Schlagwort-Archive: Absehen vom Fahrverbot

OWi III: Kein Absehen vom Fahrverbot beim Hoteldirektor, oder: „Von oben herab“ jedes Schlupfloch zumachen

entnommen wikimedia.org

Und als letzte Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 03.07.2018 – 729 OWi-267 Js 924/18 -145/18. Es geht u.a. um das Absehen von einem Fahrverbot nach einem Rotlichtverstoß. Der Betroffene hatte u.a. berufliche Gründe geltend gemacht, die das Absehen vom Fahrverbot begründen sollten. Das AG hat die nicht bzw. als nicht „durchgreifend“ angesehen:

„Das Gericht hat dann weiter gefragt zu wirtschaftlichen und persönlichen Härten des Betroffenen durch ein ihm drohendes Fahrverbot.

Der Betroffene erklärte hierzu, er habe mit seinem Arbeitgeber noch nicht über ein ihm drohendes Fahrverbot gesprochen. Der Betroffene erklärte zu seiner beruflichen Situation, dass er Hoteldirektor in Düsseldorf sei und monatlich etwa 3.000,00 EURO netto verdiene. Auch seine Ehefrau arbeite im Hotelbereich. Sie sei aber derzeit mit Kindeserziehung beschäftigt, nachdem vor drei Monaten das gemeinsame Kind geboren sei. Wegen der Kindesgeburt und dem nachfolgenden Umzug zum 01.06.2018 in eine für die Familie geeignetere Wohnung habe er mittlerweile seinen Jahresurlaubsanspruch nahezu gänzlich aufgebraucht. Im Übrigen benötige er für das von ihm geführte 4 Sterne-Hotel und die Hinfahrt zur Arbeit einen Führerschein. Er könne auf seinen Führerschein für die Dauer eines Fahrverbotes nicht verzichten. Morgens habe er um 07:30 Uhr Dienstbeginn in Düsseldorf. Er habe dort 52 Mitarbeiter zu führen. Das Hotel habe zweiundzwanzig Konferenzräume. Er arbeite fünf bis sechs Tage pro Woche 10-12 Stunden täglich. Sein Arbeitgeber könne ihm nicht kostenfrei ein Zimmer in dem Hotel unter der Woche anbieten.

Auf die Frage des Gerichts, ob er denn nicht unter der Woche einfach sich selbst ein Zimmer in seinem Hotel nehmen könne für die Dauer des Fahrverbotes erklärte der Betroffene, dass das eher unüblich sei. Das Gericht hält dies jedoch durchaus angesichts der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen für zumutbar. Der Betroffene hat geltend gemacht, er müsse teilweise für das Hotel auch noch einmal Besorgungen erledigen in Düsseldorf. Er tue dies dann per PKW. Derartige Fahrten innerhalb Düsseldorfs können während des Fahrverbots ggf. Mitarbeiter des Hotels auf Weisung des Betroffenen als Hotelchef oder auch der Betroffene selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln/per Taxi erledigen.

Das Gericht hat dem Betroffenen dann vorgehalten, dass dem Gericht durchaus bekannt sei, dass vom Hauptbahnhof Dortmund aus täglich auch Züge nach Düsseldorf zum dortigen Hauptbahnhof fahren würden.

Der Betroffene erklärte, dass er das für sich für unzumutbar halte. Er müsse ja dann morgens auch noch zum Bahnhof hinkommen. Das Gericht hält es durchaus für die Dauer eines 1-Monats-Fahrverbots zumutbar für einen Dortmunder Bürger, per Bus, per Taxi, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß zum Dortmunder Hauptbahnhof zu kommen, um von dort einen Zug nach Düsseldorf zu nehmen.

Dementsprechend konnte das Gericht keine über das gesetzgeberisch gewünschte Maß hinaus drohenden beruflichen oder persönlichen Härten feststellen, die fahrverbotsrelevant wären.

Angesichts der erheblichen materiellen und auch körperlichen Schäden der Geschädigten hielt das Gericht ein Absehen vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße unter Anwendung des § 4 Abs. IV BKatV nicht für angezeigt. Dem Gericht war die Existenz dieser Vorschrift jedoch bewusst.“

Also: Anwendung der „Schlupflochtheorei“ = ich mache jedes Schlupfloch zu, durch das Betroffene schlüpfen könnte, damit kein Fahrverbot festgesetzt werden muss. Und dann mit dieser in meinen Augen „Von oben Herab-Art“, wenn es denn heißt: „durchaus bekannt“ oder „oder gar zu Fuß“. Ich frage mich immer, ob das eigentlich sein muss.

OWI II: Fahrverbot ja, denn du wirst „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“, oder: Bloße Vermutung

entnommen openclipart.org

Die zweite Entscheidung aus dem Bereich OWi ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 13.08.2018 – 3 Ss OWi 980/18 – betreffend eine Fahrverbotsfrage. Das AG hatte nicht vom Fahrverbot abgesehen. Ausweislich der Urteilsgründe hat es zwar zu Gunsten des Betroffenen unterstellt, dass dieser im Falle eines Fahrverbots kündigungsbedingt seine Tätigkeit als Getränkeausfahrer verlieren werde, weshalb gleichwohl nicht von einem Härtefall auszugehen sei, weil der Betroffene „bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage in M. unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“ werde. Das ging selbst dem OLG Bamberg ein wenig weit:

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auch wenn ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24a II, III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommt (vgl. nur OLG Bamberg Beschl. v. 29.10.2012 – 3 Ss OWi 1374/12 = BA 50, 27 = OLGSt StVG § 25 Nr 53 und zuletzt Beschl. v. 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 [bei juris], jeweils m.w.N.), sind die Erwägungen des AG, welches trotz von ihm unterstellter Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Betr. in der Gesamtschau von der Angemessenheit und Notwendigkeit der Verhängung des Fahrverbots ausgeht, schon im Ansatz von Rechtsfehlern beeinflusst.

„a) Mit seiner Prognose, der Betr. werde nach seiner Kündigung „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“, entfernt sich die an sich dem Tatrichter nach § 261 StPO obliegende Beweiswürdigung so weit von einer festen Tatsachengrundlage, dass es sich bei ihr letztlich nur um eine bloße Vermutung handelt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 261 Rn. 38). Ebenso wenig wie eine nur auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung, welche die Besonderheiten des Einzelfalls nicht in den Blick nimmt, keine geeignete Grundlage für die Anordnung oder Fortdauer gerichtlicher Maßnahmen darstellt (vgl. nur BGH Beschl. v. 16.12.2015 – 2 StR 469/15 = StraFo 2016, 122; 12.04.2016 – 4 StR 17/16 = NStZ-RR 2016), kann eine Existenzgefährdung infolge Verlustes des Arbeitsplatzes nicht mit vom konkreten Fall losgelösten Überlegungen zur allgemeinen Beschäftigungslage verneint werden. Aus der – abstrakt gesehen – guten Arbeitsmarktlage in M. allein folgt nicht, dass auch der Betr. nach seiner Kündigung unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden wird. Konkrete Tatsachen, wonach der Betr. eine neue Arbeitsstelle in Aussicht habe, hat das Gericht gerade nicht festgestellt. Die Urteilsfeststellungen verhalten sich auch nicht zu den persönlichen Verhältnissen des Betr., so dass der Senat die Schlussfolgerung des AG schon im Hinblick auf möglicherweise vorhandene Einschränkungen der Vermittelbarkeit nicht auf Plausibilität überprüfen kann. Da solche Einschränkungen gerade dann nahe liegen, wenn sich der Arbeitgeber, wovon das AG zu Gunsten des Betr. ausgeht, trotz der Arbeitsmarktlage, die es ihm erschwert einen neuen Mitarbeiter zu finden, von seinem Arbeitnehmer trennen will, hätte dieser Punkt einer näheren Erörterung in den Urteilsgründen bedurft.“

Und: <<Werbemodus an>>: Zum Fahrverbot verweise ich dann auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Deutscher in Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. M.E. gibt es nichts Besseres. Zur Bestellung geht es hier.<<Werbemodus aus>>.

Fahrverbot III: Wenn der Verteidiger nicht Bescheid weiß, oder: Verteidiger muss „proaktiv“ sein.

© pedrolieb -Fotolia.com

Und den Tagesschluss macht der KG, Beschl. v. 06.04.2018 – 3 Ws (B) 82/18. Er behandelt auch eine Fahrverbotsproblemtaik, die aber kombiniert mit einer Problematik betreffend Verhandeln in (erlaubter) Abwesenheit des Betroffenen. 

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung  zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt und nach § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Erfolg. Sie hätte aber an sich Erfolg hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs gehabt, weil das amtsgerichtliche Urteil nicht erkennen erließ, „dass der Tatrichterin die Möglichkeit bewusst war, dass von der Verhängung des Fahrverbots – bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße – abgesehen werden kann, wenn der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch hierdurch erreicht werden kann (BGH NZV 1992, 117; OLG Köln NZV 2001, 391 mwN; OLG Naumburg zfs 2001, 382; OLG Rostock zfs 2001, 383).“ Denn im Urteil wurde „die gesamte Rechtsfolgenentscheidung [nur] mit einem Satz begründet. Er lautet: „Gegen ihn war die nach dem Bußgeldbescheid vorgesehene Regelgeldbuße von 200 Euro festzusetzen und darüber hinaus das vorgesehene Fahrverbot von einem Monat zu verhängen.

Aber das KG sagt im KG, Beschl. v. 06.04.2018 – 3 Ws (B) 82/18: Schadet hier ausnahmsweise nicht, denn:

„3. Bei dieser Sachlage wäre im Normalfall der Rechtsfolgenausspruch nebst den dazu gehörigen Feststellungen aufzuheben, und das Amtsgericht müsste erneut entscheiden. An einer so genannten Durchentscheidung (§ 79 Abs. 6 OWiG) ist das Rechtsbeschwerdegericht bei einem auf die Rechtsfolgen bezogenen Darstellungs- und Begründungsmangel in der Regel gehindert.

Der hier zu entscheidende Fall weist insoweit jedoch eine Besonderheit auf, die den Senat ausnahmsweise in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden: Der Betroffene war in der Hauptverhandlung erlaubt abwesend, und er ist durch seinen Verteidiger vertreten worden. Der Verteidiger hat ausweislich der Urteilsgründe keine Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen können, und er hat, so versteht der Senat das Urteil, demzufolge auch nicht im Ansatz darlegen können, dass der Betroffene durch das Fahrverbot mehr als durch die erhöhte Geldbuße belastet wird. Erst recht hat der Verteidiger nicht dargelegt, dass der Betroffene durch das Fahrverbot überhart getroffen wird.

Es versteht sich von selbst, dass ein Betroffener, der sich durch einen Rechtsanwalt nach § 73 Abs. 3 OWiG vertreten lässt, seinen Vertreter über die Umstände zu unterrichten hat, über die er nach § 111 OWiG Auskunft geben muss (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 3 Ws (B) 357/16 –). Tut er dies nicht und versetzt er seinen Vertreter auch nicht in die Lage, über seine persönlichen und sonstigen beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Angaben zu machen, so begibt er sich der Möglichkeit, auf dieser Grundlage zu vom Bußgeldkatalog abweichenden, gegebenenfalls günstigeren Rechtsfolgen zu gelangen. Denn diese Umstände sind aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung, sondern der Verteidiger, der zugleich Vertreter ist, hat umfassend zu den konkreten Auswirkungen der Nebenfolge und namentlich zu Fahrverbotshärten vorzutragen und sie gegebenenfalls zu belegen (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 4. Aufl., § 6 Rn. 216); er muss sich darauf proaktiv berufen (vgl. Krumm, aaO, § 22 Rn. 90).

Auf dieser Grundlage geht der Senat davon aus, dass die Tatrichterin in der Hauptverhandlung keine weiteren Feststellungen dazu treffen konnte, wie der Betroffene durch das Fahrverbot belastet wird. Dies wiederum versetzt den Senat in die Lage, nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst zu entscheiden.

4. Die rechtsfehlerfrei festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung erfüllt den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV iVm Nr. 11.3.7. der Tabelle 1 c. Hiernach sind im Regelfall eine Geldbuße von 200 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG) zu verhängen.

Der Senat ist sich bei der Bemessung der Rechtsfolgen der Möglichkeit bewusst, vom regelhaft vorgesehenen Fahrverbot abzusehen, wenn es dessen Besinnungs- und Warnfunktion ausnahmsweise nicht bedarf oder wenn diese – gleichfalls ausnahmsweise – durch eine spürbar erhöhte Geldbuße erreicht werden kann. Hierfür spricht hier aber auf der Ebene des Handlungs- und Erfolgsunrechts nichts: Die Tat hebt sich nicht mildernd von der Mehrzahl der sonstigen Fälle, die dem Regelfall unterliegen, ab.

Dies gilt auch für die Möglichkeit, dass das Fahrverbot den Betroffenen überhart treffen könnte. Unabhängig davon, dass der Betroffene nach § 111 OWiG im Grundsatz verpflichtet ist, seinen Beruf mitzuteilen, hat er hier jedenfalls von der Möglichkeit, seinen ausgeübten Beruf zu bezeichnen und geltend zu machen, dass ihn ein Fahrverbot beruflich oder privat mehr als eine Geldbuße oder sogar überhart trifft, keinen Gebrauch gemacht. Der Senat hat daher keinen Anlass, über die Sanktionsempfindlichkeit des Betroffenen zu spekulieren, und erkennt auf der Grundlage der der Tatrichterin möglich gewesenen Feststellungen unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfrei festgestellten Tat, der fehlenden Vorbelastungen und der weiteren namentlich in § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG bezeichneten Umstände auf die Regelgeldbuße von 200 Euro und das einmonatige Regelfahrverbot. Zugleich räumt der Senat dem Betroffenen den durch § 25 Abs. 2a StVG ermöglichten Vollstreckungsaufschub ein.“

Schon ein wenig kurios und nicht so ganz einfach mit den Prinzipien des Strafverfahrens/-Bußgeldverfahrens in Einklang zu bringen. „Proaktiv“ liest sich gut, aber ich wäre mit solchen Formulierungen vorsichtig.

Allerdings trotz der Bedenken: Man sollte sich als Verteidiger vor der Vertretung des Mandanten in der HV schon ein paar Informationen geben lassen. Hinterher zu lamentieren, wird im Zweifel nicht viel bringen.

Entbindung III: Die rasende Hebamme, oder: Notstand?

© psdesign1 – Fotolia

Und als dritte Entscheidung zur Entbindung dann der KG, Beschl. v. 10.01.2018 – 3 Ws (B) 252/17. Dieses mal allerdings keine „§§ 73, 74 OWiG-Problematik“, aber eine „Entbindungsproblematik“ an anderer Stelle, nämlich in Zusammenhang mit einem Fahrverbot. Die Betroffene, eine Hebamme, ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden – Überschreitung  der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nach Toleranzabzug um 41 km/h. Von einem Fahrverbot hat das AG abgesehen.

„Zwar hat das Amtsgericht nicht verkannt, dass es sich bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 41 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften grundsätzlich um eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers handelt, die nach Nummer 11.3.7 der Anlage zur BKatV regelmäßig neben einer zu verhängenden Geldbuße auch mit einem einmonatigen Fahrverbot zu ahnden ist. Gleichwohl hat das Amtsgericht wegen besonderer Umstände des Einzelfalles gemeint, unter Erhöhung des Bußgeldes von der Verhängung eines Fahrverbots absehen zu können.

Dazu hat es im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Die Betroffene ist selbständige Hebamme und betreut Patientinnen im gesamten Stadtgebiet. Daneben leitet sie ein Geburtshaus, in dem weitere Kolleginnen freiberuflich tätig sind. In dieser Funktion werde sie häufig von anderen Hebammen zur Unterstützung hinzugezogen. Am Tattag sei sie von einer Kollegin angerufen worden, da es bei einer von dieser betreuten Geburt zu einer Notfallsituation gekommen sei. Die Herztöne des Kindes seien plötzlich stark abgefallen. Zur Unterstützung der Kollegin habe sich die Betroffene daher schnellstmöglich in das Geburtshaus begeben wollen.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Amtsgericht unter diesen Umständen von einer Situation ausgegangen ist, die der eines rechtfertigenden Notstandes im Sinne von § 16 OWiG sehr nahe kam. Diese Ausführungen rechtfertigen entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Ansicht jedoch ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nicht. Bei einer möglichen Gefahr für Leib oder Leben von Mutter oder Kind bei der von der Kollegin der Betroffenen betreuten Geburt wäre es vielmehr angezeigt gewesen, sich um ärztliche Hilfe, ggf. auch durch einen Notarzt oder durch Verlegung in ein Krankenhaus, zu bemühen.

Ferner lassen die Urteilsausführungen zur Rechtsfolgenbemessung nicht hinreichend erkennen, warum das Amtsgericht der Ansicht gewesen ist, allein die Verhängung einer erhöhten Geldbuße werde zur Einwirkung auf die Betroffene ausreichen. Denn die Betroffene ist einschlägig vorbelastet. Nur 5 Tage vor der hiesigen Tat hat der Polizeipräsident in Berlin gegen die Betroffene ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 2) wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h innerorts einen Bußgeldbescheid erlassen. Zwar ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob der Bußgeldbescheid der Betroffenen zum Tatzeitpunkt bereits zugestellt war. Von der Einleitung Bußgeldverfahrens wegen Geschwindigkeitsüberschreitung hat die Betroffene nach Lage der Dinge jedoch Kenntnis gehabt, ohne dass dies sie von einer erneuten und noch dazu erheblich höheren Geschwindigkeitsüberschreitung abgehalten hat. Unter diesen Umständen hätte es einer eingehenden Begründung bedurft, warum das Amtsgericht gleichwohl der Auffassung war, die Betroffene werde sich auch ohne die Verhängung eines Fahrverbots allein die Verurteilung zu einer Geldbuße zur Warnung dienen lassen.“

Ich hätte es wahrscheinlich anders gemacht.

Fahrverbot I: Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts beim Überholen, oder: Natürlich Fahrverbot

© psdesign1 – Fotolia

Heute ist 1. Maifeiertag. Wenn ich allerdings so aus dem Fenster schaue, wird es mit einer Fahrradtour und/oder einem Maigang hier in Münster nichts werden. Es ist trüb und regnerisch, also: Passen wir uns dem 1. Mai-Motto an: Tag der Arbeit 🙂 . Und an dem gibt es Entscheidungen zum Fahrverbot nach § 25 StVG. Ganz normal, wie immer drei Entscheidungen.

Die erste ist dann der OLG Bamberg, Beschl. v. 12.02.2018 – 2 Ss OWi 63/18. Das AG hatte bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen. Begründung des AG: ein „grober Pflichtenverstoß iSd § 25 I 1 StVG erfordere kumulativ das Vorliegen von zwei Elementen, nämlich objektiv eine besondere Gefährlichkeit des Verstoßes (Erfolgsunwert) und subjektiv eine gesteigert nachlässiges, leichtsinniges oder gleichgültiges Verhalten (Handlungsunwert). Vorliegend könne aus dem nur kurzfristigen Beschleunigen beim Überholen eines Busses bei vollkommen freier Fahrbahn weder auf eine gesteigerte Fahrlässigkeit noch auf eine nicht rechtstreue Gesinnung geschlossen werden kann; vielmehr habe sich der Betr. in dem Wissen, dass sich im weiteren Streckenverlauf eine kilometerlange Passstraße mit durchgehendem Überholverbot befinde, fahrlässig zum Überholen entschlossen, wobei zu seinen Gunsten ferner zu werten sei, dass die Straße am Tatort äußerst übersichtlich und besonders breit ausgebaut und zudem schnurgerade verlaufe und sehr gut einsehbar sei. Im Übrigen weise der Tatort weder Wohnbebauung noch Fußgängerverkehr auf, weshalb nicht von einem Regelfall für ein Fahrverbot auszugehen sei.“

Dass das beim OLG Bamberg nicht halten würde, lag auf der Hand. Das OLG hat im OLG Bamberg, Beschl. v. 12.02.2018 – 2 Ss OWi 63/18 – aufgehoben. Begründung – ohne die üblichen Textbausteine:

„Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermögen die bisherigen Feststellungen des AG eine Ausnahme von der gebotenen Verhängung des Regelfahrverbotes auf der tatbestandlichen Ebene nicht zu rechtfertigen.

a) In objektiver Hinsicht beschreiben die Tatbestände, für die § 4 I BKatV […] das Fahrverbot als Regelsanktion vorsieht, Verhaltensweisen, die besonders gravierend und gefahrenträchtig sind. Beim ihrem Vorliegen kommt es auf die weiteren Einzelheiten der Verkehrssituation regelmäßig nicht an (BGHSt 43, 241, 248). Insbesondere kann die Beschaffenheit des Tatortes den Betr. grundsätzlich nicht entlasten. Die vom AG herangezogenen örtlichen Verhältnisse, nämlich dass „die Straße am gerichtsbekannten Tatort äußerst übersichtlich und besonders breit ausgebaut und zudem schnurgerade und sehr gut einsehbar ist“, sowie das Nichtvorliegen von „Wohnbebauung oder Fußgängerverkehr“ am Tatort vermögen den Erfolgsunwert des Regelfalls nicht zu beseitigen (Burhoff/Deutschera.O. Rn. 1581; vgl. OLG Düsseldorf DAR 1997, 409; BayObLGSt 1994, 56). Diese Umstände belegen nicht, dass die von der erheblichen Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausgehende abstrakte Gefahr am Tatort ausgeschlossen war, dies insbesondere bei einem Überholvorgang, bei dem der überholte Bus, je nach Blickwinkel, den überholenden Pkw zeitweise verdeckte.

b) Hinsichtlich des subjektiven Elements (Handlungsunwert) lässt nicht das schlichte Fehlen einer „gesteigerten Fahrlässigkeit“ beim Betr. die Vermutungswirkung des Regelfalles einer groben Pflichtwidrigkeit entfallen, sondern erst das Vorliegen von Ausnahmeumständen, die den objektiv groben Verstoß (hier Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h) in subjektiver Hinsicht nicht besonders verantwortungslos erscheinen lassen. Nur wer aufgrund geringen Verschuldens (etwa weil er infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste) einen – wie hier – objektiv schwerwiegenden Verkehrsverstoß begeht, bedarf nicht der Einwirkung des Fahrverbots neben einer Geldbuße, um ihn dazu anzuhalten, die Verkehrsvorschriften zu beachten (Hentschel NZV 1997, 527, 528).

aa) Das kurzfristige Beschleunigen beim innerörtlichen Überholvorgang auf immerhin 82 km/h bei vollkommen freier Fahrbahn vermag die gewichtige Indizwirkung des hier gegebenen Regelfalles nicht auszuräumen. Ein Überholvorgang, bei dem die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten werden darf (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 44. Aufl., § 5 StVO Rn. 32, § 3 StVO Rn. 45a), wird wissentlich und willentlich durchgeführt. Beim Überholen ist der überholende Kraftfahrer allgemein zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet (vgl. OLG Köln DAR 1967, 17). Das verfahrensgegenständliche Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit anlässlich eines innerörtlichen Überholvorgangs bei „vollkommen freier Fahrbahn“ führt daher nahezu zwingend zur Annahme einer auch subjektiv groben Pflichtverletzung. Ein Fehler, wie er auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft (etwa in Form eines sog. Augenblickversagens), ist ausgeschlossen.

bb) Schließlich ist es auch verfehlt, eine gleichsam notstandsähnliche Situation deshalb anzunehmen, wie es das AG scheinbar getan hat, weil sich der Betr. zum Überholen „in dem Wissen“ entschloss, dass vor ihm eine kilometerlange Passstraße mit durchgehendem […] Überholverbot […] lag.“