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StPO I: Auf Stellungnahmen muss man nicht warten, oder: Angekündigte Stellungnahme und Frist

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Und dann geht es auf in die neue Woche, und zwar mit zwei Entscheidungen zum rechtlichen Gehör bzw. zur Anhörungsrüge, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23.

In der Entscheidung hat der BGH einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden des 4. Strafsenats, der damit begründet war, dass dem Angeklagten keine Fristverlängerung gewährt und kein weiterer Pflichtverteidiger bestellt wordne ist, zurückgewiesen. Zur Ablehnung hier nur der Leitsatz:

Wird die Richterablehnung mit der Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache begründet, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Anders verhält es sich nurbeim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen.

Das ist h.M. in der Rechtsprechung. Und der BGH führt dann zur angelehnten Fristverlängerung aus:

„b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S., wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).“

Und das hat der BGh dann später noch einmal im BGH, Beschl. v. 14.02.2024 – 4 StR 239/23 – bestätigt.

Ablehnung I: Unparteilichkeit des Sachverständigen?, oder: Wir bilden einen Arbeitskreis….

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Im „Kessel Buntes“ köcheln heute zwei Entscheidungen zu Ablehnungsfragen, allerdings stammen die aus dem Zivilrecht.

Ich beginne mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.06.2022 – 3 W 26/22. In dem hat das OLG zur Besorgnis der Befangenheit betreffend einen Sachverständigen Stellung genommen. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem um einen Kostenvorschuss zur Mangelbeseitigung sowie um Schadensersatz wegen Mängeln eines Industrieestrichbodens, der von der Streithelferin als Subunternehmerin der Beklagten in einer Produktionshalle der Klägerin eingebracht wurde. In dem Beweisbeschluss zu den Beweisfragen der Mangelhaftigkeit des Bodens, der erforderlichen Mangelbeseitigungsarbeiten und deren Kosten wurde zum Sachverständigen ein Sachverständiger bestimmt, der u.a. Mitglied des „Arbeitskreises M.“ des Bundesverbandes E. und Belag e.V., der lediglich aus drei bzw. vier weiteren Mitgliedern besteht, zu denen auch der Geschäftsführer der Streithelferin der Beklagten gehört.

Das OLG hat gesagt: Besorgnis der Befangenheit begründet:

„….. Sie ist auch begründet, da nach Auffassung des Senats Umstände vorliegen, die aus Sicht der Klägerin Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen und somit die Besorgnis der Befangenheit wecken können, sodass dem klägerischen Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen stattzugeben war.

1. Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, aus denen nach § 42 ZPO die Ablehnung eines Richters möglich ist, somit also wegen der Besorgnis der Befangenheit. Eine solche ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an einer Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Sachverständigen aufkommen lassen (vgl. gesetzliche Definition in § 1036 Abs. 2 Satz 1 ZPO; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Auflage, § 42 Rn. 8). Geeignet, ein entsprechendes Misstrauen zu rechtfertigen, sind alle objektiven Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei einer Gesamtbetrachtung aus Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (Zöller, a.a.O., Rn. 9). Nicht erforderlich ist, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist (Zöller, a.a.O.). Es ist auch unerheblich, ob er sich selbst für (un-)befangen hält (Zöller, a.a.O. m.w.N.). Entscheidend ist allein, ob sich aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände ausreichende Gründe für eine entsprechende Besorgnis ergeben (Zöller, a.a.O. m.w.N.).

2. Ein Ablehnungsgrund in diesem Sinne kann sich unter anderem aus einer besonderen fachlichen oder persönlichen Nähe zu einer Partei ergeben. Dabei kann auch die Nähe zu der Streithelferin einer der Parteien genügen, insbesondere wenn deren Verhältnis zur unterstützten Partei wiederum – wie vorliegend, da die Streithelferin bei der Ausführung des streitgegenständlichen Gewerks als Subunternehmerin der Beklagten tätig wurde – von einer besonderen Nähe oder Abhängigkeit geprägt ist.
11a) Eine bloße Bekanntschaft oder rein kollegiale Zusammenarbeit zwischen Sachverständigem und Partei oder Streithelfer ist für sich genommen zwar nicht genügend, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. Scheuch in: BeckOK ZPO, 44. Edition, § 406 Rn. 22). So wäre es etwa für sich genommen kein Ablehnungsgrund, dass der Sachverständige – wie er in seinem Schreiben vom 26.03.2022 ausgeführt hat (Bl. 213 d.A.) – mit dem Geschäftsführer der Streithelferin „in den vergangenen Jahren gelegentlich beruflich zu tun hatte“ (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 3 W 48/13), was sich aufgrund des begrenzten Kreises derjenigen, die sich innerhalb Deutschlands mit dem Thema „M.“ auseinandersetzen, entsprechend der nachvollziehbaren Darstellung des Sachverständigen kaum vermeiden lässt.

b) Vorliegend kommt jedoch hinzu, dass sowohl der Sachverständige als auch der Geschäftsführer der Streithelferin dem „Arbeitskreis M. / S.“ des Bundesverbandes E. und Belag e.V. angehören. Nach dem aktuellen Internetauftritt des Verbandes (https://…..html) besteht der Arbeitskreis neben dem Sachverständigen aus nur drei weiteren Mitgliedern, wobei der Geschäftsführer der Streithelferin … als dessen … fungiert. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats eine längerfristige fachliche Verbundenheit, aus der nach der maßgeblichen Sicht der Klägerin vernünftigerweise Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen folgen können.

(1) Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden (Beschluss vom 03.08.2000, Az. X ZR 33/97), dass der Umstand, dass ein Sachverständiger Präsident einer Vereinigung sei, welcher auch der Beklagte angehöre und nach deren Satzung er gehalten sei, die Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu begründen geeignet sei. Der vorliegende Fall liegt aber anders. Denn der Geschäftsführer der Streithelferin ist nicht etwa Vorsitzender irgendeiner größeren Vereinigung, als deren bloßes Mitglied er den Sachverständigen kennt. Er ist vielmehr … eines kleinen Arbeitskreises, dem auch der Sachverständige angehört und der gerade zu derjenigen Materie ins Leben gerufen wurde, welche dieser im Streitfall begutachten soll.

(2) Ein Arbeitskreis ist eine Vereinigung mehrerer Personen, die idealerweise – wie wohl vorliegend – eine bestimmte Expertise zu einem Sachgebiet aufweisen, die gegründet wird, um gemeinsam zu bestimmten fachbezogenen Themen Ideen oder gangbare Wege zur Erreichung bestimmter Ziele zu erarbeiten. Entsprechend dem Internetauftritt des Bundesverbandes E. und Belag e.V. besteht eine „wesentliche Aufgabe“ von dessen Arbeitskreisen darin, „den Betrieben des Fußbodenbaus technische Hilfestellungen durch Arbeits- und Hinweisblätter sowie durch Fortbildungsveranstaltungen zu geben“. Ziel des „Arbeitskreises M. / S.“ ist es somit, fachliche Vorgaben zu erarbeiten, an denen sich Handwerker, die in diesem Fachbereich tätig sind, orientieren und nach denen sie sich richten können.

(3) Zwar sind grundsätzlich die üblichen Kontakte im fachlichen Bereich nicht ausreichend, um aus objektiver Sicht die Besorgnis einer Befangenheit zu erregen, so etwa bei Wissenschaftlern die Teilnahme an Fachkongressen zum wissenschaftlichen Austausch oder die gemeinsame Mitwirkung an Fachpublikationen (BeckOK ZPO, a.a.O., Rn. 22.1 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine langfristigere enge Zusammenarbeit insbesondere zu der zu begutachtenden Materie besteht (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2012, Az. 32 W 24/12, juris Rn. 7 f.; BeckOK ZPO, a.a.O.). Dies ist vorliegend der Fall. Arbeitskreise sind zunächst einmal auf Dauer angelegt, es geht dabei um die gezielte und intensive gemeinsame Erarbeitung von Konzepten oder Regelwerken.

(4) Dabei kann im Übrigen aus Sicht des Senats dahinstehen, ob vorliegend eine solche Zusammenarbeit zwischen dem Sachverständigen und dem Geschäftsführer der Streithelferin in der Vergangenheit bereits erfolgt ist. Denn allein die Tatsache, dass beide demselben Arbeitskreis angehören, der sich gerade mit der im vorliegenden Fall zu begutachtenden Materie beschäftigt und für M. die bundesweiten Vorgaben gemeinsam erarbeiten soll, nach denen im vorliegenden Rechtsstreit unter Umständen wiederum die Mangelhaftigkeit der Werkleistung der mit der Einbringung eines solchen Bodens betrauten Streithelferin und der Mangelbeseitigungsaufwand durch den Sachverständigen beurteilt werden müssten, rechtfertigt aus Sicht der Klägerin als Werkbestellerin bereits die Sorge, der Sachverständige könnte sich im Rahmen seiner Begutachtung zu Gunsten der Beklagten beziehungsweise der Streithelferin von sachfremden Erwägungen leiten lassen, zumal die Streithelferin sich in dem Fall, dass die von ihr unterstützte Beklagte den Rechtsstreit verlieren sollte, als deren Subunternehmerin gegebenenfalls Regressansprüchen ausgesetzt sähe.“

Das nicht abgewartete Restwertangebot des Haftpflichtversicherers: Mitverschulden?

© momius - Fotolia.com

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Heute dann zunächst mal im „Kessel-Buntes“ eine Entscheidung zur Unfallschadensregulierung. Und zwar die Frage: Muss sich der Geschädigten bei der Unfallschadensregulierung allein deshalb ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er das Unfallfahrzeug veräußert hat, ohne zuvor ein Restwertangebot des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners abzuwarten. Dem Einwand hat sich in Berlin ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall ausgesetzt gesehen. Die Frage ist dann vom KG im KG, Urt. v. 06.08.2015 – 22 U 6/15 – verneint worden, und zwar mit folgenden Begründung:

„3. Der Geschädigte kann sich ferner dann dem Einwand aussetzen, er habe den Schaden nicht zumutbar gemindert (§ 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB), wenn er ein ihm rechtzeitig übermitteltes und zumutbares höheres Restwertangebot des Versicherers des Unfallgegners nicht annimmt. Vorliegend hatte der Kläger das Unfallfahrzeug jedoch zuvor bereits veräußert gehabt.

a) Anders als das Landgericht meint, musste er auf ein Restwertangebot des Versicherers des Schädigers, insbesondere eines außerhalb des allgemeinen regionalen Marktes, nicht warten, weil dies die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde ( BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92NJW 1993, 1849, 1851 [II.4.]; vgl. ferner BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98NJW 2000, 800, 802 [B.1.c)cc)]; BGH, Urteil vom 23. November 2010 – VI ZR 35/10NJW 2011, 667, 668 [12]; vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 46). Auch wenn diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes offenbar gelegentlich übersehen wird, gilt die Rechtsfrage als „seit langem geklärt“ (so Schneider, jurisPR-VerkR 17/2010 Anm. 3 zu C.).

b) Ausnahmen müssen in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden, weshalb lediglich ein rechtzeitiges bzw. vorheriges zumutbares erheblich höheres Angebot berücksichtigt werden muss ( BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09NJW 2010, 2722 [9]), wobei dann zumutbare überregionale Angebote bzw. zumutbare Angebote spezialisierter Händler einzubeziehen sind.

c) Das lässt sich auch nicht dadurch unterlaufen, dass der Versicherer des Schädigers dem Geschädigten ein Restwertangebot ankündigt, um ihn auf diese Weise entgegen der ausgeführten Rechtslage zur Aufgabe der ihm zustehenden Befugnis und zum Abwarten zu zwingen.“

Nachtrag: Leider scheint es heute (16.01.2016) wieder beim Provider ein Problem zu geben, so dass der Volltext nicht abrufbar ist. Der Support ist natürlich nicht erreichbar – und meldet sich übrigens auch nicht am nächsten Werktag. Ich kann nur davor warnen, bei Domianbox zu hosten.