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Vergütung des Beistands in Abschiebehaftfällen, oder: Bezirksrevisor meint(e): „Es gibt nichts“

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Bisher lag keine Rechtsprechung dazu vor, wie die Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts in Abschiebehaftfällen honoriert wird. Jetzt hat sich als – soweit ersichtlich – erstes Gericht das AG Stuttgart im AG Stuttgart, Beschl. v. 10.07.2024 – 527 XIV 271/24 – dazu geäußert..

Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte als zuständige Ausländerbehörde mit Antrag vom 04.03.2024 die Anordnung von Sicherungshaft gem. §§ 62 Abs. 3, 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 417 FamFG gegen den Betroffenen zur Sicherung der beabsichtigten Abschiebung beantragt. Gemäß des mit Gesetz zur Verbesserung der Rückführung zum 27.02.2024 in Kraft getretenen § 62d AufenthG wurde dem Betroffenen mit Beschluss vom 04.03.2024 Rechtsanwalt S. als anwaltlicher Vertreter bestellt. Der Betroffene wurde am selben Tage in Anwesenheit des bevollmächtigten Rechtsanwalts persönlich angehört, ehe das AG mit Beschluss vom selben Tage antragsgemäß die Sicherungshaft gegen den Betroffenen anordnete. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bevollmächtigten wurde durch das LG Stuttgart zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 05.03.2024 beantragte der Bevollmächtigte die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 6300 VV RVG, einer Terminsgebühr nach Nr. 6301 VV RVG sowie der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG nebst Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von insgesamt 556,92 EUR.

Mit Beschluss vom 22.05.2024 setzte die Urkundsbeamtin die Vergütung antragsgemäß fest. Der Bezirksrevisor erhob hiergegen mit Schreiben vom selben Tag Erinnerung und führte zur Begründung aus, es bestünde mangels gesetzlicher Regelung kein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Eine Beiordnung nach § 62d AufenthG führe nicht zwangsläufig zu einem Vergütungsanspruch. Die bestehende Regelungslücke sei auch nicht planwidrig, nachdem der Rechtsausschuss des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom 02.02.2024 (BR-Drs. 21/1/24) auf diese hingewiesen habe. Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte diese mit Verfügung vom 22.05.2024 dem Gericht zur Entscheidung vor. Dort hatte sie keinen Erfolg:

„Die Erinnerung ist jedoch unbegründet. Dem anwaltlichen Vertreter steht ein Vergütungsanspruch nach § 45 Abs. 3 S. 1 RVG zu. Demnach erhält ein sonst gerichtlich bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt Vergütung aus der Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes den Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat. Dies ist vorliegend der Fall, da der bevollmächtigte Rechtsanwalt durch gerichtlichen Beschluss vom 04.03.2024 beigeordnet wurde.

Soweit der Erinnerungsführer auf die Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundesrates verweist, wonach es an einer gesetzlichen Vergütungsregelung fehle, ist dies im Ergebnis unzutreffend. Zwar fehlt es augenscheinlich an einer spezialgesetzlichen Regelung hinsichtlich der Vergütung von nach § 62d AufenthG bestellten Rechtsanwälten, jedoch bildet § 45 Abs. 3 RVG eine Auffangnorm bezüglich der Vergütung gerichtlich bestellter Rechtsanwälte. Demnach sowie auch im Hinblick auf die Vergütung der nach anderen Vorschriften gerichtlich bestellten Rechtsanwälte, die ebenfalls nach § 45 Abs. 3 RVG erfolgt (z.B. Beiordnungen nach § 78 FamFG, §§ 68b Abs. 2, 141, 364b Abs. 1, 397a, 408b StPO, §§ 40 Abs. 2, 53 Abs. 2 IRG), erscheint der deutschen Rechtsordnung eine gerichtliche Beiordnung eines Rechtsanwalts ohne entsprechenden Vergütungsanspruch grundsätzlich fremd.

Eine Beiordnung ohne Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse wird ausnahmsweise im Falle einer Beiordnung nach § 78b ZPO vertreten (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, RVG § 45 Rn. 136; a.A.: HK-RVG/Erik Kießling, 8. Aufl. 2021, RVG § 45 Rn. 45, 46). Diesbezüglich ist jedoch zu sehen, dass der Notanwalt nach § 78b ZPO sein Tätigwerden von der Zahlung eines Vorschusses abhängig machen kann (§ 78c Abs. 2 ZPO) und insofern ausreichend abgesichert ist. An einer entsprechenden Sicherung fehlt es bei der vorliegenden Beiordnung nach § 62d AufenthG hingegen.

Sämtlichen genannten Beiordnungvorschriften, die in der Folge einen Vergütungsanspruch nach § 45 Abs. 3 RVG begründen, ist überdies der Sinn und Zweck gemein, dem Betroffenen eine angemessene Wahrnehmung seiner Rechte zu ermöglichen. Selbige Erwägung lag gleichfalls der Einführung des § 62d AufenthG zu Grunde (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat des Bundestages vom 17.01.2024, BT-Drs. 20/10090). Gründe, die dafür sprächen, die Vergütung eines nach § 62d AufenthG beigeordneten Rechtsanwalts anders handzuhaben, sind indes nicht ersichtlich.

Soweit der Rechtsausschuss des Bundesrates in der genannten Stellungnahme ausführt, weder in den §§ 39, 41 RVG noch in § 45 RVG werde ausdrücklich auf § 62d AufenthG Bezug genommen, verkennt er, dass § 45 Abs. 3 RVG in seiner Funktion als Auffangnorm gerade keine ausdrücklichen Verweise enthält. Ferner ist auch anderen gesetzlichen Regelungen zur verpflichtenden Bestellung von Bevollmächtigten regelmäßig keine spezielle Vergütungsregelung zu entnehmen (vgl. erneut § 78 FamFG, §§ 68b Abs. 2, 141, 364b Abs. 1, 397a, 408b StPO, §§ 40 Abs. 2, 53 Abs. 2 IRG), sodass aus deren Fehlen zu schließen wäre, es bestünde zwangsläufig kein Vergütungsanspruch.

Darüber hinaus erscheint dem Gericht die Annahme, ein gerichtlich verpflichtend beizuordnender Rechtsanwalt würde das Mandat ohne gesetzlichen Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse übernehmen, lebensfremd. Ohne korrespondierenden Vergütungsanspruch dürfte es in der praktischen Umsetzung wohl kaum möglich sein, – insbesondere in der in Abschiebesachen aufgrund erfolgter Festnahme erforderlichen Kurzfristigkeit – übernahmebereite Rechtsanwälte ausfindig zu machen, um die persönliche Anhörung des Betroffenen durchführen zu können. Dies widerspräche letztlich auch der vom Gesetzgeber mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz verfolgten Intention, Rückführungsmaßnahmen effektiver zu gestalten. Insoweit liegt die Vermutung nahe, dass dies auch dem Gesetzgeber bewusst gewesen sein muss und dieser vielmehr davon ausging, es bedürfe in Anbetracht der Anwendbarkeit der Auffangnorm des § 45 Abs. 3 RVG keiner spezialgesetzlichen Regelung. Hierfür spricht auch der Beschluss des Bundesrates vom 02.02.2024 (BR-Drs. 21/24). Obgleich der Bundesrat sich darin nicht mehr ausdrücklich mit der Frage der Vergütung eines nach § 62d AufenthG zu bestellenden Rechtsanwalts befasste, entschied er letztendlich, von der Anrufung eines Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG abzusehen und schloss sich insoweit den Bedenken seines Rechtsausschusses offenbar nicht an.

Der Anspruch auf Erstattung der Auslagen folgt aus § 46 Abs. 1 RVG.

IV.

Die festgesetzte Vergütung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Vergütung des Rechtsanwalts für die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach den in Teil 6 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG enthaltenen Sonderregelungen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.03.2023 – XIII ZB 76/20).

Bei der vorliegenden Anordnung von Sicherungshaft handelt es sich um eine aufgrund von Bundesrecht nach §§ 62 Abs. 3, 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG angeordnete Freiheitsentziehung im Sinne von § 415 FamFG. Insofern kann der beigeordnete Rechtsanwalt eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6300 VV RVG verlangen. Die Teilnahme an der persönlichen Anhörung löst eine Terminsgebühr nach Nr. 6301 VV RVG aus. Im Übrigen sind Nrn. 7002 und 7008 VV RVG hinsichtlich Auslagen und Umsatzsteuer einschlägig.“

Die Entscheidung ist richtig. Ich verweise dazu auf meinen Beitrag Abrechnung der Beiordnung in sog. Abschiebehaftfällen aus AGS 2024, 389.

StPO II: Dreimal etwas zum Pflichtverteidiger, oder: Steuerstrafverfahren, Vollstreckung, Rückwirkung

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Im zweiten Posting des Tages dann etwas zur Pflichtverteidigung. Ja, kein „Pflichti-Tag“, dafür reichen die drei Entscheidungen nicht. Von den drei Beschlüssen betreffen zwei die Beiordnungsgründe und einer – natürlich 🙂 – zur rückwirkenden Bestellung.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Absatz 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der Verurteilte aufgrund seiner medikamentösen Einstellung, seine Rechte nicht vollumfänglich eigenverantwortlich wahrnehmen kann.

Kommt es im Verfahren zur Beantwortung der Frage, ob sich gegen die Beschuldigte ein Verdacht wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO erhärten lässt und ob ggf. im weiteren Verfahren eine entsprechende Schuld der Beschuldigten festgestellt werden kann, neben den §§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 68 EStG auch auf die Verordnung (EG) 883/2004 an, ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO.

Unter besonderen Umständen ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers zulässig. Dies kann der Fall sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Corona III: Das „Anbieten einer sexuellen Dienstleistung“ ist nicht „Betreiben eines Prostitutionsgewerbes

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In der dritten und letzten Entscheidung, dem AG Stuttgart, Beschl. v.  08.09.2020 – 5 OWi 170 Js 73249/20 -geht es noch einmal um einen Verstoß gegen die Corona-Verordnung. Die Stadt Stuttgart hatte der Betroffenen zur Last gelegt, am 19.04.2020 trotz eines bestehenden Betriebsverbots nach der Corona-Verordnung eine Einrichtung (Prostitutionsbetrieb) betrieben zu haben. Gegen die Betroffene wurde ein Bußgeld in Höhe von 5.000 EUR verhängt. Dagegen der Einspruch der Betroffenen. Das AG hat dann im Beschlussweg frei gesprochen:

„§ 4 Abs. 1 Nr. 9 der zum Vorfallszeitpunkt geltenden Corona-Verordnung untersagte den Betrieb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen bis zum 3. Mai 2020 für den Publikumsverkehr. Untersagt war auch jede sonstige Ausübung des Prostitutionsgewerbes im Sinne von § 2 Abs. 3 des Prostitutionsschutzgesetzes. Dort heißt es: „Ein Prostitutionsgewerbe betreibt, wer gewerbsmäßig Leistungen im Zusammenhang mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen durch mindestens eine andere Person anbietet oder Räumlichkeiten hierfür bereitstellt, indem er eine Prostitutionsstätte betreibt, ein Prostitutionsfahrzeug bereitstellt, eine Prostitutionsveranstaltung organisiert oder durchführt oder eine Prostitutionsvermittlung betreibt.“

Die Betroffene hat nach Aktenlage jedoch nur eine sexuelle Dienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 des Prostitutionsschutzgesetzes angeboten und keine der genannten Einrichtungen betrieben, weshalb der Tatbestand des § 9 Nr. 6 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 9 CoronaVO nicht erfüllt ist.“

Fazit an diesem Tag bzw. was zeigen die drei vorgestellten Entscheidungen? Der Rechtsstaat funktioniert. Finde ich jedenfalls.

Corona I: Fünf Personen im Privat-Pkw, oder: Kein Verstoß gegen Corona-VO

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Nachdem zu Anfang der Corona-Pandemie bei den gerichtlichen Entscheidungen, die sich mit Corona befasst haben. Entscheidungen betreffend Haftfragen und Fragen der Unterbrechung/Fortsetzung der Hauptverhandlung im Vordergrund gestanden haben, nehmen nun Entscheidungen zu, bei den es um Verstöße gegen Corona-Verordnungen geht. Davon stelle ich heute zwei vor, eine weitere Entscheidung betrifft eine Verfahrensfrage. Alle drei Entscheidungen stammen aus Baden-Württemberg.

Ich beginne mit dem AG Stuttgart,  Beschl. v. 08.09.2020 – 4 OWi 177 Js 68534/20. Der Betroffenen war vorgeworfen worden, sie habe gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) verstoßen, indem sie sich am 24.04.2020 um 8:30 in Stuttgart im Heslacher Tunnel in Fahrtrichtung stadteinwärts mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen ihres eigenen Hausstandes gehörte, im öffentlichen Raum aufgehalten habe. Ausweislich der Snzeige befand sich die Betroffene mit vier anderen Personen, die alle einen unterschiedlichen Wohnsitz hatten, in einem Privat-PKW. Das AG hat von diesem Vorwurf frei gesprochen:

„2. Von diesem Vorwurf war die Betroffene aus rechtlichen Gründen frei zu sprechen, denn der vorgeworfene Sachverhalt stellt keinen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Corona-VO dar.

a) Die Verteidigerin hat sich für die Betroffene dahin eingelassen, sie sei mit ihren Angehörigen zu einem Gerichtstermin ihres Ehemannes auf dem Weg gewesen, den alle Fahrzeuginsassen gemeinsam im Zuschauerraum verfolgt hätten, weshalb die angesetzte Geldbuße jedenfalls zu hoch sei.

b) Die Einlassung der Betroffenen gebietet zwar weder eine Aufhebung des Bußgeldbescheids noch eine Reduzierung der Geldbuße, weil ein späteres rechtmäßiges Zusammenkommen weder die Rechtswidrigkeit eines aktuellen Zusammenkommens ausschließt noch dessen Vorwerfbarkeit reduziert. Im Übrigen gilt für Zuschauer von Gerichtsverhandlungen in Stuttgart jedenfalls seit 20.04.2020 ein regelmäßig sitzungspolizeilich angeordnetes und durchgesetztes Abstandsgebot auch bei Aufenthalt im Gerichtssaal.

c) Der gemeinsame Aufenthalt von fünf Personen in einem Privat-Pkw stellt aber keinen Aufenthalt im öffentlichen Raum dar.

aa) Öffentlicher Raum im Sinne der Corona-VO sind der öffentliche Verkehrsraum i.S.v. § 2 LBO, öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Taxi) oder öffentliche Gebäude soweit sie öffentlich zugänglich sind, nicht aber private Wohnräume oder andere vom öffentlichen Raum klar abgegrenzte Bereiche (privater Garten, Terrasse o.a.).

bb) Ein Privatfahrzeug wie der in diesem Fall genutzte Pkw ist nicht dem öffentlichen Raum zuzuordnen, denn es ist im Gegensatz zu einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht öffentlich zugänglich. Über den Zugang zu einem Privat-Pkw bestimmen nach dessen Nutzungszweck wie auch nach der Verkehrsanschauung ausschließlich der Pkw-Halter und / oder der Pkw-Führer.
d) Außerhalb des öffentlichen Raumes war am 24.04.2020 indes ein Zusammenkommen von bis zu fünf Personen unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen oder einer häuslichen Gemeinschaft nach § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 CoronaVO BW in der vom 20.04.2020 bis 26.04.2020 geltenden Fassung erlaubt.

Unfallflucht: (Regel)Entziehung der Fahrerlaubnis erst ab 1.600 EUR

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Auf das AG Stuttgart, Urt. v. 08.08.2017 – 203 Cs 66 Js 36037/17 jug – bin ich durch die Berichterstattung des Kollegen Gratz im VerkehrsrechtsBlog aufmerksam geworden. Das AG nimmt zu der Frage Stellung: Ab wann ist eigentlich von einem „bedeutenden Schaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auszugehen? Die Grenze liegt derzeit in der Rechtsprechung sicher bei 1.300 €, wird aber auch schon höher angenommen – bei 1.400 € oder 1.500 € oder sogar schon bei 2.500 €. Ich habe über einige der Entscheidungen in der Vergangenheit ja berichtet.

Das AG zieht die Grenze nun bei 1.600 € und begründet das mit dem Ansteigen des Verbraucherpreisindex:

„Eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit Verhängung einer Sperrfrist gem. § 69 f. StGB war indes vorliegend nicht angezeigt.

Das Gericht sieht bereits die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht für gegeben an, da die seit dem Jahre 2002 in ständiger Rechtsprechung angewandte Wertgrenze von 1.300 Euro für die Annahme eines „bedeutenden Schadens“ nach nunmehr 15 Jahren und bekanntermaßen erfolgten Preisentwicklung dringend angepasst werden muss (vgl. u.a. Beschluss des LG Braunschweig vom 03.06.2016 – 8 Qs 113/16).

Als Vergleichsmaßstab bietet sich der jährlich vom Statistischen Bundesamt berechnete und veröffentlichte Verbraucherpreisindex an. Der aktuell geltende Verbraucherpreisindex in Deutschland hat das Jahr 2010 als Basisjahr (2010 = 100). Im Jahr 2002 erreichte der Verbraucherpreisindex einen Jahresdurchschnittswert von 88,6 und zum Stichtag Mai 2017 einen Wert von 108,8. Die Veränderungsrate beträgt somit 22,80 % (108,8 / 88,6 x 100 – 100). Der Wert von 1.300 Euro aus dem Jahr 2002 stieg somit unter Berücksichtigung dieser Preissteigerungsrate von 22,80 % im relevanten Vergleichszeitraum auf 1.596 Euro. Leicht gerundet erscheint es daher sachgerecht und die allgemeine Preisentwicklung angemessen berücksichtigend, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nunmehr auf 1.600 Euro festzusetzen.

Nachdem keine Erkenntnisse über eine tatsächlich durchgeführte Reparatur vorliegen, war vom Kostenvoranschlag in Höhe von 1.469,04 Euro netto auszugehen. Mithin lag nach Auffassung des Gerichts bereits keine Indiztat gem. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, sodass Erwägungen zu einer möglichen Ausnahme von der Regelvermutung im konkret vorliegenden Fall entbehrlich waren.“

Aber: Es wird nach § 44 StGB ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Achtung: Entscheidung ist wohl nicht rechtskräftig. Wir werden dazu dann im Zweifel etwas vom OLG Stuttgart hören.