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OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB, oder: Beweiswürdigung beim Vorsatz

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Und dann heute ein wenig OWi, ein paar Entscheidungen habe ich vorliegen, die ich vorstellen kann.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 06.09.2023 – 202 ObOWi 910/23 – zur „richtigen“ Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Dazu führt das BayObLG aus:

„Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende, Richtigkeit und Verwertbarkeit der (standardisierten) Messung nicht anzweifelnde Betroffene am 24.11.2022 um 17.01 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens die BAB A8 in Richtung München, wobei er in Höhe der Messstelle die zuvor jeweils durch beidseitig insgesamt dreimal aufgestellte Schilderpaare auf 130 km begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit mit gemessenen (mindestens) 181 km/h um 51 km/h überschritt. Der Betroffene handelte hierbei nach Ansicht der Amtsgerichts vorsätzlich, da er „entweder […] die zulässige Höchstgeschwindigkeit erkannt“ hatte, „indem er mindestens eines der sechs aufgestellten Schilder gesehen […] und diese bewusst ignoriert, oder […] die Beschilderung von Anfang an völlig ignoriert und außer Betracht gelassen und gleichzeitig die ihm bekannte Geschwindigkeitsbegrenzung völlig verdrängt“ hat, „so dass er zumindest billigend in Kauf genommen hat, die Geschwindigkeitsbegrenzung massiv zu überschreiten“.

Zum Tatvorwurf ließ sich der Betroffene im Wesentlichen dahin ein, dass er sich auf dem Weg von seinem Wohnort zu einem Termin in München befunden habe und die Strecke regelmäßig befahre. Bis zu dem Termin um 19.30 Uhr habe er reichlich Zeit gehabt, weshalb er nicht sofort auf die Autobahn aufgefahren, sondern zunächst noch weiter Landstraße bis Leipheim gefahren sei. Noch vor der Geschwindigkeitsmessung habe er sich an der dortigen Tank- und Rastanlage etwas zum Trinken gekauft, ehe er erst an der dortigen Anschlussstelle in Fahrtrichtung München auf die Autobahn aufgefahren sei. Die Strecke zum Flughafen München kenne er gut, da er geschäftlich häufig über den besagten Flughafen reise. „Am Tattag sei er wohl unachtsam gewesen und habe deshalb das 130er-Schild nicht gesehen. Es sei ein Versehen gewesen, dass er so schnell gefahren sei“. Das Amtsgericht hat diese Einlassung des Betroffenen dahin gewürdigt, dass selbst dann, wenn man zu seinen Gunsten hinsichtlich der behaupteten Fahrtstrecke aufgrund des vorangegangenen Halts an der Tank- und Rastanlage nicht von einer Schutzbehauptung ausgehe und der Betroffene deshalb nur ein die Geschwindigkeit auf 130 km/h begrenzendes Schilderpaar vor der Messstelle passiert haben sollte, von Tatvorsatz auszugehen sei. Denn insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Betroffene „beim Verlassen der Tank- und Rastanlage […] genau auf ein Verkehrszeichen mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit 130 km/h zugefahren“ sei, welches „prominent am Ende des Beschleunigungsstreifens“ stehe, weshalb man „auf das rechte der beiden Verkehrszeichen […] quasi direkt“ zufahre. Im Übrigen habe der Betroffene nicht geltend gemacht, dass dieses Schild durch Schwerlastverkehr verdeckt gewesen sei, obwohl er sich an diverse andere Details zum Tattag noch genau erinnern könne. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die vorhandene Begrenzung seit Jahren unverändert bestehe und der Betroffene selbst angebe, die Strecke regelmäßig zu befahren, weshalb er die massive Geschwindigkeitsüberschreitung „in jedem Fall zumindest billigend in Kauf genommen“ habe.“

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hat. Das BayObLG moniert die Beweiswürdigung. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte im Selbstleseverfahren:

    1. Die Möglichkeit, die eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn anordnenden Verkehrszeichens übersehen zu haben, ist stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben. Ist ein solcher Fall gegeben, müssen die tatrichterlichen Feststellungen deshalb selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
    2. Die der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn (bedingt) vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie auf einer vom Tatgericht angenommenen Tatsachenalternativität beruht, deren Grundlagen durch die Beweisaufnahme nicht durch Tatsachen belegt sind, die erkennen lassen, dass die gezogenen Schlussfolgerungen mehr als nur eine Vermutung rechtfertigen.

Einzelrichter.

StPO II: Geständige Einlassung in den Urteilsgründen?, oder: Ein alter Hut, aber kein Hexenwerk

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Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 17.08.2023 – 2 StR 215/23 – Ein „Klassiker“. Es geht nämlich mal wieder um die Mitteilung des Geständnisses/der Einlassung in den Urteilgründen (§ 267 StPO).

Die Angeklagten sind – auf der Grundlage einer Verständigung –  jeweils wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetrugs verurteilt worden. Dagegen die Revisionen, die Erfolg hatten. Dem BGH reichen die Urteilsgründe nicht:

„1. Das angefochtene Urteil leidet in Bezug auf die Angeklagten N. und A. an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt auf die Geständnisse der beiden Angeklagten gestützt, denen jeweils eine bestätigte Verteidigererklärung zugrunde lag. Die Strafkammer führte in diesem Zusammenhang aus, dass die angeklagten Taten mit Ausnahme der Taten Ziffer 1 des Beschlusses der Kammer vom 16. November 2022, der als Anlage 1 zum Sitzungsprotokoll genommen wurde, in objektiver und subjektiver Hinsicht eingeräumt wurden, betreffend die Schadensermittlung und die Verteilung des Erlangten allerdings nur nach Maßgabe des unter Ziffer 2 des vorgenannten Beschlusses dargelegten vorläufigen Ergebnisses der Beweisaufnahme zum damaligen Zeitpunkt. Nähere Ausführungen zu den Einschränkungen sind dem Urteil im Weiteren nicht zu entnehmen.

b) Diese Beweiserwägungen halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters und als solche vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Dies gilt aber nicht, wenn sie – wie hier – an einem Darstellungsmangel leidet. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter, seine Beweiserwägungen geschlossen und aus sich heraus verständlich in den schriftlichen Urteilsgründen niederzulegen, um eine revisionsgerichtliche Überprüfung zu ermöglichen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22, NStZ-RR 2023, 84, 85; Senat, Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20, NStZ-RR 2021, 114, 115, jew. mwN).

Das Tatgericht ist daher gehalten, die – auch geständige – Einlassung eines Angeklagten jedenfalls in ihren wesentlichen Grundzügen wiederzugeben. Dies gilt auch, wenn dem Urteil eine Verfahrensabsprache zugrunde liegt, denn weder eine Verständigung noch ein Geständnis entheben den Tatrichter von seiner Pflicht, die Einlassung des Angeklagten einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2022 – 3 StR 69/22, juris Rn. 5; Senat, Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21, 27 f.). Legt der Tatrichter das Geständnis des Angeklagten seinen Feststellungen in vollem Umfange zugrunde, so kann es zwar – je nach den Umständen des Einzelfalls – genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen. Dabei muss das Strafurteil aber nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO aus sich selbst heraus verständlich bleiben. Bezugnahmen oder Verweisungen auf Urkunden, auf Aktenbestandteile und auf sonstige Erkenntnisse – von den Sonderfällen des § 267 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 StPO abgesehen – sind daher nicht statthaft (Senat, Urteil vom 20. Januar 2021 – 2 StR 242/20, juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116). Denn soweit gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen durch Bezugnahmen ersetzt werden, ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung verwehrt (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 268/05, NStZ-RR 2007, 22; Beschlüsse vom 5. April 2000 – 3 StR 58/00, NStZ-RR 2000, 304; vom 28. Mai 2009 – 4 StR 101/09, juris Rn. 8).

bb) Nach diesen Maßstäben hält die tatrichterliche Beweiswürdigung einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, denn das Landgericht hat es versäumt, die wesentlichen Grundzüge der Einlassungen der Angeklagten in hinreichender Weise darzulegen. Zwar hat die Strafkammer ausgeführt, dass die Feststellungen zu dem Tatgeschehen auf den als inhaltlich zutreffend bestätigten geständigen Verteidigererklärungen beruhen. Jedoch hat sie sowohl hinsichtlich der eingeräumten Taten als auch betreffend die Schadenshöhe sowie die Verteilung des Erlangten auf Einschränkungen hingewiesen und dazu auf ihren Beschluss vom 16. November 2022 Bezug genommen, dessen Inhalt nicht mitgeteilt wird und der damit nicht Bestandteil des Urteils ist. Damit ist nicht aus dem Urteil selbst heraus erkennbar bzw. verständlich, unter welcher Maßgabe die Angeklagten die gegenständlichen Taten tatsächlich eingeräumt haben. Auch die weiteren Urteilsgründe verhalten sich hierzu nicht. Hinzu kommt, dass die Strafkammer den Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zugutehält, die ihnen „vorgeworfenen Taten vollumfänglich gestanden“ zu haben, was im Widerspruch dazu steht, dass die Angeklagten die Anklagevorwürfe gerade nicht vollumfänglich, sondern nur mit Einschränkungen eingeräumt haben.“

Mich erstaunen solche Entscheidungen immer. Das ist doch alles keine Zauberkunst oder Hexenwerk, was hinsichtlich der Urteilsgründe zu beachten ist.

StGB III: Verkauf von Hanfblütentee mit THC-Gehalt, oder: Verbotener Handel mit BtM?

Hanfblüte

Und dann zum Tagesschluss eine Entscheidung aus dem BTM-Bereich. Der BayObLG, Beschl. v. 24.08.2023 – 202 StRR 52/23 – nimmt Stellung zum Handel mit Hanfblütentee und der Anwendbarkeit der BtMG.

Im Revisionsverfahren ist wegen der Beschränkung der Revision nur noch die Frage des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Streit. Dazu hatte das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagten waren seit dem 26.01.2019 Geschäftsführer der H.-UG (haftungsbeschränkt) und nach deren Umwandlung in eine GmbH zum 16.09.2019 der H.-GmbH, die unter anderem Hanfblütentee in den von ihr betriebenen Ladenlokalen in Würzburg oder über Franchiseunternehmen vertrieb. Der Hanfblütentee enthielt neben Cannabidiol (CBD) auch Tetrahydrocannabinol (THC). Im Zeitraum bis zur staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung am 05.11.2019 gaben die Angeklagten mindestens sechs Bestellungen von jeweils mindestens vier Kilogramm CBD-Blüten auf. Die Lieferungen enthielten CBD-Blüten mit einem Gehalt von mindestens 0,10 % und höchstens 0,20 % THC mit einer Gesamtmenge an THC in Höhe von 20,864 Gramm.

Die sachverständig beratene Strafkammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass bei einem Konsum des Hanfblütentees ein Rausch erzeugt werden kann, der durch das Rauchen von zwei dicken Joints (bei einem THC-Gehalt des Tees von 0,20 %) oder vier dicken Joints (bei einem THC-Gehalt des Tees von 0,10 % THC) erreicht werden könne. Dies entspreche jeweils einer zugeführten Menge an THC von 2 mg. Nach der Überzeugung der Strafkammer handelten die Angeklagten mit bedingtem Vorsatz. Sie rechneten zumindest damit, dass durch den Konsum von Hanfblütentee mit einem THC-Gehalt von unter 0,20 % ein Rausch erzielt werden kann und somit ein Missbrauch zu Rauschzwecken im Sinne der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG nicht ausgeschlossen ist.“

Das BayObLG hat aufgehoben, weil ihm die Beweiswürdigung betreffend die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, isnbesondere, dass ein Missbrauch des Hanftees durch Abnehmer zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen ist, nicht rechtsfehlerfrei erschient. Die Darstellung der Ausführungen der Sachverständigen sei unklar und lückenhaft.

Ich stelle hier mal nur die beiden Leitsätze zu der Entscheidung ein. Die umfangreiche Begründung des BayObLG bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

  1. Hanfblütentee, der Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, unterfällt grundsätzlich dem Betäubungsmittelgesetz. Eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn der THC-Gehalt 0,2 % (ab 01.01.2023: 0,3 %) nicht übersteigt und der Verkehr ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen (Anlage I zu § 1 BtMG).

  2. Gelangt ein Sachverständigengutachten in Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die ihrerseits auf wissenschaftlichen Studien beruht, zu dem Ergebnis, dass bereits bei einem Konsum von 2 mg THC durch Inhalation ein Rausch erzielt werden könne, ist es rechtsfehlerhaft, wenn eine nähere Darlegung unterbleibt, aufgrund welcher Erkenntnisse die Sachverständige zu ihrer Einschätzung gelangt und aus welchen Gründen der Gegenansicht nicht zu folgen ist.

StPO II: Grundloses Nichterscheinen des Zeugen, oder: Verletzung des Konfrontationsrechts?

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Und im zweiten Posting dann der BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 5 StR 126/23. Mit der Verfahrensrüge war vom Angeklagten gegen seine Verurteilung einer Verletzung des sog. Konfrontationsrecht geltend gemacht worden. Ohne Erfolg:

„Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

Die Rüge einer Verletzung des Konfrontationsrechts ist jedenfalls unbegründet, weil – entgegen dem Revisionsvorbringen – die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung den Anforderungen entspricht, die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in solchen Konstellationen an die Beweiswürdigung gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 f.). Danach gilt:

Allein das Fehlen eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen eines Zeugen in der Hauptverhandlung lässt noch nicht auf ein gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK verstoßendes, unfaires Verfahren schließen (zu den Anforderungen vgl. EGMR Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10, EuGRZ 2016, 511, 520 ff.). Im Einzelfall kann eine Verurteilung auch dann konventionsrechtlich unbedenklich sein, wenn das einzige oder maßgebliche Beweismittel, auf dem sie beruht, die Aussage eines Zeugen darstellt, den der Angeklagte nicht befragen oder befragen lassen konnte. Von maßgeblicher Bedeutung ist, ob die unterbliebene Möglichkeit zur Befragung durch kompensierende Maßnahmen (zum Beispiel durch Anwesenheit des Verteidigers bei der Zeugenbefragung) ausgeglichen wurde. Ist dies nicht der Fall und die unterbliebene konfrontative Befragung des Zeugen der Justiz zurechenbar, kann eine Verurteilung auf die Angaben des Zeugen nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. In jedem Fall bedarf die Aussage eines Zeugen, den der Angeklagte nicht befragen (lassen) konnte, einer besonders sorgfältigen und kritischen Würdigung durch das Tatgericht (vgl. BGH, Urteile vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 53 mwN; vom 13. Januar 2022 – 3 StR 341/21, NStZ 2022, 496, 498 mwN).

Diesen strengen Anforderungen ist die Strafkammer gerecht geworden, indem sie die Angaben der den Angeklagten maßgeblich belastenden Zeugin kritisch gewürdigt und eine Glaubhaftigkeits- und Glaubwürdigkeitsanalyse vorgenommen hat. Dabei hat sie die Aussage bestätigende andere Beweismittel (insbesondere Tatortbefunde und die Angaben von Polizeibeamten, die die Zeugin letztlich aus der Tatsituation befreiten) in den Blick genommen und in einer Gesamtwürdigung mit der Einlassung des Angeklagten abgeglichen, die sie indes – ohne Rechtsfehler – als in wesentlichen Teilen unplausibel, im Widerspruch zu anderen Beweisergebnissen stehend, lebensfern und an die jeweilige Verfahrenslage angepasst gewertet hat.“

StPO I: Divergierende Urkundenübersetzungen, oder: Gibt es einen Erfahrungssatz „Weglaufen“?

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Und heute am Dienstag dann StPO-Entscheidungen. Alle Entscheidungen, die ich vorstellen werde, stammen vom BGH.

Ich beginne – zum Warmwerden – mit zwei „kleineren“ Entscheidungen des BGH, und zwar:

„Zwar kann es grundsätzlich einen Erörterungsmangel darstellen, wenn unterschiedliche Übersetzungen derselben Kommunikation als Urkunden in die Beweisaufnahme eingeführt werden und sich das Tatgericht mit erheblichen Abweichungen der verschiedenen Übersetzungen nicht befasst. Insoweit geht es der Sache nach nicht um allgemeine Zweifel an der Richtigkeit einer Übersetzung (s. dazu BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – 3 StR 339/18, NStZ-RR 2019, 57), sondern um die fehlende Auseinandersetzung mit erhobenen Beweisen. Allerdings kann die Verfahrensrüge nach § 261 StPO („Inbegriffsrüge“), mit der die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung wegen der nicht erschöpfenden Würdigung des Beweismaterials gerügt wird, der Revision nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn sich mit Rücksicht auf die sonstigen Feststellungen eine Erörterung aufdrängen musste (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 25. August 2022 – 3 StR 359/21, StV 2023, 293 Rn. 50 mwN). Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben. Insbesondere wird aus beiden Übersetzungen des – für die Beweiswürdigung nicht allein maßgeblichen – Gesprächs ohne weiteres deutlich, dass sich die Männerstimme im Hintergrund ebenso wie die Gesprächspartnerin im Zusammenhang mit den Taliban ersichtlich ablehnend äußert.“

Das Landgericht hat zur Widerlegung der vom Angeklagten behaupteten Notwehrlage in der Beweiswürdigung unter anderem ausgeführt, es entspreche „allgemeiner Lebenserfahrung“, dass ein zuvor Angegriffener froh sei, wenn sein Widersacher weglaufe und ihm so kein weiterer Übergriff drohe. Aus dem von Zeugen beobachteten Verfolgen des Opfers durch den Angeklagten hat es anschließend gefolgert, dass dies gegen den vom Angeklagten behaupteten vorherigen Angriff des Verletzten spreche.

Zwar bestehen Bedenken gegen einen etwaigen Erfahrungssatz dieser Art. Der Senat schließt angesichts der übrigen rechtsfehlerfreien Erwägungen des Landgerichts aber aus, dass die Ablehnung der Notwehrlage auf der bezeichneten Wendung beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).“