Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

StPO I: BVV wegen verbotener Vernehmungsmethoden, oder: Das Beweisverwertungsverbot gilt absolut

© semnov – Fotolia.com

Heute geht es in den „Regendienstag“ mit StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 07.06.2022 – 5 StR 332/21 – zur Reichweite des Verwertungsverbotes des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO. Der BGh sagt: Das Verwertungsverbot gilt absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Die hatte keinen Erfolg:

„Der näheren Erörterung bedarf nur die Aufklärungsrüge, mit der die Revision beanstandet, das Landgericht habe es unterlassen, über den ihn begünstigenden Inhalt der Angaben des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren Beweis zu erheben, nachdem es deren Unverwertbarkeit auf Antrag der Verteidigung wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 StPO bejaht hatte.

Dieser Beanstandung liegt zugrunde:

Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren eine Einlassung abgegeben. Die Strafkammer hat diese – wie vom Angeklagten beantragt – wegen eines Verstoßes gegen § 136a StPO für unverwertbar gehalten. Soweit seine Einlassung auch Angaben zu anderen Tatbeteiligten enthielt, die möglicherweise eine Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG darstellen könnten, hat sie erwogen, die Einlassung insoweit „vor dem Hintergrund des ‚Fair Trial‘-Grundsatzes“ gleichwohl zu verwerten, sich hieran jedoch aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, NStZ 2008, 706) gehindert gesehen.

1. Die Verfahrensrüge erweist sich als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil jeglicher Vortrag dazu fehlt, wie sich im Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten die Erkenntnislage hinsichtlich der von ihm belasteten Tatbeteiligten für die Ermittlungsbehörden darstellte. Da eine zulässige Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge voraussetzt, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1993 – 5 StR 180/93, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6 mwN; vom 13. Dezember 2016 – 3 StR 193/16, NStZ-RR 2017, 119; Urteile vom 18. Juli 2019 – 5 StR 649/18 Rn. 12; vom 29. Juni 2021 – 1 StR 287/20 Rn. 14), wären hier solche Angaben erforderlich gewesen. Denn nur so konnte beurteilt werden, ob durch die Angaben des Angeklagten überhaupt ein für die Anwendung des § 31 BtMG erforderlicher wesentlicher Aufklärungserfolg hätte herbeigeführt werden können. War ein solcher nicht feststellbar, bedurfte es einer weiteren inhaltlichen Aufklärung der Angaben des Angeklagten schon deshalb nicht, weil das Landgericht aufgrund der Aussage eines Tatbeteiligten ohnehin die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe bejaht und betreffend die nicht verwertbaren Angaben des Angeklagten bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten Aufklärungsbemühungen berücksichtigt hat.

2. Es bedarf deshalb keines vertieften Eingehens auf die von der Revision unter Berufung auf Literaturmeinungen vertretene Auffassung, nach der auch im Fall eines Beweisverwertungsverbots gemäß § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO die entlastenden Angaben des Beschuldigten gleichwohl verwertbar sein sollen (vgl. dazu etwa Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 655; Roxin, StV 2009, 113; MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn. 90 mwN; vgl. auch KMR/Kulhanek, StPO, 105. EL, § 136a Rn. 52: zur Vermeidung der Verurteilung von Unschuldigen; offen gelassen von LR/Gleß, StPO, 27. Aufl., § 136a Rn. 71a; aA BGH, Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, NStZ 2008, 706; SSW-StPO/Eschelbach, § 136a Rn. 63; Radtke/Hohmann/Kretschmer, StPO; § 136a Rn. 40; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 136a Rn. 105, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn. 27; BeckOK-StPO/Monka, 43. Ed., § 136a Rn. 29; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 136a Rn. 38). Die in diesem Zusammenhang beiläufig vertretene Auffassung der Verteidigung, dass die – zu den Schuldspruch betreffenden Entlastungsbeweisen entwickelten – Grundsätze der Mindermeinung gleichermaßen Geltung beanspruchten, wenn – wie hier – nur der Rechtsfolgenausspruch betroffen ist, nimmt jedenfalls die Besonderheiten, die mit der Anwendung des § 31 BtMG verbunden sind, nicht hinreichend in den Blick:

Der gesetzliche Milderungsgrund kommt nur zur Anwendung, wenn das Gericht sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass die Darstellung des Täters über die Beteiligung anderer an der Tat zutrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 – 3 StR 561/08, NStZ 2009, 394 mwN), er mithin über den eigenen Tatbeitrag hinaus einen erheblichen Aufklärungsbeitrag geleistet hat. Der Zweifelsgrundsatz kommt ihm dabei nicht zugute (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 StR 154/88, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 7; Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 StR 309/02, NStZ 2003, 162; vom 27. November 2014 – 2 StR 311/14, NStZ-RR 2015, 77, 78). Wie aber ein Gericht unter (teilweiser) Verwertung einer an sich unverwertbaren Einlassung zu einer vollen tatgerichtlichen Überzeugung von deren Richtigkeit gelangen soll, soweit sie allein weitere Tatbeteiligte betrifft, erschließt sich nicht. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1970 – 2 StR 239/70; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn. 33; HK-GS/Jäger, 5. Aufl., StPO § 136a Rn. 43) gilt, sodass selbst bei einer den Angeklagten begünstigenden Berücksichtigung seiner Angaben ein Aufklärungserfolg im Sinne des § 31 BtMG über den eigenen Tatbeitrag hinaus grundsätzlich nicht bewirkt werden könnte. Auch die von der Verteidigung zitierte Literatur geht davon aus, dass mit unverwertbaren Beweismitteln kein „positiver Nachweis“ zu führen sei und sie nur die Überzeugungskraft anderer (belastender) Beweismittel erschüttern können sollen (MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn. 90). Dann sind in solchen Fällen aber regelmäßig allenfalls Aufklärungsbemühungen strafmildernd zu berücksichtigen; genau dies hat die Strafkammer getan.“

Beweiwürdigung bei Vorliegen einer DNA-Spur, oder: nicht tragfähige Erwägungen relativieren Beweiswert

© eyetronic Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Urt. v. 24.08.2022 – 6 StR 109/22 – auch vom BGH.

In dieser Entscheidung geht es (mal wieder) um die Beweiswürdigung in Zusammenhang mit einem DNA-Gutachten. Die Strafkammer hat den Angeklagten zum zweiten Mal vom Vorwurf des schweren Raubes aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen erneut die Revision des Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„1. Mit der zugelassenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, sich gemeinsam mit einem rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten Zutritt zu der Wohnung der Zeugin K. verschafft, diese mit einem Messer bedroht und ihr Mobiltelefon entwendet zu haben.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts drangen zwei Männer in die Wohnung der Zeugin K. ein, drohten ihr unter Vorhalt eines Messers an, ihr Schmerzen zuzufügen, wenn sie nicht ruhig sei, und durchsuchten ihre Wohnung nach Wertgegenständen. Schließlich verließen beide Männer die Wohnung fluchtartig, wobei sie das Mobiltelefon der Geschädigten mitnahmen und das Messer im Eingangsbereich der Wohnung verloren.

An der Schneide des Messers wurde eine vom Angeklagten stammende DNA-Spur sichergestellt, die wegen der Erkennbarkeit einer Hauptkomponente und ihrer Peakhöhen im Verhältnis zur Nebenkomponente wie eine Einzelspur bewertet worden ist. Sowohl am Griff des Messers als auch an dem Griff einer Schublade, die in einer Regalwand im Wohnzimmer der Geschädigten eingebaut war, wurde eine DNA-Mischspur gesichert, die der Angeklagte mitverursacht hatte.

b) Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte an der Tat beteiligt war. Dem liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Geschädigte habe den Angeklagten nicht als Täter wiedererkannt, und dessen Täterschaft werde auch durch die DNA-Spuren nicht belegt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei zwar bewiesen, dass der Angeklagte die drei DNA-Spuren mitverursacht habe. Daraus allein könne aber nicht auf eine Tatbeteiligung des Angeklagten geschlossen werden. Es sei möglich, dass die Spuren an der Klinge und am Griff des Messers bereits vor der Tat von dem Angeklagten aufgebracht worden seien, aber eine völlig fremde Person das Messer als Tatmittel eingesetzt habe, und in Bezug auf die Spur am Griff der Schublade sei eine „Sekundärübertragung“ den Ausführungen des Sachverständigen zufolge zwar „nicht unbedingt wahrscheinlich“, könne aber auch „nie ausgeschlossen“ werden.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Freispruch des Angeklagten zugrundeliegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn es überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt und eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen hat, ohne konkrete Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen können. Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen bzw. alternativen, für den Angeklagten günstigen Geschehensabläufen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 – 3 StR 288/19 Rn. 19 mwN). Dies gilt auch für die Bewertung von DNA-Spuren (BGH, Urteil vom 1. Juni 2017 – 3 StR 31/17).

b) Das Landgericht hat „das DNA-Spurenbild“ zwar zutreffend als „besonders gewichtiges Indiz“ für die Tatbeteiligung des Angeklagten angesehen (UA S. 38). Denn schon bei einem Seltenheitswert im Millionenbereich kann wegen der inzwischen erreichten Standardisierung der molekulargenetischen Untersuchung das Ergebnis der DNA-Analyse für die Überzeugungsbildung des Tatrichters dahin, dass die am Tatort gesicherte DNA-Spur vom Angeklagten herrührt, ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 StR 722/08, NStZ 2009, 285, 286; zum weiterentwickelten Forschungsstand vgl. Vennemann/Oppelt/Grethe/Anslinger/H. Schneider/P.M. Schneider, NStZ 2022, 72). Diesen Beweiswert hat das Landgericht aber durch nicht tragfähige Erwägungen relativiert. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die DNA-Spuren des Angeklagten an dem Messer nicht im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen und diejenigen an dem Schubladengriff im Wege einer Sekundärübertragung entstanden, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Das Landgericht hat insoweit vielmehr Zweifeln Raum gegeben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen.“

Beweiswürdigung beim Vergewaltigungsvorwurf, oder: Gesamtwürdigung bei Aussage-gegen-Aussage

© Dan Race Fotolia .com

In die neue Woche starte ich dann mit zwei BGH-Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Urt. v. 07.07.2022 – 4 StR 28/22 – zur Beweiswürdigung in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung. Das LG hat den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen die Revision der die Nebenklägerin, die Erfolg hatte.

„…. Die gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 401 Abs. 1 Satz 1 StPO zulässige Revision der Nebenklägerin hat Erfolg. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20; Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die auf die Sachrüge gebotene revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2022 – 2 StR 292/21 Rn. 7; Urteil vom 23. Juni 2021 – 2 StR 337/20 Rn. 6; BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15 Rn. 27 je mwN). Der Tatrichter hat alle wesentlichen, für und gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen und Beweisergebnisse, die Gegenstand der Hauptverhandlung waren, erschöpfend zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2022 – 2 StR 292/21 Rn. 9); dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern sind in eine umfassende Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12 Rn. 17). Gesteigerte revisionsgerichtliche Anforderungen an die Sachdarstellung und Erörterung der Beweislage bestehen in Fällen von „Aussage gegen Aussage“, wenn sich die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2008 – 5 StR 585/07 Rn. 9; Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 401/12 Rn. 8).

2. Hieran gemessen kann das Urteil keinen Bestand haben.

a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil die Strafkammer Beweisanzeichen, die für die Annahme eines nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs, einen erkennbar entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin und einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten sprechen, lediglich isoliert bewertet und nicht in eine Gesamtwürdigung eingestellt hat.

So hat das Landgericht dem Umstand, dass die Nebenklägerin einen in ihre Scheide eingeführten Tampon nicht für den Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten entnahm, nur dahingehend bewertet, dass dies nicht „eindeutig“ gegen einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr spreche. Die im Dammbereich der Nebenklägerin festgestellten flächigen Fissuren könnten auch bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr entstanden sein. Allein ihr Bestehen müsse damit nicht auf Unfreiwilligkeit hindeuten. Die kurz nach dem Geschehen abgegebenen Erklärungen der Nebenklägerin (mehrfache Angabe, vergewaltigt worden zu sein), ihr Erscheinungsbild (verstört, zitternd) und ihr weiteres Verhalten (Vorstellung in einer Frauenklinik zur anonymen Untersuchung) ließen keinen Rückschluss darauf zu, dass der Angeklagte den von ihm eingeräumten Geschlechtsverkehr vorsätzlich gegen ihren erkennbaren Willen vollzogen habe. Schließlich erlaube auch der Umstand, dass sich die Nebenklägerin in eine Therapie begeben habe und sie nach den glaubhaften Angaben ihrer Therapeutin an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, „nicht den zwingenden“ Schluss, dass sich das Geschehen entsprechend ihren Angaben abgespielt und der Angeklagte gegen ihren erkennbar entgegenstehenden Willen gehandelt habe.

Eine hiernach gebotene Erörterung, welche Bedeutung dem Vorliegen dieser verschiedenen Umstände insgesamt und in ihrer Häufung für die Überzeugung vom Vorliegen eines entgegenstehenden Willens und seiner Erkennbarkeit zukommt, hat die Strafkammer nicht vorgenommen. Die von der Strafkammer gewählten Formulierungen („nicht eindeutig“, „allein ihr Bestehen“, „nicht den zwingenden Schluss“) deuten vielmehr darauf hin, dass sie eine solche Gesamtwürdigung auch nicht erforderlich ansah.

b) Die Beweiswürdigung hinsichtlich eines entgegenstehenden Willens der Nebenklägerin und dessen objektiver Wahrnehmbarkeit ist auch deshalb lückenhaft, weil das Landgericht nicht die gesamte Aussage der Nebenklägerin bewertet und nicht mitgeteilt hat, welche ihrer Angaben zum äußeren Tatgeschehen von ihm für glaubhaft erachtet werden.

aa) Das Landgericht hat insoweit lediglich in den Blick genommen, dass die Nebenklägerin nicht anzugeben vermochte, wie laut sie nein gesagt habe, und dass sie hierzu weiter erklärte, es komme manchmal kein Ton raus, wenn man unter Schock stehe. Ein Ausweichen und Wegdrücken des Angeklagten habe die Nebenklägerin nicht näher zu beschreiben vermocht, als dass sie auf dem Bett nach hinten gerutscht sei und sich klein gemacht habe. Dem Umstand, dass die Nebenklägerin angeben habe, selbst nicht zu wissen, wie laut sie nein gesagt habe und in welcher Form sie sich konkret gewehrt habe, hat das Landgericht dabei besondere Bedeutung beigemessen, weil die Nebenklägerin bemüht gewesen sei, ihr Verhalten im Vorfeld des Geschlechtsverkehrs in tadellosem Licht erscheinen zu lassen. So habe sie die Unwahrheit gesagt, als sie sowohl einen Flirt auf dem Schützenfest mit einem Freund des Angeklagten als auch den Kuss mit dem Angeklagten auf der Couch im Wohnzimmer explizit ausgeschlossen habe.

bb) Diese Würdigung schöpft die Angaben der Nebenklägerin nicht aus. Vielmehr hätte die Strafkammer auch mitteilen müssen, ob und inwieweit sie die weiteren Angaben der Nebenklägerin für glaubhaft erachtet.

Die Nebenklägerin hat nämlich u. a. angegeben, in seinem Zimmer habe der Angeklagte eine Hand um ihre Taille gelegt und sie zu sich gezogen. Er habe versucht, sie zu küssen, wozu sie nein gesagt habe. Als er seinen Griff gelockert habe, sei sie vor dem Angeklagten zurückgewichen und auf das Bett gefallen. Als sich der Angeklagte auf sie gesetzt habe, habe sie ausweichen wollen. Als der Angeklagte ihre Hose geöffnet habe, habe sie ihre Gürtelschnalle festhalten wollen, was nicht funktioniert habe. Nachdem er die Hose heruntergezogen hatte, habe sie versucht, sich körperlich zu wehren, indem sie versucht habe, den Angeklagten wegzudrücken. Der Angeklagte sei mit Fingern und danach mit seinem Penis vaginal eingedrungen. Die Nebenklägerin habe die Beine aufgestellt und versucht, sich wegzudrehen. Der Angeklagte habe ihr Bein wie einen Hebel genutzt und sie in die Bauchlage umgedreht, bevor er von hinten vaginal in sie eingedrungen sei.

Damit hat die Nebenklägerin weitere Handlungen geschildert, die angesichts der Gesamtumstände – insbesondere auch des Geschlechtsverkehrs mit eingeführtem Tampon – als Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen herangezogen werden können. Ohne eine Bewertung des Wahrheitsgehaltes auch dieser Angaben ist die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe einen entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin nicht erkennen können, revisionsrechtlich nicht überprüfbar.

Manipulierter Pkw-Diebstahl und Beweiswürdigung, oder: Ist das „äußere Bild“ eines Diebstahls bewiesen?

Bild von Kris auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung zum manipulierten Schadensereignis geht es nicht um eine „Unfallmanipulation“, sondern um einen manipulierten Diebstahl. Aber auch hier spielen Beweiswürdigungsfragen eine Rolle.  Der Kläger hat das Fahrzeug von einem Zeugen Spp. im Mai 2017 erworben. Im Kaufvertrag wird der abgelesene Kilometerstand mit 10.200, die Erstzulassung am 27.10.2014 und der Kaufpreis mit 45.500,00 EUR angegeben. Der Kläger hat am Nachmittag des 03.12.2017 Strafanzeige wegen des Diebstahles seines Fahrzeuges bei der Polizei erstattet. Im April 2018 wurde das Fahrzeug in vollständig demontierten Zustand in Polen wieder aufgefunden. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 09.05.2018 ihre Eintrittspflicht ab.

Dagegen die Berufung des Klägers. Das OLG Dresden hat dazu im OLG Dresden, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 U 428/22 – also Verfahren nach § 522 ZPO – Stellung genommen, und fasst das in folgendem Leitsatz zusammen:

Kann der Versicherungsnehmer den Beweis des „äußeren Bildes“ durch Zeugen führen, kommt es auf seine eigene Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden, ist die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers entscheidend.

Im Einzelnenn führt das OLG allgemein aus:

„Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus der Kaskoversicherung vom 30.05.2017 zu. Dem Kläger ist der Beweis für einen bedingungsgemäßen Diebstahl des Fahrzeuges nicht gelungen.

Beim Fahrzeugdiebstahl kommen dem Kläger Beweiserleichterungen zugute. Er muss den Beweis für das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung erbringen. Der Beweis für das äußere Bild ist erbracht, wenn ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen, bewiesen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2002 – IV ZR 263/00 – juris; vgl. Senat, Urteil vom 04.09.2018 – 4 U 427/18 – juris). Dieses Mindestmaß wird in der Regel erfüllt, wenn bewiesen wird, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abgestellt, dort aber nicht wieder aufgefunden worden ist (vgl. BGH, a.a.O.; vgl. Senat a.a.O.). Für das äußere Bild ist der Vollbeweis nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechtes erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.1999 – IV ZR 172/98 – juris). Kann der Kläger den Beweis durch Zeugen führen, kommt es auf seine Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden und kann sich der Kläger nur auf seine eigenen Angaben stützen, so ist seine Glaubwürdigkeit entscheidend (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2002 – IV ZR 263/00 – juris).“

Wegen der Einzelheiten der Beweiswürdigung verweise ich dnan auf den verlinkten Volltext.

BtM II: Nochmals Täterschaft/Teilnahme beim Handel, oder: Anforderungen an die Beweiswürdigung

Bild von Nattanan Kanchanaprat auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung heute dann noch einmal eine zu Täterschaft und Teilnahme beim Handel mit Betäubungsmitteln. Das OLG Stuttgart nimmt im OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2022 – 4 Rv 25 Ss 983/21 – dazu und vor allem zur Beweiswürdigung Stellung.

Die Angeklagten sind vom LG u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat (zumindest vorläufig) auch in der Sache Erfolg. Denn die Strafkammer hat die Annahme mittäterschaftlichen Handelns nicht hinreichend begründet.

1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Zu deren Überprüfung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt in der Lage. Es hat die tatrichterliche Würdigung grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Fehler enthalten. Solche sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist oder wenn sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, sondern es genügt, dass sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen aber ergeben, dass alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind und überdies erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen nicht lediglich Vermutungen sind, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (BGH, Urteil vom 10. April 2019 — 1 StR 646/18, juris Rn. 12). Weiter muss der Tatrichter zwar nicht jede theoretisch denkbare, den Umständen nach jedoch fern-liegende Möglichkeit der Fallgestaltung berücksichtigen. Er muss aber die in Betracht kommenden Beweise erschöpfend würdigen und darf deshalb von mehreren naheliegenden tatsächlichen Möglichkeiten nicht nur eine in Betracht ziehen und die anderen außer Acht lassen (BGH, NJW 1974, 2295).

2. Von diesen Maßstäben ausgehend hält die Beweiswürdigung des Landgerichts der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder als Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 — 1 StR 180/21, juris Rn. 4). Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt Mittäterschaft in subjektiver Hinsicht eine eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit voraus, die bloße Förderung fremden Eigennutzes genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. September 2021 — 4 StR 70/21, juris Rn. 8).

b) Diese Voraussetzungen sind in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend belegt. Weder werden einzelne Tatbeiträge des Angeklagten erörtert, noch hat sich die Jugendkammer erkennbar mit der Frage der Tatherrschaft befasst. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich auch nicht, dass der Angeklagte eigennützig handelte. Zudem fehlt eine Auseinandersetzung mit der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit, dass es sich um Drogengeschäfte der Mitangeklagten pp., bei der ausweislich der Urteilsfeststellungen bereits seit 2013 eine Drogenproblematik besteht, handelte und der Angeklagte zwar von derartigen Ge-schäften wusste, ohne selbst mit Betäubungsmitteln zu handeln.

aa) Stattdessen wird lediglich darauf abgestellt, dass die Angeklagten in einer Einzimmerwohnung leben und eine feste Beziehung führen. Die Annahme, es gebe deshalb keine festen Zeiten, in denen zumindest eine Person nicht in der Wohnung ist, weshalb ein unbemerktes Bestellen oder Annehmen von Sendungen unwahrscheinlich sei, ist nicht durch Tatsachen belegt. Auch gibt es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass Paare ihre Zeit ganz überwiegend oder gar durchgehend gemeinsam verbringen.

Überdies hätte es auch keiner regelmäßigen Abwesenheiten eines der Angeklagten bedurft, um die insgesamt fünf bestellten Päckchen in Empfang zu nehmen, lässt sich der Eingang solcher Sendungen doch anhand des Bestellzeitpunktes und der inzwischen bei allen gängigen Paketdienstleistern möglichen Sendungsverfolgung durchaus präzise vorhersehen, sodass ohne größeren Aufwand Vorkehrungen für eine unbemerkte Entgegennahme getroffen werden können.

bb) Weiter legt die Strafkammer nicht konkret dar, weshalb es aufgrund der wohnlichen Situation ausgeschlossen sein soll, unbemerkt Päckchen zu lagern. Aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern der Wohnung ergibt sich dies nicht. Vielmehr lässt die über-schaubare Menge der bestellten Betäubungsmittel eine heimliche Lagerung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen. Außerdem hätte auch die Möglichkeit bestanden, einmal in Empfang genommene Betäubungsmittel später andernorts zu lagern.

cc) Auch der von der Strafkammer herangezogene Marihuanakonsum der beiden Angeklagten belegt die angenommene Mittäterschaft nicht. Die Bezugsquelle der konsumierten Betäubungsmittel ist unbekannt, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass nur einer der Angeklagten das Marihuana bezog und der Partnerin bzw. dem Partner anschließend den (Mit-)Konsum ermöglichte.

Zudem wurden vorliegend auch Ecstasy-Tabletten und Amphetamine bestellt; in Bezug auf diese Betäubungsmittel ergeben sich aus dem eigenen Konsumverhalten der Angeklagten keine Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft.

dd) Auch die Verwendung des Klarnamens der Mitangeklagten pp. im Fall 4 bzw. des An-geklagten im Fall 5 begründet mittäterschaftliches Handeln nicht. Es liegt jedenfalls nicht fern, dass sich einer der beiden Angeklagten lediglich mit der Verwendung der Klarnamen einverstanden erklärte, ohne dabei selbst eigennützig zu handeln. Auch insoweit hätte eine Abgrenzung zur Beihilfe erfolgen müssen…..“