Heute dann drei StPO-Entscheidungen, die in Zusammenhang mit der Absprache/Verständigung (§ 257c StPO) stehen.
„Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am 13. Juni 2019 fand auf Initiative des früheren Vorsitzenden der Strafkammer eine mündliche Besprechung statt, in der der äußere Ablauf der Hauptverhandlung im Sinne des § 213 Abs. 2 StPO abgestimmt werden sollte. An dem etwa einstündigen Termin nahmen die damaligen Berufsrichter der Strafkammer, der Verteidiger und ein Oberstaatsanwalt teil. Letzterer wies in dem Gespräch unter anderem darauf hin, der Angeklagte habe seine Vertrauensstellung als Pastor missbraucht; dies könne strafschärfend gewertet werden. Der Vorsitzende gab an, die Strafkammer habe das in anderen Fällen auch so entschieden. Der Oberstaatsanwalt hob weiter hervor, er strebe eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung an, wenn sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige. Dazu erklärte der damalige Vorsitzende, man könne durchaus „goldene Brücken“ bauen, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Der Verteidiger wies auf den Gesundheitszustand des Angeklagten hin und erklärte, dass dieser nur sehr eingeschränkt belastbar sei. In der am 20. Januar 2021 begonnenen Hauptverhandlung stellte die (nunmehrige) Vorsitzende der Strafkammer gemäß § 243 Abs. 4 StPO fest, dass „Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, nicht stattgefunden haben.“ Am 22. Februar 2021 erklärte sie in laufender Hauptverhandlung, sie halte die Sache für eine Verständigung geeignet. Bei einem Geständnis komme die Verhängung einer Strafe in Betracht, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde und die nicht unter einem Jahr betrage. Der Angeklagte möge sich dies überlegen. Der Verteidiger entgegnete in der Hauptverhandlung vom 9. März 2021, er verstehe die Mitteilung als Anregung für Verständigungsgespräche, diese sei aber noch nicht vollständig, da die Kammer bloß eine Strafuntergrenze benannt habe.
In der Zeit vom 12. Juli bis 4. Oktober 2021 kam es zwischen der Vorsitzenden und dem Verteidiger zu insgesamt vier Telefonaten, in denen sie sich über ein etwaiges Ergebnis der Hauptverhandlung austauschten. So fragte die Vorsitzende den Verteidiger am 12. Juli 2021, welche Möglichkeiten einer Verständigung er sich denn vorstellen könne. Er erwiderte unter anderem, nach seiner Auffassung könne eine Lösung mit dem von ihr in Aussicht gestellten Strafmaß auch bei den 19 vollständig eingestandenen Taten sowie weiteren Urkundenfälschungen sachgerecht sein; ein schlichtes Geständnis weiterer Fälle stünde aber im Widerspruch zum bisherigen Vorbringen des Angeklagten. Die Vorsitzende erklärte, sie könne sich eine solche Lösung nicht vorstellen, und deutete an, dass jedenfalls zehn weitere Fälle eingestanden werden sollten wie auch der Umstand, dass die Unterschriften auf den Quittungen falsch seien. In den nachfolgenden Telefonaten vom 15. und 16. Juli sowie vom 4. Oktober 2021 sprachen beide zudem über ein etwaiges Schuldanerkenntnis des Angeklagten gegenüber dem Kirchengemeindeverband.
Im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 5. Oktober 2021 fand eine weitere Besprechung der Verfahrensbeteiligten (ohne den Angeklagten) statt. Dabei wurde über den Stand der Beweisaufnahme, insbesondere über die Beweisbedeutung gefälschter Quittungen gesprochen. Der Verteidiger wiederholte seinen Vorschlag aus dem Telefonat vom 12. Juli 2021, das Verfahren auf die vom Angeklagten eingeräumten Taten zu beschränken. Dem stimmte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht zu. Daraufhin erzielten die Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Strafkammer einen Vorschlag für eine Verständigung konkretisieren solle.
In der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2021 verlas die Vorsitzende dann eine Erklärung zu „Erörterungen des Verfahrenstands und Verständigungsgespräch zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“. Darin heißt es: „Neben der Hauptverhandlung wurden (auch) zur Vorbereitung einer Verständigung der Verfahrensstand sowie die Möglichkeit einer einverständlichen Erledigung erörtert. Die Frage der Verständigung wurde am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Kammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert. Es wurde Einigkeit erzielt, dass die Kammer auf der Grundlage ihrer vorläufigen Bewertung des Verfahrensstandes einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Dazu gibt die Kammer die folgende Einschätzung bekannt: (…)“.
II.
Die Mitteilungen der Vorsitzenden genügen nicht den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO.
1. Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BVerfG und BGH aaO). Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f., 26, 32, 35; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 37 mwN). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 85; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 339/20, NStZ 2022, 245 Rn. 8).
2. Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung der Vorsitzenden vom 13. Oktober 2021 nicht. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf den Umstand, dass die Frage der Verständigung am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Strafkammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert worden sei und im Ergebnis dessen die Strafkammer einen Verständigungsvorschlag vorlegen solle. Die Vorsitzende informierte hingegen nicht darüber, dass solche Gespräche zunächst allein zwischen ihr und dem Verteidiger geführt worden waren, bereits drei Monate zuvor, nämlich im Juli 2021 begonnen und sich über mehrere Tage hingezogen hatten. Ferner teilte sie nicht mit, dass sie sich mit dem Verteidiger bereits zum Umfang des Geständnisses, insbesondere zur konkreten Anzahl der vom Angeklagten begangenen Taten sowie über eine Schadenswiedergutmachung ausgetauscht hatte. Ebenso wenig lässt sich der Mitteilung entnehmen, wer bei den Erörterungen welche Positionen vertreten hatte.
Angesichts der inhaltlichen Defizite kann offenbleiben, ob die Mitteilung auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, weil sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgte. Zwar bestimmt § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO keinen Zeitpunkt, zu der die erforderlichen Angaben in der Hauptverhandlung mitzuteilen sind. Gleichwohl gebieten Sinn und Zweck der Regelung eine möglichst umgehende Mitteilung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2022 ? 5 StR 62/22, NStZ 2022, 761; vom 25. Juni 2020 – 3 StR 102/20, NStZ 2021, 310; vom 6. Februar 2018 – 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420).
3. Auch die Mitteilung vom 20. Januar 2021 gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, dass bis dahin keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen seien, stattgefunden hätten, war unzutreffend. Zwar weist der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht darauf hin, dass die Besprechung vom 13. Juni 2019 in erster Linie der Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung diente. Ebenso wenig stellte die Erklärung des Oberstaatsanwalts, der Missbrauch der Vertrauensstellung als Pastor könne strafschärfend gewertet werden und er strebe eine unbedingte Freiheitsstrafe an, falls sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige, schon eine „Erörterung“ im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO dar. Denn niemand kann und darf dem Gericht mitteilungsbedürftige Verständigungsgespräche aufzwingen (so zutreffend KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 43). Zu einer mitteilungspflichtigen Erörterung erwuchs diese zunächst einseitige Aussage jedoch durch die daran anknüpfende Äußerung des Vorsitzenden, man könne durchaus „goldene Brücken bauen“, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Damit wollte der Vorsitzende offenkundig nicht nur allgemein auf die strafmildernde Wirkung von geständigen Einlassungen hinweisen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 1 StR 92/21, NStZ-RR 2021, 317; vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535). Vielmehr gab er insbesondere dem Verteidiger unmissverständlich zu erkennen, dass er – ebenso wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft – bei einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von zwei Jahren und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung als angemessen erachte.
Die Pflicht, den Inhalt dieses Gesprächs mitzuteilen, entfiel schließlich nicht dadurch, dass es nachfolgend zu einer Änderung der Besetzung der Strafkammer gekommen ist und insbesondere die spätere Vorsitzende nicht an der Erörterung teilgenommen hatte. Denn mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über verständnisbezogene Erörterungen umfassend zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, dass sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221; KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 47). Eine zutreffende Mitteilung war zu Beginn der Hauptverhandlung auch noch möglich. Zwar hatte der frühere Vorsitzende die verständigungsbezogenen Inhalte der Unterredung vom 13. Juni 2019 entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht aktenkundig gemacht. Doch hatte einer der beiden Berufsrichter der Strafkammer sowohl an der Erörterung als auch an der Hauptverhandlung teilgenommen.
4. Jedenfalls die defizitäre Mitteilung vom 13. Oktober 2021 zwingt zur Aufhebung des materiell-rechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der – strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 97 f.; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu Niemöller NStZ 2015, 489) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf dieser Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355).“