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Der Vorschaden bei der Unfallschadenregulierung, oder: Darlegungs- und Beweislast

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Bei der zweiten Entscheidung zur Unfallschadenregulierung handelt es sich um das OLG Bremen, Urt. v. 30.06.2021 – 1 U 90/19. Es behandelt eine Vorschadensproblamtik, und zwar die Frage nach der Darlegungs- und Beweisanforderungen im Verkehrsunfallprozess beim Vorliegen von Vorschäden am Fahrzeug des Geschädigten.

Gestritten wird im die Regulierung eines Verkehrsunfalla aus Mai 2018, für den die Beklagten unstreitig haften. Der Kläger hat zur Feststellung der Unfallschäden ein Privat-Sachverständigengutachten eingeholt, welches einen Reparaturaufwand für das Fahrzeug des Klägers i.H.v. 11.161,95 EUR netto ausweist.

Nachdem nicht gezahlt wurde, hat der Kläger Klage erhoben. Er „behauptet, sein Pkw sei durch den Unfall beschädigt worden in den Bereichen Vorderachse, vorderer linker Kotflügel, Fahrertür, hintere linke Tür, hinteres linkes Seitenteil sowie vorderes linkes Rad, und der Reparaturaufwand entspreche dem im Gutachten ausgewiesenen Betrag. Zur Frage von Vorschäden behauptet der Kläger, dass er den Pkw im Jahre 2014 gekauft habe und dass Schäden im vorderen Bereich jedenfalls nicht in seiner Besitzzeit aufgetreten seien. Etwaige Schäden an der Fahrertür und an der vorderen Stoßstange seien nicht bemerkbar gewesen und jedenfalls vollständig und einwandfrei instandgesetzt gewesen. Während der Besitzzeit des Klägers sei lediglich eine Beschädigung durch einen Unfall am 10.08.2016 erfolgt, wobei hier ein anderer Verkehrsteilnehmer von hinten auf den klägerischen Pkw aufgefahren sei, der danach in vollem Umfang gutachtengemäß repariert worden sei. Auch bei der TÜV-Untersuchung 2017 sei kein die Fahrsicherheit betreffender Schaden festgestellt worden, ebenso nicht bei der letzten Wartung des Pkw 2018.“

Der Beklagte „bestreitet, dass die geltend gemachten Schäden unfallbedingt seien und dass hierdurch unfallbedingt Reparaturkosten in der geltend gemachten Höhe entstanden seien. Soweit der Kläger geltend mache, dass etwaige Schäden vor seiner Besitzzeit aufgetreten seien, entbinde ihn dies nicht von seiner Darlegungs- und Beweislast dafür, auszuschließen, dass es sich bei den geltend gemachten Schäden um Vorschäden handele. Die Kosten für das Sachverständigengutachten seien mangels Verwertbarkeit des Gutachtens ebenfalls nicht zu ersetzen und die Auslagenpauschale sei überhöht.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Pkw des Klägers Vorschäden im Anstoßbereich aufgewiesen habe. Der insoweit darlegungsbelastete Kläger habe weder substantiiert zur Art der Vorschäden noch zu deren Reparatur vorgetragen, so dass er nicht habe ausschließen können, dass die Vorschäden gleicher Art und gleichen Umfangs wie die streitgegenständlichen Schäden gewesen seien. Dagegen die Berufung, die beim OLG Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten OLG-Emtscheidung:

1. Wird bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen der Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Verkehrsunfall seitens des Schädigers oder seiner Versicherung das Bestehen von überlagerten Vorschäden eingewandt, so obliegt dem Geschädigten die Last der Darlegung und des Nachweises nach dem Maßstab des § 287 ZPO, dass die Beschädigung seines Pkw unfallbedingt ist und nicht als Vorschaden bereits vor dem Unfall vorhanden war.

2. Dieser Darlegungs- und Beweislast kann der Geschädigte zum einen dadurch genügen, dass er darlegt und nachweist, dass vorhandene Vorschäden fachgerecht repariert worden sind. Hierzu genügt es, wenn der Geschädigte die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt, während Fragen des Vorhandenseins von Rechnungen oder der Ausführung der Einzelschritte der Reparatur in Übereinstimmung mit gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können.

3. In Bezug auf vor der Besitzzeit des Geschädigten erfolgte Vorschäden kann der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast bereits durch eine unter Beweis gestellte Behauptung genügen, dass der Vorschaden beseitigt worden sei, auch wenn der Geschädigte hiervon keine genaue Kenntnis hat und lediglich vermutet, dass eine fachgerechte Reparatur erfolgt sei.

4. Zum anderen kann der Geschädigte, wenn er nicht die Reparatur der Vorschäden darlegen kann, dem Einwand des Vorhandenseins von Vorschäden dadurch begegnen, dass er nach dem Maßstab des § 287 ZPO über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend nachweist, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind.

5. Kann auch ein solcher Nachweis der Verursachung bestimmter abgrenzbarer Beschädigungen durch den streitgegenständlichen Unfall nicht geführt werden, dann kommt es bei genügenden Anhaltspunkten in Form hinreichend greifbarer Tatsachen in Betracht, das Vorliegen von Vorschäden im Wege der Schadensschätzung nach § 287 ZPO durch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen.

6. Das Vorhandensein von Vorschäden steht der Ersatzfähigkeit der Kosten eines vom Geschädigten eingeholten vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens nur dann entgegen, wenn dieses Gutachten aus vom Geschädigten zu verantwortenden Gründen nicht verwertbar ist, z.B. wenn der Geschädigte ihm bekannte Vorschäden nicht offengelegt hat, so dass diese deswegen im Gutachten nicht berücksichtigt werden konnten.

Unfallschadenregulierung zu Corona-Zeiten, oder: Was ist mit den Desinfektionskosten?

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Zum Wochenausklang – zumindest hinsichtlich der Berichte über Entscheidungen – dnan noch zwei zivilrechtliche Entscheidungen zur Unfallschadenregulierung.

Zunächst hier das AG Vaihingen, Urt. v. 29.06.2021 – 1 C 129/21 –,  das eine coronabedingte Problematik behandelt, nämlich die Frage, ob nach einer Repartatur von der Werkstatt in Rechnung gestellte Desinfektionskosten auch zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten, die vom Schädiger zu ersetzen sind, zählen. Das AG hat das bejaht:

„….. Konkret angefallene Reparaturkosten sind auch dann erstattungsfähig, wenn sie zur Beseitigung des Unfallschadens zwar objektiv nicht erforderlich waren, sich aber aus Sicht des Geschädigten subjektiv als erforderlich dargestellt haben. Dies ist Ausfluss der subjektbezogenen Bestimmung der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB. Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten durch die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht worden sind, hat grundsätzlich der Schädiger zu tragen; ihn trifft das Prognose- und Werkstattrisiko (BGH aaO).

2. Auch Desinfektionskosten sind deshalb erforderliche Kosten und nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos zu ersetzen.

Wäre das klägerische Fahrzeug nicht während der Pandemie beschädigt worden und zu reparieren gewesen, so wären die Kosten nicht angefallen. Die zusätzlichen Kosten sind darauf zurückzuführen, dass sich der Unfall gerade in der Zeit des erhöhten Infektionsrisikos ereignete, in der in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens kostensteigernde Hygienemaßnahmen ergriffen wurden, um Viren abzutöten bzw. das Infektionsrisiko zu senken. Weder die Klägerin noch die Beklagte haben einen Einfluss auf das Entstehen dieser zusätzlichen Kosten. Angesichts drohender Schließungen durch die Ordnungsämter bleibt auch Werkstätten nichts anderes übrig, als sich die Erkenntnisse über Möglichkeiten der Minimierung des Infektionsrisikos zu eigen zu machen und in den Betrieben umzusetzen. Dass die dadurch entstehenden Mehrkosten wie sämtliche Beschaffungskosten – ganz gleich ob es sich um Raumkosten, Material- oder Personalkosten handelt, auf die Kunden durch Preiserhöhungen umgelegt werden, entspricht den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Es kann dahinstehen, ob es sich um Maßnahmen des Arbeitsschutzes oder um Aufwendungen zum Schutz der Kunden handelt, der komplette Aufwand muss von der Reparaturwerkstatt mitkalkuliert werden (aA: AG Pforzheim, Urteil vom 2.12.2020 – 4 C 231/20). Es spielt im Ergebnis auch keine Rolle, ob diese Mehrkosten z.B. durch eine Erhöhung der Lohnkosten oder durch eine gesonderte Position „Desinfektionsmaßnahme Covid19″ berechnet werden. Die gesonderte Ausweisung schafft mehr Transparenz und dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die zusätzlichen Hygienemaßnahmen eines Tages nicht mehr notwendig sein werden.

3. Zwar wird auch vertreten, dass Desinfektionskosten nicht zum Unfall kausalen Schaden gehören (Landgericht Stuttgart 19 O 145/20 – juris), der Unfall habe sich rein zufällig im Zeitraum der Corona-Pandemie ereignet, so ein Fall trete statistisch nur einmal in einem Zeitraum von 100 -1000 Jahren ein, es handle sich um höhere Gewalt, die das jeweilige Lebensrisiko des einzelnen betreffe, billigerweise könnten dem Schädiger solche gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverläufe nicht zugerechnet werden (AG Stuttgart, Urteil vom 30. Dezember 2020 – 43 C 4029/20 –, Rn. 16 – 25, juris).

Diese Einordnung ist mit dem Grundsatz des BGH (aaO) nicht vereinbar. Der Geschädigte hat auf die Entstehung der zusätzlichen Desinfektionskosten keinen Einfluss, sie entstehen nur deshalb, weil er sein Fahrzeug zum Zwecke der Reparatur in eine Werkstatt geben muss. Auch die pandemiebedingten Zusatzkosten gehören deshalb zum erforderlichen Schadensbeseitigungsaufwand. Der Sachverständige hat diese Kostenposition in seinem Gutachten berücksichtigt und die Werkstatt hat sie genauso ausgeführt und in die Rechnung übernommen. Der Geschädigte hatte praktisch keine Möglichkeit, diese Kosten zu vermeiden, da sämtliche Werkstätten Hygienemaßnahmen betreiben und in Rechnung stellen.

4. Der weitere Einwand der Beklagten, die Kosten seien maßlos übersetzt, weil Desinfektionsmittel nicht mehr als ca. 1 € pro Liter kosteten, berücksichtigt nicht, dass die Werkstatt vor allem den Zeitaufwand ihrer Mitarbeiter in Rechnung stellt (4 AW = 66 €), sie ist kein Großhändler für Desinfektionsmittel. Die Position 245 GOÄ ist anders kalkuliert, eine Oberflächendesinfektion des Fahrzeuginnenraumes ist im medizinischen Bereich nicht vorgesehen. Dort sind Hygienemaßnahmen sowieso erforderlich und es geht nur um den erhöhten Aufwand, der mit 6,41 € im Einzelfall (zusätzlich) vergütet wird.“

„Ich will mein Honorar von dir.“, oder: Wer muss was im Fall der Honorarklage beweisen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages – der letzten in dieser Woche – geht es um das Honorar nach einem arbeitsrechtlichen Mandat. Die Parteien streiten um das Honorar der klagenden Rechtsanwältin, insbesondere auch um den Umfang der erteilten Auftrags. Das AG hat die Beklagte verurteilt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Hier zunächst die Leitsätze zum LG Offenburg, Urt. v. 15.06.2021 – 2 S 7/20:

  1. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass zwischen den Parteien ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist, trägt im Falle der Honorarklage nach allgemeinen Grundsätzen der klagende Rechtsanwalt. Das gleiche gilt für den Umfang des erteilten Mandats.

  2. Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Hinweispflicht aus § 12a Abs. 1 S. 2 ArbGG scheiden aus, wenn der Mandant vor Abschluss der Vertretungsvereinbarung bereits Kenntnis von dessen Regelungsgehalt hatte.

Und zu den Schadensersatzansprüchen:

„b) Schadensersatzansprüche der Beklagten folgen auch bereits deshalb nicht aus § 628 Abs. 2 BGB, weil die Kündigung der Beklagten nicht durch ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin veranlasst wurde.

Das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners muss das Gewicht eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB haben. Nur derjenige kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (BGH, Urt. v. 16.07.2020 – IX ZR 298/19, NJW 2020, 2538 Rn. 13; BeckOGK/Günther, Stand: 1.5.2021, BGB § 628 Rn. 139).

Ein derart wichtiger Grund ist vorliegend nicht ersichtlich. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Klägerin Absprachen gröblich missachtet, insbesondere vorsätzlich „Anträge ohne Sinn“ gestellt hat. Die klägerseits gestellten Anträgen in den Schriftsätzen vom 28.11.2018 knüpften vielmehr an die von der Beklagten erhobenen Kündigungsschutzklagen an, die Anträge wurden de lege artis und rechtzeitig vor der anberaumten Güteverhandlung gestellt und waren im Übrigen taugliche Grundlage für Vergleichsgespräche mit dem seinerzeitigen Arbeitgeber der Beklagten. Die Einlassung der Beklagten, dass die klägerseits für sie gestellten Feststellungsanträge sinnlos seien, da sie im Hinblick auf ihren Strafantrag vom 02.05.2018 gegen Vorgesetzte ihres seinerzeitigen Arbeitgebers kein Interesse mehr am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gehabt habe, passt auch nicht zu der von ihr mehrere Wochen nach ihrer Strafantragsstellung erhobenen Kündigungsschutzklage.“

Leistungsausschluss in der RSV wegen Vorsatztat, oder: Klärung im Deckungsprozess

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Heute stelle ich im „Kessel Buntes“ zunächst das BGH, Urt. v. 20.05.2021 – IV ZR 324/19 – vor.

Es geht um eine Klage gegen eine Rechtsschutzversicherung (RSV). Die Klägerin begehrt von der Beklagten, einem Schadenabwicklungsunternehmen, für ihren mitversicherten Lebensgefährten Deckungsschutz aus einer RSV für die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Es macht nämlich der Arbeitgeber des Versicherten gegen diesen Schadensersatzansprüche in Höhe von über 2 Millionen EUR geltend, weil dieser an einer betrügerischen Abrechnung externer Dienstleistungen, die tatsächlich nicht erbracht wurden, zum Nachteil seines Arbeitgebers beteiligt gewesen sein soll. Der Versicherte bestreitet die Vorwürfe.

Gem. Ziff. 5.5 Satz 1 ARB-MPM 2009 ist der Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen, „soweit … ein ursächlicher Zusammenhang mit einer … vorsätzlich begangenen Straftat besteht. Stellt sich ein solcher Zusammenhang im Nachhinein heraus, sind Sie zur Rückzahlung der Leistungen verpflichtet, die wir für Sie erbracht haben.“

Nach Ziffer 27.2 Satz 1 ARB gelten die den Versicherungsnehmer betreffenden Bestimmungen sinngemäß für die mitversicherte Person. Zu den versicherbaren Leistungsarten ist in Ziffer 4 ARB unter anderem geregelt:

„4.9 Straf-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes 4.9.1 eines verkehrsrechtlichen Vergehens. Wird rechtskräftig festgestellt, dass Sie das Vergehen vorsätzlich begangen haben, sind Sie verpflichtet uns die Kosten zu erstatten, die wir für die Verteidigung wegen des Vorwurfes eines vorsätzlichen Verhaltens getragen haben; 4.9.2 eines sonstigen Vergehens, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist, solange Ihnen ein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen wird. Wird Ihnen dagegen vorgeworfen, ein solches Vergehen vorsätzlich begangen zu haben, besteht rückwirkend Versicherungsschutz, wenn nicht rechtskräftig festgestellt wird, dass Sie vorsätzlich gehandelt haben.4.9.3 Es besteht also bei dem Vorwurf eines Verbrechens kein Versicherungsschutz; ebenso wenig bei dem Vorwurf eines Vergehens, das nur vorsätzlich begangen werden kann (z.B. Beleidigung, Diebstahl, Betrug). Dabei kommt es weder auf die Berechtigung des Vorwurfes noch auf den Ausgang des Strafverfahrens an.…“

Das ArbG hat Prozesskostenhilfe bewilligt. Ein Ermittlungsverfahren, u.a. wegen Computerbetrugs im besonders schweren Fall, ist gegen den Versicherten anhängig.

Die Beklagte lehnte den für die Abwehr der Schadensersatzansprüche erbetenen Deckungsschutz unter Bezugnahme auf den Risikoausschluss in Ziffer 5.5 ARB ab. Später berief sie sich nach Ziffer 23.1.1 ARB ergänzend darauf, dass die Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Das LG stellte die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Deckungsschutz unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall eines ursächlichen Zusammenhangs der Schadensersatzansprüche mit einer vorsätzlich begangenen Straftat fest. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Versicherung könne nicht jede Leistung bis zur Klärung der Vorsatzfrage im Deckungsprozess verweigern. A

Auf die vom OLG zugelassene Revision des Versicherers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Er verweist darauf, dass umstritten sei, ob die Frage, ob der Vorwurf, der Versicherungsfall stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer vorsätzlich begangenen Straftat, im Deckungsprozess zu klären ist und ob anderenfalls der Versicherer bis zu einer anderweitigen Klärung vorläufig leistungsfrei oder leistungspflichtig ist. Dazu der BGH:

„cc) Dagegen ist nach einer dritten Auffassung im Deckungsprozess über den vom Rechtsschutzversicherer erhobenen Vorwurf einer vorsätzlichen Straftat endgültig zu entscheiden (vgl. Schneider in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 7. Aufl. § 13 Rn. 238; Piontek in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. ARB 2010 § 3 Rn. 2, 110). Maßgeblich sei die objektive Sachlage, so dass weder ein Recht noch eine Pflicht des Versicherers zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe (Piontek aaO; vgl . auch Schneider aaO). Der Versicherer sei für die Voraussetzungen des Risikoausschlusses beweispflichtig (Schneider aaO Rn. 240).

b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung insoweit an, als das Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat als Voraussetzung des Leistungsausschlusses nach Ziffer 5.5 Satz 1 ARB im Deckungsprozess endgültig zu klären ist und eine vorläufige Leistungspflicht des Versicherers nicht besteht. Dabei ist der Versicherer für die Voraussetzungen des Risikoausschlusses darlegungs- und beweisbelastet, und der Risikoausschluss ist nicht bereits dann zu verneinen, wenn der Versicherungsnehmer die Begehung einer vorsätzlichen Straftat substantiiert bestreitet. Das ergibt die Auslegung der Klausel…..“

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier noch die Leitsätze der BGH-Entscheidung:

  1. Ob die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach Ziffer 5.5 S. 1 ARB-MPM 2009 vorliegen, insbesondere der Versicherungsnehmer oder Versicherte vorsätzlich eine Straftat begangen hat, ist im Deckungsprozess zu klären. Dabei besteht weder eine Bindung an die Ergebnisse eines gegen den Versicherungsnehmer oder Versicherten geführten Ermittlungsverfahrens oder des Ausgangsrechtsstreits noch ist der Rechtsschutzversicherer bis zu deren Abschluss vorläufig leistungspflichtig.

  2. Der Versicherer ist für die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach Ziffer 5.5 S. 1 ARB-MPM 2009 darlegungs- und beweisbelastet.

VW-Abgasskandal II: Schadensersatz im „Dieselfall“, oder: Bemessung des Nutzungsvorteils

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Und als zweite Entscheidung aus dem Komplex: VW-Abgasskandal, das BGH, Urt. v. 18.05.2021 – VI ZR 720/20.

Nach dem Sachverhalt dieser Entscheidung hatte der Kläger im September 2012 in einem Autohaus einen von VW hergestellten Neuwagen VW Tiguan Sport & Style 4Motion BM Techn. 2.0 I TDI. In diesem Fahrzeug war „ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. In dessen Motorsteuerung wurde seitens der Beklagten eine Software zur Abgassteuerung installiert, die über zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung verfügt. Der „Modus 1“ ist im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimiert. Er wird auf dem Prüfstand für die Bestimmung der Fahrzeugemissionen nach dem maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) automatisch aktiviert und bewirkt eine höhere Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb ist der „Modus 0“ aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und zu einem höheren Stickoxidausstoß führt. Im November 2016 wurde dem Fahrzeug deshalb ein Software-Update aufgespielt. Im Wesentlichen mit der Behauptung, er sei vor dem Hintergrund der dargestellten, unzulässigen Software zur Abgassteuerung, die eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, sittenwidrig getäuscht und durch den Abschluss des Kaufvertrags geschädigt worden, nimmt der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 33.789 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des von ihm erworbenen Pkw in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 23.589,45 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen nur zur Zahlung von 22.362,01 € nebst Zinsen verurteilt wird. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Antrag, soweit ihm nicht stattgegeben worden ist, weiter.“

Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung das war: OLG Stuttgart, 09.04.2020 – 1 U 251/19im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB analog ein Anspruch auf Zahlung von 22.362,01 € Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Tiguan zu. Die Entscheidung der Beklagten, dass der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Motor in das Fahrzeug eingebaut und dieses mit einer erschlichenen Typgenehmigung in den Verkehr gebracht werde, stelle eine sittenwidrige Handlung dar. Durch den Kauf des Fahrzeugs sei dem Kläger ein kausal auf die Entscheidung der Beklagten zum Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung zurückzuführender Schaden entstanden. Der nach § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die darüber hinaus erforderliche Kenntnis von den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen seien ebenfalls gegeben. Die Beklagte habe dem Kläger deshalb den für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreis Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu ersetzen, müsse sich aber die Gebrauchsvorteile durch die Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen.

Bei der Berechnung der anzurechnenden Gebrauchsvorteile sei nunmehr – anstelle des vom Landgericht für den Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz angenommenen Kilometerstandes von 90.558 – der Kilometerstand des Fahrzeugs im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht von unstreitig 101.456 zugrunde zu legen. Hinsichtlich der für die Berechnung ebenfalls maßgeblichen Gesamtlaufleistung seien die vom Kläger in erster Instanz behaupteten 300.000 Kilometer anzusetzen.“

Der BGH hat – wie gesagt – die Revision zurückgewiesen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

1. Zur Zurückweisung des die zu erwartende Gesamtleistung eines Fahrzeugs betreffenden neuen Vortrags in der Berufungsinstanz in einem sogenannten Dieselfall.

2. Das Tatgericht ist bei der im Rahmen des Vorteilsausgleichs vorzunehmenden Bemessung des Nutzungsvorteils in einem sogenannten Dieselfall grundsätzlich nicht gehalten, zur Ermittlung der zu erwartenden Gesamtlaufleistung des betroffenen Pkws ein Sachverständigengutachten einzuholen; es kann diese vielmehr grundsätzlich selbst ohne sachverständige Hilfe gemäß § 287 ZPO schätzen (Fortführung Senatsurteile vom 27. April 2021 – VI ZR 812/20. Rn. 18 und vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20, Rn. 11).