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OWi III: Besteht ausreichender Masernimpfschutz?, oder: Bußgeldbewehrte Nachweispflicht ok?

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Im dritten Posting dann eine Entscheidung, die nicht eine OWi im Straßenverkehr zum Gegenstand hat. Es geht im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.09.2024 – 2 ORbs 340 SsBs 461/24 (2) – vielmehr (noch einmal) um die Verfassungsmäßigkeit der bußgeldbewehrten Nachweispflicht über einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern.

Gegen die Betroffene, die sorgeberechtigt für ihren 17-jährigen Sohn ist, welcher eine Schule in L. besucht, wurde mit Bußgeldbescheid eine Geldbuße von 300 EUR verhängt, weil sie zwei vorangegangenen Aufforderungen des Gesundheitsamtes vom 20.06.2023 und vom 20.07.2023 zur Vorlage eines Nachweises über den Schutz ihres Sohnes gegen Masern bzw. einer förmlichen Bescheinigung über die Impfkontraindikation bis zum Ablauf der ihr eingeräumten Frist bis zum 13.08.2023 keine Folge geleistet hatte. Dagegen der Einspruch der Betroffenen, der keinen Erfolg hatte. Das AG hat die Betroffene verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„3. Der Senat erachtet die Regelungen in § 20 Abs. 8, 9, 12 und 13 IfSG i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG nicht für verfassungswidrig, weshalb eine Aussetzung des Verfahrens bis zu einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht geboten war bzw. nicht in Betracht kam (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24 -, BeckRS 2024, 9725 Rn. 8; VG Berlin, Beschluss vom 11.09.2023 – 14 L 231/23 -, BeckRS 2023, 25560 Rn. 11 f.; OVG Münster, Beschluss vom 22.07.2022 – 13 B 1466/21 -, BeckRS 2022, 18468 Rn. 33 f.).

Zwar beeinträchtigen die genannten Regelungen in § 20 IfSG sowohl die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1GG) des betroffenen Kindes als auch das Recht der Eltern zur Erziehung, das auch Gesundheitssorge für das Kind umfasst, aus Art. 6 Abs. 2 S.1 GG. Diese Eingriffe sind jedoch – nach Auffassung des Senats auch im Falle schulpflichtiger Kinder – verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

a) Dass die genannten Bestimmungen des IfSG formell verfassungsgemäß sind, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. -, NJW 2022, 2904 Rn. 84 ff. bei juris).

b) Nach Auffassung des Senats sind die mit der Nachweispflicht und der bei einem Verstoß vorgesehenen Bußgeldbewehrung verbundenen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des betroffenen Kindes und in das Erziehungsrecht der Eltern verhältnismäßig, auch wenn lediglich Kombinationsimpfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken erhältlich sind (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 98). Dies gilt auch dann, wenn das betroffene Kind der Schulpflicht unterliegt (im Anschluss an BayObLG, Beschluss vom 28.03.2024, a.a.O.).

aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen zur Nachweispflicht über eine erfolgte Masernschutzimpfung den verfassungsrechtlich legitimen Zweck, einen verbesserten Schutz insbesondere solcher vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung zu erreichen, die regelmäßig in Gemeinschaftseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen, ohne sich selbst aus medizinischen Gründen durch eine Impfung schützen zu können. Zugleich soll die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindert werden, was eine ausreichend hohe Impfquote in der Gesamtbevölkerung erfordert (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 103 ff.).

bb) Die für Schüler bzw. deren Eltern geltende Pflicht, eine ausreichende Immunisierung gegen Masern nachzuweisen, ist auch geeignet, die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen, denn verfassungsrechtlich genügt für die Eignung bereits die Möglichkeit, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O., Rn. 112 – 115; BVerfG, NJW 2022, 1999, Rn. 166).

cc) Die Pflicht, bei Betreuung in einer Schule oder in einer sonstigen Gemeinschaftseinrichtung eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen ist sowohl zum Schutz der einzelnen dort Betreuten als auch zum Schutz der Bevölkerung insgesamt vor einer Maserninfektion im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O., Rn. 116 ff.; BVerfG NJW 2022, 1999 Rn. 187).

dd) Die bußgeldbewehrte Nachweispflicht über einen ausreichenden Masernimpfschutz ist nach Auffassung des Senats nicht nur im Falle von Kindern vor Schuleintritt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O.) angemessen und verhältnismäßig im engeren Sinn, sondern auch bei schulpflichtigen Kindern (so auch BayObLG, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2024 – 13 B 1280/23 -, juris, Rn. 21 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 15.09.2023 – VG 14 L 210/23).

(1) Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2022 (a.a.O.) lässt sich nicht entnehmen, dass es die Regelung für Schulkinder wegen fehlender Entscheidungsfreiheit für verfassungswidrig hält, denn die Regelungen für Schulkinder waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Eingriff in das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und in das Elternrecht aus Art. 6 GG im Falle von Kindern vor Schuleintritt dadurch abgemildert werde, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufhöben, weil sie die Möglichkeit hätten, auf die Betreuung ihrer Kinder in einer Gemeinschaftseinrichtung zu verzichten, um der Nachweispflicht zu entgehen. Diese Freiheit haben Eltern schulpflichtiger Kinder grundsätzlich nicht (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2024, a.a.O., Rn. 21 ff.). Auf der anderen Seite gilt aber nach der gesetzlichen Regelung gegenüber schulpflichtigen Kindern bei Nichtvorlage eines Impfnachweises weder ein gesetzliches Betreuungsverbot (§ 20 Abs. 9 S, 6 und 9 IfSG) noch kann das Gesundheitsamt ein Betretensverbot aussprechen (§ 20 Abs. 12 S. 5 IfSG). Eine Durchsetzung der Impfpflicht mit Zwangsmitteln kommt ebenso wenig in Betracht (vgl. BT-Drs. 19/13452, S. 27).

(2) Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen in § 20 Abs. 8 ff. den legitimen Zweck, eine Infektion der in Gemeinschaftseinrichtungen untergebrachten Kinder, die dort regelmäßig ohne nennenswerten Abstand aufeinandertreffen, und der dort tätigen Personen mit dem Masernvirus so weit wie möglich zu vermeiden. Im Falle von Kindern, die in Schulen betreut werden, trifft den Staat eine besondere Schutzpflicht auch und gerade gegenüber den – ebenfalls schulpflichtigen – Kindern und deren Angehörigen, bei denen aus gesundheitlichen Gründen eine Impfung kontraindiziert ist und bei denen sich deshalb ein Schutz vor den Folgen einer Infektion nur über eine sogenannte „Herdenimmunität“ erreichen lässt. Es besteht daher ein hohes öffentliches Interesse an einem den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entsprechenden Impfschutz der Bevölkerung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O.), der, sofern keine medizinische Kontraindikation vorliegt, auch grundsätzlich dem Kindeswohl entspricht (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O. Rn. 136 ff.). Denn die Masernimpfung bietet einen hocheffektiven, lebenslang wirksamen Schutz und die eingesetzten Kombinationsimpfstoffe (gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken) sind langjährig erprobt und verlaufen zumeist komplikationslos (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 138).

(3) Die zwangsweise Durchsetzung der Nachweispflicht der Sorgeberechtigten greift damit zwar in nicht unerheblicher Weise in das Elternrecht ein. Die Nachweispflicht stellt aber zur Durchsetzung der dargestellten legitimen Ziele des Staates vor dem Hintergrund des gleichzeitigen bewussten Verzichts des Gesetzgebers auf eine mit Zwangsmaßnahmen durchsetzbare Impfpflicht und – bei schulpflichtigen Kindern – auf ein Betreuungs- bzw. Betretensverbot im Falle der Nichtvorlage des Nachweises die einzige Möglichkeit dar, auf eine positive Impfentscheidung der Personensorgeberechtigten hinzuwirken. Ohne eine solche Nachweispflicht, die im Einzelfall durchaus mit erheblichen finanziellen Nachteilen für die Sorgeberechtigten im Falle der Nichterfüllung der Nachweispflicht und damit mit einer faktischen Zwangswirkung einhergeht, liefe die Masernimpfpflicht an Schulen weitgehend ins Leere. Aus diesem Grund erweist sich die Regelung, die dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit aller in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder dienen soll, gerade im Hinblick auf das hohe Infektionsrisiko innerhalb einer Schule, wo regelmäßig eine Vielzahl von Kindern ohne größere Abstände aufeinandertreffen, als verhältnismäßig im engeren Sinne und damit als verfassungsgemäß.

4. Die Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen des IfSG zur Nachweispflicht der Sorgeberechtigten über einen bestehenden Masernimpfschutz ihres Kindes oder über eine bestehende medizinische Kontraindikation entbindet die Bußgeldbehörde freilich nicht von der Verpflichtung, im Einzelfall zu prüfen, ob dem Betroffenen die Vorlage des angeforderten Nachweises aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist oder ob sich ggf. die Verhängung eines Bußgeldes im Einzelfall als unverhältnismäßig erweisen könnte.

a) Dass der Betroffenen die Vorlage eines Impfnachweises oder eines Nachweises über eine bestehende Kontraindikation objektiv unmöglich gewesen wäre, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

aa) Wenn im Einzelfall – wie im Falle der Betroffenen – kein vorlegbarer Impfnachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 und 2 IfSG existiert, führt dies nicht dazu, dass die Vorlageverpflichtung „schlechterdings unerträglich, also mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen unvereinbar“ (BVerwG, Beschluss vom 21.01.2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 10 m.w.N.) und damit nichtig oder mit einem Bußgeld nicht zu sanktionieren wäre. Denn ihr Zweck besteht gerade darin, eine Anstoßwirkung auch in solchen Fällen zu erzielen, in denen ein Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 S. 1 IfSG von den Verpflichteten zwar bisher nicht beschafft wurde, dies aber noch nachgeholt werden könnte (vgl. VGH München, Beschluss vom 15.01.2024 – 20 Cs 23.1910, 20 CE 23.1935 -, BeckRS 2024, 644 Rn. 15; vgl. auch OLG Karlsruhe, Senat, Beschluss vom 26.09.2023 – 2 ORbs 35 Ss 235/23 -, BeckRS 2023, 25901 zur einrichtungsbezogenen Corona-Impfnachweispflicht).

bb) Soweit die Betroffene einwendet, sie sei auch deshalb an der Vorlage eines Impfnachweises gehindert gewesen, weil ihr 17-jähriger Sohn, dem gemäß § 630d BGB ein Mitspracherecht zustehe, einer Impfung nicht zugestimmt habe, begründet dies jedenfalls im vorliegenden Fall keine Unmöglichkeit der geforderten Handlung. Aus den Urteilsgründen ergibt sich zwar, dass der Sohn der Betroffenen – nach ihren vom Amtsgericht für glaubhaft erachteten Angaben – eine Impfung nicht gewollt habe. Zugleich ist aber auf der Grundlage des Geständnisses der Betroffenen festgestellt, dass sie von vornherein keinen Versuch unternommen hat, ihrer elterlichen Pflicht nachkommend, auf ihren Sohn entsprechend erzieherisch einzuwirken. Vielmehr hat sich die Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts, weil sie selbst die Impfung aus grundsätzlichen Erwägungen wegen möglicher schwerer Impfschäden ablehnte, von Anfang an allein um eine ärztliche Impfunfähigkeitsbescheinigung bemüht, ohne aber ihren Sohn zu diesem Zwecke tatsächlich ärztlich auf eine der Impfung entgegenstehende Grunderkrankung oder eine Impfunverträglichkeit untersuchen oder sich und ihren Sohn ärztlich beraten zu lassen.

…“

KCanG I: Gesetzesänderung nach Berufungs-Urteil, oder: Schuldspruchänderung und mildere Strafe

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Und heute dann mal wieder KCanG. Es haben sich einige Entscheidungen angesammelt, nichts Besonderes, aber ich stelle sie der Vollständigkeite halber dann doch vor.

Hier kommt dann zunächst der KG, Beschl. v. 17.05.2024 – 3 ORs 32/24 – schon etwas älter, aber er ist jetzt erst „geliefert“ worden. Es geh noch einmal um eine Schuldspruchänderung bei Gesetzesänderung nach Berufungsentscheidung.

Das AG hat den Angeklagten mit Urteil vom 30.11.2022 unter Freispruch im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen gemäß §§ 1 Abs. 3, 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG, 53 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Auf die vom Angeklagten eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts Urteil vom 28.08.2023 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte pp. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Dagegen nun die Revision, über die dann das KG entschieden hat. Das KG hat das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen (§§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, 53 StGB) verurteilt ist, und im Strafausspruch aufgehoben und dann zurückverwiesen.

Hier reichen nur die Leitsätze zu der Entscheidung, nämlich:

1. Im Verhältnis zu § 29 Abs. 3 BtMG ist § 34 Abs. 3 BtMG das mildere Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB.

2. Eine Gesetzesänderung ist in jeder Lage des Verfahrens – vom Revisionsgericht jedenfalls auf die allgemeine Sachrüge – zu berücksichtigen.

3. Ist eine den Angeklagten im anzuwendenden Strafrahmen begünstigende Rechtsänderung nach Erlass des Berufungsurteils eingetreten, führt dies zur Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung.

4. Da das mildere Gesetz als Ganzes anzuwenden ist, führt dies – auch im Falle einer an sich nach § 318 StPO wirksamen Beschränkung der Berufung – zur Aufhebung Schuldspruchs.

5. Im Falle einer wirksamen Berufungsbeschränkung kann der Schuldspruch durch das Revisionsgericht neu gefasst werden.

KCanG I: Einfuhr und Handeltreiben von Cannabis oder: Gewinnbringende Einfuhr und milderes Gesetz

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Und heute geht es weiter mit Entscheidungen zum (neuen) KCanG. Ich beginne mit zwei BGH-Entscheidungen aus der Flut von Entscheidungen, die auf der Homepage des BGH veröfentlicht werden.

Hier kommt zunächst der BGH, Beschl. v. 16.07.2024 – 5 StR 296/24, der sich noch einmal zu den Konkurrenzen äußert. Das LG hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge einen Teilerfolg, nämlich dahingehend, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in vier Fällen schuldig ist und die der Strafausspruch aufgehoben wird:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der Angeklagte in der Zeit vom 5. April bis zum 21. Mai 2023 im Großraum B. in vier Fällen Marihuana im Kilogrammbereich und brachte es (selbst) als aufgegebenes Gepäck auf Linienflügen nach Deutschland, um es hier zeitnah gewinnbringend zu verkaufen. Mit den so erzielten Erlösen wollte er seinen aufwendigen Lebensstil und den Eigenkonsum von Kokain und Marihuana finanzieren. Konkret handelte der Angeklagte in den Fällen II.1 und II.2 mit 8 kg (10 % THC), im Fall II.3 mit 7,5 kg (10 % THC) und im Fall II.4 mit 10,32 kg (13,6 bis 17,8 % THC) Marihuana, welches im Fall II.4 sichergestellt wurde, bevor es in den Verkehr gelangte. In den ersten drei Fällen erzielte er Erlöse in Höhe von insgesamt 82.250 Euro.

2. Der Senat hat den Schuldspruch auf Handeltreiben mit Cannabis ( § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG ) umgestellt.

a) Da sich die Taten ausschließlich auf Cannabis im Sinne von § 1 Nr. 8 KCanG beziehen, ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB die seit dem 1. April 2024 geltende (BGBl. I 2024 Nr. 109) und hier mildere Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 4 , Abs. 3 KCanG zur Anwendung zu bringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 – 5 StR 1/24; vom 24. April 2024 – 5 StR 136/24 und zur nicht geringen Menge: Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 ; vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 ; Urteil vom 24. April 2024 – 5 StR 516/23 ). Der Schuldspruchänderung steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insoweit nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Dagegen kommt eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Einfuhr von Cannabis ( § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG ), wie vom Generalbundesanwalt beantragt, nicht in Betracht.

Die Einfuhr von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG , die wie hier dem gewinnbringenden Umsatz dient, geht als unselbständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf (Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 92, 108; zu § 29 Abs. 1 BtMG ; vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 35/13 ; vom 1. März 2007 – 3 StR 55/07 ; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 534).

Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn sich die Einfuhrhandlungen zum Zwecke des Handeltreibens – so wie hier – auf eine nicht geringe Menge beziehen ( § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG ).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verbindet der Handel mit Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes unterhalb des Grenzwertes der nicht geringen Menge ( § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ) die im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes aufeinander folgenden Teilakte, insbesondere auch den Teilakt der unerlaubten Einfuhr, zu einer einzigen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80 , BGHSt 30, 28 ff. ; vom 10. Mai 2005 – 3 StR 133/05 , NStZ 2006, 172 f.; vom 5. März 2013 – 1 StR 35/13 ; ebenso für das Verhältnis zwischen bandenmäßiger Einfuhr und bandenmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: BGH, Beschlüsse vom 24. März 2020 – 4 StR 523/19 ; vom 24. Oktober 2007 – 2 StR 232/07 ; vom 3. Februar 1998 – 4 StR 631/97 ).

Demgegenüber wird dann, wenn sich Einfuhr und Handeltreiben (oder Beihilfe hierzu) auf Betäubungsmittel in nicht geringer Menge beziehen, zwischen § 30 Abs. 1 Nr. 4 und § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Tateinheit angenommen (vgl. BGH, Urteile vom 24. November 1982 – 3 StR 384/82 , BGHSt 31, 163, 165 f. ; vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93 , BGHSt 40, 73 ; vom 3. April 2008 – 3 StR 60/08 Rn. 5; Beschlüsse vom 5. März 2013 – 1 StR 35/13 ; vom 22. Mai 2014 – 4 StR 223/13 Rn. 11; vom 7. November 2007 – 1 StR 366/07 , NStZ-RR 2008, 88, Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29a Rn. 159). Grund ist die gegenüber § 29a Abs. 1 BtMG höhere Strafandrohung des § 30 Abs. 1 BtMG . Insoweit hatte der Bundesgerichtshof nach Inkrafttreten des Betäubungsmittelgesetzes vom 28. Juli 1981, durch welches die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, anders als zuvor, als Verbrechen qualifiziert wurde ( § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ), entschieden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in abstrakt generalisierender Weise als die gegenüber dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schwerere Straftat bewertet worden sei, was im Schuldspruch hervorgehoben werden müsse. Daneben bedürfe es auch des Ausspruchs, dass der Täter in Tateinheit mit § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG wegen des gegenüber der Einfuhr umfassenderen – zusätzlich andere Verhaltensweisen erfassenden – Vergehens des Handeltreibens zu bestrafen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1982 – 3 StR 384/82 , BGHSt 31, 163, 165 f. ). An dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof auch nach Einführung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl. I 1302) wegen der gleichwohl noch höheren Strafandrohung für die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ( § 30 Abs. 1 BtMG ) festgehalten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93 , BGHSt 40, 73 ).

Das KCanG sieht hingegen keinen höheren Strafrahmen für eine Einfuhr von Cannabis vor. Denn beide Begehungsvarianten ( § 34 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KCanG ) werden vom Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG , das pauschal auf Handlungen gemäß § 34 Abs. 1 KCanG verweist, einheitlich erfasst.

Eine parallele Handhabung der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses wie im Betäubungsmittelgesetz hinsichtlich der Tatbestände der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ( § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ) und dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ( § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ), zwischen denen nach herrschender Meinung Tateinheit besteht (vgl. nur BGH, Urteile vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93 , BGHSt 40, 73 ; vom 24. November 1982 – 3 StR 384/82 , BGHSt 31, 163 ), kommt deshalb nicht in Betracht.

Der Senat ist nicht gehindert, in diesem Sinne zu entscheiden; der Durchführung eines Verfahrens gemäß § 132 Abs. 3 GVG bedarf es nicht. Soweit der erste Strafsenat mit Beschluss vom 11. Juni 2024 – 1 StR 190/24 ein Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert hat, dass der dortige Angeklagte unter anderem wegen Handelreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Einfuhr von Cannabis schuldig sei, folgt daraus eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG nicht. Denn eine solche muss sich immer aus den Entscheidungsgründen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Oktober 1986 – 2 StR 193/86 , BGHSt 34, 184, 189 f. ; Urteil vom 29. September 1987 – 4 StR 376/87 , BGHSt 35, 60, 65 ; MüKo-StPO/Cierniak/Pohlit, 1. Aufl., § 132 GVG Rn. 7; LR/Mosbacher, 27. Aufl., § 132 GVG Rn. 35 mwN). Das ist hier nicht der Fall, weil im genannten Beschluss kein Sachverhalt mitgeteilt und das angenommene Konkurrenzverhältnis (Tateinheit) nicht begründet wird. Entsprechendes gilt für den Beschluss des ersten Strafsenats vom 14. Mai 2024 – 1 StR 154/24 -, wobei sich dieser schon insoweit vom vorliegenden Fall unterscheidet, als der Schuldspruch in Anpassung an das KCanG (neben anderen Änderungen) zu einer tateinheitlichen Verurteilung wegen Handeltreibens mit Cannabis und Anstiftung zur Einfuhr von Cannabis führte.

c) Der Angeklagte ist daher (nur) wegen Handeltreibens mit Cannabis in vier Fällen schuldig ( § 34 Abs. 1 Nr. 4 , Abs. 3 Nr. 4 KCanG ). Dass sich die Taten jeweils auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar ( § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG ), der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN).“

Und dann noch der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – 3 StR 167/24 – zur Frage des milderen Gesetzes. Der BGH hat teilweise aufgehoben. Er verlangt in diesem Fall wegen der Gesetzesänderung einer neuen Bewertung des Tatgerichts dahin, ob es aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis für gegeben hält und damit das KCanG Anwendung findet oder ob dies nicht
der Fall ist und bei erneuter Annahme eines minder schweren Falls des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für den hier zu beurteilenden Sachverhalt weiterhin das Betäubungsmittelgesetz maßgeblich bleibt. Bitte dazu selbst nachlesen.

KCanG I: Schuldspruchanpassung versus Verteidigung, oder: Einschränkung der Strafbarkeit ist „Freigrenze“

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Es ist mal wieder so weit: Heute gibt es Entscheidungen, die mit dem KCanG zusammenhängen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 12.06.2024 – 1 StR 105/24 – eine der vielen Entscheidungen des BGH aus der letzten zeit zum CanG oder zum KCanG. Das LG hat den Angeklagten wegen verschiedener Verstöße gegen das BtMG verurteilt (wegen der Einzelheiten des umfangreichen LG-Tenors verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Nach den Feststellungen des LG entschloss sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr oder Sommer 2022, sich zur Finanzierung seines eigenen Cannabiskonsums durch den Gewinn bringenden Verkauf von Cannabis eine „auf Dauer angelegte, erhebliche“ Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei arbeitete er mit einem nicht identifizierbaren Freund dergestalt zusammen, dass er diesem jeweils die Hälfte des erworbenen Marihuanas übergab, welches der Freund – wie der Angeklagte wusste – zur Hälfte seinerseits Gewinn bringend weiterveräußerte, zur anderen Hälfte selbst konsumierte. Den ihm verbleibenden Teil des Marihuanas und das nur für seine Zwecke erworbene Haschisch veräußerte der Angeklagte zum überwiegenden Teil; den Rest konsumierte er selbst. Das LG hat dann im Einzelnen insgesamt (mindestens) fünf Taten festgestellt.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung.

1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO zu berücksichtigen hat. Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang des Angeklagten mit Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern allein dem – grundsätzlich milderen – Konsumcannabisgesetz (s. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 3 ff.).

a) Einer Schuldspruchanpassung durch den Senat (§ 354 Abs. 1 StPO analog) steht § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Der Angeklagte hätte sich möglicherweise gegen den aufgrund der bisherigen Feststellungen nach dem Konsumcannabisgesetz zu fassenden Schuldspruch wirksamer als bislang geschehen verteidigen können. Denn anstelle des unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des zum Eigenkonsum erworbenen Cannabis angeklagten und ausgeurteilten Tatbestandes des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kommt nach neuer Rechtslage der Tatbestand des Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) in Betracht, mithin eine andere Handlungsform, die überdies gegenüber dem Besitz von Cannabis eine niedrigere Freigrenze vorsieht und sich damit als für den Angeklagten ungünstiger erweist.

aa) Zwar entsprechen die unter Strafe gestellten Handlungsformen des Konsumcannabisgesetzes weitgehend denen des Betäubungsmittelgesetzes (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Auch ist hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Bewertung grundsätzlich auf die bisherige Rechtslage abzustellen (BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 5), weshalb in der Regel einer Schuldspruchanpassung durch das Revisionsgericht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegenstehen wird. Eine abweichende Bewertung kann indes in den Fällen veranlasst sein, in denen sich der Umgang mit Cannabis auf eine nicht geringe Menge bezieht. Denn das Betäubungsmittelgesetz unterstellt in dem Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nur die Handlungsformen des Handeltreibens, Herstellens, Abgebens und Besitzens einem höheren Strafrahmen. Dies hat u.a. zur Folge, dass die lediglich nach dem Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG strafbaren Handlungsformen des Erwerbens und Sich-Verschaffens hinter dem spezielleren Tatbestand des Besitzes in nicht geringer Menge zurücktreten (vgl. Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 215). Demgegenüber sieht das Konsumcannabisgesetz für den – nicht qualifizierten (§ 34 Abs. 4 KCanG) – Umgang mit Cannabis in nicht geringer Menge keinen Qualifikationstatbestand, sondern ein alle in § 34 Abs. 1 KCanG unter Strafe gestellte Handlungsformen erfassendes Regelbeispiel vor.

Dies führt in den Fällen, in denen das Tatgericht unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes zwar einen Erwerb von Cannabis in nicht geringer Menge zum Eigenkonsum festgestellt, jedoch gemessen an vorstehend dargestellten Maßstäben den Besitztatbestand nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgeurteilt hat, dazu, dass nach dem Konsumcannabisgesetz anstelle des Besitzes eine andere Handlungsform – hier der Erwerb von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) – in Betracht kommt.

bb) So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in den Fällen II.1. bis II.4. der Urteilsgründe Marihuana in nicht geringer Menge (auch) zum Eigenkonsum. Gemessen an vorstehenden Maßstäben ist daher nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte in Kenntnis der abweichenden rechtlichen Bewertung wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen und eine einheitliche rechtliche Bewertung zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil auch im Fall II.5. der Urteilsgründe auf.

2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf Folgendes hingewiesen:

a) Sollte das neue Tatgericht abermals Feststellungen dahin treffen, dass der Angeklagte seinem Freund die tatsächliche Herrschaft über zuvor erworbenes und in Empfang genommenes Cannabis zum Eigenkonsum überließ, kommt anstelle des Tatbestandes der Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Tatbestand der Abgabe von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 7 KCanG) in Betracht.

b) Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).

aa) Für dieses Verständnis ist zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen. Denn die Formulierung „mehr als“ … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeutet lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn die jeweils genannte Menge überschritten ist. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergibt sich hieraus indes nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folgt nichts Anderes. Nach § 2 KCanG ist der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten.

bb) Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprechen hierfür; insbesondere führt die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber hat in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teilt die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret hat leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel hat, ist jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten hat (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen – mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen – dienen sollen, sind die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

c) Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 Rn. 27). Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.“

Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“