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StPO I: Folgen rechtsstaatswidriger Tatprovokation, oder: „Aufstiftung“, oder erhebliche Einwirkung?

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Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen betreffend das Ermittlungsverfahren. Also nichts vom BGH, sondern aus der landgerichtlichen Rechtsprechung.

Ich starte mit dem LG Halle, Urt. v. 14.12.2022 – 16 KLs 540 Js 17049121 (16/21) – ja, schon etwas älter. Aber: Das Urteil behandelt mal eine interessante Konstellation, zu der es – m.E. – recht wenig „positive“ Entscheidungen gibt, nämöich die Frage der Folgen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation.

Das LG hat zu dem fraglichen „Tatkomplex“ folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte erwarb in der Vergangenheit kleinere Mengen Methamphetamin zwischen 10 bis 15 g, wobei er stets einen Teil der Betäubungsmittel (etwa 6 g) zum gewinnbringenden Weiterverkauf und den restlichen Teil zum Eigenkonsum bestimmte. Durch den gewinnbringenden Weiterkauf an im Einzelnen unbekannt gebliebene Abnehmer wollte er sich eine dauerhafte, zusätzliche Einnahmequelle verschaffen, um insbesondere seinen Eigenkonsum von Betäubungsmitteln zu finanzieren.

In Kenntnis des Umstands, dass er nicht über die zum Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügte, kam es im Mai 2021 zu folgendem Betäubungsmittelgeschäft mit der bei der KPI Jena geführten Vertrauensperson „Maik“, die der Angeklagte für einen Betäubungsmittelabnehmer hielt:

Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im März 2021 fragte pp,  ein Bekannter des Angeklagten, bei diesem nach, ob er Methamphetamin besorgen könne. An dem Methamphetamin habe ein Bekannter (des pp.) namens „Maik“ Interesse.

Daraufhin vermittelte pp ein Treffen, an welchem der Angeklagte, „Maik“ und pp. teilnahmen. Das Treffen fand an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 in der Lengefelder Straße in Sangerhausen unweit einer Spielothek statt. Bei dem Treffen erklärte „Maik“ dem Angeklagten unvermittelt, dass er mit Drogen Geld verdienen wolle und er deshalb daran interessiert sei, dass der Angeklagte ihm ein Kilogramm Methamphetamin besorge. Daraufhin erwiderte der Angeklagte, dass das „nicht seine Preisklasse bzw. Liga“ sei und er eine so große Menge Methamphetamin nicht besorgen könne. Aufgrund der ablehnenden Reaktion des Angeklagten war das Treffen bereits nach wenigen Minuten beendet und „Maik“, pp. sowie der Angeklagte gingen ohne Vereinbarung auseinander.

Da sich pp. eine Provision für die Vermittlung des Geschäfts zwischen dem Angeklagten und „Maik“ erhofft hatte, fragte er in der Folgezeit wiederholt mit Nachdruck beim Angeklagten wegen des Geschäfts nach, der aber stets ablehnend reagierte. An einem ebenfalls nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 suchte pp. den Angeklagten in dessen Gartenlaube auf, insistierte abermals und erklärte aber nunmehr, dass „Maik“ auch mit einer Lieferung von „nur“ 300 g Methamphetamin einverstanden sei. Dieses Mal ließ sich der Angeklagte von pp. überreden und gab diesem zu verstehen, dass er 300 g Methamphetamin für „Maik“ besorgen könne.

Am 19.05.2021 rief „Maik“ um 17:30 Uhr beim Angeklagten an und teilte diesem mit, dass er dessen Telefonnummer kurz zuvor von pp. erhalten habe. Außerdem fragte er den Angeklagten, ob dieser noch am selben Abend die 300 g Methamphetamin besorgen und ihm übergeben könne. Daraufhin kontaktierte der Angeklagte den inzwischen rechtskräftig verurteilten pp. aus Halle, der dem Angeklagten noch am selben Abend gegen 22:00 Uhr 300 g Methamphetamin lieferte. Um 22:14 Uhr rief „Maik“ beim Angeklagten an und vereinbarte mit diesem als Übergabeort den Bahnhof in Sangerhausen. Nachdem der Angeklagte den Parkplatz am Bahnhof in Sangerhausen erreicht hatte, stieg er zwischen 22:15 Uhr und 22:30 Uhr in das dort abgestellte Auto des „Maik“, setzte sich auf den Beifahrersitz und holte aus seiner Unterhose eine bunte Papiertüte, in welcher sich drei Folientüten mit jeweils 99,5 g, 99, 4 g und 99,3 g Methamphetamin mit einer Gesamtmasse von 243 g reiner Methamphetamin-Base befanden. Beim Verwiegen der einzelnen Folientüten durch „Maik“ erfolgte der Zugriff durch die Polizeibeamten.“

Das LG hat das Verfahren insoweit wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt:

„Hinsichtlich der Tat II. 1. der Urteilsgründe sowie der Anklage war das Verfahren gemäß §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Insoweit stand dem Verfahren wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ein — von Amts wegen zu beachtendes — Verfahrenshindernis entgegen, da das Tatgeschehen von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation geprägt war.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK durch eine polizeiliche Tatprovokation verletzt, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist anzunehmen, wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel, eine Tatbereitschaft zu wecken oder die Tatplanung zu intensivieren, über das bloße „Mitmachen“ hinaus mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei bereits bestehendem Anfangsverdacht kann die Rechtsstaatswidrigkeit einer Tatprovokation dadurch begründet sein, dass die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, aber auch Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vorn 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt eine polizeiliche Provokation Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn sich die Ermittlungsperson nicht auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Dabei ist zu prüfen, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Für die Frage, ob eine Person tatgeneigt war, sind im Einzelfall u. a. die erwiesene Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie seine Gewinnbeteiligung bedeutsam (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris). Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat ist weiterhin maßgeblich, ob auf den Angeklagten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei ist unter anderem darauf abzustellen, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris).

Eine Straftat kann auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen („Aufstiftung“). In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken, Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor (BGH, Urteil vom 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).

An diesen Maßstäben gemessen überschritt die der KPI Jena zuzurechnende Einflussnahme der Vertrauensperson „Maik“ auf das als Tat 1 angeklagte Geschehen die durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen.

Der wegen Betäubungsmitteldelikten polizeibekannte, allerdings nicht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestrafte Angeklagte handelte zwar bereits vor dem als Tat 1 angeklagten Verkaufsvorgang mit Methamphetamin, dies aber nur in Mengen, die den Grenzwert der nicht geringen Menge nicht überstiegen. Er war damit zwar bereits auf unterer Ebene des Vertriebsgeschehens in den Betäubungsmittelhandel verstrickt, weshalb insoweit auch ein Anfangsverdacht weiterer Tatneigung bestand, dies aber bis zum Eingreifen der Vertrauensperson „Maik“ nur bezüglich überschaubarer Betäubungsmittelmengen im untersten zweistelligen Grammbereich, wobei ein Teil dieser geringen Mengen auch noch zum Eigenkonsum bestimmt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte auch hinsichtlich deutlich oberhalb der geltenden Grenzwerte für nicht geringe Mengen, insbesondere um einen „Quantensprung“ über den bisher gehandelten Mengen liegender und damit qualitativ gänzlich anders einzuordnender Geschäfte tatgeneigt gewesen sein könnte, als die Vertrauensperson „Maik“ ihn erstmals darauf ansprach, ob er auch ein Kilogramm Methamphetamin verkaufen könne, hat die Kammer nicht festzustellen vermocht. Im Gegenteil zeigt die sehr deutliche ablehnende Reaktion des Angeklagten auf die erste Anfrage der Vertrauensperson „Maik“, wonach das Geschäft „nie im Leben“ zustande komme, weil das nicht seine „Preisklasse“ bzw. „Liga“ sei, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich einer ganz erheblich über dem Grenzwert der nicht geringen Menge liegenden Lieferung von mehreren Hundert Gramm Methamphetamin nicht tatgeneigt war. Der Angeklagte kam nach dem Scheitern des Geschäfts über ein Kilogramm Methamphetamin auch nicht etwa selbst auf das von der Vertrauensperson „Maik“ bekundete Erwerbsinteresse größeren Umfangs zurück und schlug diesem ein Geschäft über eine deutlich geringere, aber immer noch erheblich über der bisher von ihm gehandelte Menge vor. Vielmehr war es die Vertrauensperson „Maik“, die den Angeklagten vermittels des gemeinsamen Bekannten pp. auf die Möglichkeit der Abwicklung eines größeren Betäubungsmittelgeschäfts in der Größenordnung von 300 g Methamphetamin ansprach, woraufhin sich der Angeklagte im Ergebnis erst nach mehrfachem Drängen zur Verschaffung dieser Menge Methamphetamin bereit erklärte.

In der Gesamtschau stellt sich die Einwirkung der Vertrauensperson „Maik“ als „Aufstiftung“ des Angeklagten zur Begehung einer Drogenstraftat, die dieser sonst nicht begangen hätte, und nicht mehr als „weitgehend passive Ermittlungstätigkeit“ im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichtshofs dar.“

StPO III: Ablehnung der Abtrennung des Verfahrens, oder: Beschwerde unzulässig

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas „Kleiner“, nämlich der OLG Celle, Beschl. v. 11.04.2023 – 3 Ws 40/23. Der Angeklagte hatte die Ablehnung der von ihm beantragten Abtrennung des Verfahrens angefochten. Das OLG sagt: Geht nicht:

„Die Beschwerde des Angeklagten A. ist bereits unzulässig.

Bei der angefochtenen Entscheidung, mit welcher die Kammer den Antrag auf Abtrennung des Verfahrens abgelehnt hat, handelt es sich um eine solche des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgeht und die damit nach § 305 Satz 1 StPO nicht der Beschwerde unterliegt (vgl. etwa LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § Rn. 27; MK-StPO/Neuheuser, § 305 Rn. 16; Graf-StPO/Cirener, § 305 Rn. 4.1; Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl., § 2 Rn. 13; jeweils m.w.N.). Soweit demgegenüber abweichend vereinzelt angenommen wird, die Beschwerde sei jedenfalls zulässig im Fall ermessensmissbräuchlicher Entscheidung des erkennenden Gerichts oder aber, wenn sich die Abtrennung ausschließlich hemmend oder verzögernd auf das – gesamte, nicht auf das abgetrennte – Verfahren auswirkt (so KG NStZ-RR 2013, 218), ist solches vorliegend ebenfalls nicht ersichtlich. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden.“

StPO II: Wiedererkennen eines Unbekannten, oder: Schwierig, daher vertiefte Urteilsbegründung?

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Und im zweiten Posting dann zwei BGH-Entscheidungen zum „Wiedererkennen“, also Beweiswürdigungsfragen.

Zunächst der recht aktuelle BGH, Beschl. v. 25.05.2023 – 5 StR 483/22. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Mengeverurteilt. Dagegen die Revision, die erfolgreich war:

„2. Die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 18. August bis 2. Oktober 2018 an den gesondert verfolgten Gr. im Stadtgebiet von D.     im ersten Fall (II.1) mindestens 100 Gramm Crystal zum Preis von 4.500 Euro und im zweiten Fall (II.2) ein Kilogramm Marihuana zum Preis von 3.000 Euro sowie 150 Gramm Crystal zum Preis von 6.000 Euro verkauft und übergeben. Die Betäubungsmittel hatten einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 65 Prozent S-Methamphetamin-Base (Crystal) und 4 Prozent THC (Marihuana).

b) Das Landgericht hat die Feststellungen zum Tathergang und seine Überzeugung von der Täterschaft des – hierzu schweigenden – Angeklagten maßgeblich auf die Angaben des Zeugen K. gestützt. Allein dieser Zeuge hatte den Angeklagten als Täter identifiziert, allerdings nur anlässlich seiner eigenen polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Zeuge hatte bekundet, im Tatzeitraum gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Gr.         mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. In diesem Rahmen sei es bei zwei Gelegenheiten zur Übergabe größerer Betäubungsmittelmengen (wie festgestellt) durch „Tschetschenen“, darunter den Angeklagten, gekommen. Der Zeuge habe den gesondert Verfolgten mit dem Pkw zum Übergabeort, einem Hinterhof in D. gefahren. Dort habe er aus kurzer Entfernung beobachtet, wie drei „Tschetschenen“ zur Abwicklung des Geschäfts in einen dort stehenden Pkw BMW mit B.-er Kennzeichen eingestiegen seien. Der gesondert Verfolgte habe die Betäubungsmittel vom „Hauptakteur“ überreicht bekommen. Diesen habe der Zeuge später bei der Polizei „anhand der Lichtbildmappe“ als den Angeklagten identifiziert. Die weiteren Ermittlungen der Polizei ergaben, dass ein Pkw mit B.er Kennzeichen auf den Angeklagten zugelassen gewesen war und dieser, so wie vom Zeugen K.  in Bezug auf den „Verkäufer“ berichtet worden war, „etwas, mit Boxen“ „zu tun“ gehabt habe.

c) Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. August 2020 – 1 StR 178/20, NStZ 2021, 184, 185 mwN) als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

aa) In schwierigen Beweislagen, zu denen Konstellationen zählen, in denen – wie hier – der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283). Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – 5 StR 593/05, NStZ-RR 2006, 212). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.

bb) Im Urteil fehlen jegliche Angaben dazu, welche Merkmale oder Ausprägungen der Erscheinung des Angeklagten den Zeugen K. im Zeitpunkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in die Lage versetzt haben sollen, ihn „anhand einer Lichtbildmappe“ wiederzuerkennen.Darüber hinaus gibt es im Urteil keine Täterbeschreibung. Schon aus diesen Gründen leidet die Beweiswürdigung unter erheblichen Lücken. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung „nicht direkt als den von ihm identifizierten Täter benennen“ „wollte“. Besondere Anforderungen an die Darlegungen des Identifizierungsvorgangs ergaben sich hier aber auch zusätzlich daraus, dass der Zeuge den Angeklagten vor den festgestellten Betäubungsmittelübergaben nicht kannte. Dies folgt aus seinem Bekunden, wonach ihm der gesondert Verfolgte die „Tschetschenen“ als „neue Geschäftspartner“ präsentiert habe, bevor es zu dem Treffen auf einem D.er Hinterhof kam. Für derartige Identifizierungsleistungen gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283).

Diese Anforderungen erfüllt das Urteil nicht. Zur konkreten Wahrnehmungssituation des Zeugen bei der jeweiligen Betäubungsmittelübergabe, insbesondere dazu, ob er den Angeklagten hierbei längere Zeit beobachten oder nur kurzzeitig sehen konnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie der Zeuge von seiner Position heraus den Angeklagten als „Fahrer“ und „Hauptakteur“, welcher „etwas mit Boxen zu tun“ habe, ausmachen konnte. Die Wahrnehmung solch markanter Eigenschaften erscheint angesichts dessen, dass die „Tschetschenen“ in einen parkenden Pkw stiegen, ungewöhnlich; erst recht mit Blick darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Angaben des Zeugen zu diesen Vorfällen als eine „absolute Randnotiz“ bezeichnete. Aufgrund der aufgezeigten Erörterungsmängel entbehrt die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Zeuge habe den Angeklagten „eindeutig“ „anhand der Lichtbildmappe“ identifiziert – ungeachtet dessen, dass auch hier erforderliche Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlage bei der Polizei fehlen (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2023 – 6 StR 110/23) – jeder Grundlage.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die in den Fällen II.1 und II.2 verhängten Einzelstrafen.“

Und dann weise ich in dem Zusammenhang noch hin auf den BGH, Beschl. v. 04.04.2023 – 6 StR 110/23. Auch in der Entscheidung hat der BGH die Urteilsgründe zum Wiedererkennen als nicht ausreichend beanstandet – siehe oben 🙂 .

StPO I: Nichtöffentliche Belehrung von Zeugen, oder: „Beruhen“ denkgesetzlich ausgeschlossen

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Es ist (immer) noch warm, aber lamentiert wird nicht. Es ist ja schließlich Sommer 🙂 . Und auch im Sommer wird gearbeitet. Hier heute mit drei StPO-Entscheidungen.

Zunächst gibt es – zum Warmwerden 🙂 – das BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 1 StR 243/22 -, das sich mal wieder mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit befasst.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Dagegen die Revision, mit der die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erhoben worden ist. Beanstandet worden ist die Belehrung mehrerer Zeugen während des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Im Ergebnis ohne Erfolg:.

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Nebenklagevertreter beantragte in der Hauptverhandlung vom 28. März 2022, für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Öffentlichkeit auszuschließen. Diesem Antrag gab das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag statt. Zur Begründung stützte es sich auf § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GVG und führte aus, die Nebenklägerin sei Geschädigte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sodass schutzwürdige Umstände aus ihrem privaten Lebensbereich zur Sprache kämen; angesichts ihres Antrages sei der Ausschluss zwingend.

Nachdem die Nebenklägerin anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte und als Zeugin entlassen worden war, wurden vier weitere Zeugen in den Sitzungssaal gebeten und gemäß § 57 StPO belehrt. Anschließend verließen die Zeugen mit Ausnahme des Zeugen W.    den Sitzungssaal; dann wurde die Sitzung in öffentlicher Hauptverhandlung fortgesetzt.

2. a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.

Der Beschwerdeführer war nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es den Zeugen trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit gelingen konnte, den Sitzungssaal zu betreten. Da die Öffentlichkeit erst mit entsprechender Anordnung des Vorsitzenden wiederhergestellt wird, was nach dem Protokoll (§ 272 Nr. 5, § 274 StPO) erst nach der Zeugenbelehrung geschah (Bd. III, Bl. 313), kommt dem Umstand, ob die Tür(en) zum Sitzungssaal nicht versperrt waren, keine Bedeutung zu.

b) Die auf § 338 Nr. 6 StPO gestützte Rüge ist unbegründet. Der von der Revision geltend gemachte Verstoß liegt zwar vor; ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ist aber „denkgesetzlich“ ausgeschlossen.

aa) Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Belehrung der vier Zeugen verstößt gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 57 Satz 1, 2 StPO; denn er war nicht durch den Beschluss des Landgerichts nach § 171b GVG gedeckt. Zwar umfasst der Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2017 – 2 StR 428/16 Rn. 6 und vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 6 Rn. 6; jeweils mwN). Die Belehrung der Zeugen stand jedoch ersichtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vernehmung der Nebenklägerin.

bb) Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95 Rn. 8 f., BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 3; vom 21. März 2012 – 1 StR 34/12, BGHR StPO § 54 Abs. 1 Aussagegenehmigung 1; vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07 Rn. 5, BGHR StPO § 338 Beruhen 2 und vom 2. Februar 1999 – 1 StR 636/98; Urteil vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 404/07 Rn. 12, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5).

So liegt der Fall hier: Das Gericht hat seiner Entscheidung allein die Angaben der Zeugen zugrunde gelegt, die sie in öffentlicher Hauptverhandlung getätigt haben. Dass das Urteil auf der unter Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgten Zeugenbelehrung beruht, ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, da die Zeugen tatsächlich belehrt wurden, sodass der Aussageinhalt davon nicht beeinflusst worden sein kann. Zudem handelt es sich bei § 57 StPO lediglich um eine Ordnungsvorschrift, die dem Schutz des Zeugen dient und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, sodass auf das Unterbleiben der Belehrung eine Revision nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 5 StR 329/21 Rn. 15 und vom 19. Dezember 2001 – 3 StR 427/01 Rn. 4; Urteile vom 27. November 1968 – 3 StR 282/68 Rn. 4 und vom 7. Juli 1997 – 5 StR 17/97 Rn. 18; je mwN). Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss dies erst recht gelten, wenn Zeugen lediglich unter Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG belehrt worden sind.2

Na ja.

BVerfG II: Zulässigkeit der einstweiligen Unterbringung, oder: Keine Unterbringung zur Explorationserzwingung

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Und dann der BVerfG, Beschl. v. 19.05.2023 – 2 BvR 637/23. Entschieden hat das BVerfG in einem Eilverfahren betreffend einen Unterbringungsbeschluss nach § 81 Abs 1 StPO.

Zugrunde liegt ein Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Diebstahl. Das AG hatte Bedenkene wegen der Schuldfähigkeit der Angeklagten. Zudem stand ggf. auch die Frage einer Unterbringung nach § 63 StGB an. Es hat daher einen Sachverständigem bestellt.  Die Angeklagte sagte vereinbarte Termine zur Exploration durch den bestellten Sachverständigen zunächst ab bzw. erschien so verspätet, dass der Termin scheiterte. Der Sachverständige legte sodann ein Gutachten nach Aktenlage vor, das er später ergänzte. Im Rahmen eines Hauptverhandlungstermins vereinbarten die Angeklagte und der Sachverständige einen Termin für ein Explorationsgespräch. Zu diesem erschien die Angeklagte, verweigerte jedoch nach Belehrung ihre Mitwirkung. Der Sachverständige regte daraufhin eine Unterbringung zur Begutachtung nach § 81 StPO an. Da die Angeklagte nicht kooperiere, sei die Unterbringung zur Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus sinnvoll. Aufgrund des sich abzeichnenden Fehlens der Kooperationsbereitschaft solle diese sechs Wochen dauern. Dieses Vorgehen sei aus forensisch-psychiatrischer Perspektive notwendig.

Das AG ist dem gefolgt und hat die Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand der Angeklagten für die Dauer von höchstens sechs Wochen angeordnet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Die Angeklagte hat Verfassungsbeschwerde erhoben und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Der hatte Erfolg:

„2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Die Verfassungsbeschwerde genügt den Zulässigkeitsanforderungen. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin den Rechtsweg erschöpft und ihre Verfassungsbeschwerde substantiiert begründet.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erscheint nicht ausgeschlossen. Dies abschließend zu klären, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

aa) Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter eines Menschen (vgl. BVerfGE 32, 373 <378 ff.>; 44, 353 <372 f.>; 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 84, 192 <194 f.>).

bb) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht absolut geschützt. Vielmehr muss jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 32, 373 <379>; 65, 1 <44>). Die Auslegung und Anwendung des einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestattenden Gesetzes ist dabei grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Verfassungsgerichtliches Einschreiten ist nur geboten, wenn sich diese als objektiv willkürlich erweisen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>).

(1) Nach § 81 Abs. 1 StPO kann das zuständige Gericht zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten nach Anhörung eines Sachverständigen und des Verteidigers die Unterbringung und Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus anordnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Unterbringung jedoch nicht verhältnismäßig, wenn sich der Betroffene weigert, die erforderlichen Untersuchungen zuzulassen beziehungsweise an ihnen mitzuwirken. Insbesondere dann, wenn eine Exploration erforderlich wäre, die Mitwirkung hieran aber verweigert wird und ein Erkenntnisgewinn daher nur bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden oder einer anderen Einflussnahme auf die Aussagefreiheit des Betroffenen zu erwarten ist, ist die Anordnung der Unterbringung nicht verhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2001 – 2 BvR 1523/01 -, Rn. 20). Zielt das Untersuchungskonzept darauf ab, den Betroffenen in seinem Alltagsverhalten und seiner Interaktion mit anderen Personen zu beobachten, so steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer derartigen „Totalbeobachtung“ unüberwindbar entgegen. In einem solchen Fall wäre der Betroffene nur noch Objekt staatlicher Erkenntnisgewinnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2001 – 2 BvR 1523/01 -, Rn. 22).

(2) Aufgrund des Vortrags der Beschwerdeführerin und den von ihr vorgelegten Unterlagen steht ernsthaft im Raum, dass die Anordnung der Unterbringung im vorliegenden Fall darauf abzielte, die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise zu veranlassen, einer Exploration und weiteren Untersuchungen entgegen ihrer eindeutigen Weigerung zuzustimmen. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterbringung auf eine unzulässige „Totalbeobachtung“ abzielt. Dies abschließend zu klären, ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

3. Die damit eröffnete Folgenabwägung spricht für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später als zulässig und begründet, so wäre mit der Unterbringung ein nicht mehr revidierbarer Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin geschehen. Etwaige Erkenntnisse unterlägen dann zwar eventuell einem Verwertungsverbot. Die Einwirkung auf den Willensentschluss der Beschwerdeführerin und die vollständige Beobachtung ihres Verhaltens könnten jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Erginge hingegen die einstweilige Anordnung und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später als erfolglos, so könnte der Beschluss des Amtsgerichts vollzogen werden. Die Aufklärung der offenen Fragen wäre nach wie vor möglich. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Unterbringung erst so spät erfolgen könnte, dass Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu den Tatzeitpunkten unmöglich wären.

Die negativen Folgen in erstgenanntem Fall überwiegen insgesamt.“