Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis II: Eigene Erwägungen des VG retten ein unschlüssiges Gutachten nicht

entnommen wikidmedia.org
Fotograf Faßbender, Julia

Und dann die zweite Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Die kommt mit dem OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2021 – 16 B 1496/20 -, aus Münster. Die Entscheidung behandelt auch noch einmal die Frage der Ungeeignetheit und/oder die Anforderungen an die Überzeugung der Verwaltungsbehörde. Die Ungeeignetheit muss „feststehen“. Das war hier (auch) nicht der Fall. Daher hat das OVG die aufschiebende Wirkung der Klage des Fahrerlaubnisinhabers wieder hergestellt, und zwar trotz eines Gutachtens. Begründung:

Die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 10. Januar 2020 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Für diese Entscheidung, die nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde steht, muss die Fahrungeeignetheit des Betroffenen feststehen. Dieses Erfordernis ist und war im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entziehungsverfügung, dem Zeitpunkt ihres Erlasses,

vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2008 – 3 C 26.07 -, juris, Rn. 16, und vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 11,

nicht gegeben. Es steht nicht fest, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen – hier der Gruppe 1 – ungeeignet ist. Zum Zeitpunkt des anlassgebenden Vorfalls, der Verkehrskontrolle am 30. Mai 2019, war der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis. Dies ergibt sich aus seinen Angaben im Rahmen seiner medizinisch-psychologischen Begutachtung durch das Medizinisch-Psychologische Institut der U. O. N. GmbH & Co. KG, denen zufolge er erstmalig mit 17 Jahren Cannabis probiert, anschließend von Dezember 2017 bis Januar 2018 unregelmäßig konsumiert und von April 2019 bis Mai 2019 zweimal in der Woche insgesamt ein Gramm geraucht habe. Den gelegentlichen Konsum dieses Betäubungsmittels hat er auch im gerichtlichen Verfahren nicht in Abrede gestellt.

Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Fahreignung nur gegeben, wenn zwischen Konsum und Fahren getrennt werden kann und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, eine Störung der Persönlichkeit oder kein Kontrollverlust vorliegt. Dass der Antragsteller diese Voraussetzungen nicht erfüllt, namentlich nicht zwischen Konsum von Cannabis und Fahren trennen kann, ist nicht nachgewiesen.

Eine entsprechende Annahme ergibt sich nicht aus dem medizinisch-psychologischen Gutachten des Medizinisch-Psychologischen Instituts der U. O. N. GmbH & Co. KG vom 18. November 2019. Dieses Gutachten ist keine taugliche Beurteilungsgrundlage für die Feststellung der Fahrungeeignetheit des Antragstellers, weil es unter erheblichen Mängeln leidet. Der Antragsteller weist in seiner Zulassungsbegründung zu Recht daraufhin, dass dieses Gutachten nicht schlüssig ist. Ein – wie hier – nach § 46 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angeordnetes medizinisch-psychologisches Gutachten, das zu einem für den Betroffenen negativen Schluss kommt, muss nachvollziehbar aufzeigen, dass und warum ein solcher Schluss im Einzelfall gerechtfertigt ist. Diesem Erfordernis wird das Gutachten vom 18. November 2019 nicht gerecht.

Das Gutachten gelangt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 zwar sicher führen könne, es jedoch zu erwarten sei, dass er künftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln führen werde (S. 13 des Gutachtens). Dem liegt die Feststellung zugrunde, dass bei dem Antragsteller eine fortgeschrittene Drogenproblematik vorliege, so dass ein Abstinenzbeleg in der Regel über 12 Monate bzw. Belege über den konsequenten Verzicht auf jeden Drogenkonsum zu fordern sei bzw. seien (S. 12 und 14 des Gutachtens). Das Gutachten legt aber nicht plausibel dar, aus welchem Grund bei dem Antragsteller von einer fortgeschrittenen Drogenproblematik auszugehen ist, und, worauf auch der Antragsteller hinweist, woraus die Forderung nach einer Drogenabstinenz resultiert.

Zu der Annahme einer fortgeschrittenen Drogenproblematik bei dem Antragsteller gelangt das Gutachten nach der Darstellung der medizinischen und psychologischen Untersuchungsbefunde, die u. a. eine ausführliche Wiedergabe der eigenen Angaben des Antragstellers enthalten, und nach den Feststellungen, dass aus verkehrsmedizinischer Sicht keine Befunde erhoben worden seien, die unter Berücksichtigung der Grundsätze der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung das ausreichend sichere Führen von Kraftfahrzeugen ausschlössen, körperliche Zeichen für einen aktuellen Drogenmissbrauch oder für Auswirkungen eines früheren Drogenkonsums nicht nachweisbar seien und die Analyse der Urinprobe keine Hinweise auf einen Drogenkonsum ergeben habe und damit in Übereinstimmung mit den Angaben zum aktuellen Drogenverzicht stehe. Inwieweit gleichwohl von einer fortgeschrittenen Drogenproblematik beim Antragsteller auszugehen ist, welche aus dessen Untersuchung gewonnenen fachlichen Erkenntnisse hierfür aus welchen Gründen maßgeblich sind, legt das Gutachten auch in der nachfolgenden psychologischen Beurteilung jedenfalls nicht hinreichend dar. Denn hieraus ergibt sich schon nicht, inwieweit die dort aufgeführten, aus verkehrspsychologischer Sicht beurteilungsrelevanten Aspekte den Schluss auf das Vorliegen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik beim Antragsteller zulassen. Soweit es auf S. 11 des Gutachtens heißt, die fortgeschrittene Drogenproblematik habe sich „im missbräuchlichen Konsum von Suchtstoffen, in einem polyvalenten Konsummuster oder auch im Konsum hoch suchtpotenter Drogen gezeigt“, fehlt es an näheren Belegen, insbesondere für die – auch in der Gutachtenanordnung nicht aufgestellte – Behauptung eines Konsums hoch suchtpotenter Drogen.

Ferner lässt das Gutachten nicht erkennen, warum darin eine Drogenabstinenz des Antragstellers – einhergehend mit Abstinenznachweisen – für notwendig erachtet wird. Eine entsprechende Darlegung wäre aber auch insbesondere mit Blick darauf erforderlich gewesen, dass, wie sich auch aus der der Begutachtung des Antragstellers zugrunde liegenden Fragestellung ergibt, bei dem Antragsteller von einem gelegentlichen Cannabiskonsum auszugehen ist, bei dem allein die Einnahme dieses Betäubungsmittels die Fahreignung nicht entfallen lässt. Gelangt ein medizinisch-psychologisches Gutachten gleichwohl zu dem Ergebnis, dass im konkreten Fall ein vollständiger Konsumverzicht erforderlich sei, z. B. weil andernfalls ein Trennen zwischen Konsum und Fahren nicht zu gewährleisten sei, muss das Gutachten die Gründe für diese Einschätzung nachvollziehbar darlegen.

Eine Verwertbarkeit des hier in Rede stehenden Gutachtens für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus den – eigenen, nicht im Gutachten enthaltenen – Erwägungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss, mit denen es aufzeigen will, aus welchen Gründen das Gutachten gleichwohl schlüssig sei. Ist – wie vorliegend – ein Gutachten aus sich heraus nicht nachvollziehbar oder fehlt es ihm aus anderen Gründen an der Schlüssigkeit, kann dieser Mangel nicht durch eigene Erwägungen des Gerichts behoben werden. Das Gericht darf sich nicht an die Stelle des oder der sachverständigen Gutachter(s) begeben, weil ihm hierfür regelmäßig die einschlägige Fachkunde fehlt.

Vgl. in diesem Zusammenhang BayVGH, Beschluss vom 26. Juli 2019 – 11 CS 19.1093 -, juris, Rn. 14.

Nach alledem bestehen lediglich Zweifel in Bezug auf die Fahreignung des Antragstellers. Insoweit sei ergänzend darauf hingewiesen, dass diese entgegen seiner Auffassung weder durch seine zwischenzeitliche Drogenabstinenz noch durch eine von ihm geltend gemachte Kompensation des Cannabiskonsums durch Meditation und/oder durch zwischenmenschlichen Austausch ausgeräumt worden sind. Zur Klärung dieser Eignungszweifel ist vielmehr der Nachweis erforderlich, dass der Antragsteller in der Lage ist, bei fortgesetzter gelegentlicher Einnahme von Cannabis ein nach den Wertungen der Fahrerlaubnis-Verordnung hinnehmbares Konsummuster – Verzicht auf den zusätzlichen Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, Trennung zwischen Konsum und Fahren, keine Störung der Persönlichkeit, kein Kontrollverlust (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) – einzuhalten. Ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, ist – anders als er meint – allein mit einem belegten temporären Drogenverzicht nicht nachgewiesen. Zusätzlich ist der Nachweis eines tiefgreifenden und stabilen Einstellungswandels zu führen, der es hinreichend wahrscheinlich macht, dass der Antragsteller die von ihm geltend gemachte derzeitige Abstinenz auch in Zukunft einhalten oder zumindest ein im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV hinnehmbares Konsummuster an den Tag legen wird. Die Frage, ob sich bei ihm eine derartige nachhaltige Einstellungsänderung vollzogen hat, ist aber nur auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu beantworten.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 4. November 2013 – 16 B 1205/13 -, vom 18. Februar 2020 – 16 B 210/19 -, juris, Rn. 5 f., und vom 10. November 2020 – 16 B 1417/20 -.

Die also weiterhin bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers hat, wie sich aus § 3 Abs. 1 Satz 3, § 2 Abs. 7 und 8 StVG, § 46 Abs. 3 i. V. m. §§ 11 ff. FeV ergibt, die Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners (weiter) aufzuklären.

Vgl. hierzu VG München, Beschluss vom 14. November 2016 – M 26 S 16.4261 -, juris, Rn. 31 und 39; VG Augsburg, Beschluss vom 4. Juli 2018 – Au 7 S 18.936 -, juris, Rn. 92; im Ergebnis ebenso OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Februar 2021 – 16 E 648/20 -, vom 5. November 2014 – 16 E 179/14 -, und vom 10. Oktober 2016 – 16 B 673/16 -, juris, Rn. 3, und VG Arnsberg, Beschluss vom 30. Mai 2016 – 6 L 389/16 -, juris, Rn. 17.“

Entziehung der Fahrerlaubnis I, oder: Beweislast für die Ungeeignetheit hat die Behörde

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Heute köcheln im „Kessel Buntes“ zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ich beginne mit dem VG Weimar, Beschl. v. 18.01.2021 – 1 E 1532/20 We -, den mir die Kollegin Klein aus Weimar geschickt hat. Der Beschluss enthält nichts weltbewegend Neues, aber er ruft noch einmal in Erinnerung: Die Fahrerlaubnisbehörde muss beweisen, dass der Fahrerlaubnisinhaber „ungeeignet“ ist:

„Vorliegend begegnen der Entziehungsverfügung selbst rechtliche Bedenken.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVO – i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Ungeeignetheit des Antragstellers erwiesen sein muss. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist daher nur möglich, wenn die Ungeeignetheit oder mangelnde Befähigung des Fahrerlaubnisinhabers aufgrund erwiesener Tatsachen positiv festgestellt werden kann (Bundesverwaltungsgericht NJW 05, 3081). Die insoweit bestehende Beweislast hierfür trägt die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. hierzu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 3 StVG Rn. 24 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Ein solcher Nachweis der Ungeeignetheit ist dem Antragsgegner nicht gelungen. Insbesondere folgt die Ungeeignetheit des Antragstellers nicht aus dem Gutachten der pp. GmbH vom 18.02.2020. Der Umstand, dass nach dem Gutachten ein aktiver Konsum von Betäubungsmitteln nicht sicher ausgeschlossen werden kann, genügt gerade nicht den Nachweispflichten des Antragsgegners zur Ungeeignetheit des Antragstellers. Denn – anders als der Antragsgegner offensichtlich meint (vgl. den Schriftsatz des Antragsgegners vom 24.11.2020, Bl. 4) – ist nicht der Antragsteller dazu verpflichtet, seine Geeignetheit, sondern der Antragsgegner ist verpflichtet die Ungeeignetheit des Antragstellers nachzuweisen. Soweit das Gutachten trotz der aufgefundenen Menge von Amphetamin (0,10 ng/mg) nicht zu einem eindeutigen Nachweis des Konsums gekommen ist, da aufgrund des geringfügigen Befundes ein aktiver Konsum nicht unterstellt werden konnte (vgl. Bi. 11 des Gutachtens), ergibt das Gutachtenergebnis keine Ungeeignetheit des Antragsstellers.

Auch unabhängig vom erstellten Gutachten kann keine Ungeeignetheit des Antragstellers festgestellt werden. Dies gilt auch in Ansehung des Vorfalls vom 14.01.2016, als der Antragsteller mit einer Methamphetaminkonzentration von 31 ng/ml festgestellt wurde. Denn der Antragsgegner hat, nachdem ihm dies mit am 15.03.2016 bei ihm eingegangenen Schreiben mitgeteilt wurde (vgl. Bl. 112 der Verwaltungsakten), erstmals mit Anordnung vom 21.08.2019 ein Drogenscreening angeordnet. In diesem Fall liegt jedoch keine aktuelle Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV mehr vor, da die Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Anordnung zur Beibringung des Drogenscreenings bereits mehr als 3 Jahre zurücklagen (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2010 – 2 B 2190/10 – juris für den Fall eines 2 1/2 Jahre zurückliegenden Konsums von Cannabis).

Da mithin eine Ungeeignetheit des Antragstellers nicht festgestellt werden kann, war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid wiederherzustellen.“

Corona I: FFP2-Masken-Pflicht, touristische Ausflüge, Abfuhr für das AG Weimar, oder: 3 x VGH Bayern

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Zum Start in den neuen Monat und in die 5. KW. ein bisschen Corona. Wen mir vor einem Jahr jemand vorausgesagt hätte, dass das in einem Jahr noch eine Thema ist: Ich hätte es nicht geglaubt.

Ich stelle hier zunächst drei Entscheidungen des BayVGH vor, und zwar.

  • BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.171: Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren über den Erlass einer einsteweiligen Anordnung. Der BayVGH hat es abgelehnt, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in FFP2-Qualität beim Einkaufen oder bei der Benutzung von Verkehrsmitteln des Öffentlichen Personennahverkehrs vorläufig außer Vollzug zu setzen. FFP2-Masken böten voraussichtlich gegenüber medizinischen oder sogenannten Community-Masken einen erhöhten Selbst- und Fremdschutz. Deshalb bestünden gegen ihre Eignung und Erforderlichkeit zur Bekämpfung der Corona-Pandemie keine Bedenken. Gesundheitsgefährdungen seien insbesondere wegen der regelmäßig begrenzten zeitlichen Tragedauer nicht zu erwarten. Auch seien grundsätzlich die Aufwendungen für die Anschaffung der Masken zumutbar.

  • BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.162Ergangen ist die Entscheidung ebenfalls im einstweiligen Verfahren. In dem Beschluss hat der VGH das Verbot touristischer Tagesausflüge für Bewohner von sog. Hotspots (§ 25 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Verbot aller Voraussicht nach gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße. Für die Betroffenen sei der räumliche Geltungsbereich des Verbots touristischer Tagesausflüge über einen Umkreis von 15 km um die Wohnortgemeinde hinaus nicht hinreichend erkennbar. Die textliche Festlegung eines 15-km-Umkreises sei nicht deutlich und anschaulich genug. Im Hinblick ebenfalls angegriffene Befugnis der betroffenen Kommunen, eine Einreisesperre für touristische Tagesausflüge anzuordnen (§ 25 Abs. 1 Satz 4 11. BayIfSMV) hat der Senat den Eilantrag dagegen abgelehnt.

Die Beschlüsse haben zwar nur Wirkung für Bayern, sie werden aber sicherlich bei den anderen Landesverfassungsgerichten auch noch gelesen.

Und dann noch ein Nachtrag: Ich hatte in der vorigen Woche über das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 berichtet (vgl. dazu Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?). Dazu hatte mich ein Blogleser auf den BayVGH, Beschl. v. 24.01.2021 – 10 CS 21.249 – hingewiesen, der mir beim Erstellen des Beitrags nicht bekannt war. Darin hat der BayVGH zum AG Weimar – Urteil Stellung genommen. In der Sache ging es um Beschränkungen für eine für den 24.01.2021 „angemeldeten Versammlung mit dem Thema: „Wir fordern, dass der 10. Senat des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wird, weil dieser sich gem. § 7 Abs. 1 Nr. 10 des Völkerstrafgesetzbuches für eine unerwünschte politische Gruppierung („Querdenker“), u.a. Demonstration in Stein bei Nürnberg am 17.01.2021, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht hat“ verfügt hat. Das Versammlungsmotto wurde im Beschwerdeverfahren dahingehend ergänzt, dass auch die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts München in die Anklage mit aufgenommen werden soll.“

Zu dem Versammlungsthema verkneife ich mir jetzt einen Kommentar, die Passage betreffend AG Weimar stelle ich aber ein. Der BayVGH meint dazu:

„Das Urteil des Amtsgerichts Weimar (U.v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20), auf das sich der Antragsteller bezieht, um weiter zu begründen, dass eine „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht vorliege, ändert hieran ebenfalls nichts. Abgesehen davon, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist und Rechtsmittel insofern schon angekündigt sind (https://www.mdr.de/thueringen/mitte-westthueringen/ weimar/corona-urteil-kontaktbeschraenkung-weimar-100.html), hält es der Senat für eine methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Gefahren der Corona-Pandemie im Widerspruch zur (vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten) ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte steht (vgl. statt aller aus dem Zeitraum April/Mai 2020 BVerfG, B.v. 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 – juris; HessVGH, B.v. 1.4.2020 – 2 B 925/20 – juris; BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 NE 20.735 – juris; OVG LSA, B.v. 30.4.2020 – 3 R 69/20 – juris; ThürOVG, B.v. 7.5.2020 – 3 EN 311/20 – juris; OVG Bremen, U.v. 12.5.2020 – 1 B 140/20 – juris). Wenn das Amtsgericht Weimar meint, dass „am 18.04.2020, dem Tag des Erlasses der 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO“ keine epidemische Lage nationaler Tragweite vorgelegen habe, setzt es seine eigene Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Thüringer Verordnungsgebers, ohne sich auch nur ansatzweise mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinanderzusetzen, die zu deren Einschätzung geführt haben und maßt sich gleichzeitig eine Sachkunde zu infektiologischen und epidemiologischen Sachverhalten an, die ihm angesichts der hochkomplexen Situtation ersichtlich nicht zukommt (vgl. zu den Grenzen einer Beurteilung komplexer Sachverhalte durch den Richter ohne Hinzuziehung von Sachverständigen etwa BGH, B.v. 9.4.2019 – VI ZR 377/17 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 10.11.1983 – 3 C 56/82BVerwGE 68, 177 – juris Rn. 30 jeweils m.w.N.). Das Amtsgericht führt einzelne von ihm für maßgeblich gehaltene Kriterien und Belege an und blendet dabei gegenteilige Hinweise und Quellen systematisch aus. So ist die von ihm zentral herangezogene „Metastudie des Medizinwissenschaftlers und Statistikers John Ioannidis“ zur Infentionssterblichkeitsrate (IFR) bestenfalls umstritten, spätere Studien (die der Senat noch während des vorliegenden Eilverfahrens auffinden konnte) gehen von einer deutlich höheren IFR insbesondere bei älteren Menschen aus (vgl. etwa Levin et al., Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19: Systematic Review, Meta-Analysis, and Public Policy Implications vom 8. Dezember 2020, abrufbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10654-020-00698-1). Im Übrigen vermengt das Amtsgericht die im Gefahrabwehrrecht maßgebliche ex-ante-Betrachtung (stRspr, vgl. etwa BayVGH, U.v. 22.5.2017 – 10 B 17.83 – juris Rn. 25 m.w.N.) mit Elementen einer ex-post-Betrachtug und stellt vielfach keine Überlegungen zu Kausalitäteten bzw. Koinzidenzien ab. Die naheliegende Annahme etwa, dass gerade die vom Amtsgericht als unverhältnismäßig angesehenen Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 dazu geführten haben könten, dass es im ersten Halbjahr 2020 zu einer vergleichsweise niederigen Übersterblichkeit und zu einer vergleichsweise geringen Auslastung der Intensivbettenkapazitäten kam, spart das Amtsgericht soweit ersichtlich vollkommen aus.

Soweit das Amtsgericht Weimar darüber hinaus der Auffassung ist, dass § 28 IfSG am 18. April 2020 im Hinblick auf die Wesentlichkeitslehre keine taugliche Rechtsgrundlage für die 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO gewesen sei und insofern auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – juris) verweist, hat der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs diese Bedenken für die nach der Einfügung von § 28a IfSG geltende Rechtslage nicht mehr wiederholt (vgl. etwa BavGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 21). Der erkennende Senat war bereits zuvor der Auffassung, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 IfSG grundsätzlich zulässig waren (BayVGH, B.v. 7.11.2020 – 10 CS 20.2583 – juris Rn. 4 m.w.N.).“

Der deutlichen Abfuhr schließe ich mich gern an und erspare mir jedes weitere Wort, außer: Kommentarfunktion habe ich lieber mal wieder geschlossen.

Fahrtenbuchauflage, oder: Die Probefahrt des unbekannten Käufers

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In der zweiten verwaltungsrechtlichen Entscheidung, dem VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 04.01.2021 – 14 L 1707/20 – geht es mal wieder um eine Fahrtenbuchanordnung. Ergangen ist der Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Mit einem auf den Antragsteller als Halter zugelassenen Fahrzeug ist am 26.06.2020 auf einer Probefahrt einer potentiellen Käufers eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden.  Die Verwaltungsbehörde hat, das sie den Fahrer nicht ermitteln konnte, die Führung eine Fahrtenbuchs (§ 31a StVZO) angeordnet. Dagegen Widerspruch und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, mit dem u.a. geltend gemacht wird, die Verwaltungsbehörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen.

Das VG lehnt den Antrag ab:

„Der Antragsteller hat – nach vorangeganger Akteneinsicht – mit Schreiben vom 28. August 2020 mitgeteilt, dass er zum Tatzeitpunkt nicht gefahren sei. Den Fahrer könne er nicht benennen. Er habe zum Tatzeitpunkt die Absicht gehabt, sein Motorrad zu verkaufen, weshalb mehrere Personen Probefahrten von längerer Dauer gemacht hätten. Allerdings habe er sich die Namen nicht dauerhaft gemerkt oder notiert. Auch sei das Lichtbild nicht deutlich, weshalb eine Identifizierung nicht möglich sei. Hierzu hat der Antragsteller – wenn auch unsubstantiiert – im vorliegenden Verfahren weiter ausgeführt, dass er sich von den Kaufinteressenten zur Sicherheit den Personalausweis vor jeder Probefahrt habe geben lassen. Auch habe er keine Veranlassung gehabt, die persönlichen Daten zu notieren, insbesondere habe er nicht davon ausgehen müssen, dass ein Interessent eine Geschwindigkeitsübertretung begehen werde.

Die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers im Tatzeitpunkt beruht in Ansehung dieses Vortrags nicht auf einem Ermittlungsdefizit der Behörde. Es hätte dem Antragsteller oblegen, einen höheren Sorgfaltsmaßstab an die Dokumentation der mit dem auf ihn als Halter zugelassenen Fahrzeug durchgeführten Fahrten obwalten zu lassen.
Vgl. Urteil der Kammer vom 9. April 2019 – 14 K 9805/17 -.

Die von der Rechtsprechung aufgestellte zweiwöchige Regelfrist für Anhörungen in Verkehrsordnungswidrigkeitssachen gilt erkennbar in typischen Fällen, in denen Private, die ihr Fahrzeug gelegentlich an ihnen bekannte Fahrer weitergeben, nach zwei Wochen gewöhnlich noch über eine gute Erinnerung darüber verfügen, wer zum benannten Tatzeitpunkt gefahren ist. In einem atypischen Fall wie der Überlassung an völlig unbekannte Dritte zum – unbegleiteten – Probefahren darf von einem Fahrzeughalter davon abweichend ohne weiteres bereits im eigenen Interesse erwartet werden, dass er, wie beispielsweise ein Kaufmann,
vgl. zur Dokumentationsobliegenheit von Kaufleuten in st. Rechtsprechung z.C. . VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. März 2014, -14 L 340/14-, vom 18. Februar 2015 -14 L 213/15-, OVG NRW, Urteile vom 31. März 1995 –25 A 2798/93, NJW 1995, 3335, vom 29. April 1999 –8 A 699/97-, NJW 1999, 3279, Beschlüsse vom 29. Juni 2006 -8 C. 910/06-, juris, vom 15. März 2007, -8 C. 2746/06-, juris, vom 13. November 2013, –8 A 632/13-, juris, vom 23. Mai 2014, -8 C. 340/14-, OVG Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2006, – 1 a 236/05-, juris, OVG M.-V., Beschluss vom 26. Mai 2008 –1 L 103/08-, juris, Bay- VGH Beschlüsse vom 29. April 2008, –11 CS 07.3429-, juris, vom 1. Juli 2009 –11 CS 09.1177-, juris, OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 26. März 2012 -3 LA 21/12-, juris,

die getätigten Fahrten dokumentiert, um sich bei Verkehrsverstößen oder Schäden an Rechtsgütern Dritter exkulpieren und Anhaltspunkte zum Täter liefern zu können. Es fällt vorliegend auch in die Sphäre des Fahrzeughalters, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt das Privatfahrzeug benutzt hat, wenn er dies – wie von ihm selbst vorgetragen – an ihm unbekannte Dritte zum unbegleiteten Fahren herausgibt.

Die Notwendigkeit einer Dokumentation entsteht im Vergleich zur Gruppe der Kaufleute sogar in noch verstärktem Maße, als auch jene zwar eine mitunter größere Anzahl an Mitarbeitern mit ihren Fahrzeugen fahren lassen, diese ihnen aber jedenfalls sämtlich bekannt sind und ein Lichtbildabgleich daher regelmäßig zum Erfolg führen wird. Demgegenüber hat der Antragsteller seinem Vortrag zu Folge ihm völlig unbekannten Personen sein Fahrzeug für unbegleitete Fahrten überlassen.

Im Übrigen erscheint es unplausibel, dass der Antragsteller keine Dokumentation zu den Kaufinteressenten angefertigt haben will, denn es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, -straftaten und zivilrechtlichen Ansprüchen Dritter im Zusammenhang mit Rechtsgutsverletzungen im Straßenverkehr oft erst deutlich später eingeleitet wird bzw. der Halter erst später von etwaigen Maßnahmen Kenntnis erlangt. Schon aus diesem Grunde hätte es dem Antragsteller in seinem ureigenen Interesse oblegen, Aufzeichnungen anzufertigen.

Soweit der Antragsteller noch vorträgt, er hätte nicht mit Verkehrsverstößen der ihm unbekannten Fahrer rechnen müssen, vermag ihn auch dies nicht zu entlasten. Der Einwand greift bereits aufgrund der relativen Häufigkeit von – fahrlässig wie vorsätzlich begangenen – Geschwindigkeitsübertretungen usw., die als offenkundige Tatsache zu bewerten ist, nicht durch und kann erst recht bei unbegleiteten Fahrten, bei denen sich der Halter jeder Einflussmöglichkeit über das auf ihn zugelassene Fahrzeug begibt, nicht überzeugen.

Dass der Antragsteller keinerlei Dokumentation aufbewahrt hat und im Zuge dessen nicht in der Lage war, die Ermittlungen des ihm unbekannten Fahrers seines Fahrzeuges zu befördern, geht zu seinen Lasten. Er hat durch seine besondere Sorglosigkeit in der Weitergabe seines Motorrads an Unbekannte die Voraussetzungen für die Nichtermittelbarkeit des Tatfahrers erst geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist daher auch unerheblich, ob das Lichtbild – wie vom Antragsteller geltend gemacht – zu undeutlich gewesen ist.

Hinzu kommt, dass der Antragsteller gehalten gewesen wäre, den möglichen Täterkreis nach den ihm vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten weiter einzugrenzen. Hierzu hätte ihm beispielsweise die Darlegung – schon im Anhörungsverfahren – des Umstandes oblegen, wie er mit den potentiellen Kaufinteressenten Kontakt aufgenommen hatte.

Die zuständige Stelle des I. durfte nach alledem bereits aus den gänzlich unterlassenen Angaben zum berechtigten Nutzerkreis des Fahrzeugs zulässigerweise auf die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers schließen.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. August 2013 – 8 C. 837/13 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. November 2004 –12 ME 413/04-, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 4. Dezember 2003 –12 LA 442/03-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse 9. Mai 2006 – 8 A 3429/04-, juris und vom 21. März 2016 -8 C. 64/16-, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 4. März 2013 –14 K 2369/12-, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Mai 2012 –6 K 8411/10-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2013 –14 L 356/13-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juni 2013 –14 L 996/13 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 3. Dezember 2013 –14 K 4334/13-, juris.

Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen der Halter keine (detaillierten) Angaben zur Sache macht. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt vor allem nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat……“

Niqab am Steuer, oder: Ist die Vollverschleierung am Steuer erlaubt?

entnommen wikimedia.org
Author Manuelfb55

Heute ist Samstag und damit „Kessel Buntes-Zeit“. Und in dem „schwimmen“ heute zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2020 – 6 L 2150/20. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem eine einstweilige Anordnung beantragt worden ist. Es geht um folgenden Sachverhalt:

Die Antragstellerin beantragte am 14.02.2020 bei der Bezirksregierung, ihr eine Ausnahme gem. § 46 Abs. 2 StVO vom Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO zu erteilen. Hierzu füllte sie einen Vordruck aus, der von dem eingetragenen Verein (e.V.) „G. J. V. “ im Internet zum Download angeboten wird (https://xxxxxxxxxxxxxxx.de/media/downloads/). Die Ausnahme sollte sich auf die Fahrerlaubnis Klasse B beziehen und für die gesamte Bundesrepublik gelten.

Die Antragstellerin beantragte, ihr zu genehmigen, beim Führen eines Kraftfahrzeuges das Tragen des „Niqab“ (Nikab) zu erlauben. Sie erläuterte diese Kopfbedeckung anhand zweier beigefügter Zeichnungen. Diese zeigen aus der Front- und Seitenansicht eine Frau, deren Kopf, Hals und Oberkörper von einem undurchsichtigen dunklen Stoff bedeckt ist. Nur ein wenige Zentimeter breiter horizontaler Sehschlitz für die Augen bleibt von ihm unbedeckt. Der Sehschlitz läuft auf der Höhe der äußeren Augenwinkel im Schläfenbereich spitz zu. Sichtbar bleiben lediglich die Augen, die Augenbrauen und der obere Teil der Nasenwurzel.

Die Antragstellerin begründete ihren Antrag damit, dass sie seit Mai 2007 praktizierende Muslima sei und sich bedecke. Der Koran schreibe vor, dass die gläubigen Frauen ihre Blicke niederschlagen, ihre Scham hüten und ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen (Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59). Sie bedecke sich freiwillig und sehe es als sexuelle Nötigung an, wenn man sie dazu zwinge, ihren Niqab am Steuer abzulegen.

Die Bezirksregierung forderte die Antragstellerin auf, näher darzulegen a) warum sie auf die Pkw-Nutzung zwingend angewiesen sei, b) warum das Verhüllungsverbot sie in ihrer Glaubensfreiheit verletze, c) welcher schwere Nachteil entstehe, wenn sie unverschleiert ein Fahrzeug führen müsse und d) darzulegen, dass trotz der Verhüllung eine ungehinderte Rundumsicht gewährleistet sei. Des Weiteren wies sie darauf hin, dass ggf. ihre und die Bereitschaft des Kfz-Halters, ein Fahrtenbuch zu führen, die Ausnahmegenehmigung ermöglichen könnte.

Mehr als fünf Monate später verlangte die Antragstellerin dann die Bescheidung ihres Antrags, ohne die aufgeworfenen Fragen der Bezirksregierung zu beantworten. Die Führung eines Fahrtenbuchs lehnte sie ab bzw. erklärte sich nur hilfsweise damit einverstanden. Zugleich legte sie eine Ablichtung ihrer im Jahr 2012 ausgestellten Führerscheinkarte vor, die sie mit einem Hidschab zeigt. Es sind nur die Haare und der Hals vom Stoff bedeckt, das Gesicht ist von der Stirn bis zur Kinnspitze sichtbar.

Die Bezirksregierung hat die Erteilung der Ausnahmegenehmigung abgelehnt. Dagegen dann die Klage auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung und zugleich der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das VG hat den Antrag abgelehnt. Wegen der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Eine Muslima, die aus religiösen Gründen einen Niqab trägt, hat keinen Anspruch auf eine Ausnahme von dem am Steuer eines Kraftfahrzeugs geltenden Verhüllungsverbots (§ 23 Abs. 4 StVO).
  1. Das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO ist mit der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG vereinbar. Autos bieten einen Schutzraum in der Öffentlichkeit, der den Zweck, dem der Niqab dienen soll, weitgehend erfüllt. Außerdem lässt § 46 Abs. 2 StVO Ausnahmen in Härtefällen zu.
  1. Eine Vollverschleierung gefährdet die Verkehrssicherheit, weil Verkehrszuwiderhandlungen nicht mehr wirksam verfolgt werden können, weil er die Rundumsicht beeinträchtigen kann und die mimische Verständigung im Straßenverkehr einschränkt.
  1. Zuständig für die Erteilung einer Ausnahme nach § 46 Abs. 2 StVO ist die Landesbehörde und nicht das Bundesverkehrsministerium, auch wenn die Ausnahme bundesweit gelten soll.