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StPO II: Besetzungseinwand prozessual überholt, oder: Es bleibt dann das Revisionsverfahren

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Und im zweiten Beitrag stelle ich dann den KG, Beschl. v. 20.10.2023 – 3 Ws 50/23 – 161 AR 180/23 – vor. Es geht noch einmal um den Besetzungseinwand nach § 222b StPO.

Nach dem Sachverhalt hatte eine Strafkammer LG Berlin mit Beschluss vom 11.09.2023 unter Eröffnung des Hauptverfahrens die Anklage der StA vom 09.08.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat sie hinsichtlich ihrer Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden, dass diese gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 GVG mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses veranlasst, Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.09.2023 anberaumt und die Ladung der Beteiligten sowie die Übersendung der Besetzungsmitteilung angeordnet. Mit Schriftsatz vom 14.09.2023 hat Rechtsanwalt A für den Nebenkläger B die Besetzung des Gerichts nach § 222b Abs. 1 StPO gerügt und bemängelt, dass die Kammer nach § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG keine Dreierbesetzung beschlossen hat. Im Rahmen der Begründung hat er ausgeführt, weshalb die Anberaumung der Verhandlung als Tagessache aufgrund des aus seiner Sicht erforderlichen Hauptverhandlungs­programms, das neben der Inaugen­scheinnahme eines einstündigen Tatvideos, der Hinzuziehung eines waffenkundigen Sachverständigen und weiterer Zeugen bestehen sollte, unzureichend sei. Ferner hat der Nebenkläger auf die in dem vor einer anderen großen Strafkammer geführten Parallelverfahren bereits durchgeführten über 20 Hauptverhandlungstage hin­gewiesen, in dem u.a. gegen fünf vermeintliche Mit­beteiligte an der vorliegend angeklagten Tat mit umfangreichem Prozessstoff und einem Aktenbestand von aktuell 21 Verfahrensbänden, 24 Sonderbänden und einer Beiakte verhandelt werde. Der Umfang der Akten, in die aufgrund der bislang lediglich gewährten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle bis dato keine Einsicht genommen worden sei, sowie die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetschers und das aufgrund des (bislang) schweigenden Angeklagten gebotene Beweisprogramm gebiete die Besetzung der Kammer mit drei – statt nur zwei – Berufsrichtern.

In seiner Verfügung vom 18.09.2023 hat der Kammervorsitzende zunächst vermerkt, dass die Kammer nach Beratung den Besetzungseinwand für unbegründet halte. Eine Zweierbesetzung sei ausreichend, da die Hauptakten aus zwei Bänden bestünden und der Tatvorwurf gegen den einen Angeklagten überschaubar sei. Die Sache sei als Tagessache für den 27.09.2023 terminiert. Ferner sei nach dortiger Rechtsansicht im neuen Vorlageverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss nicht erforderlich. Sodann hat der Kammervorsitzende die Vorlage des Besetzungseinwands – über die Staats­anwaltschaft Berlin – an das KG verfügt.

Der Beschwerdeband ging nebst Stellungnahme der GStA vom gleichen Tag am 26.09.2023 beim KG/Senat ein. Von dort aus wurde dem Verteidiger und Rechtsanwalt A Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vermerk des Vorsitzenden und der Stellungnahme der GStA Berlin bis zum 28.09.2023, 12 Uhr gewährt.

In der Hauptverhandlung am 27.09.2023 hat die verurteilt. Das KG hat in dem Beschluss den Besetzungseinwand des Nebenklägers als durch das ergangene Urteil vom 27.09.2023 prozessual überholt angesehen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorab­entscheidungs­verfahren erledigt. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden.
    2. Die zulässige Begründung der Besetzungsrüge erfordert gemäß § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrens­tatsachen, die den behaupteten Besetzungsfehler begründen. Wird der Besetzungseinwand auf den Umfang der Akten gestützt wird, dürften konkrete Angaben zu dem tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand erforderlich sein.
    3. Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen. Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbst­überprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrens­beteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nach­vollziehbar und überprüfbar machen.

Die Leitsätze zu 2. und 3. sind „nicht tragend“.

StPO I: Verteidiger schreit bei der Urteilsverkündung, oder: Spätester Zeitpunkt für Beweisantragstellung

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Und dann heute noch ein paar StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 26.10.2023 – 5 StR 257/23. Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt. Die Urteilsverkündung wurde durch lautes Schreien des Verteidigers des Angeklagten übertönt. Mit der Revision hat der Angeklagte dann geltend gemacht, die Stellung von Beweisanträgen sei insoweit verhindert worden. Die Revision blieb insoweit erfolglos:

„1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der in der Revisionsbegründungsschrift unter I. zusammengefassten Rügen, mit denen die „Verletzung von § 246 StPO, von § 268 Abs. 2 StPO sowie von Art. 101 Abs. 1 … GG“ beanstandet wird. Denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO trägt der Revisionsführer den zugehörigen Verfahrensstoff insgesamt als „Verfahrensgeschehen“ in einer Art und Weise vor, bei der unklar bleibt, welche Verfahrensvorgänge zur Grundlage welcher Verfahrensrüge gemacht werden sollen. Es ist aber nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem solchen ungeordneten Vortrag diejenigen Verfahrenstatsachen herauszusuchen, die zu der jeweiligen Rüge passen; stattdessen wäre es Aufgabe des Revisionsführers gewesen, bezogen auf jede konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 184/22, NStZ 2023, 127 mwN).

b) Darüber hinaus gibt der Vortrag Anlass zu folgenden Hinweisen:

aa) Soweit der Revisionsführer meint, das Urteil sei deshalb nicht wirksam im Sinne von § 268 StPO verkündet worden, weil der Verteidiger die Urteilsverkündung durch lautes Schreien übertönt habe, geht eine solche Rüge schon im Ansatz fehl. Verfahrensbeteiligte haben nur dann das Wort, wenn ihnen dies durch den Vorsitzenden erteilt wird, denn diesem obliegt die Verhandlungsführung (§ 238 Abs. 1 StPO; vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 238 Rn. 3). Die gesetzlich vorgeschriebene Verkündung des Urteils durch den Vorsitzenden nach Maßgabe von § 268 Abs. 2 StPO darf weder durch lautes Schreien gestört noch durch andere Maßnahmen Verfahrensbeteiligter behindert werden. Rechtswidrige Störungen des Verfahrensablaufs durch Verfahrensbeteiligte begründen keine Rechtsfehler des Gerichts, sondern legen bei darauf gestützten Verfahrensbeanstandungen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nahe (vgl. zur Behandlung von Verfahrensrügen, die auf rechtsmissbräuchliches Verhalten gestützt werden, auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2005 – 1 StR 411/05, NJW 2006, 708, 709). Einwände gegen die Verfahrensweise des Gerichts vor oder während der Urteilsverkündung müssen gegebenenfalls mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden, rechtfertigen aber nicht die Störung der Hauptverhandlung. Dass das Urteil ordnungsgemäß verkündet wurde, ergibt sich schließlich auch aus dem Protokoll (vgl. § 274 StPO).

bb) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 246 StPO wäre auch unbegründet, weil das Gericht zum Zeitpunkt der Antragstellung nach dem Revisionsvortrag bereits mit der Urteilsverkündung begonnen hatte und ab diesem Zeitpunkt Beweisanträge nicht mehr entgegengenommen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 1985 – 5 StR 217/85, StV 1985, 398; Urteil vom 19. November 1985 – 1 StR 496/85, NStZ 1986, 182). Die Urteilsverkündung beginnt entgegen der Auffassung der Revision nicht erst mit der Verlesung des Urteilstenors, sondern bereits mit den ersten Worten der Eingangsformel „Im Namen des Volkes“, mit der alle Urteile verkündet werden (vgl. § 268 Abs. 1 StPO). Die Verkündung im Sinne von § 268 Abs. 2 Satz 1 StPO bildet mit dem Eingangssatz des § 268 Abs. 1 StPO einen einheitlichen zusammenhängenden Verfahrensvorgang (vgl. HK-StPO/Beckemper, 7. Aufl., § 268 Rn. 4), in dessen Durchführung Verfahrensbeteiligte nach seinem Beginn nicht mehr einzugreifen befugt sind (vgl. RGSt 57, 142, 143).

Soweit der Beschwerdeführer rügt, der Vorsitzende habe durch die Art und Weise der Urteilsverkündung die Stellung angekündigter Beweisanträge „vereitelt“, dringt er damit ebenfalls nicht durch. Denn dass der Verteidiger konkret die Stellung weiterer Beweisanträge für den Tag der Urteilsverkündung angekündigt hätte, lässt sich dem Vortrag nicht widerspruchsfrei entnehmen. Einerseits will er eine solche Ankündigung gemacht haben, andererseits trägt er vor, er habe vorgehabt, die Stellung von Beweisanträgen nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Befangenheitsanträge anzukündigen (Revisionsbegründung S. 2). Der bloße Widerspruch gegen die Schließung der Beweisaufnahme reicht insoweit nicht, es bedarf vielmehr der konkreten Ankündigung bestimmter weiterer Beweisanträge.

…..“

Revision II: Gegenerklärungsfrist in der Revision, oder: Ablehnung der Revisionsrichter

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Und im zweiten Posting dann zwei BGH-Beschlüsse aus einem Verfahren, nämlich den BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23 – und den BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23. Folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte ist vom LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.08.2023.

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 02.09.2023 entscheiden werde.

Mit Schriftsatz vom 23.08.2023 legitimierte sich dann ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.09.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Übersendung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den Senat und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.09.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Der BGH hat mit dem Beschluss vom 14.11.2023 den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Mit dem Beschluss vom 15.11.2023 -hat er dann die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Im BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23 – führt er aus:

„Die Ablehnungsgesuche bleiben ohne Erfolg.

1. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

2. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 1; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2020 – 5 StR 630/19, juris Rn. 18; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 24; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom 8. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 – 4 StR 67/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S.     , wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Zur „Fristverlängerung“ heißt es im BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23-

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der Senat hat Äußerungen des Angeklagten und seiner Verteidiger, die nach Fristablauf der nicht verlängerbaren Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 ? 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 6. Dezember 2006 ? 1 StR 532/06, wistra 2007, 158) eingegangen sind, berücksichtigt und hat nunmehr ? verfassungsrechtlich geboten ? baldmöglichst nach Ablauf der Frist entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2005 ? 2 BvR 1964/05, juris Rn. 61; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2007 ? 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Der Senat weist zudem darauf hin, dass nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 ? 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 ? 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352).

Revision I: Urteil gegen mehrere Angeklagte ergangen, oder: Auf welchen bezieht sich das Rechtsmittel?

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Und dann geht es auf in die letzten Tagen, bevor der Jahreswechsel kommt. Wir sind also „zwischen denr Jahren“. Und da gibt es heute – zum Warmlaufen für den Endspurz, hier zwei BGH-Entscheidungen aus dem Revisionsverfahren.

Am Start ist hier zunächst der BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 1 StR 224/23. Der BGH nimmt in ihm zum Anfechtungswillen als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Rechtsmittel Stellung:

„1. Die Revisionen des Nebenklägers sind unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), weil sie den Anforderungen an eine wirksame Revisionseinlegung nicht genügen.

Als verfahrensgegenständliche Prozesserklärung muss die Einlegung der Revision den unbedingten Anfechtungswillen des Erklärenden erkennen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2014 – 4 StR 384/14 Rn. 5 mwN). Ist das Urteil – wie hier – gegen mehrere Angeklagte ergangen, muss sich im Interesse der Rechtsklarheit aus der Einlegungsschrift eindeutig ergeben, auf welche Verfahrensbeteiligten und welche Entscheidungsteile sich die Rechtsmittel beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 StR 49/19 Rn. 5). Diesen Anforderungen genügt die Erklärung, der Nebenkläger lege „gegen das am 07.12.2022 verkündete Urteil Revision ein“ auch in Verbindung mit der einleitenden – undifferenzierten – Bezugnahme auf das „Strafverfahren gegen M. u.a.“ nicht. Dies zeigt auch die Revisionsbegründung, in welcher der Beschwerdeführer nichts in Bezug auf die Angeklagten S. B. und T.ausgeführt hat.“

Nun ja, da hätte der Rechtsanwalt „etwas mehr Butter bei die Fische tun müssen“. Aber egal, denn: Denn BGH weist darauf hin/legt dar, dass die Rechtsmittel auch unbegründet gewesen wären.

Wenn eine Zustellung am 23. Dezember erfolgt, oder: Das reicht nicht für eine Wiedereinsetzung

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Und dann haben wir heute den 2. Weihnachtstag. Es ist noch Feiertag, aber man kann allmählich wieder in den Betriebsmodus gehen. Und daher gibt es hier heute zwei Entscheidungen zum Warmlaufen für den Jahresendspurt.

Zunächst hier der OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2023 – OVG 3 K 45/23. Es handelt sich um eine Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine gerichtliche Erinnerungsentscheidung. Die Erinnerung war vom VG als verfristet zurückgewiesen worden. Das OVG bestätigt die Entscheidung und führt zur Wiedereinsetzung aus:

„Dem Erinnerungsführer ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 151 Abs. 1 VwGO zu gewähren (§ 60 VwGO). Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO). Dass die Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses am 23. Dezember 2022 und damit kurz vor den Weihnachtsfeiertagen erfolgte, verletzt keine gesetzlichen Regelungen. An eine etwaige Übung der Verwaltung im M…, zwischen Advent und Neujahr keine mit Fristablauf versehenen Bescheide ohne besonderen Rechtsgrund zuzustellen, war das Verwaltungsgericht nicht gebunden. Soweit der Erinnerungsführer geltend macht, er habe vom 22. Dezember 2022 bis zum 3. Januar 2023 seine pflegebedürftigen Eltern betreut, genügt das nicht, um eine unverschuldete Fristversäumung darzulegen, denn die Frist für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung lief noch bis zum 6. Januar 2023. Auch der Umstand, dass das Erinnerungsschreiben bereits vom 4. Januar 2023 datiert, spricht dafür, dass genügend Zeit blieb, um die Erinnerung anzubringen. Dass die Frist aufgrund einer zu langen Postlaufzeit versäumt wurde, ist weder dargelegt noch sonst erkennbar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss der in J… wohnenden Erinnerungsführerin Frau M. erst am 5. Januar 2023 zugestellt wurde. Dies ist nach Lage der Akten darauf zurückzuführen, dass ein erster Zustellversuch an sie fehlgeschlagen war, weil offenbar – so dürfte der Vermerk des Postbediensteten „BK unzug.“ zu verstehen sein – der Briefkasten unzugänglich war. Auch wenn die beiden Erinnerungsführer sich bei der Begründung der Erinnerung abstimmen wollten, entschuldigt dies die Fristversäumung durch den Erinnerungsführer nicht, denn er war hierdurch nicht an einer rechtzeitigen Erinnerung gehindert, sondern hätte ggf. Fristnachlass für eine abgestimmte Begründung beantragen können.“