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Selbstvertretung des Rechtsanwalts nach Unfall, oder: Eigene Kosten des geschädigten Rechtsanwalts

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Und dann noch einmal etwas zur Selbstvertretung des Rechtsanwalts bei Abwicklung eines Verkehrsunfalls. Dazu hat das AG Bamberg im AG Bamberg, Urt. v. 10.08.2023 – 101 C 267/23hat noch einmal Stellung genommen. Folgender Sachverhalt:

Am 23.12.2023 wurde der Pkw des Klägers, der von Beruf Rechtsanwalt ist, auf dem Parkplatz einer Gastwirtschaft beschädigt. Der Unfallhergang und die Haftungsquote der beklagten Versicherung von 100 % sind zwischen den Parteien unstreitig.

Mit Schreiben vom 07.01.2023 verlangte der Kläger auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens Schadensersatz in Höhe von insgesamt rund 6.000 EUR. Zudem verlangte er die Erstattung (seiner) außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt rund 600 EUR. Die beklagte Versicherung zahlte u.a. die Rechtsanwaltskosten nicht. Diese sind, nachdem die Beklagte den restlichen Schadensersatz gezahlt und der Rechtsstreit insoweit vom Kläger für erledigt erklärt worden ist, noch im Streit. Die Klage hatte Erfolg:

„Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 507,00 € zzgl. einer Unkostenpauschale in Höhe von 20,00 € aus §§ 7, 17, 18 StVG, § 115 WG und 823 Abs. 1, 249 BGB.

Die außergerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war vorliegend nach der Überzeugung des Gerichts aus Sicht des Geschädigten bei Beauftragung/erstmaligem Tätigwerden zunächst erforderlich und zweckmäßig. Bei Verkehrsunfällen mit zwei beteiligten Fahrzeugen liegt in der Regel kein derart einfach gelagerter Sachverhalt vor, dass dem Geschädigten zugemutet werden kann, die Schadensregulierung ohne anwaltliche Hilfe durchzuführen, da diese regelmäßig bezüglich der Haftung der Höhe nach besondere Schwierigkeiten birgt (Grüneberg in Grüneberg, BGB, 82. Auflage 2023, § 249 Rn. 57). Lediglich dann, wenn ein Schadensfall vorliegt, der hinsichtlich der Haftung dem Grunde und der Höhe nach derart klar ist, dass kein Anlass zum Zweifel an der Erstattungspflicht des Schädigers besteht, wäre eine Ersatzfähigkeit der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zu verneinen (BGH, Urteil vom 08,11.1994, Az. VI ZR 3/94). Ein derartiger Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben. Die nach diesen Grundsätzen bestehende Ersatzpflicht entfällt auch nicht, weil der Kläger selbst als Rechtsanwalt tätig wurde (Grüne-berg in Grüneberg, BGB, 82, Auflage 2023, § 249 Rn. 57), soweit ein rechtsunkundiger Geschädigter die Einschaltung eines Anwalts als erforderlich ansehen durfte. Dem Kläger war es insbesondere auch nicht zuzumuten seine besonderen beruflichen Fähigkeiten in den Dienst des Schädigers zu stellen.“

„Vertraue nie deinem Verteidiger“, oder: Eigenes Verschulden

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Als zweite Entscheidung mit einer Rechtsmittelthematik weise ich auf den AG Bamberg, Beschl. v. 07.09.2017 – 23 OWi 2311 Js 9332/17 – hin, auf den ich bei Beck-online aufmerksam geworden bin. Es geht um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins im Bußgeldverfahren. Also eine Thematik aus § 74 OWiG. Der nicht von seiner Anwesenheitspflicht entbundene Betroffene war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Er hat auf die Auskunft seines Verteidigers, der Terminsverlegung beantragt hatt, vertraut. Der hatte dem Betroffenen gesagt, dass er nicht kommen müsse, der Termin werde wohl umgelegt.

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls als unbegründet zu verwerfen, da die Abwesenheit des Betroffenen an der am 23.08.2017 durchgeführten Hauptverhandlung in keinem Fall als unverschuldet i.S.d. §§ 44 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG anzusehen ist, selbst wenn das Vorbringen des Verteidigers als wahr unterstellt wird, dass er dem Betroffenen mit Blick auf den Terminabsetzungsantrag vom 17.08.2017 mitgeteilt habe, dass die Hauptverhandlung nicht stattfinden werde und er daher nicht zum Termin kommen brauche. Diese Einlassung zugrunde gelegt war der Betroffene nicht ohne Verschulden an der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 23.08.2017 gehindert (vgl. zum Erfordernis der unverschuldeten Verhinderung des Betroffenen an der Terminteilnahme Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 74 Rn. 43 und 45 unter Hinweis auf die Gesetzesgründung, wonach § 74 Abs. 4 OWiG den Betroffenen in Fällen schützen soll, in denen er – obwohl von der Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG entbunden – „zur Hauptverhandlung kommen will, aber durch von ihm nicht zu vertretende Umstände daran gehindert wird, ohne dass er das Gericht rechtzeitig verständigen kann, etwa wenn er in einem Verkehrsstau auf der Autobahn steckenbleibt“ (BTDrucks. 13/8655 S. 13)).

Aufgrund der dem Betroffenen am 12.08.2017 zugestellten Ladung samt Belehrung über die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung war der Beschwerdeführer ordnungsgemäß vom Termin vom 23.08.2017 in Kenntnis gesetzt und zunächst verpflichtet, zum Termin zu erscheinen. Die Bestimmung eines Hauptverhandlungstermins ebenso wie die Entscheidung über die Verlegung und Absetzung eines Termins obliegt allein dem Gericht (vgl. nur § 213 StPO). Ein anberaumter Termin kann nicht vom Verteidiger aufgehoben werden. Dies liegt auch für einen juristischen Laien auf der Hand, zumal, wenn dieser bereits eine Terminladung vom Gericht erhalten hat. Die Entscheidung über Anberaumung, Verlegung oder Durchführung eines Hauptverhandlungstermins liegt vielmehr unabhängig von etwaigen Ratschlägen oder Ansichten des Verteidigers allein in der Verantwortlichkeit des Gerichts. Solange ein Betroffener nicht positiv weiß, ob dem Verlegungsantrag seines Verteidigers entsprochen und ein anberaumter Termin aufgehoben wird, er aber gleichwohl nicht zum Termin erscheint, trifft ihn ein Mitverschulden an der Versäumnis der Hauptverhandlung. Dies schließt eine Wiedereinsetzung aus (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07. März 1978 – 2 Ws 28/78, Rn. 10 ff., juris; LG Köln, Beschluss vom 10. August 1981 – 107 Qs Owi 761/81 -, MDR 1982, 73; LG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2011 – 506 Qs 55/11 -, Rn. 10 m.w.N., juris). Dies gilt um so mehr, als vorliegend dem Betroffenen bewusst war, dass der Antrag auf Terminabsetzung relativ kurzfristig nur wenige Tage vor der Hauptverhandlung gestellt worden war. Des Weiteren lag es erkennbar im Ermessen des Amtsgerichts, dem gegenständlichen – offenkundig nicht aussichtsreichen, weil pauschal und zusammenhangslos gehaltenen – Absetzungsantrag stattzugeben oder ihn abzulehnen. Der Betroffene war demnach in jedem Fall gehalten, sich bei dem Gericht über die beantragte Absetzung des Termins zu vergewissern (so ausdrücklich Kammergericht, Beschluss vom 20. Juli 1993 – 2 Ss 80/93, 3 Ws (B) 411/93 -, beck-online = NZV 1993, 453). Auf gegenteilige Auskünfte seines Verteidigers, wie etwa über den Verlegungsantrag werde rechtzeitig entschieden werden (Kammergericht a.a.O.), der Termin sei aufgehoben (LG Köln, Beschluss vom 10. August 1981 – 107 Qs Owi 761/81 -, MDR 1982, 73) oder der Hauptverhandlungstag werde sicher nicht bestehen bleiben (OLG Hamm, Beschluss vom 6. Oktober 1978 – 2 Ws 206/78 -, JMBl NW 1979, 20 f., Orientierungssatz in juris), darf er sich nicht verlassen (zusammenfassend LG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2011 – 506 Qs 55/11 -, Rn. 10 m.w.N., juris; zustimmend Krenberger, jurisPR-VerkR 3/2012 Anm. 6, juris).

Dementsprechend durfte vorliegend der Betroffene, der am 12.08.2017 ordnungsgemäß zum Termin vom 23.08.2017 geladen worden war, ohne positive Kenntnis von einer Absetzung des Termins durch das Gericht nicht – gleichsam auf „Zuruf“ seines Verteidigers – davon ausgehen, der Termin werde nicht stattfinden. Unbeschadet der am 22.08.2017 erfolgten (antragsgemäßen) Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen war der Betroffene mithin nicht ohne Verschulden daran gehindert, von seinem Recht, an der am 23.08.2017 durchgeführten Hauptverhandlung teilzunehmen, Gebrauch zu machen.“

Was lernen wir daraus? Traue nie deinem Verteidiger 🙂 .

OWi-Recht meets Insolvenzrecht 3.0, oder: Während des Insolvenzverfahrens ist Erzwingungshaft zulässig?

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Nachdem ich in der letzten Zeit bereits zweimal über die Frage der Zulässigkeit von Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) in den Fällen der Insolvenz berichtet habe, nämlich über  AG Dortmund, Beschl. v. 12.09.2017 – 729 OWi 107/17 [b] – und den LG Duisburg, Beschl. v. 05.07.2017 – 69 Qs 22/17 -, die beide die Erzwingungshaft als unzulässig angesehen haben, heute dann zur „Abrundung“ der AG Bamberg, Beschl. v. 14.09.2017 – 23 OWi 708/17. Der sieht das – mit Blick auf die Herkunft des Beschlusses hätte ich fast „natürlich“ geschrieben – anders und sieht die Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als zulässig an.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

„Allein die Durchführung eines Insolvenzbzw. Restschuldbefreiungsverfahrens steht der Anordnung von Erzwingungshaft gemäß § 96 Abs. 1 OWiG nicht entgegensteht. Es ist dem Betroffenen auch während eines Insolvenzbzw. Restschuldbefreiungsverfahrens grundsätzlich zuzumuten, offene Geldbußen – auch solche, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens herrühren – aus dem ihm verbleibenden Selbstbehalt bzw. aus seinem freien Vermögen in angemessenen Raten zu begleichen. Dem stehen auch die Vorschriften des Insolvenzrechts nicht entgegen (Fortführung von LG Deggendorf, Beschluss vom 28. März 2012 – 1 Qs (b) 62/12 –, juris, Rn. 9 ff.; LG Potsdam, Beschluss vom 14. September 2006 – 21 Qs 108/06 –, juris, Rn. 4 ff.; LG Berlin, Beschluss vom 03. Juli 2006 – 505 Qs 54/06 –, juris, Rn. 5 ff.; LG Potsdam, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 24 Qs 52/15 –, juris, Rn. 7 ff.).

Erzwingungshaft gem. § 96 Absatz 1 OWiG kann auch dann verhängt werden, wenn dem Betroffenen nur unter den Pfändungsbzw. Haftungsgrenzen der §§ 850 bis 852 ZPO, §§ 36, 287 Absatz 2 InsO liegende Einkünfte zur Verfügung stehen. Von Zahlungsunfähigkeit i.S.d. §§ 95 Absatz 2, 96 Absatz Abs. 1 Nrn. 2 und 4 OWiG ist erst dann auszugehen, wenn es dem Betroffenen unmöglich ist, die Geldbuße unter zumutbaren Bedingungen auch aus pfändungs- und insolvenzfreiem Einkommen abzutragen.

Eine etwaige Zahlungsunfähigkeit gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG hat der Betroffene in jedem Fall auch während eines Insolvenzbzw. Restschuldbefreiungsverfahrens substantiiert vorzutragen und gegebenenfalls nachzuweisen.

Akteneinsicht a la AG Bamberg: Kein Wissenvorsprung der Verwaltungsbehörde

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Aus der Zusammenstellung zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren betreffend Bedienungsanleitung und sonstige Unterlagen heute dann ein Hinweis auf den AG Bamberg, Beschl. v. 23.08.2013 – 2 OWi 2311 Js 9875/13 – mit dem Leitsatz.

„Soweit der Verteidiger im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Vorlage konkreter Beweismittel, wie z.B. der Eichscheine,: Bedienungsanleitung des Messgeräts, Lebensakte mit Reparaturnachweisen, Ausbildungs-/Schulungsnachweise des Messbeamten oder die Mitteilung der Länge des Video- Verbindungskabels- beantragt, sind, diese Unterlagen der Verteidigerin zugänglich zu machen bzw. entsprechende Informationen zu erteilen. Dies gilt auch, wenn die Gegenstände noch nicht Teil der Gerichtsakte sind,- sondern sich in behördlicher Hand befinden. Die Verteidigerin darf nicht darauf verwiesen werden, die Bedienungs- bzw. Gebrauchsanleitung der technischen Messgeräte nach vorheriger Terminabsprache auf einer Polizeidienststelle einzusehen bzw. diese gegen Bezahlung beim Hersteller dieser Geräte anzufordern.“

Zur Begründung verweist das AG u.a darauf:

„Um die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid zu überprüfen, ist es notwendig, dass die Verteidigung die Bedienung und Aufstellung es Messgerätes nachvollziehen und überprüfen kann. Die Verteidigung hat im Rahmen eines Bußgeldverfahrens das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Dies folgt schon aus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit. Nur wenn dem Verteidiger alle Unterlagen zur Verfügung stehen, die auch dem Sachverständigen zugänglich sind, ist es ihm möglich, das bzw. ein mögliches Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus wäre ohne Akteneinsicht im geschilderten Umfang zwischen Betroffenem und der Ermittlungsbehörde keine Waffengleichheit gegeben, wenn die Ermittlungsbehörde einen Wissensvorsprung dadurch erlangt, dass sie maßgebliche Unterlagen zurückhält. So ist es auch nicht ausreichend, die Verteidigung auf allgemein zugängliche Sekundärliteratur zu verweisen, in der die Funktions- und Bedienweise von Geschwindigkeitsmessgeräten erklärt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012 Ss (Bz) 100/12, BeckRS 2013, 61694).“

Den OLG Naumburg, Beschl. v. o5.11.2012 Ss (Bz) 100/12 hatten wir hier auch, und zwar hier: Danke OLG Naumburg – erste OLG-Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Teil 2.

 

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren… auch in Bayern gibt es die Bedienungsanleitung

Über die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Umfang und Art und Weise – habe ich ja schon oft berichtet. Ist wirklich ein Dauerbrenner, wie mir auch die vielen Entscheidungen, die mir von Kollegen übersandt werden, zeigen. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.

In die Schar derjenigen, die Akteneinsicht ohne Einschränkungen gewähren, hat sich nun auch das AG Bamberg eingereiht, nachdem es neulich erst in einem Beschluss die Akten an die Verwaltungsbehörde gem. § 69 Abs. 5 OWiG zurückgegeben hatte (vgl. hier). Jetzt heißt es im AG Bamberg, Beschl. v. 02.03.2012 – 14 OWi 2311 Js 13450/11:

„Soweit der Verteidiger die Vorlage konkreter Beweismittel wie den Eichschein, die Lebensakte des Messgeräts, Schulungsnachweise des Messbeamten und die Bedienungsan­leitung des Messgeräts beantragt, sind diese Unterlagen dem Verteidiger zugänglich zu ma­chen.

Dies gilt auch, wenn diese Gegenstände noch nicht Teil der Gerichtsakte sind, sondern sich in behördlicher Hand befinden. 

Der Verteidiger darf nicht darauf verwiesen werden, die Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung der technischen Messgeräte nach vorheriger Absprache bei einr Verwaltungs-/Polizeibehörde einzusehen bzw. diese gegen Bezahlung beim Hersteller dieser Geräte anzu­fordern.

Geht doch.