurden am 31. Oktober 2020 hochgeladen, mithin vor mehr als einem Jahr. Dafür, dass der Beschuldigte noch weiteres kinder- und/oder jugendpornographisches Material besessen hat, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dagegen spricht, dass nach dem 31. Oktober 2020 keine weiteren Auffälligkeiten des bislang auch nicht vorbestrafen Beschuldigten dokumentiert sind. Warum aus dem Umstand, dass ein Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten bestehe und aufgrund der in der ihm vorgeworfenen Tat zum Vorschein gekommenen Neigungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Beschuldigte noch über die inkriminierte Datei und auch über weiteres kinderpornographisches Material verfüge, erschließt sich der Kammer nicht. Bei einer Gesamtwürdigung erachtet die Kammer die Durchsuchungsanordnung daher trotz der Schwere der Straftat insbesondere mit Rücksicht auf den Zeitablauf als nicht mehr verhältnismäßig.“

StPO I: Anfangsverdacht für eine Durchsuchung, oder: Mitgliedschaft in Chats „Giiiirls“/”Teen Nudes“ reicht

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Heute dann der Start in das „normale“ Wochenprogramm, Corona am Montag ist immer „Vorprogramm“. Und ich beginne die Berichterstattung mit Entscheidungen zur StPO, und zwar aus dem Ermittlungsverfahren.

An der Spitze ein Beschluss betreffend die Anordnung einer Durchsuchung. Den LG Konstanz, Beschl. vom 14.12.2021 – 4 Qs 111/21 – haben mir die Rechtsanwälte Laudon/Schneider aus Hamburg geschickt, Verteidiger war der Kollege Eggers. In der Entscheidung geht es um die Frage des Anfangsverdachts in einer KiPo-Sache.

Das AG hatte die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten nach diversen digitalen Speichermedien pp. , sowie deren Beschlagnahme angeordnet. Der Tatvorwurf lautete auf Erwerb bzw. Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften/Inhalte. So soll der Beschuldigte in zwei WhatsApp-Chats („Giiiirls“ bzw. ”Teen Nudes“) am 15.09.2021 und am 11.08.2019 jeweils kinder- bzw. jugendpornographische Bild- und Videodateien in seinem Ac-count empfangen, wahrgenommen und möglicherweise auch – bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses – in Besitz genommen haben.

Dagegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten Durchsuchung beantragt. Begründung: Allein die Mitgliedschaft in den beiden Chats, deren Namensgebung nicht vermuten lasse, dass entsprechendes inkriminiertes Bild- und Videomaterial ausgetauscht werde, sei nicht strafbar. Mit solch einem Austausch müsse man auch nicht rechnen.Das LG hat die Beschwerde verworfen:

„Grundlage der Strafbarkeit sind vorliegend die §§ 184b Abs. 3 und 184c Abs. 3 StGB in der zwischen 01.07.2017 und 12.03.2020 gültigen Fassung, die mutmaßlichen Tatreiten sind der 15.07.2019 und der 11.08.2019. Demnach muss(te) der Täter es unternehmen, sich den Besitz an einer kinder- oder jugendpornographischer Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, verschaffen, oder eine solche Schrift besitzen. Fest stand nach Aktenlage bei Beschlusserlass, dass der Beschuldigte Mitglied der beiden o.g. WhatsApp-Chats war, in denen – zumindest auch – inkriminierte Schriften i.S. der §§ 184b und c StGB a.F. ein- und ausgingen. Zu den Schriften im vorgenannten Sinne gehörten gem. § 11 Abs. 3 StGB auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen, mithin auch die im angefochtenen Beschluss aufgezählten Dateien. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, mithin die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer den Straftatbestand der §§ 184b und c StGB a.F. verwirklicht haben könnte, lagen vorliegend vor (Anfangsverdacht). Beiden vorgenannten Tatbeständen handelt es sich um Unternehmensdelikte, so dass auch bereits Versuchshandlungen strafbar sind (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Die Mitgliedschaft in einem Chat wie den vorliegend zu beurteilenden ist bei der sich im Zeitpunkt der Beschlussfassung bietenden objektiven Sachlage gerade auch bei Zugrundelegung kriminalistischer Erfahrungen ein gewichtiger Hinweis darauf, dass sich die Chat-Mitglieder am Austausch der inkriminierten Dateien beteiligen, sei es durch aktives Einstellen entsprechender Dateien oder aber – wofür vorliegend jedenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand und besteht -durch den „Konsum“ in Form des An-schauens und auch Archivierens zumindest für eine bestimmte Dauer, was den Besitztatbestand verwirklichen würde. Ein entsprechender Vorsatz – jedenfalls in bedingter. Form – liegt bei solchen Sachverhalten ebenfalls nahe. Es geht im aktuellen Verfahrensstadium nicht um die Frage nach einer Verurteilungswahrscheinlichkeit im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts, sondern um einen einfachen Anfangsverdacht. Wie stets wird all dies im weiteren Verlauf der Ermittlungen noch näher abzuklären sein.

Die Anordnung der Durchsuchung zur Beschlagnahme der im angefochtenen Beschluss angeführten Beweismittel war zur Verifizierung oder Falsifizierung des Tatverdachtes auch erforderlich. Letztlich kann – je nach dem Ergebnis der Auswertung – die Durchsuchung ja auch zur Entkräftung des Tatvorwurfs beitragen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Die Anordnung stand auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verdachts und der Bedeutung der Sache und war insgesamt verhältnismäßig.“

Durchsuchung II: Hier bejahter Anfangsverdacht, oder: Unerlaubter Handel mit BtM/LSD

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Im zweiten Posting zur Durchsuchung dann hier der LG Köln, Beschl. v. 18.08.2021 – 108 Qs 9/21 und 108 Qs 13/21 – zum hinreichend konkreter Anfangsverdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jedenfalls bezogen auf LSD. Das LG hat die Durchsuchungsanordnung des AG bestätigt:

„Es lag weiterhin zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung ein hinreichend konkreter Anfangsverdacht für die der Beschuldigten vorgeworfene Tat vor. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung bestand ein konkreter Anfangsverdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jedenfalls bezogen auf LSD. Denn ausweislich des auf dem Mobiltelefon des gesondert verfolgten N. gesicherten Chat-Verlaufs hatte die Beschwerdeführerin dem gesondert verfolgten entsprechend dessen Bestellung 50 Blotter und 5 Micros zum Kauf angeboten, wobei der Chatverlauf auch nahelegt, dass diese tatsächlich übergeben wurden. Dass es sich bei der Gesprächspartnerin des N. um die Beschwerdeführerin handelte ergab sich im Sinne eines für die Anordnung der Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdachts daraus, dass diese die Anschlussinhaberin der Partnernummer war und die Gesprächspartnerin des N. sich entsprechend dem Vornamen der Beschwerdeführerin — als „N…“ bezeichnete. Weiterhin war im Sinne eines Anfangsverdachts davon auszugehen, dass es sich bei den „Blottern“ und „Micros“ um die dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Droge LSD handelte. Bei „Blottern“ und „Micros“ handelt es sich um an die unterschiedlichen Darreichungsformen angelehnte szenetypische Bezeichnungen für diese Droge und überdies hatte auch der gesondert verfolgte N. die Nutzerin der Rufnummer als diejenige Person bezeichnet, von welcher er das im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung aufgefundene „LSD“ bezogen habe. Dieser Anfangsverdacht wurde auch nicht dadurch entscheidend entkräftet, dass aufgrund dessen, dass in dem Chatverlauf auch von 2F-Ketamin die Rede war und das WhatsApp Profil der Beschuldigten Bezüge zu [Firma B.] und damit zu dem Online-Shop „…“ aufweist, deutliche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Beschwerdeführerin als Vertriebspartnerin für diesen Shop tätig war, der neben dem damals legalen 2F-Ketamin auch das damals ebenfalls legale 1 cP-LSD vertrieb. Zwar bestand danach die Möglichkeit, dass mit Blottem und Micros nicht das dem BtMG unterfallende LSD, sondern IcP-LSD gemeint war. Hierbei handelte es sich jedoch nur um eine Möglichkeit, die den Anfangsverdacht nicht ausschloss. Dieser bestand vielmehr angesichts der dokumentierten Äußerung des N. der gerade davon sprach, dass er von der Beschuldigten LSD bezogen habe und gerade nicht auf einen legalen Hintergrund hingewiesen hat, fort. Auch der in relativer Deutlichkeit geführte Chat-Verlauf sprach nicht gegen einen Anfangsverdacht. Entsprechendes ist der Kammer auch aus anderen Verfahren mit eindeutigem BtM-Bezug bekannt. Es bestand auch Grund zu der Annahme, dass bei der Beschuldigten weiterhin Betäubungsmittel aufgefunden werden konnten. Denn vor dem Hintergrund der zitierten Äußerung des N. bestand auch Grund zu der Annahme, dass die Beschuldigte weiterhin mit Betäubungsmitteln handelte und bei ihr entsprechende Betäubungsmittel und die weiteren in der Durchsuchungsanordnung genannten Beweismittel aufzufinden sein würden.“

Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten

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Bei mir haben sich einige Entscheidungen zum Ermittlungsverfahren angesammelt, die ich heute dann vorstellen möchte.

Ich beginne mit zwei Postings zu Entscheidungen zu Durchsuchungsfragen, und zwar hier zunächst Entscheidungen, in den die Anordnung der Durchsuchung abgelehnt bzw. nachträglich in der Beschwerdeinstanz die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt worden ist. Von den Beschwerdegerichten ist jeweils ein Anfangsverdacht verneint worden, und zwar einmal in einem der sog. KiPo-Fällen und einmal in einem BtM-Fall.

 

Es handelt sich um folgende Entscheidungen und Leitsätze:

Zum (verneinten) Anfangsverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung in den sog. KiPo-Fällen.

Das LG meint:

„Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen konnte lediglich festgestellt werden, dass die zwei gegenständlichen Bilddateien über den Intemetanschluss des Beschuldigten hochgeladen wurden. Unter dessen Wohnanschrift sind jedoch weitere sechs Personen amtlich gemeldet, die potentiell alle als Tatverdächtige in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass die Zugangsnummer der Tatzeit generierten IP-Adresse lautete. Das Kürzel pp. könnte jedoch auf den Nachname und damit auf eine mit diesem Nachnamen unter der Wohnanschrift des Beschuldigten gemeldete Person hindeuten. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschuldigte — immerhin bereits 75 Jahre alt und daher mit Hentai-Pornografie vermutlich eher weniger vertraut — bislang weder strafrechtlich noch kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist.“

Der für die Anordnungen einer Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht kann grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten. Ein solcher Umstand kann u.a.  einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist. Es ist nicht ausreichend, dass bei bestimmten Handlungen nach kriminalistischer Erfahrung lediglich die Möglichkeit besteht, dass das Verhalten des Beschuldigten einen strafbaren Hintergrund hat.

Das LG meint:

„Auch gemessen an diesen Grundsätzen begründet das Verhalten des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung keine zureichenden Anhaltspunkte, die eine Durchsuchung seiner Wohnräume rechtfertigen könnten. Auf der Online-Plattform „www…“, auf der die synthetischen Substanzen „1cP-LSD“ und „2F-Ketamin“ zum Verkauf angeboten werden und die Rufnummer des Beschuldigten unter der Rubrik „Barverkauf“ angegeben ist, wurden zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung ausschließlich zu diesem Zeitpunkt legale Substanzen angeboten. Dass die Internetseite unter der Domain „www…“ zu finden ist, begründet ebenso wenig wie das Veräußerungsgeschäft von „1cP-LSD“ – auch wenn „1P-LSD“ unter das Neue-Psychoaktive-Stoffe-Gesetz fällt und ein Handeltreiben nach § 4 NpSG unter Strafe gestellt ist – einen Anfangsverdacht, da auf der Online-Plattform bzw. Internetseite unter den gegenständlichen „1cP-LSD“ Blotter 100 µg in der Beschreibung der Substanz ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich der Domaininhaber darüber bewusst ist, dass ein Handeltreiben mit „1P-LSD“ nunmehr verboten ist und deshalb ausschließlich zu diesem Zeitpunkt legales „1cP-LSD“ zum Verkauf angeboten wird.“

Corona I: Befreiung von der Corona-Maskenpflicht?, oder: Attest ohne Diagnose reicht nicht für Verdacht

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In die 43. KW./2021 starte ich dann mal wieder mit zwei „Corona.-Entscheidungen“. Passt m.E. Denn die Pandemie haben wir noch lange nicht hinter uns. Und wenn man die Zahlen sieht ….. mir gefallen sie nicht.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.10.2021 – 12 Qs 69/21. Es geht in der Entscheidung um eine Durchsuchung bei einer Ärztin wegen des (Anfangs)Verdachts der Verwendung eines falschen Attests zur Befreiung von der Corona-Maskenpflicht.  Folgender Sachverhalt:

Am 27.10.2020 erschien der Beschuldigte bei der Polizeidienststelle in H., um eine Strafanzeige zu erstatten. Hierbei trug er keine Mund-Nasen-Bedeckung. Er legte aber ein Attest vor, datiert vom 04.09.2020, das augenscheinlich von der Fachärztin ausgestellt worden war. Dieses enthielt neben den Personalien des Beschuldigten, dem Arztstempel und einer Unterschrift folgenden Text „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Am 15.12.2020 verfügte die die Anzeige des Beschuldigten bearbeitende Staatsanwältin die Rückversendung der Akte an die Polizeiinspektion H. und bat um Ermittlungen und ggf. die Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB durch die Vorlage des Attestes bei der Polizeiinspektion. Nachdem die als Zeugin angeschriebene Ärztin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben zur Behandlung des Beschuldigten verweigert hatte, erließ der Ermittlungsrichter des AG Nürnberg am 22. 06.2021 einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume mit Nebenräumen der unverdächtigen Ärztin. Darin wurde dem Beschuldigten ein Verstoß gegen § 279 StGB zur Last gelegt. Gesucht werden sollte nach Patientenunterlagen und Patientenakte des Beschuldigten. Den Anfangsverdacht sah das Amtsgericht durch zwei Umstände begründet: Durch den Text des Attestes und durch die räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Beschuldigten und den Praxisräumen der Ärztin.

Die Durchsuchung wurde vollzogen. Danach legte die Rechtsanwältin der Ärztin gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Das LG hat die  Durchsuchung als rechtswidrig angesehen:

„Die Durchsuchung war rechtswidrig, weil ein Anfangsverdacht, der sie hätte rechtfertigen können, bei Beschlusserlass nicht vorlag. Ein Anfangsverdacht setzt voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99, juris Rn. 6). Daran fehlt es.

a) Ein Anfangsverdacht wird nicht dadurch begründet, dass das vorgelegte Attest ohne Angabe einer Diagnose lediglich den Satz enthält „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Weitergehende Informationen musste das Attest nicht enthalten. Denn nach dem zur Zeit der angabegemäßen Ausstellung des Attestes in Nordrhein-Westfalen geltenden § 2 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO i.d.F. vom 31. August 2020, der für die Beschwerdeführerin als in Nordrhein-Westfalen praktizierende Ärztin maßgeblich war, waren von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung Personen befreit, die aus medizinischen Gründen keine solche Bedeckung tragen können. Das stellt das Attest gerade fest. Anders als der zu diesem Zeitpunkt geltende § 1 Abs. 2 Nr. 2 6. BayIfSMV i.d.F. vom 19. Juni 2020 verlangte die nordrhein-westfälische Regelung keine Glaubhaftmachung der gesundheitlichen Gründe, die das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung unmöglich oder unzumutbar machen würden. Die Nichtangabe der nach bayerischer Rechtslage erforderlichen Diagnose (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 16. September 2020 – W 8 E 20.1301, juris 21), ist daher für das einem anderen landesrechtlichen Regime unterfallende Attest insofern ohne Belang, als daraus nicht gefolgert werden kann, das Gesundheitszeugnis sei unrichtig i.S.d. § 279 StGB.

b) Das weitere Argument, das Attest sei in einer vom Wohnort des Beschuldigten weit entfernten Stadt ausgestellt worden, trägt für sich genommen nicht. Zum angabegemäßen Ausstellungszeitpunkt am 4. September 2020 lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,8 pro 100.000 Einwohner. Es war nach der ersten und vor der zweiten Corona-Welle ein Sommer, in dem zahlreiche Reisen im Inland stattfanden. Dass sich vor diesem Hintergrund jemand weit entfernt von seinem Heimatort ein ärztliches Attest ausstellen lässt, begründet daher ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen Anfangsverdacht. Es erscheint in einer mobilen Gesellschaft vielmehr als nicht unüblich.

c) Weitergehende Verdachtsmomente lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung aber nicht vor. Insbesondere gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin als eine Ärztin aufgefallen wäre, die – wie aus anderen Fällen allgemein bekannt ist – aus Überzeugung oder Gewinnstreben Gefälligkeitsatteste dutzend- oder hundertfach unter Corona-Leugner oder Maskenverweigerer gebracht hätte.“