KCanG II: Encro-Chat-Verwertung nach KCanG erlaubt?, oder: Aufhebung einer (alten) Abstinenzweisung

Bild von Dad Grass auf Pixabay

Und im Mittagsposting dann zwei Entscheidungen, und zwar einmal OLG und einmal LG.

Zunächst der Hinweis auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 13.05.2024 – 1 Ws 32/24 – zu Verwertbarkeit einer EncroChat-Kommunikation nach Inkraftreten des KCanG. Die hatten das KG im KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – und das LG Mannheim im LG Mannheim, Urt. v. 12.4.2024 – 5 KLs 804 Js 28622/21 – ja verneint, das LG Köln hatte Sie hingegen im LG Köln, Beschl. v. 16.4.2024 – 323 Qs 32/24 – bejaht. Nun also das OLG Hamburg mit folgenden amtlichen Leitsätzen:

  1. Die Rechtmäßigkeit einer Verwertung von EncroChat-Daten vor dem 1. April 2024 wird durch die Neuregelungen des KCanG nicht berührt.
  2. Nach Ansicht des Senats sprechen gute Gründe dafür, dass – es für die Verwertbarkeit nach § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die betroffenen Beweismittel Eingang in das Strafverfahren gefunden haben und dementsprechend- eine Verwertung von EncroChat-Daten, die vor dem 1. April 2024 rechtmäßig in entsprechender Anwendung des § 100e Abs. 6 StPO Eingang in ein Strafverfahren gefunden haben, auch dann zulässig bleibt, wenn nunmehr aufgrund des seit dem 1. April 2024 in Kraft befindlichen Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) aufgrund des Fehlens einer Katalogtat die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO nicht mehr vorliegen.

Dazu meinte der Kollege Welke, der mich (auch) auf den Beschluss hingewiesen hatte, nicht zu Unrecht: Das meint es anders zu sehen als das KG und LG Mannheim. Wenn man aber genau hinschaut, stimmt das nicht. Denn: nach der Rechtsprechung des BGh zu EncroChat kommt es als Zeitpunkt der Verwertung der Daten auf die Entscheidung des Gerichts an. Deswegen kam ja auch das LG Mannheim zur Uverwertbarkeit, da es ja am 12.04.2024 und damit nach der seit 01.04.2024 bestehenden Rechtslage zu prüfen hatte. Hier im OLG-Beschluss geht es nun aber um ein Urteil, dass am 20.02.2023 durch das LG verkündet wurde. Zu dem Zeitpunkt waren die Daten, wenn man sie denn überhaupt als verwertbar ansieht, noch verwertbar. Die Gerichte werden sich über entsprechende Diskussionen freuen.

In dem Zusammenhang dann der Hinweis auf einen Beitrag von LTO zum „Bundes-Marco“, unserem allseits beliebten BMJ, und zwar „Gesetzeslücke bei illegaler Einfuhr großer Mengen Cannabis? Marco Busch­mann setzt auf die Recht­sp­re­chung“.

Und als zweite Entscheidung dann der LG Mannheim, Beschl. v. 10.05.2024 – R 18 StVK 285/22 -, den mir der Kollege Welke geschickt hat. Dessen Mandat war mit Verstößen gegen das BtMG im Zusammenhang mit Cannabis, welche nach dem KCanG auch heute noch strafbar wären, und deswegen verurteilt worden. Nach Teilverbüßung ist die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Im Bewährungsbeschluss hieß es u.a.: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten. Während der gesamten Bewährungszeit hat sich der Verurteilte nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers zum Nachweis seiner Suchtmittelfreiheit regelmäßig, mindestens jedoch einmal im Quartal, Drogenscreenings zu unterziehen. …..“

Der Kollege hat dann nach dem 01.04.2024 beantragt, gemäß § 58e StGB dieaw Weisung aus dem Beschluss aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass keine Drogenscreenings mehr abgegeben werden müssen. Dazu dann das LG Mannheim, das die Weisung aufgehoben hat und wie folgt neu gefasst hat: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen bzw. des nach KCanG verbotenen Umgangs mit Cannabis zu enthalten„:

„Dem Antrag konnte dabei im erfolgten Umfang entsprochen werden, zumal auch die Bewährungshelferin keine Hinweise sieht, die dafür sprechen könnten, die Kontrollweisung aufrechtzuerhalten. Die Weisung, sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten, hat auch nach Ein-führung des KCanG weiterhin Berechtigung, und zwar auch im Umgang mit Cannabis, der, soweit hier von Relevanz, nur innerhalb der Grenzen des § 2 Abs. 3 KCanG vom generell verbotenen Umgang ausgenommen ist bzw. im Rahmen des § 34 KCanG unter Strafe gestellt ist.“

KCanG I: Gleichzeitiges Bereithalten einer Waffe, oder: Klammerwirkung auch nach neuem Recht

Bild von gerardogomezgordillo auf Pixabay

Es ist Montag, also Start in die neue Woche. Und da habe ich ja zum Wochenanfnag häufig Entscheidungen zu neuen Problemkreisen, das war bei Corona so, dann kamen die Klimakleber und das beA. Derzeit beschäftigen uns die Fragen, die mit dem KCanG zusammenhängen. Dazu gibt es dann heute auch wieder drei Entscheidungen.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 30.04.2024 – 6 StR 164/24. Nein, es ist keine Entscheidung des BGH, in der dieser sagt: Tut uns leid, dass wir die neue „nicht geringe Menge“ nur bei 7,5 g n/ml angesetzt haben, wir ändern das mal wieder – das AG Mannheim (vgl. AG Mannheim, Urt. v. 29.04.2024 – 2 Ls 801 Js 37886/23 und dazu: KCanG II: „Neue“ „nicht geringe Menge“ liegt bei 75 g, oder: Fortbildung des AG Mannheim für den BGH?) hat Recht. Nein, es bleibt alles beim Alten – leider. Die Entscheidung zementiert den „BGH-Grenzwert“ und nimmt dabei zu einer konkurrenzrechtlichen Frage Stellung.

Das LG hat den Angeklagten wegen „bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen ein Waffenbesitzverbot in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe v verurteilt. Der BGH hat unter Aufrechterhaltung der Feststellungen aufgehoben:

„1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

a) Mach den Feststellungen kaufte der Angeklagte im Frühjahr 2022 ein Kilogramm Amphetamingemisch und 200 Gramm Marihuana. Das Amphetamingemisch verkaufte er gewinnbringend nahezu vollständig zum Preis von 5.000 Euro. Vom Marihuana verkaufte er nur einen kleinen Teil, verbrauchte es teilweise und bewahrte die übrigen 168,1 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 14,81 Gramm THC auf, um sie später zu konsumieren oder zu verkaufen (Fall II.1 der Urteilsgründe). Im Dezember 2022 kaufte der Angeklagte ein weiteres Kilogramm Amphetamingemisch, von dem er 226,12 Gramm zum Preis von fünf Euro pro Gramm verkaufte. Am 27. Februar 2023 verwahrte er in der Küche seines Wohnhauses neben der Restmenge des im Dezember gekauften Amphetamingemischs mit einem Wirkstoffanteil von 64,69 Gramm Amphetaminbase auch das restliche im Frühjahr 2022 erworbene Marihuana. Dort lagen griffbereit auf der Sitzfläche eines Stuhls eine funktionsbereite, geladene Schreckschusspistole und in einem Schrank ein Teleskopschlagstock (Fall II.2 der Urteilsgründe).

b) Die Strafkammer hat bei ihrer konkurrenzrechtlichen Wertung nicht erkennbar bedacht, dass eine Tat anzunehmen gewesen wäre, wenn es sich bei dem zur Veräußerung bestimmten Anteil des am 27. Februar 2023 noch vorhandenen Marihuanas um eine nicht geringe Menge gehandelt hätte.

aa) Werden zwei unterschiedliche, zum Verkauf bestimmte, nicht geringe Mengen von Betäubungsmitteln in einem Raum aufbewahrt, verbindet wegen der Teilidentität der Ausführungshandlungen das gleichzeitige Bereithalten einer Waffe im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG an diesem Ort beide Taten zur Tateinheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2020 – 1 StR 9/20,BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Nr. 2 Konkurrenzen 2; vom 9. Juli 2020 – 5 StR 208/20; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz 10. Aufl., § 30a Rn. 130a).

bb) Die Annahme nur einer Tat kommt auch bei Berücksichtigung der nach § 354a StPO, § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden neuen Vorschriften des zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes (KCanG) in Betracht. Denn der als Verbrechen ausgestaltete Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, der hier erfüllt sein könnte, hat die Kraft, das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hinsichtlich des im Frühjahr 2022 erworbenen Amphetamins (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln hinsichtlich des im Dezember 2022 gekauften Amphetamins (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) zu einer Tat zu verklammern. Soweit der Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG eine nicht geringe Menge voraussetzt, wäre dieser Grenzwert von 7,5 Gramm THC (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24) unter Berücksichtigung des festgestellten Wirkstoffgehaltes von acht Prozent bei einer Handelsmenge von 93,75 Gramm erreicht.

c) Der Senat ist gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu ändern, weil ihm die dafür nötigen Feststellungen fehlen. Es ist offengeblieben, welcher Anteil des noch vorhandenen Marihuanas zum Konsum und welcher zum Verkauf bestimmt war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 – 5 StR 582/17, NStZ-RR 2018, 113).“

Sonntagswitz, heute läute ich die „Fußballzeit“ ein mit Fußballwitzen

© Teamarbeit – Fotolia.com

Und dann der Sonntagswitz. Ich mache dann heute mal Fußballwitze, denn der Wahnsinn – manch einer weiß, dass ich Fußball liebe – geht ja allmählich los. Die Angebotsflyer sind voll mit „Fußballangeboten“, die ersten Fahnen an den Pkws tauchen auf: Dann weiß man: Es ist Fußballtime und man entkommt dem Wahnsinn nicht. Na ja, muss man durch.

Hier also kommen dann:

Kassiererin: „Sammeln Sie Punkte?“

Mann: „Nein, ich bin HSV-Fan.“


Fußballer: „Wie heißt eigentlich Ihr Hund?“

Schiedsrichter: „Ich habe gar kein Hund?“

Fußballer: „Blind und keinen Hund. Das tut mir leid!“


Fußballer kommt nach dem Spiel nach Hause: „Ich habe heute zwei Tore geschossen!“

Frau: „Und wie ist das Spiel ausgegangen?“

Fußballer: „1:1“


Trainer: „Was ist los mit Euch? Ich habe doch gesagt, ihr sollt so spielen wie noch nie!“

Spieler: „Was willst Du? Wir haben doch auch so gespielt, als hätten wir noch nie gespielt?“

Wochenspiegel für die 22 KW., das war beA, YouTube, Temu, Mogelpackung und große „nicht geringe Menge“

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Ich starte dann in den Sonntag mit dem Wochenspiegel für die ablaufendes 22. KW. Ist jetzt immer etwas mühsam(er) den zu erstellen, seotdem es JuraBlogs und seinen Nachfolger nicht mehr gibt. Aber ich will es noch weiter versuchen, bevor ich dann vielleicht doch umstelle auf etwas anderes. Mal sehen.

Jedenfalls kommen hier dann folgende Hinweise:

  1. beA-Update 3.26 Korrespondenz mit Mandanten über „Mein Justizpostfach“ (MJP)
  2. EU-Kommission: TEMU ist eine sehr große Online-Plattform im Sinne des Digital Services Act (DSA) – Gesetz über digitale Dienste
  3. BGH: Wettbewerbswidrige Mogelpackung liegt in der Regel dann vor wenn sie nur bis zu zwei Drittel gefüllt ist
  4. Kanzleifunk 215: SteuerGPT – mit StB WP Florian Lang
  5. Israel als “Virus” bezeichnet – Aussage durfte als “Antisemitisch” erklärt werden
  6. Die Anhebung der Regelaltersgrenze und ihre Bedeutung für die Betriebsrente

  7. Kostenloses Webinar: Hackerangriff aus Sicht der Angreifer und IT-Forensik

  8. und aus meinem Blog: KCanG II: „Neue“ „nicht geringe Menge“ liegt bei 75 g, oder: Fortbildung des AG Mannheim für den BGH?

beA II: Anforderung an sorgfältige Ausgangskontrolle, oder: Zivilrecht gilt auch für Strafverteidiger

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung der LG Limburg, Beschl. v. 16.04.2024 – 2 Qs 123/23 -, in dem das LG zum beA-Versand bzw. dem Nachweis über den Zugang durch eine sorgfältige Ausgangskontrolle Stellung nimmt.

Wir befinden uns nach Freispruch des Betroffenen im OWi-Verfahren im Kostenfestsetzungsverfahren. Das AG hat die Kosten nur zum Teil festgesetzt. Ob der Verteidiger dagegen wirksam rechtzeitig per beA Beschwerde eingelegt hat, ist streitig. Er hat einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, der beim AG und LG keinen Erfolg hatte:

„1. Die gemäß §§ 464b S. 3, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RpflG statthafte sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gem. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden ist.

Bei dem Amtsgericht ist auch nach interner Prüfung, soweit dies unter Mitwirkung des Verteidigers möglich war, kein Schriftsatz eingegangen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde war nicht zu gewähren.

Über den Wiedereinsetzungsantrag wegen Fristversäumung des Beschwerdeführers entscheidet gem. §§ 46 Abs. 1, 464b S. 3 StPO die Kammer als Beschwerdegericht in der für das Strafverfahren üblichen Besetzung mit dem gesamten Spruchkörper. § 568 S.1 ZPO, wonach das Beschwerdegericht durch den Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Rechtspfleger erlassen wurde, findet keine Anwendung (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 464b Rn. 7).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO).

In dem Antrag ist ein Lebenssachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen, der das fehlende Verschulden des Betroffenen an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung entgegenstehen. Der Antrag ist binnen 1 Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) (BGH, Beschl. v. 5.9.2023 – 3 StR 256/23 = NStZ-RR 2023, 347, beck-online).

„Verhindert“ bedeutet, entgegen seinem Willen eine Frist nicht wahren zu können. „Ohne Verschulden“ handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Eigenschaften unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mögliche und zumutbare Sorgfalt beachtet. Dabei dürfen im Interesse der materiellen Gerechtigkeit keine allzu hohen Anforderungen an den Säumigen gestellt werden (MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 44 Rn. 38, 40).

Der Bundesgerichtshof stellt an die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) Sorgfaltsanforderungen.

a) Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Maßstab an den sorgfältigen Umgang mit dem beA gilt nicht nur in der Ziviljustiz. Seit dem 01.01.2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument gemäß § 130d S. 1 ZPO über das besondere elektronische Postfach (beA) bei Zivilgerichten eingereicht werden. Eine für die Strafjustiz gleich umfangreiche Regelung hat der Gesetzgeber bislang nicht getroffen. Mit der Einführung der §§ 32 ff. StPO hat der Gesetzgeber (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017, Bl. 2208) indes die Grundlagen für die elektronische Akte und die elektronische Kommunikation im Strafverfahren gelegt. Durch Inkrafttreten des § 32d StPO sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht für die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage.

Bedient sich der Strafverteidiger – unabhängig einer ggf. nur fakultativen Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks an das Strafgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs dem beA, gelten für ihn zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Sorgfaltspflichten.

b) Neben der Eingangskontrolle beim Empfang von Nachrichten verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere eine umfangreiche Ausgangskontrolle beim Versand von beA-Nachrichten. Ein Rechtsanwalt hat ggf. durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809 Rn. 8, beck-online)

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erteilt worden ist (BGH Beschluss vom 11.1.2023 – IV ZB 23/21 = NJW-RR 2023, 425, beck-online). Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war (BGH, Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 94/21 = NJW 2021, 3471, beck-online).

Die Ausgangskontrolle eines Schriftsatzes an das Gericht per beA beschränkt sich nicht auf die bloße Kenntnisnahme der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 ZPO (NJW 2023, 1537 Rn. 3, beck-online). Die Kontrollpflicht umfasst die erforderliche Überprüfung, ob die Übermittlung vollständig, an den richtigen Empfänger und bezogen auf den ggf. angefügten Schriftsatz erfolgreich erfolgt ist (BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online). Für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA bei fristgebundenen Schriftsätzen genügt jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen an das Gericht erfolgt ist, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens ist auch zu prüfen, welcher Art der Schriftsatz war (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online; BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809, beck-online). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax, bei dem das Original des Schriftsatzes zur Übermittlung in das Telefax-Gerät eingelegt wird – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online).

Bei der Vergabe eines „sinnvollen“ Dateinamens, der ohne Weiteres auch Rückschlüsse auf den Inhalt des Dokuments zulässt, kann sich der sorgfältige beA-Nutzer an den formalen Anforderungen der am 20.09.2017 erlassenen Verordnung der Bundesregierung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) orientieren. Zu den formalen Anforderungen an elektronische Dokumente sieht § 2 Abs. 2 ERVV vor:

Der Dateiname soll den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten. Der Dateiname des Schriftsatzes soll der üblichen Bezeichnung in der jeweiligen Prozessordnung entsprechen, also beispielsweise als Klageschrift, Klageerwiderung, Berufungs- oder Revisionsschrift oder Kostenfestsetzungsantrag bezeichnet werden. Der Schriftsatz und die Anlagen sollen neben der Inhaltsbezeichnung durch die Voranstellung einer Nummerierung (etwa 01, 02, 03 …) geordnet werden (BR-Drs. 645/17, S. 2, 13).

Mit der Vergabe eines sinnvollen Dateinamens ist nicht nur der Reduzierung des Aufwands für Gerichte, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher bei der Führung einer elektronischen Akte gedient (BR-Drs. 645/17, S. 13), sondern auch dem Rechtsanwalt, der Fehlerquellen bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke auf elektronischem Wege möglichst zu eliminieren gesucht.

c) Die dem Rechtsanwalt auferlegten Überprüfungspflichten sind zumutbar. Die Ausgangskontrolle ist über die Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung, anhand des Übermittlungsprotokolls mittels der dort verfügbaren Informationen unter der Überschrift „Anhänge“ sowie anhand des Abschnitts „Zusammenfassung und Struktur“ des Prüfprotokolls möglich (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online).

Die Bundesrechtsanwaltskammer stellt beA-Nutzern zum erleichterten Umgang über ihren frei zugänglichen Internetauftritt (vgl. https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak, zuletzt aufgerufen am 09.04.2024) eine umfangreiche Anwenderhilfe und Support im Umgang mit der Nutzung des beA zur Verfügung, deren sich beA-Nutzer bedienen können, und informiert insbesondere zum Nachweis über den Zugang von Nachrichten bei Gerichten am Maßstab höchstrichterlicher Rechtsprechung praxis- und anwenderfreundlich.

Diesen Anforderungen ist die Ausgangskontrolle des Verteidigers des Beschwerdeführers unter Zugrundelegung des Wiedereinsetzungsvortrags nicht gerecht geworden.

Die verteidigerseits vorgelegte Dokumentation zur beA-Nachricht lässt nicht den Schluss zu, dass die sofortige Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 464b S. 4 StPO beim Amtsgericht eingegangen ist. Den Darlegungen des Betroffenen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Verteidiger eine hinreichende Ausgangskontrolle in Eigenverantwortung gewährleistet hat. Ohnehin würde die Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung führen (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online).

Aus dem vom Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers vorgelegten Prüfprotokoll für den 28.07.2022 über Schriftsätze in dieser Sache ergibt sich, dass hier die der beA-Nachricht angehängte Datei „A-b-e-l-.pdf“ versandt worden war. Für diese Tatsache genügt der vorgelegte beA-Sendenachweis. Soweit der Verteidiger darüber hinaus mit der Vorlage auch den Nachweis zu erbringen versucht, dass es sich bei dem Anhang inhaltlich um die sofortige Beschwerde handelt, kann ihm dies nicht gelingen. Eine sorgfältige Ausgangskontrolle anhand eines sinnvoll gewählten Dateinamens hat der Verteidiger versäumt.

Bei dem von dem Verteidiger frei gewählten Dateinamen handelt es sich um den Nachnamen des Beschwerdeführers, wobei die einzelnen Buchstaben jeweils mit einem „Bindestrich“ voneinander getrennt sind. Anhand der verkürzten Form des Dateinamens ist noch erkennbar, dass hier ein Schriftstück mit Bezug zum Betroffenen versandt worden war. Nicht feststellbar ist hingegen, ob das Schriftstück einen Bezug zum hiesigen Bußgeldverfahren aufweist. Der Dateiname ist nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen. Eine Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren oder eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ist durch den gewählten Dateinamen nicht möglich. Rückschlüsse auf den Inhalt des angehängten Dokuments lässt der gewählte Dateiname nicht zu. Der Verteidiger hat zudem die reale Gefahr einer Verwechslung hervorgerufen: Für die Übersendung eines vorangegangenen Schriftsatzes vom 25.04.2022 und eines nachfolgenden Schriftsatzes vom 02.12.2022 hat der Verteidiger ebenfalls die gleichlautende Dateibezeichnung „A-b-e-l-.pdf“ gewählt. Aufgrund des unklaren Dateinamens kann der vorgelegte beA-Sendenachweis nicht dem Nachweis dafür dienen, dass Inhalt des am 28.07.2022 übermittelten Anhangs die vermeintlich unter dem 27.07.2022 erhobene sofortige Beschwerde ist.

Für das Verschulden seines anwaltlichen Vertreters hat der Betroffene einzustehen.

Eine solche Zurechnung findet im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme ist jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setzt. So ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gem. § 44 Abs. 1 S. 1 StPO ein Verschulden trifft (vgl. BVerfG NJW 1994, 1856). Den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, kennt die Strafprozessordnung nicht (vgl. BVerfGE 60, 253 = NJW 1982, 2425). Auf dieses Privileg kann sich ein Beschuldigter nur berufen, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können. Bei anderweitigen Rechtsbehelfen muss dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betrifft etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar ist, so dass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet wird (BGH Beschluss vom 4.7.2023 – 5 StR 145/23 = NJW 2023, 3304, beck-online).

Dem steht die Kostenfestsetzung nach § 464b StPO gleich. Der Beschwerdeführer muss sich das Verschulden des Verteidigers im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO zurechnen lassen (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 44 Rn. 19). In diesem Fall besteht nicht das besondere Schutzbedürfnis, das allein die Ausnahme von dem Grundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO für den sich verteidigenden Beschuldigten rechtfertigt.“