StGB II: Schwerer Raub oder besonders schwerer Raub?, oder: Einsatz des Messers zur Beuteerzielung?

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Und als zweite Entscheidung dann eine BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 28.02.2024 – 5 StR 23/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung veurteilt. Insoweit hatte die Revision Erfolg.

„1. Im Fall II.2 der Urteilsgründe hält die Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Urteilsfeststellungen veranlassten der Angeklagte und drei Mittäter den Geschädigten P., am 30. April 2020 gegen 22.30 Uhr in das Auto eines seiner Tatgenossen zu steigen, um eine Streitigkeit im Zusammenhang mit dem Abschluss von Mobilfunkverträgen zu klären. Während der Fahrt schlug der Angeklagte den Geschädigten mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf, während einer der anderen Mitfahrer ihn am Hals ergriff. Die Fahrzeuginsassen forderten P.    auf, ihnen seine Geldbörse nebst Geldkarte auszuhändigen und die dazugehörige PIN zu nennen. Dem kam der Geschädigte infolge der Misshandlungen nach. Anschließend fuhren sie zu einem Geldautomaten, an dem der Angeklagte und einer seiner Mittäter gegen 22.50 Uhr 1.000 Euro vom Konto des Geschädigten abhoben. Sie wussten, dass sie keinen Anspruch auf das Geld hatten.

Danach fuhren sie in ein Waldstück, ließen den Geschädigten aussteigen, schlugen ihn mehrfach ins Gesicht und zwangen ihn, sich auszuziehen. Der Angeklagte hielt ihm ein Klappmesser vors Gesicht und drohte ihm, ein Auge auszustechen und seine Schwester zu vergewaltigen, falls er zur Polizei gehe. Einer der Mittäter schlug dem Geschädigten mit einem Gürtel mehrfach auf die Hände. Kurz nach Mitternacht fuhren sie zurück und versuchten vergeblich, ein weiteres Mal Geld vom Konto des Geschädigten abzuheben. Anschließend setzten sie P.    in der Nähe seines Wohnortes ab.

b) Der Schuldspruch wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung hat keinen Bestand, weil die Feststellungen den vom Landgericht angenommenen Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht tragen.

aa) Die Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug verwendet. Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Das Verwenden bezieht sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels zur Verwirklichung des Erpressungstatbestands. Es liegt danach vor, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht, um den Geschädigten zu einer Vermögensverfügung im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu nötigen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2020 – 3 StR 5/20, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 12). Wird die Waffe oder das andere gefährliche Werkzeug erst nach Vollendung der Erpressung, aber vor deren Beendigung verwendet, ist es wenigstens erforderlich, dass das Tatwerkzeug als Mittel zur Sicherung der Tatbeute eingesetzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 378; vom 8. Juli 2008 – 3 StR 229/08; NStZ-RR 2008, 342, 343).

bb) Gemessen daran wird ein Verwenden einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges bei der Erpressungstat nicht von den Feststellungen getragen. Als der Angeklagte und seine Mittäter den Geschädigten nötigten, seine Geldkarte auszuhändigen und die dazugehörige PIN zu offenbaren, setzten sie lediglich einfache körperliche Gewalt ein; eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug verwendeten sie hierzu nicht. Nach Vollendung der räuberischen Erpressung mit dem Nötigungserfolg dergestalt, dass der Geschädigte infolge der Misshandlungen die Geldkarte aushändigte und die PIN offenbarte (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 197/04, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 12), verwendete der Angeklagte zwar ein Klappmesser als Drohmittel und ein Mittäter einen Gürtel als Schlagwerkzeug. Insoweit lässt sich dem Urteil aber – auch in seinem Gesamtzusammenhang – nicht entnehmen, dass der Einsatz der gefährlichen Werkzeuge von einer Bereicherungs- oder wenigstens einer Beutesicherungsabsicht getragen war. Vielmehr diente deren Verwendung nach den getroffenen Feststellungen dazu, den Geschädigten von einer Anzeige bei der Polizei abzuhalten.

cc) Es bedarf daher erneuter Prüfung und Entscheidung, ob der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB oder lediglich den des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB durch das Beisichführens des Klappmessers verwirklicht hat. Der Rechtsfehler nötigt auch zur Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen der tateinheitlich verwirklichten Delikte des erpresserischen Menschenraubes und der gefährlichen Körperverletzung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.“

StGB I: Falsche „Impfbescheinigung“, aber zu Masern, oder: Unrichtiges Gesundheitszeugnis

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Und dann auf in den Wonnemonat (?) Mai. Heute hier mit StGB-Entscheidungen.

Ich beginne mit einer Entscheidung zum „Impfen“, und zwar noch einmal zu Impfbescheinigungen, allerdings nicht zu Corona/Covid 19, sondern zu einer Masernimpfung, die verweigert worden ist. Dazu stelle ich das OLG Celle, Urt. v. 09.04.2024 – 2 ORs 29/24  vor. Für dieses reichen m.E. aber die Leitsätze, da wir die Problematik ja auch bei Corona hatten und das dort eingehend erörtert worden ist. Die Leitsätze lauten:

1. Eine individualisierte, ärztlich ausgestellte (vorläufige) Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB.

2. Unrichtig im Sinne des § 279 StGB ist das Gesundheitszeugnis bereits dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies ist in der Regel dann gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde.

3. Für eine Strafbarkeit nach § 279 StGB ist es hingegen nicht erforderlich, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält (abweichend: BayOLG, Urteil vom 18.07.2022, Az. 2 StR 179/22).

Rechtsfolge III: Ist Betroffener Fahrerlaubnisinhaber?, oder: Keine „vorsorgliche“ Fahrerlaubnisentziehung

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Und dann noch etwas zu den Nebenfolgen, und zwar Entziehung der Fahrerlaubnis. Im LG Mönchengladbach, Beschl. v. 28.03.2024 – 24 Qs 34/24 – geht es zwar um eine vorläufige Entziehung nach § 111a StPO. Aber die entschiedene Frage hat/hätte auch Bedeutung, wenn es um die endgültige Entziehung geht.

Das AG hat die Fahrerlaubnis (vorläufig) entzogen. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Sowohl die vorläufige als auch die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO bzw. § 69 StGB setzen voraus, dass der hiervon Betroffene eine Fahrerlaubnis hat. Dies gilt auch dann, wenn es um die (vorläufige) Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis nach § 1 I la Abs. 3 S. 2, Abs. 6 StPO und § 69b StGB geht. Eine „vorsorgliche“ Entziehung der Fahrerlaubnis beim Vorliegen eines auch nur vagen Verdachts, der Täter könne im Besitz einer ausländischen Fahrerlaubnis sein, ist nicht zulässig (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.10.2010 – 5 Ss 471/10 -, Rn. 9, juris; Berz/Burmann StraßenverkehrsR-I-IdB, 16. A. Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Strafgerichte Rn. 301, beck-online). Diese Konstellation ist vergleichbar mit der Situation, dass der Betroffene nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, weil ihm diese bereits vorher (z.B. im Verwaltungswege) entzogen worden ist. Auch in diesem Fall ist eine vorläufige Maßnahme nach § 111a StPO unzulässig (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 21.06.1999 – 1 AR 681/993 Ws 315/99 -, juris).

So ist es hier: Der einzige Anhaltspunkt für eine ausländische Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers ergibt sich aus der VIVA Personenabfrage der Polizei, in der es heißt, der Beschwerdeführer habe einen Führerschein unter seinen Aliaspersonalien pp. Österreich, österreichischer Staatsangehöriger“ vorgelegt (B. 82 f. GA). Die Daten stammen aus unbekannter Quelle aus dem polizeilichen Informationssystem INPOL. Der Beschwerdeführer bestreitet, im Besitz einer (deutschen oder ausländischen) Fahrerlaubnis zu sein. Weiterführende, die Annahme einer österreichischen Fahrerlaubnis aufklärende Ermittlungen haben bisher nicht stattgefunden. Damit ergeben sich allenfalls vage Verdachtsmomente, die die angeordnete vorläufige Entziehung nicht zu stützen vermögen.

Sollten weitere Ermittlungen (z.B. über Verbindungsbeamte zur österreichischen Polizei oder im Wege der Rechtshilfe) ergeben, dass der Beschwerdeführer im Besitz einer deutschen, österreichischen oder sonstigen ausländischen Fahrerlaubnis ist, so wird über die Frage der vorläufigen Entziehung nach § 111a StPO erneut zu entscheiden sein. Am Vorliegen der weiteren, vom Amtsgericht detailliert und zutreffend geprüften, Voraussetzungen einer vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung nach § 111a StPO hat auch die Kammer nach gegenwärtiger Aktenlage keine Zweifel. Darüber hinaus dürfte sich nach gegenwärtiger Aktenlage – der Anfangsverdacht eines vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG ergeben.“

Rechtsfolge II: Strafrahmenwahl/konkrete Zumessung, oder: Gesamtwürdigung fehlerhaft

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Und dann noch eine Entscheidung zur Strafzumessung, aber nichts vom BGH, sondern der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.02.2024 – 1 ORs 340 SRs 86/24. Über den Beschluss habe ich schon einmal berichtet, und zwar wegen der „beA-Frage“ (s. hier: beA II: beA/elektronisches Dokument im Strafrecht, oder: Wiedereinsetzung, Ersatzeinreichung, Email ).

Nun also noch einmal wegen der Strafzumessung. Das AG hatte den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandencomputerbetrugs in 305 Fällen, gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 10 Fällen und versuchten gewerbsmäßigen Bandencomputerbetrugs in 58 Fällen unter Einbeziehung der Strafe von einem Jahr und 6 Monaten aus einem Urteil des AG Frankfurt am Main zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten. Die gegen dieses Urteil vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das LG verworfen, wobei es die Gesamtfreiheitsstrafe auf 2 Jahre und 10 Monate reduzierte.

Nach den Feststellungen des LG schloss sich der Angeklagte mit drei weiteren Personen im Jahr 2015 zusammen, um künftig organisiert und arbeitsteilig Krankenkassen betrügerisch zu schädigen und auf diese Weise dauerhaft Einnahmen zu erwirtschaften. Nach dem „Geschäftsmodell“ gründeten die Mitglieder der Gruppierung zwischen 2015 und 2018 eine Vielzahl von oft nur kurze Zeit existierenden Scheinfirmen, bei welchen fiktive Arbeitnehmer zu einem Monatsgehalt zwischen 3.400,- EUR und 5.600,- EUR eingestellt und bei verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen (pflicht)versichert wurden. Mit den von den Kassen auf die nichtexistierenden Arbeitnehmer ausgestellten Ausweisen konsultierten Mitglieder der Gruppierung verschiedene Ärzte und erwirkten bei diesen unter dem Namen der Scheinmitarbeiter die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Diese reichten sie bei den Krankenkassen ein und erlangten in 305 Fällen im vollautomatisierten Verfahren Aufwendungsersatzleistungen nach dem AAG, Wobei es in weiteren 58 Fällen beim Versuch geblieben sein soll, da die Erstattung durch Verrechnung mit den Beitragsforderungen erfolgte. In 10 Fällen erlangte die Gruppierung Krankengeld, dessen Auszahlung nicht automatisiert, sondern durch Verfügung der Sachbearbeiter der Krankenkassen erfolgte. Auf diese Weise erwirtschaftete die Gruppierung insgesamt mehr als 391.000,- EUR.

Das OLG beanstandet die tatsächlichen Feststellungen als lückenhaft. Zur Strafzumessung heißt es dann:

„2. Auch die Rechtsfolgenentscheidung weist durchgreifende Rechtsfehler auf. Sowohl die Ausführungen des Landgerichts zur Strafrahmenwahl wie auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung lassen besorgen, dass das Gericht die erforderliche Gesamtwürdigung nicht in rechtsfehlerfreier Weise vorgenommen hat, weil ein wesentlicher die Taten prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde, zudem in rechtsfehlerhafter Weise Umstände zu Lasten des Angeklagten in die Abwägung eingeflossen sind.

Bei der Prüfung eines minderschweren Falles gem. § 263 Abs. 5 S. 1 2. Alt. StGB und auch – nach dessen Verneinung – bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er die Taten über einen langen Zeitraum und mit einem sehr hohen Gesamtschaden begangen hat, wobei dieser noch in voller Höhe bestehe und nicht einmal teilweise wiedergutgemacht worden sei. Diese Erwägungen lassen nicht nur besorgen, dass dem Angeklagten rechtsfehlerhaft (vgl. Schönke-Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 46 Rn. 57i) das Fehlen eines Milderungsgrundes (Schadenswiedergutmachung) angelastet wurde, sondern auch, dass entgegen § 46 Abs. 3 StGB die Gewerbsmäßigkeit seines Vorgehens als ein die Qualifikation des § 263 Abs. 5 StGB begründendes Merkmal zu seinen Lasten berücksichtigt wurde. Zwar können bei der Strafzumessung Abstufungen bei den Tatbestands- bzw. Qualifikationsmerkmalen nach der individuellen tatschuld vorgenommen werden. Doch hat die Kammer nicht bedacht, dass die gewerbsmäßig begangenen Taten Bestandteil einer Tatserie waren (dieser Aspekt findet lediglich bei der Gesamtstrafenbildung Erwähnung), weshalb eine sinkende Hemmschwelle zu einer Verminderung des Schuldgehalts der Folgetaten führen kann (BGH Urt. v. 20.7.2016 – 2 StR 18/16, NStZ-RR 2016, 368; BGH Urt. v. 28.3.2013 – 4 StR 467/12, BeckRS 2013, 6623), auch wenn diese über einen langen Zeitraum begangen werden. Die Fortsetzung gleichförmig ausgeführter, nicht notwendig von vornherein geplanter Serienstraftaten in großer Zahl und über einen längeren Zeitraum ist daher nicht stets als Hinweis auf eine erhöhte bzw. sich steigernde krimineller Energie zu verstehen. Für eine Herabsetzung der Hemmschwelle des Angeklagten spricht, dass dieser – nach Auffassung der Kammer glaubhaft – bekundet hat, das Ganze sei schleichend immer größer geworden. Als sie gesehen hätten, wie einfach das gegangen sei, hätten sie weitergemacht. Es habe genug Ärzte gegeben, die mit Krankmeldungen schnell dabei gewesen seien, sie seien überrascht gewesen, wie das so einfach funktioniert habe.

Im Übrigen muss die Zumessung der Einzelstrafen bezogen auf das jeweilige durch das begangene Delikt verwirklichte Unrecht erfolgen. Dabei hätte insbesondere die Höhe der Einzelschäden in den Blick genommen werden müssen. Dies ist offensichtlich nicht geschehen, da die Kammer die Einzeltaten durch Festsetzung von Einzelstrafen in identischer Art und Höhe – festgesetzt wurden Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und zwei Monaten für die vollendeten Fälle und 58 Einzelgeldstrafen von je 120 Tagessätzen zu je 60,-€ für die versuchten Fälle – „über einen Kamm gebürstet“ hat ohne zu berücksichtigen, dass die Schäden teilweise (wie etwa im Fall 17 mit 67,09 €) im nur zweistelligen, teilweise (wie etwa im Fall 22 mit 7.349,17 €) im vierstelleigen Bereich liegen.

Auch hat die Kammer nicht bedacht, dass die Würdigung der Gesamtheit der Taten bei Bemessung der Einzelstrafen keine Rolle spielt, sondern erst auf der Ebene der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen ist (BGH Beschl. v. 18.7.2023 – 2 StR 423/22, NStZ-RR 2024, 9). Deshalb hätte die Kammer bei der Strafrahmenfindung und der konkreten Strafzumessung nicht auf den verursachten Gesamtschaden von über 391.000,-€ abstellen dürfen.“

Rechtsfolge I: Mildere Strafe bei versuchtem Mord, oder: Keine Strafmilderung nur bei Erschwerungen

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Und heute dann am letzten Tag im April – vier Monate des Jahres 2024 liegen also schon hinter uns – einige Entscheidungen zu Rechfolgen. Das war schon länger nicht mehr Thema.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Urt. v. 01.02.2024 – 4 StR 287/23, über das ich schon einmal berichtet habe (StGB II: Hat der Angeklagte „heimtückisch“ gehandelt?, oder: Überraschen in einer hilflosen Lage). Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die  Revision des Angeklagten, der u.a. auch die Strafzumessung beanstandet. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und macht Erörterungsmängel im Rahmen der Strafzumessung und Maßregelanordnung geltend. Beide Rechtsmittel waren unbegründet:

„….

2. Entgegen der Auffassung der Revision weist die Strafzumessung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Zwar ist im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne nicht ausdrücklich strafmildernd aufgeführt, dass der Angeklagte sich zur Tat aufgrund der vorangegangenen „Provokation“ durch den Geschädigten entschloss. Der Senat schließt unter den hier gegebenen Umständen jedoch aus, dass dem Tatgericht dieser in den Urteilsgründen mehrfach erwähnte Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Anderenfalls wäre die mit vier Jahren und neun Monaten eher milde bemessene Freiheitsstrafe nicht verständlich.

III.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Strafzumessung und Maßregelanordnung weisen weder einen den Angeklagten begünstigenden noch einen ihn beschwerenden (vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler auf.

1. Die Strafrahmenwahl begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten gemildert hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt ein den Bestand des Strafausspruchs gefährdender Erörterungsmangel nicht vor.

a) Nach § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat. Ob eine Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. August 2023 ‒ 4 StR 98/23 Rn. 5; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8). Dabei ist zu beachten, dass das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds regelmäßig eine geringere Schuld indiziert (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 922). Eine Versagung der Strafmilderung setzt deshalb erschwerende Umstände voraus, die in den Urteilsgründen im Einzelnen festgestellt und dargelegt werden müssen. Den wesentlichen versuchsbezogenen Umständen (Nähe der Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie) kommt im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller tat- und täterbezogenen Umstände besonderes Gewicht zu (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15. September 1988 ‒ 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 355). Eine sorgfältige Abwägung und umfassende Begründung ist insbesondere in Fällen geboten, in denen die Versagung der Strafmilderung wegen Versuchs die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2023 ‒ 4 StR 286/23 Rn. 12; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8; Urteil vom 15. Juni 2004 ‒ 1 StR 39/04).

b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen ist das Schwurgericht mit dem knappen, aber tragfähigen Hinweis auf die fehlende Vollendungsnähe gerecht geworden. Die hiergegen von der Revision erhobenen Einwände verfangen nicht. Eine weitere Begründung war unter den hier gegebenen Umständen von Rechts wegen nicht geboten.

2. Die Strafzumessung im engeren Sinne weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Insbesondere vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass das Landgericht ‒ rechtlich bedenklich ‒ die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt hat. Es hat vielmehr zugunsten des Angeklagten bedacht, dass er als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 457/20 Rn. 12).“