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Einsatz eines Rettungssanitäters, oder: Was sind (noch) berufsspezifische Risiken?

Im „Kessel Buntes“ damm heute zunächst das OLG Schleswig, Urt. v. 01.08.2019 – 7 U 14/18. Es geht um die Klage eines (hauptamtlichen) Rettungsassistent, der beim DRK tätig ist. Der Kläger nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer eines Pkws auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch.

Dieser u. a. mit einer Gasanlage versehene Pkw verunglückte am 15.08.2014 gegen 09.30 Uhr auf einer Kreisstraße; der Fahrer und Halter dieses Fahrzeuges kam bei dem Unfall ums Leben. Das Fahrzeug geriet in Brand; zum Löschen und Bergen wurde die örtliche freiwillige Feuerwehr hinzugerufen. Der Kläger und ein Kollege wurden ebenfalls zur Unfallstelle gerufen. Bei Ankunft des Klägers stand das verunfallte Fahrzeug bereits in Vollbrand, der Fahrer war tot.
Im Zuge der Löscharbeiten explodierte der Gastank des verunfallten Fahrzeuges. Durch den Feuerball und herumfliegende Fahrzeugteile wurden mehrere Feuerwehrleute, die dem Kläger aus seiner eigenen jahrelangen Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr zum Teil persönlich bekannt waren, erheblich verletzt. Der Kläger selbst wurde durch die Druckwelle zwar zu Boden geworfen, erlitt aber keine äußeren Verletzungen. Vielmehr übernahm er bis zum Eintreffen weiterer Kräfte die Einsatzleitung vor Ort.

In der Folgezeit befand sich der Kläger in psychologischer Behandlung und war bis zum 08.12.2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Inzwischen ist nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion eine Traumafolgestörung erlitten hat, die in ihrer Qualität zwar einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht, aber nicht deren Vollbild erreicht hat und daher als Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) zu klassifizieren ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz verpflichtet.
Angemessen sei ein Schmerzensgeld von (mindestens) 5.000,00 €, darüber hinaus sei ihm ein materieller Schaden in Höhe von 659,58 € entstanden, darunter ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 582,35 € (brutto).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das OLG differenziert, wie sich aus den nachfolgenden Leitsätzen zu der Entscheidung ergibt:

1. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten und damit zum allgemeinen Lebensrisiko gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gilt auch, wenn bei dem Rettungseinsatz bekannte oder gar befreundete Feuerwehrleute des Rettungsassistenten verletzt werden.

2. Hingegen gehört es nicht mehr zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle selbst einer Explosion ausgesetzt zu sein. Soweit daraus unmittelbare psychische Folgen ausgelöst worden sind, kann dies Schadenersatzansprüche begründen.

3. Ein Rettungsassistent, der infolge einer Gasexplosion am Unfallort eine psychische Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) erleidet, erhält ein Schmerzensgeld von lediglich 2.500 €, wenn – nach eigenem Vortrag –  nicht nur die Explosion bestimmend war für das eigene Betroffen sein, sondern ebenso die entschädigungslos hinzunehmende mittelbare Betroffenheit durch die Verletzungen ihm bekannter oder befreundeter Rettungskräfte.

 

verlangtEr wurde zu einem brennenden Fahrzeug hinzugerufen, dessen Gastank bei den Löscharbeiten explodierte. Hierbei wurden ihm bekannte oder mit ihm befreundete Feuerwehrleute erheblich verletzt. Der Kläger erlitt eine Traumafolgestörung in Form einer Anpassungsstörung; er verlangt ein Schmerzensgeld. Das OLG Schleswig differenziert zwischen den durch die Explosion entstandenen psychischen Schäden sowie dem Miterleben der Folgen bei verletzten Polizisten und Feuerwehrleuten. Hinsichtlich Letzterem fehle es am Zurechnungszusammenhang, da sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert habe. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten gehöre es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gelte auch bei Verletzungen von Freunden oder Kollegen während des Einsatzes, solange es nicht um Familienangehörige oder Ehepartner gehe.

 

Fehlerhafte Notierung einer Vorfrist, oder: Kausalität?

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In der zweiten (zivil)verfahrensrechtlichen Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 29.10.2019 -VI ZB 31/19 – behandelt der BGG die Frage der Wiedereinsetzung bei mangelnder Notierung einer Vorfrist.

Der Kläger hat Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung beantragt. Das klageabweisende Urteil des AG war ihm am 04.01.2019 zugestellt worden. Seine Berufungsbegründung ging zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung erst am 25.03.2019 ein.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger u.a. vorgetragen, dass der erfahrenen, bisher stets zuverlässig arbeitenden Büroangestellten M. seines Prozessbevollmächtigten bei der Eintragung der Frist zur Berufungsbegründung ein Fehler dahin unterlaufen sei, dass sie sich im Monat geirrt und den Ablauf der Frist anstatt für den 04.03.2019 für den 04.04.2019 eingetragen habe.

Das Berufungsgwericht hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde, die beim BGH Erfolg hatte:.

„Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ausgehend von dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers und der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten M. vom 25. März 2019 könne nicht festgestellt werden, dass der Prozessbevollmächtige ausreichende organisatorische Maßnahmen getroffen habe, um ein Versäumen der Berufungsbegründungsfrist zu vermeiden. Sein Verschulden sei dem Kläger zuzurechnen. Die Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei nicht ausreichend organisiert gewesen. Zwar sei es nicht zu beanstanden, dass er die Eintragung der von ihm selbst vorgenommenen Fristenberechnung einer Angestellten übertrage, soweit er wie er vortrage – eine regelmäßige stichprobenartige Überwachung vornehme. Ein in diesem Zusammenhang vorkommendes Versehen des Büropersonals habe der Anwalt nicht zu vertreten. Ein der Partei zurechenbares Eigenverschulden könne sich aber aus mangelnder Büroorganisation ergeben, was hier der Fall sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag lasse sich nicht entnehmen, dass eine Anweisung oder Handhabung in seinem Büro dahin bestehe, dass auch stets zusätzlich eine regelmäßig eine Woche früher zu datierende Vorfrist einzutragen sei. Das gehe zu Lasten des Klägers, weil die Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags ein Organisationsverschulden ausräumen müsse.

2. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 10. April 2018 – VI ZB 44/16, NJW-RR 2018, 1210 Rn. 5 mwN; vom 23. April 2013 – VI ZB 30/12, FamRZ 2013, 1124 Rn. 6 mwN; BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – V ZB 227/17, NJW-RR 2018, 1451 Rn. 4 mwN).

3. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 233, 234 ZPO zurückgewiesen hat, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Unterstellt man mit dem Berufungsgericht, dass es in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine allgemeine Anweisung über die Eintragung einer Vorfrist nicht gegeben hat, ist ein darin liegendes Verschulden für die Versäumung der Frist nicht kausal gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – V ZB 227/17, NJW-RR 2018, 1451 Rn. 8 ff.; Senatsbeschluss vom 12. April 1988 – VI ZB 5/88, VersR 1988, 941, juris Rn. 7). Ist nämlich – wie hier – eine Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt worden, nachdem die in der Handakte notierte Hauptfrist unzutreffend in den Fristenkalender übertragen worden ist, so ist bei der Prüfung, ob die unterbliebene Notierung einer Vorfrist die Versäumung der Frist verursacht hat, davon auszugehen, dass die Vorfrist durch eine von der (unzutreffend) eingetragenen Hauptfrist ausgehende Rückrechnung ermittelt und eingetragen worden wäre (ebenda Rn. 10 bzw. Rn. 7). Aus diesem Grund kann aber im streitgegenständlichen Fall nicht angenommen werden, dass bei Eintragung einer Vorfrist die Akte dem Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden wäre.

b) Fehlt es schon an der Kausalität, kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht gehalten gewesen wäre, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vor der Verwerfung der Berufung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 139 ZPO), und ob der in der Rechtsbeschwerdebegründung erfolgte ergänzende Vortrag zu der Handhabung von Vorfristen allgemein und der Vorfrist im vorliegenden Fall in der Rechtsbeschwerdeinstanz Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – V ZB 227/17, NJW-RR 2018, 1451 Rn. 12)…..“

Ausgangskontrolle in der Rechtsanwaltskanzlei, oder: Zu frühe Streichung der Rechtsmittelbegründungsfrist

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Heute ist Samstag, also „Kessel Buntes Tag“. Und im ersten Kessel Buntes des Jahres 2020 liegen dann zwei BGH-Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Beide kommen aus dem Zivilverfahren.

Im BGH, Beschl. v. 29.10.2019 – VIII ZB 103/18 und VIII ZB 104/18 – nimmt der BGH zur Frage der einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse sicherstellenden Organisation der Ausgangskontrolle in einer Rechtsanwaltskanzlei Stellung, und zwar wie folgt:

„1. Die Rechtssachen werfen weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordern sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2012, 2869 Rn. 8; NZA 2016, 122 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2016 – VIII ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rn. 1; vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 9; vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 9).

2. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt, sondern unter Beachtung vorgenannter Grundsätze die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung rechtsfehlerfrei versagt und das Rechtsmittel der Beklagten folgerichtig als unzulässig verworfen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann nach dem Vorbringen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumung auf einem – ihr zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) – anwaltlichen Organisationsmangel (§ 233 ZPO) bei der abendlichen Ausgangskontrolle in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten beruht.

a) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2010 – XI ZB 23/08, XI ZB 24/08, NJW 2010, 1363 Rn. 11; vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8).

Zu diesem Zweck hat er seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Zum einen dürfen die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 – VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 10; vom 9. Dezember 2014 – VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8).

Zum anderen gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient dabei nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Ihr Sinn und Zweck liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Daher ist ein Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. März 2000 – V ZB 1/00, NJW 2000, 1957 unter II; vom 16. Dezember 2013 – II ZB 23/12, juris Rn. 9; vom 11. März 2014 – VIII ZB 52/13, juris Rn. 5; vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, aaO Rn. 10; vom 9. Dezember 2014 – VI ZB 42/13, aaO; vom 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; vom 16. April 2019 – VI ZB 33/17, NJW-RR 2019, 950 Rn. 8). Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, da selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, aaO Rn. 8).

b) Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdende Ausgangskontrolle besteht, ist nicht dargetan. Der darin liegende Organisationsmangel ist für die Fristversäumung auch ursächlich geworden.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt ein individueller Bearbeitungsfehler der langjährigen Kanzleiangestellten Frau S. nicht allein darin, dass der unterzeichnete Schriftsatz nicht korrekt kuvertiert, mithin nicht zur Ausgangspost gelegt, sondern versehentlich in die Akte abgeheftet wurde. Die Rechtsbeschwerde weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das Einlegen dieser Sendung in die korrekte Versandtasche nicht durch den Rechtsanwalt zu kontrollieren ist und ein Fehler hierbei ein schlichtes Büroversehen darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011 – XII ZB 139/11, NJW-RR 2011, 1686 Rn. 7).

Der maßgebliche Fehler lag vielmehr in einer zu frühen Streichung der Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender. Diese wurde bereits nach Unterzeichnung des Schriftsatzes und damit, was auch die Rechtsbeschwerde in der Sache nicht in Frage stellt, zu früh gelöscht. Ein Austrag im Fristenkalender hätte erst erfolgen dürfen, nachdem der Schriftsatz zum Transport zu Gericht bereit gelegt worden ist und man sich zuvor anhand der Akte vergewissert hat, dass nichts mehr zu veranlassen ist.

Einen derartigen Fehler zu erkennen und zu beheben, ist Sinn und Zweck der abendlichen Ausgangskontrolle. Dass diese integraler Bestandteil der organisatorischen Abläufe in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dagegen wendet sich auch die Rechtsbeschwerde nicht, sondern beruft sich der Sache nach darauf, die Ursächlichkeit dieses anwaltlichen Organisationsverschuldens für das Fristversäumnis in Abrede zu stellen.

c) Das Fehlen der abendlichen Fristenkontrolle war vorliegend jedoch für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ursächlich.

aa) Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine Anordnung zur Durchführung der beschriebenen abendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, aaO Rn. 14) zu erwarten gewesen, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden wäre. Denn dann wäre aufgefallen, dass der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung noch nicht auf den Postweg gebracht worden war.

bb) Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob – was die Rechtsbeschwerde in Abrede stellt – eine Ausgangskontrolle bereits am Abend der Erledigung (20. April 2018) geboten war, jedoch valide Feststellungen nicht ermöglicht hätte, da im Kalendereintrag für diesen Tag kein Fristablauf notiert war, oder ob ein Fristenkalender vielmehr so geführt werden muss, dass eine nicht erst am Tag des Fristablaufs erfolgte Erledigung schon am Tag der Erledigung zu vermerken und an diesem Abend zu überprüfen ist, weil nur so eine zuverlässige, etwaige Bearbeitungsfehler rechtzeitig behebende allabendliche Ausgangskontrolle durchgeführt werden könnte.

cc) Jedenfalls wäre bei der Ausgangskontrolle am Tag des Fristablaufs (27. April 2018) anhand der in der Ausgangspost befindlichen Schriftstücke und durch Hinzuziehung der Handakten (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, aaO Rn. 13; vom 11. Juli 2017 – VIII ZB 20/17, juris Rn. 7), in welcher sich der Schriftsatz noch befand, offenbar geworden, dass die Frist zu früh gelöscht wurde und nicht sämtliche zur Fristwahrung erforderlichen Maßnahmen ausgeführt worden waren. Die Berufungsbegründungsfrist hätte somit durch Übersendung des Schriftsatzes per Telefax oder Einwurf in den Gerichtsbriefkasten noch gewahrt werden können.“

Das hatten wir so oder ähnlich schon mal in der Rechtsprechung des BGH, daher war es ein „Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 -VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 10; vom 16.Dezember 2013 -II ZB 23/12, juris Rn. 9; vom 11. März 2014 -VIII ZB 52/13, juris Rn.5; vom 4.November 2014 -VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; vom 9. Dezember 2014 -VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn.8; vom 16. April 2019 -VI ZB 33/17, NJW-RR 2019, 950 Rn. 8“.

Linksabbieger, oder: Das Wahlrecht des Voranfahrenden

Author nach den drei verschiedenenen TGLs entnommen wikimedai.org
interpretiert und digital umgesetzt durch Mediatus

Die zweite Entscheidung kommt mit dem KG, Urt. v. 18.11.2019 – 22 U 18/19 – mal wieder aus Berlin. Das KG hat über einen Linksabbiegerunfall entschieden, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

„Der Zeuge pp. stand als Fahrzeugführer mit dem Fahrzeug der Sicherungseigentümerin, einem Mercedes C 63 S AMG, auf der Fennstraße in südwestlicher Richtung hinter dem von dem Beklagten zu 3. geführten Fahrzeug, einem Kia Picanto 1.1 Spirit, in dem mit Pfeilen gekennzeichneten Linksabbiegerfahrstreifen. Der benachbarte Fahrstreifen ist mit Geradeauspfeilen versehen. Nach dem Anfahren und während oder nach dem Linksabbiegen in die Müllerstraße in Richtung Mitte überholte der Zeuge rechts, während der Beklagte zu 3. in den rechten Fahrstreifen einfuhr. Streitig ist, ob – so behaupten die Beklagten – der Unfall in Höhe der Fußgängerfurt oder – so behauptet der Kläger – etwas später in Höhe der Bushaltestelle stattfand. Zwischen der in Fahrtrichtung der Unfallbeteiligten gesehen hinteren Begrenzung der Fußgängerfurt und der Bushaltestelle (am Wartestand) liegen etwa 23 m. Der Kläger meint auf der Grundlage seiner Behauptung, der Beklagte zu 3. habe den Fahrstreifen gewechselt.“

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage (weitgehend) stattgegeben. Es hat gemeint, ein Fahrstreifenwechsel sei weder bewiesen noch widerlegt. Da zulasten der Sicherungseigentümerin die Haftung aus der Betriebsgefahr nicht anzurechnen sei, müssten die Beklagten aber in voller Höhe den Schaden ersetzen. Es hat gemeint, trotz Vorschadens ließe sich der Schaden vorliegend schätzen, und hat nur einige Abzüge vorgenommen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die Erfolg hatte:

„Die Berufung der Beklagten ist begründet und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, denn dem Kläger stehen gegen die Beklagten die in Prozessstandschaft für die Sicherungseigentümerin geltend gemachten Schadenersatz- bzw. Freistellungsansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB nicht zu, weil der Fahrer des Fahrzeuges des Klägers den Unfall allein verschuldete (§§ 9 StVG, 254 BGB). Auf den Umstand, dass sich der (Nur-) Eigentümer die Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG nicht anrechnen lassen muss, kommt es daher schon nicht an.

1. Der Beklagte zu 3. handelte nicht sorgfaltswidrig, insbesondere verstieß er – anders als das Landgericht zu Unrecht gemeint hat – nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO.

Er nahm – selbst die Version des Klägers zu dessen Gunsten unterstellt – keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO vor. Vielmehr stand ihm als Voranfahrendem noch das Wahlrecht zwischen den Fahrstreifen in der Müllerstraße zu, denn ein paralleles Abbiegen war vorliegend durch die Kennzeichnung der Fahrstreifen in der Fennstraße unzulässig. Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Wahlrecht nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Diese Wahlfreiheit endet für das Abbiegen aus einem Fahrstreifen – ebenso wie bei zulässigem parallelem Abbiegen (vgl. dazu Kuhnke, Die Rechtslage bei paarweisem parallelem Abbiegen, NZV 2019, 223, 224 [II.3.]) oder bei Aufteilung eines Fahrstreifens in zwei Fahrstreifen (vgl. Senat, [Hinweis-] Beschluss vom 17. Oktober 2019 – 22 U 139/17 – [unveröffentlicht]; LG Dortmund, Urteil vom 10. 4. 2003 – 15 S 277/02NJW-RR 2003, 1260; vgl. auch König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 7 StVO Rn. 16) – erst mit der endgültigen Einordnung des Voranfahrenden, also allenfalls 15 bis 20 m hinter der Fußgängerfurt, wenn also das endgültige Einordnen nach dem Beginn von Fahrstreifenmarkierungen klar erkennbar ist. Angesichts des Umstandes, dass der nachkollisionäre Halteort des Mercedes an dem dort befindlichen Bushaltestellenschild bzw. dem Wartehaus 23 m hinter der Fußgängerfurt liegt, muss die Kollision deutlich früher erfolgt sein, was zudem angesichts des erforderlichen Bremswegs eher dem Vortrag der Beklagten entspricht, die Kollision sei in Höhe der Fußgängerfurt erfolgt, so dass ganz offensichtlich die zur endgültigen Einordung erforderliche Strecke durch den Beklagten zu 3. noch nicht zurückgelegt gewesen sein kann.

Soweit der Kläger, der bei dem Unfall nicht anwesend war, im Termin behauptet hat, der Standort habe sich hinter der Bushaltestelle befunden, entspricht dies weder dem erstinstanzlichen Vortrag noch dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und ist ohnehin spekulativ. Zum einen sind auf den mit der Klageschrift eingereichten Fotos die unfallbeteiligten Fahrzeuge nicht zu erkennen und zum anderen werden die Unfallbeteiligten die Fahrzeuge angesichts des fortbestehenden Busverkehrs vorgefahren haben, um Behinderungen zu vermeiden. Der Mercedes war ausweislich des Gutachtens noch fahrfähig. Gleiches gilt für den Kia. Ob die Aussagen des Fahrers und des Beifahrers überzeugen, kann offenbleiben. Der Fahrer hat ausgesagt, nach der Berührung der Felge am Bordstein 1 bis 2 m später an der Bushaltestelle gestanden zu haben. Bushaltestellenschild oder Bushaltestellenhäuschen sei für ihn kein Unterschied. Der Beifahrer hat ebenfalls ausgesagt, kurz vor dem Bushaltestellenschild sei die Kollision gewesen und vor dem Bushaltestellenschild hätten sie dann angehalten. Damit übereinstimmend wird mit den mit der Klageschrift eingereichten Schwarz-Weiß-Fotos der Felgenabrieb – wobei hier unterstellt werden kann, dass diese von dem Mercedes stammen – dem Bushaltestellenschild am Wartehaus zugeordnet. Da der Mercedes, eine (wegen des Auffahrens und Einleitens des Überholvorgangs eher zu gering angenommene) Geschwindigkeit von 30 km/h und eine (wegen des Modells sehr hohe) Verzögerung von 7,5 m/s unterstellt, angesichts eines Anhalteweges von 10,5 m bzw. reinen Bremsweges (ohne Reaktions-, Umsetz-, Ansprech- und Anschwellzeiten) von 4 m nicht unmittelbar in den Stand gebremst haben kann, muss die Erkennbarkeit des Herüberwechselns des Kia, also die Reaktionsaufforderung für den Fahrer des Mercedes zweifelsfrei in dem Bereich erfolgt sein, in dem dem Beklagten zu 3. noch der Vorrang bzw. die Wahlfreiheit zustand.

2. Den Zeugen E… trifft ein Verschulden wegen der Missachtung des Wahlrechts des Beklagten zu 3. als Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVO. Abgesehen von dem Umstand, dass eine sorgfältige Beobachtung des Voranfahrenden in dieser Situation geboten gewesen wäre (§ 1 Abs. 2 StVO), durfte der Zeuge nicht grob rücksichtslos beschleunigen und das Rechtsüberholen einleiten, bevor von einer endgültigen Einordung auszugehen war. Hätte er auf Höhe der Fußgängerfurt und kurz dahinter dies beachtet, wäre der von dem Beklagten zu 3. geführte Pkw sicherlich nicht für ihn „plötzlich“ herübergekommen. Auch zu der Kurvenfahrt musste er als Nachfolgender Beobachtungen zum Fahrverhalten des Voranfahrenden machen, die er ausweislich seiner Aussage ganz offensichtlich unterlassen hat.“

Fiktive Schadensabrechnung, oder: Richterliches Schätzungsermessen und Beilackierungskosten

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So, dann füllen wir heute zum letzten Mal im Jahr 2019 den „Kessel Buntes“. Und da köchelt zunächst das BGH, Urt. v. 17.9.2019 – VI ZR 494/18.

Es geht in ihm zum Abschluss des Jahres noch einmal um die fiktive Abrechnung und/oder um das Maß notwendiger richterlicher Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO, und zwar, wenn es um die Berücksichtigung von sogenannten Beilackierungskosten im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung geht.

Dazu der BGH:

„1. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustellen, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dabei beschränkt sich das Ziel der Restitution nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151 Rn. 11 mwN). Der Geschädigte ist aufgrund seiner nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 9/17, NJW 2017, 2401 Rn. 6 ff. mwN), sondern kann auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens fiktiv abrechnen. Die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten bestimmen nicht verbindlich den Geldbetrag, der im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufriedengibt (Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13, NJW 2014, 535 Rn. 10).

2. Den zur Herstellung objektiv erforderlichen (ex ante zu bemessenden) Betrag hat das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 16 f.). Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 12 mwN; vom 20. Dezember 2016 – VI ZR 612/15, NJW-RR 2017, 918 Rn. 7 mwN). Solche Fehler hat die Revision hier indes aufgezeigt. Zwar ist das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast trifft. Es hat aber Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und erheblichen Prozessstoff außer Acht gelassen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten trifft. Insoweit geht es nicht um die Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB), für die grundsätzlich der Schädiger die Beweislast trägt, sondern um die Schadenshöhe, die der Geschädigte auch im Rahmen des § 287 ZPO – soweit nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift erforderlich – nach den allgemeinen Grundsätzen darzulegen und ggf. zu beweisen hat, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (st. Rspr., Senatsurteile vom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 19. Januar 2010 – VI ZR 112/09, VersR 2010, 494 Rn. 11 mwN; vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 16; zu Beilackierungskosten zutreffend LG Köln, Urteil vom 10. Mai 2016 – 11 S 360/15, juris Rn. 10; LG Bielefeld, Beschluss vom 19. Mai 2014 – 20 S 109/13, Schaden-Praxis 2014, 412 Rn. 5).

b) Das Berufungsgericht hat aber das Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO überspannt und damit Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt.

aa) § 287 Abs. 1 ZPO stellt an das Maß der Überzeugungsbildung des Tatrichters geringere Anforderungen als die Vorschrift des § 286 ZPO (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 19. April 2005 – VI ZR 175/04, NJW-RR 2005, 897, juris Rn. 9; vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, NJW 2017, 1310 Rn. 21). Im Rahmen des § 286 ZPO hat der Richter seiner Überzeugungsbildung zu Grunde zu legen, dass es dafür keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 16. April 2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 8 mwN). Nach § 287 ZPO ist der Richter – im Interesse des von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19. März 2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1973, juris Rn. 20 ff. mwN) – ermächtigt, sich mit einer mehr oder minder hohen (mindestens aber überwiegenden) Wahrscheinlichkeit zu begnügen (Senatsurteil vom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 12. Februar 2008 – VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9 mwN). Bei der Schadensschätzung steht ihm ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 Rn. 23).

bb) Das hat das Berufungsgericht verkannt. Es meint, ein Anspruch auf Ersatz der Beilackierungskosten könne bei fiktiver Abrechnung (von vornherein) nicht bestehen, weil sich die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen lasse. Zu Unrecht fordert es damit für die von ihm vorzunehmende Schadensbemessung eine sogar im Rahmen des § 286 ZPO nicht erforderliche absolute Gewissheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Abrechnung eines Fahrzeugschadens – auch hinsichtlich anderer Positionen – stets eine (gewisse) Unsicherheit verbleibt, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspricht, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre oder anfallen würde. Unter Hinweis auf diese verbleibende Unsicherheit darf sich ein Gericht nicht der ihm obliegenden Aufgabe entziehen, eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, ob ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist. Im Übrigen trifft nicht zu, dass – wie das Berufungsgericht meint (ebenso Balke, SVR 2017, 349) – eine Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens als solchem nichts zu tun habe. Ist eine Beilackierung zur Wiederherstellung des Zustandes erforderlich, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat, ist sie ebenso Teil der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens, wie etwa der Ersatz eines beschädigten Fahrzeugteils.

c) Das Berufungsgericht hat ferner – wie die Revision zu Recht rügt – maßgeblichen Prozessstoff außer Acht gelassen, § 287 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG.

aa) Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, eine Beilackierung angrenzender Karosserieteile sei aus Sicht vor der Reparatur als erforderlich anzusehen, wenn es sich um eine Effektlackierung handele, das beschädigte Karosserieteil erneuert werden müsse, und sich ein unmittelbar angrenzendes Karosserieteil in gleicher Ebene und im optisch wahrnehmbaren Bereich befinde. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Daher sei für eine fachgerechte und vollständige Instandsetzung die Beilackierung der linken Tür aus technischer Sicht als zwingend notwendig anzusehen. Zur Beseitigung restlicher Farbton- und Effektdifferenzen sei die sogenannte Beilackierung alternativlos.

bb) Damit lagen nach der von dem Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass im vorliegenden (Einzel-)Fall eine Beilackierung zur Wiederherstellung des vor dem Unfallereignis bestehenden Zustands objektiv erforderlich war. Mit diesem Beweisergebnis hätte sich das Berufungsgericht im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Schadensbemessung umfassend und widerspruchsfrei auseinandersetzen müssen (vgl. Senatsurteil vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, NJW 2017, 1310 Rn. 21 mwN). Der Hinweis auf die (isolierte) Aussage des Sachverständigen, dass sich Effektunterschiede durch die konkrete Ausrichtung der Metallics- oder Perleffektpartikel grundsätzlich erst nach Abschluss der kompletten Lackierarbeiten gesichert beurteilen ließen, reicht im Hinblick auf die weiteren – oben wiedergegebenen – Ausführungen des Sachverständigen dafür jedenfalls nicht aus. Wenn das Berufungsgericht die Darlegungen des Sachverständigen für unzureichend oder widersprüchlich hielt, hätte es auch bei freier Überzeugungsbildung auf eine Erläuterung oder Ergänzung des Sachverständigengutachtens hinwirken müssen (Senatsurteil vom 15. März 1988 – VI ZR 81/87, NJW 1988, 3016, 3017, juris Rn. 12).“