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Geplatzter Termin, oder: Wenn der „eindeutige Wortlaut“ zu unsinnigen Ergebnissen führt

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Und als zweite Entscheidung stelle ich dann den OLG München, Beschl. v. 23.04.2018 – 6 St (K) 12/18 – vor. Er gehört in die Kategorie: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein OLG seine Meinung ändert. Zumindest das OLG München. Der Kollege – in München als Verteidiger in einem umfangreichen Verfahren tätig – hat für einen ausgefallen Termin eine Terminsgebühr geltend gemacht. Der Rechtspfleger schreibt ihm, dass er dem anberaumten Termin bis 09:45 nicht erschienen sei. Das stimmt. Die Terminsabsetzung war der  Kanzlei des Kollegen um 09:05 Uhr mitgeteilt worden. Als er davon erfuhr, war er auf dem Weg zum Strafjustizzentrum, die Anfahrt hat er sodann abgebrochen. Die Terminsgebühr ist nicht festgesetzt worden. Das OLG sieht es ebenso wie der Rechtspfleger:

„Ein Rechtsanwalt verdient die Terminsgebühr nach Nr. 4121 VV RVG für die Teilnahme an der Hauptverhandlung (Vorb. 4 Abs. 3 Satz 1 VV RVG). Er erhält die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet (Vorb. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG). Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt hat (Vorb. 4 Abs. 3 Satz 3 VV RVG).

Der klare und eindeutige Wortlaut der genannten Vorschriften macht damit das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig. Zu einem Termin erscheint ein Rechtsanwalt, wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (Senat, Beschluss vom 14.3.2014, 6 St (k) 5/14; Beschluss vom 19.7.2013, 6 st (k) 15/13; OLG München, NStZ-RR 2008, 159).

Soweit „entgegen dem Wortlaut“ der Vorb. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG die Auffassung vertreten wird, für den Anfall der Gebühr genüge bereits die Anreise zum Termin (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. [2017], Vorb. 4 VV Rdn 40), kann sich der Senat dieser Rechtsmeinung nicht anschließen. Ist der Wortlaut einer Vorschrift eindeutig und führt er zu einer sinnvollen Anwendung der Vorschrift, so kann ihr durch Auslegung nicht ein erweiternder Anwendungsbereich beigelegt werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl. [2017], Einl. Rdn. 193 f., 196). Vorb. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist eine Ausnahmeregelung (OLG München, NStZ-RR 2008, 159), die eng auszulegen ist. Wollte man bereits die Anreise zu einem Gerichtstermin für ein Erscheinen im Sinne der Vorschrift ausreichen lassen, führte dies zu erheblichen Abgrenzungsproblemen (dazu OLG München, NStZ-RR 2008, 159, 160). Derartige Abgrenzungsprobleme werden durch die hier vertretene enge Auslegung der Vorb. 4 Abs. 3 VV RVG sachgerecht vermieden.

An dieser bereits in seinem Beschluss vom 14.3.2014, 6 St (k) 5/14, vertretenen Rechtsansicht hält der Senat fest. Sie findet ihre Bestätigung in den Gesetzesmaterialien. Dort ist zu Vorb. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ausgeführt, es sei kein Grund ersichtlich, warum ein Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheine, hierfür keine Gebühr erhalten solle. Er erbringe unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins (BTDrs. 15/1971, §. 221). Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den nutzlosen Zeitaufwand nur in den Fällen vergütet wissen will, in denen der Rechtsanwalt auch zu einem Hauptverhandlungstermin erscheint.

3. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist für den 20. Februar 2018 eine Terminsgebühr nach Nr. 4121 i.V.m. Vorb. 4 Abs. 3 VV RVG nicht angefallen.

Der Antragsteller ist am 20. Februar 2018 nicht zu einem anberaumten Termin mit dem Ziel der Teilnahme im Gericht erschienen.

Allein die Anreise zu den Terminen vom 20. Februar bis 22. Februar 2018, kann eine Terminsgebühr nicht begründen. Entscheidend für den Anfall einer Terminsgebühr ist — unabhängig von der Entfernung zwischen Kanzleisitz und Gerichtsort die Teilnahme am oder das Erscheinen zu einem Hauptverhandlungstermin. Eine erweiternde Auslegung der Vorb. 4 Abs. 3 VV RVG gegen ihren eindeutigen Wortlaut ist nicht möglich.“

In meinen Augen falsch und eindeutig gegen Sinn und Zweck der Vorschrift entschieden. Aber das interessiert das OLG München nicht, Hauptsache der Wortlaut passt. Und wozu führt diese Rechtsprechung? Verteidigertourismus 2.0, denn: Der Kollege wird demnächst die Anfahrt nicht abbrechen, sondern weiter anreisen und „erscheinen“, damit das OLG zufrieden ist. Allerdings: Wenn er Pech hat – und ich traue der Rechtsprechung an der Stelle alles zu – wird ihm dann entgegengehalten werden: Bist ja rechtzeitig abgeladen worden – also Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 4 VV RVG. Potentieller Irrsinn.