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Rechtlich nicht geschult, gesundheitlich eingeschränkt, alkoholkrank und der deutschen Sprache nicht mächtig – das reicht für einen Pflichtverteidiger!

Die (Ober)Gerichte gehen mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren – m.E. zu – restriktiv um. Deshalb ist man froh, wenn man auf amtsgerichtliche Entscheidungen trifft, die man den (Ober)Gerichte in der Frage mit den Worten: Na bitte, geht doch, oder: Ihr bitte auch, vorhalten möchte. So z.B. die AG Backnang, Vfg. v. v. 11. 3. 2014 – 2 BWL 99/13, die mit den Worten endet:

„Hiermit ist der rechtlich nicht geschulte, gesundheitlich eingeschränkte, alkoholkranke und der deutschen Sprache nicht mächtige Verurteilte ersichtlich überfordert, sodass auch deshalb die Bestellung eines Verteidigers angezeigt ist.“

Rechtlich nicht geschult, gesundheitlich eingeschränkt, alkoholkrank und der deutschen Sprache nicht mächtig, so beschreibt also das AG den Verurteilten und zieht daraus den zutreffenden Schluss, dass dieser/ein solcher Verurteilter ersichtlich überfordert ist, sich im Strafvollstreckungsverfahren mit dem Ziel des Widerrufs von Strafaussetzung zur Bewährung selbst zu verteidigen. Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen, außer: Die Entscheidung ist zutreffend und sollte – wie bereits gesagt – Beispiel für andere (Ober)Gerichte sein.

Abgestellt hat das AG in seiner Entscheidung im Einzelnen auf:

  • wohl ein Alkoholproblem
  • nur in sehr geringem Maße der deutschen Sprache mächtig
  • neben der Alkoholsucht weitere erhebliche gesundheitliche Probleme
  • ob und ggf.  inwieweit die erwähnten Gegebenheiten zur unterbliebenen Auflagenerfüllung beigetragen hätten, sei ungeklärt, sei jedoch von entscheidender Bedeutung dafür, ob der im Raum stehende Auflagenverstoß gröblich oder beharrlich i.S. des § 56 f Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen wurde
  • im Widerrufsverfahren auch zu prüfen, ob ein bislang unterbliebener Beginn einer Alkoholtherapie zu Maßnahmen Anlass gebe, wobei die die Alkoholtherapie betreffende Weisung einer ausführlichen rechtlichen Prüfung unterzogen werden müsse.

Ich habe mal wieder eine Frage: Wie oft darf ich meinen Mandanten in der JVA besuchen? oder: Besuchstagekatalog?

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Zu den Problemen, die es gibt, die man aber nicht braucht, gehört die Frage/Problematik, wie häufig der (Pflicht)Verteidiger seinen Mandanten besuchen darf? Sie spielt in der Praxis im Rahmen der Vergütungsfestsetzung immer wieder eine Rolle, obwohl man sich häufig fragt, warum eigentlich und/oder, ob der jeweilige Rechtspfleger eigentlich der „Richtige“ ist, um dieses Fass aufzumachen. So m.E. auch in dem dem AG Backnang, Beschl. v. 04.03.2014 – 2 Ls 22 Js 43421/13 – zugrunde liegenden Verfahren. Der Verteidiger besucht den Mandanten in fast sechs Monaten Untersuchungshaft – §§ 121, 122 StPO lassen grüßen – sieben Mal. Was soll daran, möchte man den Rechtspfleger fragen, zu viel sein?. Das ist gerade mal etwas mehr als durchschnittlich ein Besuch im Monat. Wenn man die (allgemeinen) Erschwernisse der Untersuchungshaft und u.a. den schweren Vorwurf in dem Verfahren: sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, berücksichtigt, m.E. sicherlich angemessen und nicht zu beanstanden. Oder weiß der Rechtspfleger es besser? Aber vielleicht geht es darum, der Staatskasse die immerhin 18,53 € brutto zu retten, um die es an zusätzlicher Vergütung für diese beiden Besuche ging? So leer können die Kassen aber doch nicht sein, oder?

Das AG Backnang hat auf die Beanstandung m.E. die richtige Antwort gefunden, wenn es – übrigens auf der Grundlage der h.M. – von Folgendem ausgeht:

  • Es liegt grundsätzlich im Ermessen des Verteidigers, wie viele Gespräche jeweils mit dem Mandanten zur Vorbereitung des Prozesses notwendig sind.
  • Eine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle der verfahrensvorbereitenden Schritte des Verteidigers ist gesetzlich nicht vorgesehen, das Gericht hat die Erwägungen des Verteidigers hinsichtlich der Erforderlichkeit von Haftbesuchen nicht durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass es im Ermessen des Verteidigers liegt, wie viele Besuche er bei seinem Mandanten für erforderlich hält.
  • Hält die Staatskasse dennoch die Kosten für mehrere Besuche des Pflichtverteidigers in der JVA nicht für erstattungsfähig, so obliegt ihr die Beweislast dafür, dass die hierdurch entstandenen Kosten zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Parteien nicht erforderlich waren. Nur wenn sich greifbare Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Verpflichtung des Pflichtverteidigers zur kostensparenden Prozessführung ergeben, ist anstelle der Staatskasse der Verteidiger darlegungs- und beweispflichtig.
  • Die Frage, wann der Verteidiger die Grenze zum Missbrauch überschreitet, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden. Bei allen Haftverfahren ist jedoch zu berücksichtigen, dass einer Inhaftierung in aller Regel erhebliche Tatvorwürfe zugrunde liegen und der inhaftierte Beschuldigte im Verurteilungsfalle mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen muss.
  • Das Gericht neigt zu der Auffassung zu, dass Besuche in einem zweiwöchigen Rhythmus, insbesondere wenn diese mit Besuchen anderer inhaftierten Mandanten verbunden werden, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als missbräuchlich anzusehen sind. Ein solcher Maßstab könnte auch bei der Verbescheidung von Anträgen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zugrunde gelegt werden.

Und: Geschickt umschifft das AG ein „Abweichen“ von der Auffassung des (wohl „übergeordneten“) LG Stuttgart im LG Stuttgart, Beschl. v. 31. 07. 2012 – 14 Qs 8/12 (vgl. dazu: Wie oft darf der Verteidiger den Mandanten in der JVA besuchen?). Wenn man den liest, könnte man schon der Auffassung sein, dass das LG ggf. anderer Auffassung als das AG sein könnte. Denn das LG hatte (nur) fünf Besuche n während viermonatiger Untersuchungshaft anerkannt, acht hingegen als zu viel angesehen. Die Klippe umschifft das AG, wenn es meint, dass dann aber sieben Besuche bei beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft jedenfalls nicht missbräuchlich sein können. Und – auch zutreffend: „Darüber hinaus lässt sich der Entscheidung nach hiesigem Dafürhalten nicht entnehmen, dass die dort akzeptierten fünf Besuche eine allgemeine Obergrenze für sämtliche Haftverfahren darstellen sollen. Eine solche Obergrenze ist gesetzlich nicht vorgesehen.“ Wie soll das auch gehen? Ein Besuchstagekatalog?

Da hat sich die Frau Sachverständige aber im Ton vergriffen = Befangen

© eccolo - Fotolia.de

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So ganz häufig sind erfolgreiche Ablehnungen von Sachverständigen im Strafverfahren (§ 74 StPO) m.E. nicht. Deshalb ist m.E. ein (amtsgerichtlicher) Beschluss, durch den ein AG eine Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Verfahren nimmt, berichtenswert.

Zum Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaftt hatte gegen einen Angeklagten Anklage wegen Raubes erhoben. Nach Zustellung der Anklage und Pflichtverteidigerbestellung ersucht das  AG die Staatsanwaltschaft um die Durchführung von Nachermittlungen. Diese waren nach Auffassung des AG erforderlich, weil ausreichende Ermittlungen zum Gesundheitszustand des mutmaßlich Geschädigten fehlten. Diese Nachermittlungen ergeben, dass der Zeuge an schwerwiegenden psychischen Erkrankungen leidet und deshalb aufgrund betreuungsrichterlicher Beschlüsse wiederholt geschlossen untergebracht, wurde. Das AG hält nun die Einholung eines Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben des Zeugen für erforderlich. Zur Sachverständigen wird eine Fachärztin für Psychiatrie bestellt. Diese fertigt ein vorläufiges schriftliches Gutachten. Zu dem nimmt dann der Verteidiger Stellung und beanstandet Mängel, zusammengefasst: Das Gutachten entspricht nicht den Anforderungen von BGHSt 45, 99.

Nunmehr wird der Sachverständigen aufgegeben, zum Schriftsatz der Verteidigung und den dort erhobenen Einwendungen Stellung zu nehmen. Und sie nimmt Stellung, und zwar führt „die Sachverständige unter anderem aus, dass „der Herr Verteidiger wohl kaum jemals ein echtes aussagepsychologisches Gutachten zu Gesicht bekommen hat“. Ferner bittet die Sachverständige „um Nachsicht, sollte sie ihre differentialdiagnostischen Ausführungen zu fachspezifisch“ dargestellt haben, auch spricht Sie – offensichtlich auf den Verteidiger gemünzt – von einem „Laien“. Auch habe der Verteidiger fachpsychiatrische Gutachten mit aussagepsychologischen Gutachten verwechselt.“ Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Verteidiger erhobenen Einwendungen erfolgt nicht, zumindest nicht ausreichend.

Der Verteidiger lehnt daraufhin die Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der AG Backnang, Beschl. v. 14.02.2013 –  2 Ls 113 Js 112185/12 – sagt: Zu Recht, denn: Ein Sachverständiger muss  zwar gänzlich unsubstantiierte, polemische oder gar beleidigende Angriffe gegen seine Person und/oder seine Arbeitsweise nicht hinnehmen. Zeigt er hierbei nachvollziehbare Emotionen oder auch Empörung, begründet dies – so das AG – die Besorgnis der Befangenheit nicht. Andererseits darf aber der Angeklagte ebenso wie die weiteren Verfahrensbeteiligten auch erwarten, dass Sachverständige auf sachliche Einwendungen ebenso sachlich reagieren und zu Fragen und Beanstandungen der Verfahrensbeteiligten in angemessener Weise Stellung nehmen. Und da hatte sich die Frau Sachverständige nach Auffassung des AG im Ton vergriffen:

1. In vorliegender Sache verhält es sich jedoch so, dass der Schriftsatz des Verteidigers durchweg in sachlichem Ton gehalten ist, und der Angeklagte darf ebenso wie die weiteren Verfahrensbeteiligten erwarten, dass Sachverständige auf sachliche Einwendungen ebenso sachlich reagieren und zu Fragen und Beanstandungen der Verfahrensbeteiligten in angemessener Weise Stellung nehmen. Dies hat die abgelehnte Sachverständige vorliegend nicht getan. Zu den substantiiert und unter Bezugnahme auf höchstrichterliche Rechtsprechung vorgetragenen Einwendungen nimmt sie in dem nunmehr monierten Schreiben allenfalls am Rande Stellung, teilweise beschränken sich die Ausführungen auf einen einzigen Satz. Der Auffassung der Staatsanwaltschaft, es liege inhaltlich eine „erschöpfende“ Auseinandersetzung mit den Inhalten des Verteidigervorbringens vor, vermag das Gericht daher nicht beizutreten.

 2. Diese Verhaltensweise in Verbindung mit der Tonart, in der die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen gehalten ist, begründet aus Sicht eines verständigen Angeschuldigten die Besorgnis der Befangenheit. Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass sich die kritisierten Bemerkungen der Sachverständigen nicht gegen den Angeschuldigten, sondern „nur“ gegen den Verteidiger richten. Ebenso wenig wurde verkannt, dass die Rechtsprechung wiederholt entschieden hat, dass Spannungen zwischen Richter bzw. Sachverständigen und Verteidiger grundsätzlich nicht geeignet sind, das Vertrauen des Angeklagten in die Unparteilichkeit zu beeinträchtigen. Diese Rechtsprechung betrifft jedoch in aller Regel Fälle, in denen Spannungen durch unangemessenes Verhalten des Verteidigers provoziert wurden; ein Verteidiger soll es nicht in der Hand haben, durch Provokationen des Gerichts selbst Ablehnungsgründe zu schaffen.“

Und da diese Spannungen sich nach Auffassung des AG auch auf den Angeklagten übertragen können, hat es den Sachverständigen aus dem Verfahren „ausgeschlossen“. Also: Lieber „sine ira et studio“, Frau/Herr Sachverständige(r).

Klein aber fein, AG Backnang zum „Pflichti“ bei Unfähigkeit der Selbstverteidigung – „Pflichti 1“

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Heute möchte ich mal einen „Pflichtverteidigungstag“ machen, da sich in meinen „Blog-Ordner“ einige interessante Entscheidungen zur Pflichtverteidigung, die ich nicht vorenthalten möchte, angesammelt haben. Den Auftakt mach die AG Backnang, Verf. v. 20.11.2013 –  2 Ds 93 Js 42049/13 – zur Pflichtverteidigung im Strafvollstreckungs-verfahren, zu der ich in der vorigen Woche schon über den OLG Naumburg, Beschl. v . 02.10.2013 – 1 Ws 591/13 berichtet hatte (vgl. hier Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, na bitte, geht doch).

Die Verfügung des AG Backnang liegt auf der Linie der h.M. in Rechtsprechung und Literatur zur Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO:

„Dem Angeklagten war Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Zwar haben wirtschaftliche Aspekte außer Betracht zu bleiben, gleichwohl ist vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben, da der Angeklagte sich nicht wird selbst verteidigen können, § 140 Abs.2 Satz 1 StPO. Dem Beiordnungsantrag beigefügt war ein nervenärztlicher Bericht, aus dem hervorgeht, dass sich der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2003 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung befindet. Es bestehe u.a. eine therapieresistente Epilepsie mit vorwiegend komplex fokalen Anfällen, bei denen der Patient nicht ansprechbar sei und seine Verhaltensweise nicht willentlich steuern könne. Beim Angeklagten komme es gehäuft zu solchen Anfällen. Wiederholt habe der Angeklagte sich bei derartigen Anfällen selbst verletzt, aus nervenärztlicher Sicht sei es jedoch durchaus auch möglich, dass es in einem solchen Fall zu Fremdgefährdung kommen kann. Eine Steuerung seines Verhaltens sei dem Angeklagten dann nicht möglich, und zwar für mehrere Minuten. Auch bestehe meist eine retrograde Amnesie. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe deshalb zumindest die Möglichkeit, dass es bei dem verfahrensgegenständlichen Vorfall zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten gekommen ist.

Im weiteren Verfahren wird deshalb insbesondere zu prüfen sein, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Grade der Erheblichkeit eingeschränkt war, was ohne Hinzuziehung sachverständigen Rats nicht möglich sein wird. Mit der Beurteilung eines Sachverständigengutachtens ist der unverteidigte Angeklagte jedoch regelmäßig überfordert, so dass ein Fall des § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist (vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Auflage 2013, Rn. 2203). Auch die erforderliche Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB macht die Bestellung eines Verteidigers erforderlich (Burhoff a.a.O., Rn. 2207).

Zusatz um 10:30 Uhr: Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass die Entscheidung nicht die Strafvollstreckung betrifft, sondern das Erkenntnisverfahren. Tja, so ist das, wenn man nicht richtig liest, bzw. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Peinlich und Asche auf mein Haupt. Ich ändere dann mal die Überschrift. 🙁

„Allein eine Ehefrau aus Kroatien begründet keine Fluchtgefahr“, oder: Schöner Beschluss des AG Backnang zur Fluchtgefahr

Nachdem ich gestern – zumindest inzidenter – AG und LG München wegen eine Durchsuchungsbeschlusses kritisiert habe (vgl. hier:Abenteuerlicher geht es kaum bei der Anordnung einer Durchsuchung), kommt mir der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12 – gerade Recht, um zu sagen: Es geht auch anders. Der Beschluss betrifft zwar nicht eine Durchsuchungsmaßnahme, aber den mindestens ebenso sensiblen Bereich der Anordnung/Aufrechterhaltung von U-Haft.

Die OLG werden nicht müde in Haftsachen immer wieder – gebetsmühlenartig – zu formulieren: Eine hohe Straferwartung allein vermag Fluchtgefahr nicht zu begründen, die Straferwartung ist vielmehr lediglich Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt, ist der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden . Die Annahme, dass Fluchtgefahr besteht, muss aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, allgemeine Befürchtungen genügen nicht. woran sie sich dann allerdings auch nicht immer halten. Häufig halten sich die Instanzgerichte nicht an diese „Vorgaben“ bzw. argumentieren damit, dass dem sich aus der hohen Straferwartung ergebenden Fluchtanreiz nicht ausreichende soziale Bindungen gegenüberstehen, was dann zur Anordnung/Fortdauer der U-Haft führt. Dabei wird dann aber häufig übersehen, dass die vorhandenen sozialen Bindungen doch ausreichend wären, den Beschuldigten von einer Fluch abzuhalten bzw. einen Fluchtanreiz zu mindern und somit mindestens eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls rechtfertigen würden. Anders der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12, in dem das AG m.E. wohl abgewogen mit den dem Fluchtanreiz entgegenstehenden Umständen umgeht.

Das AG stellt ab bzw. würdigt:

„Neben der Straferwartung sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die den Angeschuldigten zur Flucht veranlassen könnten. Insbesondere sind starke familiäre Bindungen vorhanden. Der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz verfügt, ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von drei und neun Jahren. Diese festen familiären Bindungen sprechen erheblich gegen die Annahme, der Angeschuldigte werde alleine oder werde mit seiner Familie untertauchen.

Soweit in dem nunmehr aufgehobenen Haftbefehl darauf abgestellt wird, die kroatischen Wurzeln der Ehefrau des Angeschuldigten ließen befürchten, der Beschuldigte werde im In- oder Ausland untertauchen, teilt das Gericht die dieser Annahme zugrunde liegende Auffassung nicht. Der Umstand alleine, dass die Ehefrau der Ehefrau des Angeschuldigten aus Kroatien stammt und über die kroatische Staatsangehörigkeit verfügt, rechtfertigt die Annahme einer Fluchtgefahr nicht. Der Angeschuldigte selbst ist deutscher Staatsangehöriger, seine beiden Kinder sind in Deutschland geboren, und seine Frau lebt seit über zwölf Jahren ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Absetzen nach Kroatien wäre daher für den Angeschuldigten nicht nur die bloße Rückkehr in die alte Heimat, sondern würde eine vollständige Verlagerung des Lebensmittelpunktes bedeuten. Dies wäre nur möglich, wenn entweder erhebliche finanzielle Mittel vorhanden wären oder die Möglichkeit bestünde, über Freunde oder Verwandte der Ehefrau des Angeschuldigten Unterschlupf zu erhalten. Über eigene finanzielle Mittel verfügt der Angeschuldigte nicht, die Familie ist mit 80.000,00 € verschuldet. Sie lebte zuletzt von Sozialleistungen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich illegale Einnahmen, etwa aus den ihm vorgeworfenen Betäubungsmittelgeschäften, in einem Umfang verschafft hat, die ihm und seiner Familie einen kompletten Neuanfang im Ausland ermöglichen würden. Die von der Kriminalpolizei durchgeführten Finanzermittlungen haben ergeben, dass auf das Konto des Angeschuldigten und seiner Ehefrau Bareinzahlungen in Höhe von 2.755,00 € geleistet wurden. Hierbei handelt es sich zwar um einen nicht unerheblichen Betrag, für eine komplette Verlagerung des Lebensmittelpunktes genügt er jedoch nicht. Dass die Kontakte der Ehefrau des Angeschuldigten nach Kroatien so gut sind, dass dort ein untertauchen des Angeschuldigten und seiner Familie einschließlich der beiden Kinder möglich wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Der Schwiegervater des Angeklagten ist verstorben, und die Mutter seiner Ehefrau lebt in Kroatien von ihrer Rente, so dass sie nicht in der Lage sein dürfte, den Angeklagten und seine Familie bei sich aufzunehmen und zu unterhalten.

Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Angeschuldigte in der Betäubungsmittelszene untertauchen könnte. Soweit ersichtlich handelte der Angeschuldigte zwar durchaus professionell, jedoch sind die ihm zu Last gelegten Taten allesamt im Internet unter Gewährleistung der Anonymität aller Beteiligter begangen worden, so dass sich die Annahme der Fluchtgefahr auf die professionelle Tatbegehungsweise alleine nicht stützen lässt. Es handelt sich bei dem Angeschuldigten nicht um einen sogenannten „Straßendealer“, der aufgrund seiner Drogengeschäfte über zahlreiche persönliche Kontakte in der BtM-Szene verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Aufenthaltsort häufig zu wechseln, in dem er bei anderen Szeneangehörigen untertaucht.“

Wie gesagt: Schöner Beschluss