Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

Verteidiger III: Das „belauschte“ Verteidigergespräch, oder: Mund halten, aber immer und überall.

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In der dritten Entscheidung, dem BGH, Urt. v. 04.07.2018 – 2 StR 485/17 –  geht es u.a. um die Verwertbarkeit von Informationen, die aus einem Gespräch des Angeklagten mit seinem Verteidiger herrühren. Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Der Angeklagte hat das vom LG festgestellte „Rahmengeschehen“ eingeräumt, aber bestritten, dass er die Nebenklägerin penetriert und dabei Gewalt angewendet habe. Das LG hat „dies als widerlegt angesehen. Die Nebenklägerin habe glaubhafte Angaben dazu gemacht. Sie habe starke emotionale Beteiligung gezeigt. Mehrfach sei die Vernehmung unterbrochen worden. Auf dem Gerichtsflur habe die Nebenklägerin einen Schwächeanfall erlitten. Ihre Angaben seien im Kern konstant. Für die Glaubhaftigkeit spreche auch die Flucht vom Tatort. Nur den Angaben der Nebenklägerin zu ihrer Reaktion auf verschiedene Geschenke des Angeklagten habe das Gericht „nicht gänzlich zu folgen“ vermocht. Den Entschuldigungen des Angeklagten komme ergänzende Beweisbedeutung zu. Schließlich habe er auf dem Flur des Amtsgerichts bei der Vorführung vor den Haftrichter in Anwesenheit von Polizeibeamten gegenüber seinem Verteidiger geäußert, „so´n bisschen mit dem Finger“ sei keine Vergewaltigung.“

Zur Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten gegenüber seinem Verteidiger führt der BGH aus:

„a) Die Rüge einer Verletzung von § 148 Abs. 1 StPO ist zulässig, aber unbegründet.

Der Angeklagte macht ein Verbot der Beweisverwertung der genannten Äußerung gegenüber seinem Verteidiger bei der Haftvorführung geltend. Er meint, bereits das Mithören der Äußerung durch die Vorführbeamten habe § 148 Abs. 1 StPO verletzt; daraus folge ein Beweisverwertungsverbot. Dem folgt der Senat nicht.

Allerdings kommt einem vertraulichen Gespräch des Beschuldigten mit seinem Strafverteidiger die wichtige Funktion zu, darauf hinwirken zu können, dass er nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279, 322; Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 BvR 236, 237, 422/08, BVerfGE 129, 208, 263). Deshalb ist die Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation rechtlich geschützt. Dem Beschuldigten ist zur Ermöglichung einer wirkungsvollen Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. b EMRK), auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, ungestörter schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet (§ 148 Abs. 1 StPO). Der Strafverteidiger muss zu seiner Kommunikation mit dem Beschuldigten im Strafverfahren keine Angaben machen (§ 53 Abs. 1 StPO); sein Aussageverweigerungsrecht wird durch ein Beschlagnahmeverbot für diesbezügliche Unterlagen flankiert (§ 97 Abs. 1 StPO); die Verteidigerkommunikation unterliegt nicht der staatlichen Überwachung (§ 160a StPO).

Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation wird nicht durch Strafverfolgungsorgane verletzt, wenn sich der Beschuldigte in Anwesenheit von Ermittlungsbeamten gegenüber dem Verteidiger in einer Weise äußert, dass dies ohne weiteres wahrgenommen werden kann. Die Wahrnehmung der Äußerung durch die anwesenden Polizeibeamten kann danach rechtsfehlerfrei im Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden.“

Fazit/Rat aufgrund dieser Entscheidung: Mund halten, aber immer und überall.

OWi II: „Ich war nicht der Fahrer“, oder: Das anthropologische Identitätsgutachten im Urteil

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Auch schon etwas älter ist der KG, Beschl. v. 26.01.2018 – 3 Ws (B) 11/18, der noch einmal zu den Anforderungen an die Darstellung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens im Urteil Stellung nimmt. Es geht um ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO – Mobiltelefon im Straßenverkehr. Der Betroffene hatte bestritten, Fahrer gewesen zu sein. Das AG ist aufgrund eines anthropolgischen Gutachtens von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ausgegangen. Dem AKG reichen die Urteilsgründe des AG:

„dd) Misst das Tatgericht – wie vorliegend – einem Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 13. Februar 2017 a.a.O.; 20. September 2016 a.a.O.; 30. Juli 2015 – 3 Ws (B) 368/15 -; 20. Mai 2014 – 3 Ws (B) 271/14 – = VRS 111, 449, juris m.w.N.; 13 September 2012 – 3 Ws (B) 512/12 – und 11. Januar 2010 – 3 Ws (B) 730/09 -). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage, die dieser für die Entscheidung zukommt, ab (vgl. BGH NStZ 2000, 106, juris Rn. 2). Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden. In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen und den daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) vor allem auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen auszuführen (vgl. BGHSt 39, 291, juris Rn. 19 ff.).

ee) Bei einem – wie hier – anthropologischen Identitätsgutachten handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode, bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann, denn von einem gesicherten Stand der Wissenschaft in diesem Bereich kann nicht die Rede sein (vgl. BGH NStZ 2005, 458, juris Rn. 16; Senat, Beschlüsse vom 13. September 2012, 20. September 2016 und 13. Februar 2017 jeweils a.a.O.). Erforderlich ist daher in den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungs-tatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung, so dass die bloße Aufzählung der mit einem Foto übereinstimmenden morphologischen Merkmalsprägungen eines Betroffenen nicht ausreicht (vgl. OLG Bamberg NZV 2008, 211, juris Rn. 10; OLG Celle NZV 2002, 472, juris Rn. 6 ff.). Enthält das anthropologische Sachverständigengutachten – wie im vorliegenden Fall – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung, so muss das Urteil, da den einzelnen morphologischen Merkmalen jeweils eine unterschiedliche Beweisbedeutung zukommt, Ausführungen dazu enthalten, welchen der festgestellten Übereinstimmungen – gegebenenfalls in Kombination mit anderen festgestellten Merkmalen – eine besondere Beweisbedeutung zukommt, das heißt, welche Aussagekraft der Sachverständige den Übereinstimmungen zumisst und wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (vgl. Thüringer OLG VRS 122, 143, juris Rn. 17).

ff) Den vorgenannten Anforderungen werden die eingehenden Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Beweiswürdigung, soweit sie sich auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen beziehen, in ihrer Gesamtheit gerecht. Lückenlos und nachvollziehbar teilt das Tatgericht seine Überzeugungsbildung zur Fahrereigenschaft des Betroffenen in den Urteilsgründen mit. Insbesondere hat es die einzelnen, von der Sachverständigen im Messfoto festgestellten morphologischen Merkmalsprägungen im Detail beschrieben, sich sodann jeweils zu deren Abgleich mit dem in der Hauptverhandlung durch die Sachverständige gefertigten Vergleichsfoto vom Betroffenen Bl. 149 d.A. (oben rechts), auf das das Amtsgericht ebenfalls nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen hat, bzw. mit dem Erscheinungsbild des Betroffenen verhalten und schließlich Ausführungen zur Gewichtung der einzelnen Merkmale, bezüglich derer es in allen 37 Prägungen ausnahmslos Übereinstimmungen feststellte, gemacht.“

Nemo-Tenetur-Grundsatz, oder: Wenn das Schweigen des Angeklagten gegen ihn verwendet wird

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Ich eröffne die 33. KW. mit zwei BGH-Entscheidungen.

Den Anfang macht der BGH, Beschl. v. 05.07.2018 – 1 StR 42/18. Problematik: Fehler in der Beweiswürdigung durch Verstoß gegen die so. Selbstbelastungsfreiheit:

a) Die Angeklagten haben zum Tatvorwurf im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung geschwiegen. Der Angeklagte W.   hat gegenüber dem Sachverständigen lediglich geäußert, dass das „sein Material“ gewesen sei, und seine Schwester, „ohne etwas damit zu tun zu haben“, ihn begleitet habe.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte W. das Rauschgift in Tschechien erworben und nach Deutschland eingeführt und seine Schwester ihn begleitet habe, im Wesentlichen aus der Festnahmesituation gewonnen. Beide Angeklagten befanden sich etwa einen Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt; sie gingen zu Fuß auf einem Fuß-/Radweg landeinwärts zum nächst gelegenen Bahnhof, als sie aufgegriffen wurden. In seiner Jackentasche trug der Angeklagte W. das in zwei Kondome eingepackte Rauschgift. Die Angeklagte R. trug einen Rucksack, in dem sich das zum Teil leere Verpackungsmaterial für die Kondome und Einweghandschuhe befanden. Beweiswürdigend hat das Landgericht ausgeführt, dass es vor diesem Hintergrund davon überzeugt sei, „dass beide Angeklagten vor der Kontrolle in der Tschechischen Republik gewesen“ seien. In diesem Zusammenhang sei „insbesondere in den Blick genommen“ worden, „dass die Angeklagten keine Erklärung zum Grund ihres Aufenthalts im Bereich“ des Festnahmeortes „abgegeben haben“. Es werde nicht verkannt, dass, wenn ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden könne. Allerdings sei es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestünden (UA S. 20).

c) Mit diesen Erwägungen verstößt die Strafkammer gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten.

aa) Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220 mwN). So liegt der Fall aber hier.

bb) Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen (UA S. 20, 21, 22, 23 und 39) ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“

Tja, sollte man wissen als große Strafkammer, dass das so nicht geht…..

BtM-Handel mit Waffen, oder: Was mache ich dabei mit einem „Brieföffner“?

entnommen wikimedia.org
Author: Hedwig Storch

Als zweite Entscheidung stelle ich den BGH, Beschl. v. 02.05.2018 – 3 StR 39/18 – vor. Er stammt aus dem recht großen Reservoir zum Handeltreiben mit BtM mit Waffen. Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen.

„Der Angeklagte führte am Tattag eine Umhängetasche mit sich, in der sich rund 88 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11,61 Gramm THC und rund 96 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10,98 Gramm THC befanden. 80 Gramm Marihuana und 90 Gramm Haschisch waren für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Außerdem enthielt die Tasche ein sog. Cuttermesser mit einer vier Zentimeter lang ausgefahrenen und arretierten Klinge sowie einen 17 Zentimeter langen metallenen Brieföffner mit einer flachen, sich zum Griff hin verbreiternden Klinge. Diesen Brieföffner führte der Angeklagte mit sich, um ihn im Zusammenhang mit seinen Betäubungsmittelgeschäften notfalls als Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu benutzen.“

Dazu dann der BGH betreffend die landgerichtliche Beweiswürdigung:

2. Die Feststellung, dass der Brieföffner als sonstiger Gegenstand im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG durch den Angeklagten zur Verletzung von Menschen bestimmt war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 1997 – 3 StR 465/97, BGHSt 43, 266), wird nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen.

a) Die Würdigung der Beweise ist zwar Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht hat indes zu prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen bzw. gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 315/17, NJW 2018, 1411, 1412).

b) Hieran gemessen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts zu der Feststellung, dass der Angeklagte den Brieföffner gegebenenfalls zur Verletzung von Menschen einsetzen wollte, revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand; sie ist lückenhaft.

Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte den Brieföffner, von dem er nach seinen Angaben nichts wusste bzw. der ihm nicht gehört habe, mit sich führte, um ihn notfalls als Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu benutzen, maßgeblich auf die Erwägung gestützt, dass Anhaltspunkte für eine andere Zweckbestimmung nicht ersichtlich seien. So scheide auch die denktheoretische Möglichkeit aus, der im Tatzeitraum auch mit Ladendiebstählen aufgefallene Angeklagte könne den Brieföffner zum Ablösen von Sicherungsetiketten an Waren – zu einer Entfernung von Etiketten war es bei einem festgestellten Diebstahl am Tattag tatsächlich gekommen – bestimmt haben. Denn dies hätte der Angeklagte, der die Diebstähle nicht in Abrede gestellt habe, einräumen können, ohne „Nachteile“ befürchten zu müssen. Damit übersieht die Strafkammer, dass der Angeklagte sich mit einer solchen Einlassung nicht nur eines einfachen Diebstahls nach § 242 StGB, sondern eines Diebstahls mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB, der eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, hätte bezichtigen müssen. Auch hat das Landgericht nicht erörtert, warum der Brieföffner, der „mangels scharfer Klinge“ als Portionierungswerkzeug für Haschisch ausscheiden müsse, aus Sicht des Angeklagten dennoch als geeignetes Angriffs- oder Abwehrmittel eingesetzt werden sollte.

Bei seiner Überzeugungsbildung zur Zweckbestimmung des Brieföffners hat das Landgericht damit maßgebliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Dazu, welchem Zweck das mitgeführte „Cuttermesser“ dienen sollte, verhält sich das Urteil nicht. Eine Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist somit nicht rechtsfehlerfrei belegt, so dass die Verurteilung im Fall II. 2. der Urteilsgründe der Aufhebung unterliegt. Da der aufgezeigte Rechtsfehler die Feststellungen zum objektiven Geschehensablauf nicht berührt, hat der Senat diese aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO).“

Nemo-tenetur, oder: Die (verweigerte) (Dauer)Befragung führt zu einem Beweisverwertungsverbot

entnommen openclipart.org

Heute dann ein wenig Verfahrensrecht. Und den Reigen der Entscheidungen eröffnet das BGH, Urt. v. 06.03.2018 – 1 StR 277/17, ergangen zu Belehrungsmängeln/-fehlern und einem Beweisverwertungsverbot.

Das LG hat die Angeklagten M. und R.  wegen vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer kam es bei einem im Dezember 2013 abgeschlossenen Mietverhältnis der M. und R. mit dem Vermieter zu Mietstreitigkeiten, welche zu einem Räumungsprozess führten, der am 13.05.2016 durch einen Vergleich beendet wurde. Hierauf gestützt wurde vom zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung für den 19.07.2016 festgesetzt. An diesem Tag wurde an/in dem Mietobjekt ein Brand gelegt. Das LG hat sich seine Überzeugung hinsichtlich der Täterschaft der beiden Angeklagten u.a. maßgeblich auf Grund der Angaben der Angeklagten R. gegenüber einem behandelnden Arzt D. im Beisein der Zeugin KHMin K. gebildet. Die Angeklagte R. hat die Verfahrensrüge erhoben und u.a. beanstandet u.a., dass sie unter Verletzung auf ihr Recht zu Schweigen polizeilich vernommen und „unmenschlich behandelt“ worden sei, sie berufe sich auf „§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1 S. 1 StPO“ und „Art. 3 MRK“.

Die Verfahrensrüge hatte Erfolg. Der BGH ist in etwa von folgendem Verfahrensgeschehen ausgegangen: Die Angeklagte R. wurde noch im Bereich des Brandobjektes durch KHK Ra. über ihre Rechte nach §§ 136, 163a StPO belehrt. Sie äußerte daraufhin, wie auch ihre mitangeklagte Tochter, die Angeklagte M., zur Sache nicht aussagen zu wollen. In der Folge wurden die beiden Angeklagten in unterschiedlichen Polizeifahrzeugen ins Klinikum Ro. verbracht, um mögliche gesundheitliche Folgen der Raucheinwirkungen abklären zu lassen. Mit der Begleitung der Angeklagten R. war die Kriminalbeamtin KHMin K. beauftragt worden, welche, wie bei der Kriminalpolizei üblich, Zivilkleidung trug. Auf dem Weg zum Auto fragte die Angeklagte R. die Beamtin, obgleich es hierfür keinen Anlass gab, ob sie Ärztin sei, was diese verneinte und auf ihren Polizeibeamtenstatus hinwies.

Im Krankenhaus wartete die Zeugin KHMin K. mit der Angeklagten auf den zuständigen Arzt D., wobei die Beamtin das Gespräch mit der Angeklagten in Kenntnis dessen fortführte, dass sich diese vor einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt nicht zur Sache äußern wollte. Als der Arzt eintraf, ging sie zusammen mit der Angeklagten in das Behandlungszimmer. Als die Angeklagte sich zur Untersuchung durch den Arzt teilweise entkleidete, fragte sie, ob sie hinausgehen sollte, erhielt jedoch weder vom Arzt noch der Angeklagten irgendeine Antwort, worauf sie im Raum verblieb. Die Angeklagte gab auf Befragen des Arztes an, sie habe, genauso wie ihre Tochter, die Angeklagte M., zehn Tabletten des Medikamentes Sertralin genommen. Zudem wäre viel Rauch entstanden. Sie hätten „Benzin ausgeschüttet und das ausgeschüttete Benzin angezündet, überall im Erdgeschoss“, davor hätten sie „Tabletten genommen“. Nachdem die Angeklagte auf Fragen des Arztes zur Brandentstehung und -entwicklung wie vorstehend geantwortet hatte, verließ die Zeugin KHMin K. kurz den Raum, um sich bei ihren Kollegen zu vergewissern, dass die Angeklagte bereits belehrt worden sei, und ging dann – nach Bejahung der Frage – in den Untersuchungsraum zurück, wo sie bis zum Ende der ärztlichen Untersuchung verblieb.

Danach begleitete die Zeugin KHMin K. die Angeklagte R. zur Bewachung auf die Intensivstation des Krankenhauses, für die sie bis 18.45 Uhr abgestellt war. Auch dort kam es zu weiteren Gesprächen, nachdem die Angeklagte die Zeugin KHMin K. mehrfach an ihr Bett kommen ließ, um in Erfahrung zu bringen, wie es ihrer Tochter gehe. Dabei äußerte sie u.a. wörtlich, dass sie einfach „nicht mehr konnten“ und „wir haben einfach alles angezündet“.

Am nächsten Morgen transportierten die Zeugen KHK S. und KHK F. die Angeklagte zur Vorführung zum Amtsgericht, wobei sie erneut belehrt wurde. Nach der Belehrung führte der Zeuge KHK F. ein „Gespräch“, in dem sich die Angeklagte R. dahingehend einließ, dass „alles zu viel gewesen sei“.

Der Verwertung dieser Angaben – nach der Berufung auf das Schweigerecht der Angeklagten R. – haben beide Angeklagte am zweiten Hauptverhandlungstag vor der Vernehmung der Ermittlungsbeamten widersprochen. Trotz des Widerspruchs hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten R. und M. insbesondere auf die Aussagen der Zeugen KHMin K. und KHK F. gestützt. Die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK Ra.  am Tatort hat sie nicht verwertet. Hinsichtlich der Verwertung der Angaben im Behandlungszimmer hatte die Strafkammer – im Gegensatz zur Vernehmung durch KHK Ra. – keine Bedenken, da der Angeklagten R. bewusst gewesen sei, dass die Polizistin den Untersuchungsraum nicht verlassen habe. Die Angaben am Krankenbett hält die Strafkammer für verwertbare freiwillige Spontanäußerungen außerhalb einer Vernehmungssituation, die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK F. seien nach erneuter Belehrung eigenverantwortlich und aus freiem Willen erfolgt.

Ist ein bisschen viel Sachverhalt, aber den braucht man, um die Entscheidung des BGH zu verstehen. Denn der BGH sieht die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten R. als verletzt, was zu einem Beweisverwertungsverbot führe. Dazu verweist er auf die Rechtsprechung des BVerfG – bitte selbst nachlesen – , wonach die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung seien. Der Beschuldigte müsse frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und ggf. inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt. Eine solche eigenverantwortliche Entscheidung sei bei der Angeklagten R. nicht gegeben. Dies ergebe – so der BGH – eine Gesamtbewertung der Vorgänge um die Zuführung der Angeklagten zu dem Arzt D. und die dort stattgefundene Untersuchung. Entscheidend ist für den BGH, dass sich die Angeklagte nach der ersten Belehrung im ununterbrochenen polizeilichen Gewahrsam befand, in dem zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen wurde.

Letztlich sei sie auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt gewesen. Das habe schon während des Transports der Angeklagten zum Arzt begonnen, obwohl die Angeklagte zuvor ausdrücklich von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte. Sie sei zudem in einer gesundheitlich sehr angeschlagenen Verfassung gewesen und hatte eine Überdosis Psychopharmaka zu sich genommen und befand sich bei deutlich erhöhter Pulsfrequenz in der Angst, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Schon diese prekäre gesundheitliche Verfassung der dezidiert nicht aussagebereiten Angeklagten R. habe weitere Fragen verboten. Weiterhin hätten die Gesamtumstände der ärztlichen Untersuchung der dringend behandlungsbedürftigen Angeklagte R. in ihrer Aussagefreiheit beeinträchtigt. Um einen korrekten ärztlichen Befund zu erhalten, sei sie gezwungen gewesen, möglichst genaue Angaben zur Brandentstehung zu machen, auch wenn dies mit einer Selbstbelastung einherging. Diese Zwangssituation habe die Zeugin KHMin K. mit ihrer Anwesenheit bewusst ausgenutzt, um die entsprechenden Erkenntnisse zu erheben, gerade weil sie genau wusste, dass die Angeklagte erklärt hatte, keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen zu wollen. Unerheblich sei, dass die Polizeibeamtin im Behandlungszimmer die Frage gestellt hatte, ob sie hinausgehen solle, ohne allerdings irgendeine Antwort zu erhalten. Dies habe sie nicht automatisch als Zustimmung werten können, weil auch die Möglichkeit bestand, dass die Frage weder vom Arzt noch der Angeklagten gehört worden war, zumal die Zeugin aus dem Vorgeschehen entnehmen musste, dass die bereits ältere Angeklagte in ihrer Orientierung offensichtlich beeinträchtigt war.

Tja, Angeklagte/Beschuldigte unter „Dauerbeschuss“. Das konnte m.E. nicht gut gehen. Denn die Angeklagte hatte recht früh geäußert, dass sie nicht aussagen wolle. Und danach hat dann Schluss zu sein mit Befragungen. Wer das nicht hören will, muss eben fühlen = ein Beweisverwertungsverbot hinnehmen. Die Kammer muss es jetzt noch einmal machen/versuchen, allerdings ohne die Äußerungen/Angaben, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Und für Verteidiger: Widerspruch nicht vergessen!