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Beweiswürdigung II: Die Mimik des Angeklagten, oder: „der versonnen lächelnde Angeklagte…“

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 20.11.2019 – 2 StR 467/19 – ist nicht so sehr das interessant, was zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils geführt hat, nämlich eine nicht ausreichende Würdigung eines in einem Missbrauchverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Interessante sind die Ausführungen, die der BGH im Übrigen in Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Täterschaft des Angeklagten macht. Die Strafkammer hatte „ihre Überzeugung von der Täterschaft darauf gestützt, der Angeklagte habe die Vorwürfe „bestätigt“, was durch die Angaben der Geschädigten H. „gestützt und ergänzt“ werde.“

Der BGH führt dazu zunächst aus:

„…. Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Mit der Formulierung, der Angeklagte habe in den Fällen 4 bis 9 der Urteilsgründe „die Vorwürfe bestätigt“, soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, der Angeklagte habe die Begehung der ihm zur Last liegenden Taten gestanden. Die dem zugrundeliegende Würdigung des Prozessverhaltens des Angeklagten begegnet durchgreifenden Bedenken.

aa) Ausweislich der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Vorwürfe zum Nachteil der Geschädigten P. und H. ausdrücklich in Abrede gestellt und sich sinngemäß dahingehend eingelassen, das mache er nicht, das sei verboten. Allerdings habe der Angeklagte, so die Urteilsgründe, „hierzu im Widerspruch“ während des Berichts der aussagepsychologischen Sachverständigen über die Angaben der Geschädigten H. ihr gegenüber „versonnen lächelnd, offensichtlich in Erinnerungen schwelgend, jeweils zustimmend genickt und dies teilweise durch ein geäußertes ‚ja? bestätigt“.

bb) Es kann dahinstehen, inwieweit auch nonverbales Verhalten eines ansonsten zu den Tatvorwürfen im Wesentlichen schweigenden Angeklagten, wovon hier nach den Urteilsgründen auszugehen ist, verwertet werden darf. Voraussetzung ist jedenfalls, dass es in seiner Äußerungsform eindeutig und erheblich ist und dass durch die Bewertung einer spontanen, unreflektierten und in seiner Bedeutung unklaren Körpersprache das Schweigerecht des Angeklagten nicht unterlaufen wird (vgl. Miebach NStZ 2000, 234 mwN). Dies zugrunde gelegt, erweist sich die von der Strafkammer gegebene Begründung, warum im Verhalten des Angeklagten ein Geständnis sexueller Übergriffe auf die Geschädigten zu sehen sei, als nicht tragfähig.

Die nur sehr knapp dargestellte Verfahrenssituation (Bericht über Zeugenaussagen) lässt für sich genommen einen eindeutigen Schluss auf den Aussagegehalt der Mimik des Angeklagten nicht zu. Die Strafkammer teilt nicht mit, worauf konkret sie ihre Annahme gründet, der Angeklagte habe „offensichtlich in Erinnerungen schwelgend“ genickt. Die Möglichkeit, dass der an einer geistigen Behinderung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung leidende Angeklagte, der seine sexuellen Bedürfnisse nach den Feststellungen durch täglich mehrfache Selbstbefriedigung und den Besuch von Bordellen befriedigt, allein durch die Tatschilderung zu einer „versonnen lächelnden“, „schwelgenden“ Mimik veranlasst worden sein könnte, hat das Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen und erörtert. Die von der Strafkammer für ihre Annahme einer „Bestätigung“ herangezogenen weiteren Spontanreaktionen des Angeklagten erweisen sich ebenfalls als nicht hinreichend tragfähig. Bei „spontanen Reaktionen“ des Angeklagten während der Vernehmungen der Geschädigten zu Fall 1 der Urteilsgründe und der Zeugin P. zu einem von dieser geschilderten weiteren Vorfall nimmt die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick, dass der Angeklagte die Tat zu Fall 1 – anders als in den mit Fall 1 in keinem Zusammenhang stehenden Fällen 4 bis 9 – zumindest zu Beginn eingeräumt hat und dass der weitere Vorfall weder Gegenstand der Anklage war noch als zutreffend festgestellt wurde. Soweit der Angeklagte „ungefragt“ den Standort seines Fernsehers mitgeteilt hat, ist ein hinreichend klarer Tatbezug nicht erkennbar. Damit bleibt die Würdigung der Strafkammer, der Angeklagte habe entgegen seinem ausdrücklichen Bestreiten die Begehung der ihm zur Last liegenden Taten gestanden, ohne revisionsgerichtlich nachvollziehbaren Beleg…..“

Aber:

„b) Soweit sich die Strafkammer auf die Angaben der Geschädigten H. stützt, fehlt es an einer hinreichenden Würdigung des eingeholten aussa- gepsychologischen Gutachtens…..“

aa) Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der nach den Feststellungen des Landgerichts „geistig behinderten, neunjährigen Zeugin“ H. , auf de- ren Angaben die Verurteilung des Angeklagten fußt, hat die Strafkammer ein aussagepsychologisches Gutachten eingeholt. Sie hat dessen Inhalt augenscheinlich vollständig auf den Seiten 41 bis 66 der Urteilsgründe wiedergegeben und den Satz angefügt, dass sich die Strafkammer „den Ausführungen der Sachverständigen nach eigener kritischer Würdigung“ anschließe. Dies wird den Anforderungen an eine eigene tatrichterliche Beurteilung nicht gerecht.

bb) Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Will das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen folgen, hat es zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen, die zum Verständnis des Gutachtens erforderlich sind, darzulegen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 182). Dabei ist aber schon eine ins einzelne gehende Darstellung von Konzeption, Durchführung und Ergebnissen der erfolgten Begutachtung regelmäßig nicht erforderlich, vielmehr ist es ausreichend, dass die diesbezüglichen Ausführungen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen in einer Weise enthalten, die zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 . 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165, 166). Das Urteil muss sodann erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dem Gutachten aus eigener Überzeugung anschließt und warum es ihm folgt; erforderlich ist eine eigenverantwortliche Prüfung der Ausführungen des Sachverständigen, andernfalls besteht die Besorgnis, das Gericht habe eine Frage, zu deren Beantwortung es eines besonderen Sachverständigenwissens bedurfte, ohne diese Sachkunde entschieden oder es habe das Gutachten nicht richtig verstanden (KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 141 mwN).

cc) Diesem Maßstab werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Weder durch die lediglich floskelhafte Behauptung eigener kritischer Prüfung noch durch eine erkennbar von Sachkunde getragene Zusammenfassung der wesentlichen Anknüpfungspunkte und methodischen Darlegungen der Sachverständigen bringen die Urteilsgründe zum Ausdruck, dass die Strafkammer dem Gutachten nur aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung folgt. Die Urteilsgründe lassen vielmehr besorgen, dass die Strafkammer nicht hinreichend beachtet hat, dass es nicht Aufgabe des Sachverständigen ist, darüber zu befinden, ob die zu begutachtende Aussage wahr ist oder nicht; das Gutachten soll vielmehr dem Gericht die Sachkunde vermitteln, mit deren Hilfe es die Tatsachen feststellen kann, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlich sind (Senat, Urteil vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03 Rn. 8, NStZ-RR 2004, 87 f.).“

Beweiswürdigung I: Belastung durch den Haupttäter, oder: erhöhte Anforderungen an die Gesamtwürdigung

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Thema der heute vorgestellten Entscheidungen sind Beweiswürdigungsfragen. Und ich starte den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 2 StR 355/19. Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt. Gestützt hat es die Verurteilung auf die den Angeklagten belastenden Aussagen der beiden Haupttäter. Gegen die Verurteilung die Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte:

Die Verurteilung des die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2019 – 2 StR 208/19).

2. So liegt es hier; die Beweiswürdigung ist lückenhaft.

a) Das Landgericht stützt seine Überzeugungsbildung von der Beteiligung des Angeklagten auf belastende Angaben der beiden Haupttäter M.

und Ma. in der gegen diese geführten Hauptverhandlung. Während M. und Ma. auf der Grundlage einer Verständigung gemäß § 257c StPO verurteilt wurden, war das Verfahren gegen den Angeklagten, der jegliche Tatbeteiligung bestritten hatte, abgetrennt worden. Weil die beiden Haupttäter ebenso wie weitere Zeugen, deren Bekundungen ebenfalls nicht wiedergegeben werden, in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nunmehr von ihren früheren, diesen belastende Angaben abgerückt sind, hat die Strafkammer den Berichterstatter des vorangegangenen Strafverfahrens als Zeugen vernommen.

Hängt – wie hier – die Überzeugung von der Täterschaft eines bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben der Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und diese im Urteil deutlich machen. Dabei sind erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben – wie hier – nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. September 2011 – 2 StR 263/11, NStZ-RR 2012, 52, 53; vom 11. November 1987 – 2 StR 575/87, BGHR StPO § 261 Zeuge 2).

Diesen Anforderungen genügen die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht. Es fehlt bereits an einer ausreichenden Darstellung der durch die Vernehmung des Berichterstatters in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen der bereits Verurteilten M. und Ma. . Hier wäre es aber – insbesondere vor dem Hintergrund des § 31 BtMG und einer in der früheren Hauptverhandlung gemäß § 257c StPO getroffenen Verständigung – erforderlich gewesen, den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen und die Umstände ihrer Entstehung darzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2009 – 4 StR 174/09, NStZ 2010, 228).“

Und ein paar andere „Macken“ hatte die Beweiswürdigung des LG auch noch. Darauf weist der BGH dann – quasi als „Zubrot“ hin…..

Urteilsgründe I: Wenn mal wieder die Einlassung des Angeklagten fehlt, oder: Klassiker

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Zur Wochenmitte am Mittwoch heute drei Entscheidungen zu den Urteilsgründen/den (erforderlichen) Feststellungen.

Und der Reigen wird eröffnet mit dem BGH, Beschl. v. 12.12.2019 – 5 StR 444/19. Der Beschluss behandelt ein „klassisches Problem“, zu dem der BGH schon zig-mal Stellung genommen hat. Nämlich das Fehlen der Einlassung des Angeklagten in den Urteilsgründen. Das ist ein (Beweiswürdigungs)Fehler, der i.d.R. zur Aufhebung führt:

2. Die Revisionen führen bereits mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

a) Die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht die Überzeugung von den Taten verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, weil Angaben dazu fehlen, ob und wie sich die Angeklagten G.     und S.   zu den Tatvorwürfen eingelassen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 ? 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299). Unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten ist regelmäßig eine Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 – 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45).

Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten auf ihren Angaben und diejenigen zur Sache auf den geständigen Angaben des Nichtrevidenten B. zu seinen eigenen Tatbeiträgen sowie insbesondere Funkzellendaten und Telekommunikationsüberwachung beruhen. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass die Angeklagten keine Angaben zur Sache gemacht haben.

Auch in Anbetracht der hier gegebenen äußerst schwierigen Beweislage kann ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden.“

Ich verstehe es nicht/nie: Das Urteil wird (hoffentlich) von mindestens zwei Berufsrichtern gelesen, und keiner merkt, dass die Einlassung des Angeklagten nicht in den Urteilsgünden enthalten ist.

OWi III: Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, oder: Noch einmal Urteilsanforderungen…

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Und zum Tagesschluss dann noch ein wenig Wiederholung – muss auch mal sein. Und zwar Wiederholung in doppelter Hinsicht: Ich komme nämlich noch einmal auf das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.12.2019 – IV – 2 RBs 171/19, über das ich schon einmal berichtet habe (vgl. OWi I: Fahrverbot, oder: Auswirkungen von (rechtsstaatswidriger) Verfahrensverzögerung). Insofern „Wiederholung I“. Und „Wiederholung II“: Die Thematik, die das OLG in seinem Beschluss auch noch behandelt hat, ist auch nicht neu.

Es hat nämlich noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilsgründe in den Fällen der Fahreridentifizierung anhand eines Lichtbildes von dem dem Betroffenen zur Last gelegten Verkehrsverstoßes. Dazu hat es früher viele Entscheidungen gegeben, die Flut ist inzwischen aber merklich abgeklungen. Daher gut, dass das OLG noch einmal ins Gedächtnis ruft, worauf zu achten ist:

„1. Das angefochtene Urteil genügt nicht den Anforderungen, die von der Rechtsprechung bei der Fahreridentifizierung anhand eines Beweisfotos gestellt werden (vgl. grundlegend: BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420; statt vieler: Senat NZV 1994, 445; OLG Hamm VRS 92, 27; VRS 93, 349; NStZ-RR 2009, 250; OLG Koblenz NZV 2010, 212, 213). Danach gilt für die Darstellung in den Urteilsgründen folgendes:

Wird in dem Urteil gemäß § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf ein zur Identifizierung generell geeignetes Foto verwiesen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Ausführungen. Bestehen allerdings nach Inhalt und Qualität des Fotos Zweifel an seiner Eignung als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers oder fehlt (wie hier) eine eindeutige Bezugnahme, so muss der Tatrichter angeben, aufgrund welcher auf dem Foto erkennbaren Identifizierungsmerkmale er die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat.

Bei der Beschreibung von Identifizierungsmerkmalen genügt der Hinweis auf „Übereinstimmungen“ nicht, vielmehr ist mit beschreibenden Adjektiven zu veranschaulichen, worin die Übereinstimmungen bestehen. Daran fehlt es hier.

Dieses Versäumnis wird auch nicht dadurch geheilt, dass das Amtsgericht die Ausführungen der anthropologischen Sachverständigen, wonach der Betroffene mit der Person auf dem Messfoto „sehr wahrscheinlich“ identisch ist, für überzeugend und nachvollziehbar erachtet hat. Denn das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (vgl. BGH NJW 2000, 1350; OLG Oldenburg NZV 2009, 52; OLG Jena BeckRS 2011, 17914; OLG Celle NZV 2013, 47). Dazu gehört die Beschreibung der charakteristischen Identifizierungsmerkmale. Vorliegend hat das Amtsgericht lediglich verschiedene Regionen des Gesichtes und Kopfes aufgelistet, ohne die deskriptiven Merkmale darzulegen, anhand derer die anthropologische Sachverständige zu ihrer Beurteilung der Identitätswahrscheinlichkeit („sehr wahrscheinlich“) gelangt ist.

Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung anhand eines eigenen optischen Eindrucks zu ermöglichen, ist es zudem ratsam, in dem Urteil nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das (vergrößerte) Messfoto und das Vergleichsfoto zu verweisen.“

Wie der BGH die Urteilsgründe lesen möchte, oder: Handwerkliche Fehler

Und als dritte Entscheidung zu dem Themenkreis „Urteilsgründe“ dann der BGH, Beschl. v. 22.10.2019 – 4 StR 37/19. Das ist mal wieder eine Entscheidung, in der der BGH grundsätzlich zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung nimmt. Allerdings dieses Mal nicht nur mit einem erhobenen Zeigefinger „Passt auf!“ und dann mit einem „reich gerade noch für die Anforderungen“, sondern dieses mal wird das Urteil des LG Kaiserslautern, das den Angeklagten nach 104 Hauptverhandlungstagen wegen Betruges verurteilt hatte wegen handwerklicher Fehler aufgehoben:

„1. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das – nach 104 Hauptverhandlungstagen und einer Hauptverhandlungsdauer von über drei Jahren ergangene – Urteil leidet bereits an grundlegenden Mängeln in der Darstellung und entspricht nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Eine revisionsrechtliche Nachprüfung der Verurteilung des Angeklagten ist dem Senat anhand der vorgelegten Urteilsgründe nicht möglich.

aa) Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits vielfach entschieden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17), dass nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Für die revisionsrichterliche Überprüfbarkeit ist eine geschlossene und nachvollziehbare Darstellung des strafbaren Verhaltens erforderlich; diese Darstellung muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Tatrichter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08). Die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 271). Insoweit obliegt dem Tatrichter die Aufgabe, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Entscheidung so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen, die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und die darauf fußenden rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen erkennen kann. Das Revisionsgericht ist nicht gehalten, sich aus einer Fülle erheblicher und unerheblicher Tatsachen diejenigen herauszusuchen, in denen eine Straftat gesehen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2002 – 3 StR 132/02, NStZ-RR 2002, 263). Vielmehr liegt ein Mangel des Urteiles vor, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt, wenn aufgrund einer unübersichtlichen Darstellung der Urteilsgründe unklar bleibt, welchen Sachverhalt das Tatgericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16, juris Rn. 3; vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 2; Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 472/88; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 8). Auch ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, wenn sich hieraus Unklarheiten oder Widersprüche ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 7 ff.). Ein durchgreifender materiellrechtlicher Mangel ist ferner dann gegeben, wenn bei der Darstellung der Urteilsgründe nicht klar zwischen Tatsachenfeststellung zum strafbaren Verhalten und der Beweiswürdigung unterschieden wird und infolgedessen unklar bleibt, welche Tatsachen der Tatrichter seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 472/88, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3; Beschluss vom 27. September 1983 – 4 StR 550/83, DRiZ 1989, 422).

Bei dieser Rechtsprechung handelt es sich nicht etwa nur um unverbindliche Empfehlungen zur stilistischen Abfassung eines Urteils, sondern – nicht anders als bei den Anforderungen an die Darstellung eines freisprechenden Urteils (vgl. BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 – 5 StR 36/19, NStZ-RR 2019, 254; vom 14. September 2017 – 4 StR 303/17; vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, NStZ 1998, 475) – um gesetzliche Vorgaben des § 267 Abs. 1 bis 3 StPO, die es einzuhalten gilt.

bb) Die Urteilsgründe werden diesen Vorgaben des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht im Ansatz gerecht. Sie offenbaren schwerwiegende handwerkliche Mängel.

Eine in sich geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, die die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges nachvollziehen lässt, enthält das Urteil nicht.

Die schriftlichen Urteilsgründe bestehen aus insgesamt 548 Seiten, wovon allein die Sachverhaltsschilderung 262 Seiten umfasst. Dies ist keineswegs der Komplexität des Sachverhalts geschuldet, da lediglich eine einzige Betrugstat, ein Eingehungsbetrug, Gegenstand der Verurteilung ist. Nach den Ausführungen des Landgerichts zur rechtlichen Würdigung der ausgeurteilten Tat soll der Angeklagte als Inhaber der Firma R. Dr. K. (R. ) den ehemaligen Mitangeklagten als Vorstand der M AG (M. AG) am 23./24. September 2008 bei Abschluss eines Vertrags über die Lieferung von 25.000 Solarmodulen zu einem Preis von 14.756.000 € über seine Lieferwilligkeit und Lieferfähigkeit getäuscht und die M. AG bereits durch die Eingehung dieser Verbindlichkeit entsprechend geschädigt haben. Der Angeklagte habe nicht vorgehabt, die M. AG zu beliefern. Die M. AG habe auf die zugesagte Lieferung binnen sechs Wochen nach Eingang einer vereinbarten Anzahlung und eines unwiderruflichen Zahlungsversprechens vertraut und sukzessive Zahlungen in Höhe von insgesamt 13.561.467 € erbracht.

Anhand der ausufernden Sachverhaltsdarstellung lässt sich diese rechtliche Wertung nicht nachvollziehen, da sich das Landgericht in der Mitteilung einer Fülle überflüssiger und für die Entscheidung gänzlich belangloser Einzelheiten verliert, weshalb die Identifikation der für den Schuldspruch maßgeblichen Tatsachen nicht mehr gelingt. Statt die Feststellungen zum Sachverhalt anhand der Merkmale des Betrugstatbestands zu entwickeln, hat sich das Landgericht, ohne eine tatbezogene Strukturierung vorzunehmen, darauf beschränkt, die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung undifferenziert zu dokumentieren. Bestätigung findet dies nicht zuletzt darin, dass auch die Einlassung des Angeklagten auf 89 Seiten wiedergegeben wird.

(1) Die Sachverhaltsdarstellung krankt bereits an einem missglückten Aufbau, aus dem sich nicht erschließt, welche Tatsachen das Landgericht als Feststellungen zur Tat verstanden wissen will. Zwar werden von UA 15 bis UA 41 Feststellungen zum „Tatgeschehen“ getroffen, anschließend findet sich aber von UA 41 bis UA 277 ein mit „weitere Feststellungen“ überschriebener Abschnitt, in welchem teilweise Feststellungen aus dem ersten Abschnitt ergänzt oder vertieft werden. Der zweite Abschnitt enthält indes überwiegend eine Vielzahl an Informationen etwa zur Unternehmensgeschichte der angeblich geschädigten AG, zum Firmengeflecht der R. Gruppe des Angeklagten, deren Produktionsplanungen und vertraglichen Beziehungen zu Kunden, deren Relevanz für die ausgeurteilte Tat sich – entgegen der einleitenden Bemerkung des Landgerichts, die Darstellung der „weiteren Feststellungen“ (UA 46 bis UA 275) sei „zum Verständnis des Tatgeschehens unabdinglich“ – nicht erschließt.

Beispielsweise werden in dem Abschnitt „weitere Feststellungen“ unter der Unterüberschrift „weiteres geschäftliches Handeln, Versicherungen, Firmenpolitik, Marketing, Anpreisungen“ der vom Angeklagten gegründeten Firmen von UA 163 bis UA 276 ausgesprochen kleinteilig Projekte des Angeklagten beschrieben (etwa der Vertragsschluss über die Errichtung eines stratosphärischen Luftschiffs in China, UA 163 ff.), zu eingestellten Verfahrensteilen („Projekt T. „) Feststellungen getroffen und Firmenpräsentationsunterlagen dargestellt, ohne einen Bezug zum Schuldspruch herzustellen. Soweit in diesem den Schuldspruch nicht betreffenden Komplex etwa auch umfangreiche E-Mail-Korrespondenz des bzw. mit dem Angeklagten wörtlich mitgeteilt bzw. überwiegend einkopiert wird, erschließt sich nicht, ob und gegebenenfalls inwieweit das Landgericht ihr doch Bedeutung für den Sachverhalt beimessen wollte oder diese in irgendeiner Weise als Indiztatsachen für die Beweiswürdigung des Tatgeschehens oder die Strafzumessung Relevanz entfalten können. Das Landgericht kommt im Rahmen der Beweiswürdigung nicht darauf zurück.

Die aus Sicht des Landgerichts für das ausgeurteilte Tatgeschehen notwendigen Tatsachen aus dem Konvolut des zweiten Abschnitts herauszufiltern und aus den beiden Feststellungsblöcken den den Schuldspruch tragenden Sachverhalt zusammenzustellen, ist nicht die Aufgabe des Senats.

(2) Dem Verständnis und der Lesbarkeit des Urteils gänzlich abträglich ist zudem die den Fließtext zur Sachverhaltsdarstellung fortlaufend unterbrechende Fülle von insgesamt etwa 200 einkopierten Schriftstücken, Abbildungen u.a., deren Bedeutung für den Schuldspruch ebenfalls nicht erkennbar ist.

Insbesondere bleibt aufgrund der gewählten collageartig anmutenden Sachverhaltsdarstellung unklar, ob oder inwieweit die in die Sachverhaltsdarstellung einkopierten Schriftstücke ihrem Inhalt nach festgestellt sein sollen oder ob sie nur der Beweiswürdigung dienen. Die gebotene Trennung zwischen Feststellungen zur Tat und der Beweiswürdigung findet nicht statt. Zwar hat die Strafkammer insoweit einleitend darauf hingewiesen, dass „zur erleichterten Darstellung der festgestellten Tatsachen einige der die Feststellungen belegenden und im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Urkunden bereits hier – im Vorgriff auf III. (die Beweiswürdigung) – jeweils auszugsweise dargestellt“ werden, was für eine bloß beweiswürdigende Funktion der einkopierten Passagen spricht. Allerdings ergäben sich bei Auslassung einiger einkopierter Passagen offensichtliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung, so dass ihnen – zumindest zum Teil – auch Feststellungscharakter zugesprochen werden könnte. Dies gilt etwa für den Inhalt der für den Schuldspruch elementar wichtigen Auftragsbestätigung der M. AG vom 24. September 2008 (Zeitpunkt des Vertragsschlusses), deren Inhalt – anders bei anderen Passagen – gerade nicht im Fließtext nochmals wiedergegeben wird. Auch insoweit vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, ob und gegebenenfalls welche Feststellungen vom Tatrichter getroffen wurden.

b) Aufgrund dieser den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht werdenden, unklaren und ausufernden Sachverhaltsdarstellung hat sich das Landgericht zudem den Blick für Rechtsfragen verstellt, die – soweit dies dem Urteil entnommen werden kann – der Fall aufweist. Das Urteil hielte daher auch unabhängig von den durchgreifenden Darstellungsmängeln sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

…….“

Also. Gereicht hätte es eh nicht…. aber die Arbeit von über drei Jahren ist schon wegen der mangelhaften Urteilsgründe dahin.