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StGB II: Die „Bunte Blüte“ vertreibt CBD-Produkte, oder: Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung nicht

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Die zweite Entscheidung kommt auch aus dem BtM-Bereich. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 16.01.2023 – 5 StR 269/22. Das ist die BGH-Entscheidung zum Vertrieb von CBD-Produkten.

Das LG hatte die Angeklagten, es handelte sich um den Geschäftsführer und Vertriebsleiter, zwei Mitarbeiter und zwei nicht mit dem operativen Geschäft befasste Teilhaber der Unternehmergesellschaft (UG) „Bunte Blüte“. Dieses Unternehmen vertrieb Bestandteile von Cannabispflanzen mit einem geringen Gehalt von rauscherzeugendem THC und einem hohen Gehalt des nicht berauschenden Wirkstoffs CBD, also sog. CBD-Produkte in kleinen Portionen zu 2 bzw. 5g über Verkaufsstellen und im Online-Handel.

Im Januar 2019 führte einer der Angeklagten gut 3 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen mit gut 5 Gramm THC aus der Schweiz nach Deutschland ein. Am darauffolgenden Tag wurden im Geschäftssitz des Unternehmens ungefähr 2,4 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen und etwa 1 Kilogramm einer cannabishaltigen Zubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt rund 5,5 Gramm THC verwahrt. Ferner bestellte einer der Angeklagten in Luxemburg knapp 7,5 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen, die einen Gehalt von gut 9 Gramm THC aufwiesen. Das Paket wurde jedoch am 19. Februar 2019 in Berlin vom Zoll entdeckt und beschlagnahmt, sodass es die „Bunte Blüte“ UG nicht erreichte.

Das LG hat die Angeklagten vom Vorwurf der bandenmäßigen Einfuhr und des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln freigesprochen. Begründung: Zwar handelet es sich bei den CBD-Produkten um Betäubungsmittel gehandelt. Den Angeklagten sei aber in subjektiver Hinsicht kein strafrechtliches Fehlverhalten nachzuweisen. Sie hätten weder erkannt noch fahrlässig verkannt, dass die gehandelten CBD-Produkte zu Rauschzwecken missbraucht werden könnten und daher dem BtMG unterfielen.

Der BGH hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Er beanstandet die Beweiswürdigung des LG als rechtsfehlerhaft. Die umfangreichen Ausführungen dazu stelle ich hier nicht ein, sondern Beschränkung mich auf den Versuch einer Zusammenfassung. Der BGh moniert im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Die Strafkammer habe sich schon nicht mit der Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Angeklagten auseinandergesetzt, sondern sie lediglich wörtlich wiedergegeben und ohne nähere Prüfung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.
  • Das LG habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, dass die Angeklagten damit geworben haben, die verkauften CBD-Produkte hätten entgegen der „Behauptung einiger selbst ernannter Experten, Polizisten und Richter“ keine Rauschwirkung.
  • Und: Er hat beanstandet, dass die Strafkammer keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und etwaigen Vorstrafen der Angeklagten getroffen hat, obwohl sich aus denen nach seiner Auffassung ggf. Anhaltspunkte dafür hätten ergeben können, dass die Angeklagten die BtM-Eigenschaft der gehandelten CBD-Produkte erkannten oder hätten erkennen können.

Also: Auf ein Neues.

StGB I: BGH zu „neuen psychoaktiven Stoffen“, oder: Wann beginnt die „nicht geringe Menge“?

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Heute stelle ich dann drei StGB-Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.12.2022 – 3 StR 372/21, der für die Verteidigung in BtM-Verfahren von Interesse sein dürfte. Der BGH hat Stellung genommen zur „nicht geringen Menge“ bei „neuen psychoaktiven Stoffen“, also wohl bei sog. „Designerdrogen“.

Dazu meint er – m.E. reicht hier der amtliche Leitsatz:

„Es beginnt die nicht geringe Menge der „neuen psychoaktiven Stoffe“
– 2-Fluormetamfetamin (2-FMA) bei 10 Gramm 2-FMA-Base,
– 4-Fluormetamfetamin (4-FMA) bei 10 Gramm 4-FMA-Base und
– 3-Methylmethcathinon (3-MMC) bei 25 Gramm 3-MMC-Base.

BtM III: Minder schwerer Fall des Handeltreibens?, oder: „BtM sind in den Verkehr gelangt….“

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Und zum Tagesschluss dann noch der BGH, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 StR 367/22.

Das LG hat bei einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge bei der Prüfung eines minder schweren Falles eine Formulierung benutzt, die dem BGh nicht so ganz gefällt. Aber letztlich setzen sich seine Bedenken nicht durch:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Zwar ist die Formulierung des Landgerichts hinsichtlich der Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Blick auf § 46 Abs. 3 StGB bedenklich, wenn es im Rahmen der Gesamtabwägung bei der Prüfung eines minder schweren Falls abschließend ausführt, dass „ein Großteil des Marihuanas, nachdem es nicht sichergestellt werden konnte, offensichtlich in den Verkehr“ (UA S. 28) gelangt sei. Jedoch hat die Strafkammer – wie dies aus der nachfolgenden Begründung ersichtlich ist – damit lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass im Gegensatz zu dem Fall, bei der die Eigenkonsummenge abgeurteilt worden ist, eine Sicherstellung des Rauschgifts nicht erfolgt ist.

BtM II: Besitz von BtM und Beleidigung eine Tat?, oder: Enger sachlicher Bezug der Beleidigung zum Besitz

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Der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 2 StR 368/21 – liegt auch eine Verurteilung u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zugrunde. Der BGH hat das Verfahren insoweit wegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit eingestellt:

„1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am 17. Juli 2018 gegen 21.40 Uhr in einer Gemeinschaftsunterkunft in A. insgesamt 136 Gramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 11,32% in Besitz, 134,65 Gramm davon in seiner Unterhose und den Rest in dem allein von ihm bewohnten Zimmer.

Hinsichtlich von damit im (zeitlichen) Zusammenhang stehenden Beleidigungen von Polizeibeamten stellte die Strafkammer (ergänzend) fest, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten mit Anklage vom 17. Januar 2019 wegen Beleidigung in zwei Fällen angeklagt und ihm dabei folgenden Sachverhalt zur Last gelegt hatte:

„Am 17.7.2018 zwischen 22.24 Uhr und 22.28 Uhr beleidigte der Angeschuldigte in der Gemeinschaftsunterkunft in A.   die PM’in M. mit den Worten: „Du Pisser, ich ficke Dich, ich ficke dein Leben“, um seine Missachtung auszudrücken.

In der Folge, nämlich zwischen 22.30 und 23.18 Uhr, beleidigte der Angeschuldigte ebenda in A. den PM S. mit den Worten: „Du Wichser, ich hole Dich, verpiss dich du Affe“, um seine Missachtung auszudrücken.“

Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts hatte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. März 2019 dieses Verfahren eröffnet und den Angeklagten nach Durchführung der Hauptverhandlung mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 28. März 2019 unter anderem auch wegen Beleidigung in zwei Fällen verurteilt. Der Verurteilung legte das Amtsgericht folgenden Sachverhalt zugrunde:

„Am 17.7.2018 fand in den Abendstunden vor der Gemeinschaftsunterkunft in A. ein Polizeieinsatz statt, nachdem die Polizei seitens des Wachschutzes über Drogenkonsum informiert worden war. Während die Beamten PM’in M. und PM S. gegen 22.25 Uhr vor dem Haus eine Personenkontrolle durchführten, kam der Angeklagte hinzu, wobei er den Beamten gegenüber aggressiv auftrat. Gegenüber der Zeugin M. äußerte er: „Du Pisser, ich ficke dich! Und kurze Zeit später: „Ich ficke dein Leben, ich arbeite mit Bande.“ Er ging zunächst in die Gemeinschaftsunterkunft, kam aber etwa 10-15 Minuten später wieder aus dem Gebäude zurück. Nun fiel den Beamten eine deutliche Beule in seiner Hose und Marihuanageruch auf, weswegen sie sich zu einer Durchsuchung entschlossen. Der Angeklagte wurde wieder aggressiv, schrie Beleidigungen und wedelte mit den Armen, worauf er schließlich zu Boden gebracht wurde. Bei der folgenden Durchsuchung fanden die Zeugen 250 Gramm Marihuana versteckt in der Unterhose des Angeklagten. Während der Maßnahme äußerte er gegenüber dem Zeugen S. „Du Wichser, ich hole Dich. Verpiss dich du Affe“.

2. Die Annahme des Landgerichts, der Aburteilung stehe kein Verfahrenshindernis entgegen, da die (nicht rechtskräftige) Verurteilung des Amtsgerichts Apolda vom 28. März 2019 unter anderem wegen zwei Beleidigungen von Polizeibeamten eine andere prozessuale Tat betreffe, hält einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Jedenfalls die zweite Beleidigung, die nach den amtsgerichtlichen Feststellungen während der Durchsuchung des Angeklagten zur Auffindung von Betäubungsmitteln erfolgt ist, bildet mit dem im landgerichtlichen Verfahren im Raum stehenden Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine prozessuale Tat (§ 264 StPO).

a) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46; Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 79/06, NStZ-RR 2006, 317; Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 1 StR 273/15, NJW 2016, 1747). Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20, NStZ-RR 2020, 377, 378; vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 170/19, NStZ 2021, 120, 121; Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46).

b) Gemessen daran ist hinsichtlich des im Rahmen der Durchsuchung festgestellten Besitzes von Betäubungsmitteln und der dabei begangenen zweiten Beleidigung unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Konkurrenz von einer prozessualen Tat auszugehen. Dafür spricht nicht nur der nahe zeitliche und räumliche Zusammenhang beider Taten, sondern auch der enge sachliche Bezug der Beleidigung zu der Durchsuchung (vgl. KG StV 2020, 578 zur Annahme einer prozessualen Tat bei Beleidigung eines Polizeibeamten nach Anhalten eines Verkehrsteilnehmers zur Eröffnung eines Ordnungswidrigkeitenvorwurfs). Dabei ist es für die Annahme einer prozessualen Tat nicht erforderlich, dass der Angeklagte damit etwa die Entdeckung des Besitzes von Betäubungsmitteln verhindern wollte. Dass der Angeklagte auch bei anderen Gelegenheiten Polizeibeamte beleidigte, hebt den festgestellten Zusammenhang zwischen Durchsuchung und Beleidigung im konkreten Fall nicht auf. Ein anderes Ergebnis stellte sich insoweit als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlich zu betrachtenden Lebensvorgangs dar.

3. Die Rechtshängigkeit des amtsgerichtlichen Verfahrens, das wie festgestellt dieselbe prozessuale Tat betrifft, führt zu einem Verfahrenshindernis für das landgerichtliche Verfahren hinsichtlich der Tat in II.1 der Urteilsgründe.

a) Die Sache ist insoweit am 13. März 2019 durch Eröffnung des Hauptverfahrens beim Amtsgericht anhängig geworden. Dies führte zum Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit, das es ausschließt, dass wegen derselben Tat gegen denselben Beschuldigten ein anderes Verfahren durchgeführt wird (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO; 65. Aufl., § 156, Rn. 1; § 207, Rn. 13). Die Rechtshängigkeit des – zeitlich gesehen – ersten Verfahrens ist damit Verfahrenshindernis für das zweite Verfahren, das gar nicht eröffnet werden darf und dann, wenn es trotzdem eröffnet worden ist, eingestellt werden muss (BGHSt 22, 185, 186; vgl. auch BGHSt 22, 232, 235). Dies gilt auch noch im Revisionsverfahren (BGHSt 22, 232, 235).

b) Dass das Landgericht (als zur Entscheidung über die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 28. März 2019 zuständiges Gericht) mittlerweile mit Beschluss vom 7. April 2022 das Verfahren auch hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Durchsuchung erfolgten Beleidigung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt hat, ist für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung. Denn dies ändert nichts daran, dass das Landgericht sich des vor ihm erhobenen Vorwurfs des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge niemals hätte annehmen dürfen. Im Übrigen ist das Landgericht (als Berufungsgericht) nicht gehindert, das Verfahren ggf. wiederaufzunehmen (§ 154 Abs. 5 iVm § 154 Abs. 4 StPO).“

BtM I: Besitz von BtM setzt Besitzwillen voraus, oder: Allein Kenntnis/Billigung der Lagerung keine Beihilfe

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Und heute dann ein „BtM-Tag“ 🙂 , also ein Tag mit Entscheidungen zu BtM.

Zunächst hier das BGH, Urt. v. 08.12.2022 – 5 StR 351/22. Das LG hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Der Bruder des Angeklagten brachte Mitte August 2021 etwa 2.620 Gramm Marihuana mit knapp 220 Gramm THC, fast 3.420 Gramm Haschisch mit gut 1.050 Gramm THC und rund 272 Gramm Kokain mit circa 226 Gramm CHC in das Gästezimmer der Wohnung des Angeklagten, um die Betäubungsmittel für den sukzessiven gewinnbringenden Weiterverkauf zu lagern. Er hatte das Zimmer früher zeitweilig bewohnt und verfügte noch über einen Wohnungsschlüssel. Aufgrund dessen konnte er die in zwei Sporttaschen, einer karierten Einkaufstasche, einer Kunststofftüte und drei Plastiktüten verstauten Betäubungsmittel in die Wohnung bringen, ohne dass der Angeklagte hiervon Kenntnis erlangte. Nachdem dieser auf die im Gästezimmer gelagerten Drogen aufmerksam geworden war, bat er seinen Bruder, sie wegzuschaffen. Dieser sagte zu, der Bitte nachzukommen, sobald er einen anderen Lagerort gefunden habe. Der Angeklagte „nahm dies hin, wobei er seinem Bruder zu verstehen gab, dass eine weitere Lagerung im Gästezimmer allenfalls noch für eine kurze Zeit bzw. wenige Wochen in Betracht komme, um seinen Bruder zu einem zügigen Herausschaffen der Betäubungsmittel aus der Wohnung zu bewegen.“ Auch im weiteren Verlauf inspizierte der Angeklagte die Sportaschen und die Einkaufstüte nicht und fasste sie nicht an. Aufgrund des Geruchs nahm er an, dass es sich bei den Drogen um größere Mengen Marihuana handelte. Von den weiteren Betäubungsmittelarten und den Mengen blieb er in Unkenntnis. Die zum Verkauf bestimmten Betäubungsmittel und weitere fast 19 Gramm Marihuana mit rund  1,9 Gramm THC, die der Angeklagte für den Eigenkonsum unterhalb des Couchtisches im Gästezimmer verwahrte, wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung am 2. September 2021 sichergestellt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Blick auf das zu seinem Eigenkonsum bestimmte Marihuana wegen Besitzes von Betäubungsmitteln für schuldig befunden. Im Übrigen habe ihm kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden können. Ein Besitz an den im Gästezimmer gelagerten Drogen seines Bruders sei nicht gegeben, denn der Angeklagte habe mit ihnen „zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise umgehen oder sie in seiner Wohnung“ haben wollen. Eine Beihilfe zum Handeltreiben seines Bruders durch ein Tun scheide aus, weil er „keine aktive Hilfe“ zum Betäubungsmittelhandel seines Bruders geleistet habe; für eine Verurteilung wegen einer Beihilfe durch Unterlassen fehle es an einer Garantenstellung des Angeklagten.

Dazu meint der BGH:

„1. Entgegen der Auffassung der Revision ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von einer Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge abgesehen hat.

a) Besitz im Sinne des Betäubungsmittelrechts setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten. Besitzer im betäubungsmittelrechtlichen Sinne ist dabei nicht nur ein Eigenbesitzer. Auch ein Fremdbesitzer, der die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen ausübt und keine eigene Verfügungsgewalt in Anspruch nehmen will, besitzt die Betäubungsmittel; das gilt insbesondere für den Verwahrer (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2022 – 1 StR 75/22 Rn. 7; vom 18. November 2021 – 3 StR 131/21 Rn. 9).

b) Gemessen daran hält die rechtliche Würdigung des Landgerichts der Nachprüfung stand. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht mit Recht einen Besitzwillen des Angeklagten verneint. Zwar „nahm“ der Angeklagte danach ausdrücklich „hin“, dass sein Bruder „jedenfalls … größere Mengen Marihuana“ – wenn auch nur für eine kurze Zeit – im Gästezimmer seiner Wohnung aufbewahrte. Dies allein genügt aber nicht für die rechtliche Wertung, er sei Besitzer der Betäubungsmittel gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 1 StR 75/22 Rn. 8). Ein Verhalten des Angeklagten, das über die bloße Billigung der kurzzeitigen Lagerung in der Wohnung hinausging, hat das Landgericht nicht festgestellt, vielmehr aber gewichtige gegen einen Besitzwillen des Angeklagten sprechende Umstände: Die Betäubungsmittel wurden ohne seine Kenntnis in seine Wohnung gebracht. Sein Bruder verfügte über einen eigenen Schlüssel zu der Wohnung und ging dort selbständig ein und aus; er konnte daher jederzeit ohne die Mitwirkung des Angeklagten auf die Drogen zugreifen. Der Angeklagte ließ die Betäubungsmittel, die größtenteils in nicht einsehbaren Taschen verpackt waren, unangetastet und drängte seinen Bruder dazu, sie zügig aus der Wohnung zu schaffen. Dem Umstand, dass er mit seinem Bruder über die kurzzeitige Fortdauer der Lagerung der Drogen im Gästezimmer der Wohnung sprach und sie nicht nur stillschweigend hinnahm, kommt unter diesen Umständen kein entscheidendes Gewicht zu. Soweit die Revision anführt, der Besitzwille ergebe sich daraus, dass der Angeklagte sich ausdrücklich dazu bereit erklärte, „die Drogen für seinen Bruder … zu verwahren“, löst sie sich von den Urteilsfeststellungen. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe mit Betäubungsmitteln „zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise umgehen oder sie in seiner Wohnung haben“ wollen, und aufgrund dessen einen (Eigen- oder Fremd-) Besitzwillen des Angeklagten verneint hat.

3. Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung auch stand, soweit das Landgericht sich an einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gehindert gesehen hat.

Das Landgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass allein die Kenntnis und Billigung der Lagerung von Betäubungsmitteln in der Wohnung ohne eine irgendwie geartete, die Handelstätigkeit objektiv fördernde Unterstützungshandlung nicht die Voraussetzungen der strafbaren Beihilfe erfüllt  (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 6 StR 227/20 Rn. 3, StV 2021, 423).

a) Einen derartigen Unterstützungsbeitrag des Angeklagten durch positives Tun hat es indes nicht festgestellt. Insbesondere lässt sich den Urteilsfeststellungen keine auf die künftige Billigung des Rauschgifthandels in der Wohnung bezogene Zusage des Angeklagten entnehmen, die als psychische Unterstützung der Taten des Mitangeklagten gewertet werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 4 StR 459/15 Rn. 4; siehe zur Abgrenzung auch BGH, Urteil vom 25. April 2017 – 5 StR 106/17 Rn. 5, NStZ-RR 2017, 219, 220). Anders als die Revision meint, lässt sich eine solche auch nicht darin erblicken, dass der Angeklagte bei der Hinnahme der Fortdauer der Lagerung der Betäubungsmittel seinem Bruder zu verstehen gab, dies komme allenfalls noch für eine kurze Zeit in Betracht, um ihn zu deren zügigen Beendigung zu bewegen. Denn diesem Verhalten mangelt es an der – für die Annahme einer psychischen Beihilfe notwendigen – objektiv fördernden Funktion für das Handeltreiben seines Bruders und einer entsprechenden Willensrichtung des Angeklagten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 206/11 Rn. 3, NStZ 2012, 316 f.). Dies wird durch folgende Überlegung bestätigt: Hätte der Angeklagte die Fortdauer der Lagerung stillschweigend hingenommen, wäre dies keine Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gewesen. Gelangte man unter den gegebenen Umständen zu einer gegenteiligen Bewertung, hätte sich der Angeklagte nur deshalb bestraft gemacht, weil er bei der Hinnahme der Fortdauer der Lagerung ausdrücklich auf deren zügige Beendigung hingewirkt hat. Dies würde jedoch zu einem Wertungswiderspruch führen, weil derjenige, der stillschweigend die zeitlich unbegrenzte Lagerung von Betäubungsmitteln in seiner Wohnung hinnimmt, besserstünde als derjenige, der bei der Hinnahme dieses Zustandes zusätzlich (ausdrücklich) auf dessen baldige Beendigung hinwirkt.

b) Eine Beihilfe durch Unterlassen setzt eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB voraus. Eine solche liegt hier nicht vor. Denn ein Wohnungsinhaber hat grundsätzlich nicht die Rechtspflicht, gegen ein von ihm bemerktes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Dritte in seiner Wohnung einzuschreiten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 445/20 Rn. 48; Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 6 StR 227/20 Rn. 5, StV 2021, 423).“