Archiv der Kategorie: StGB

Klimaaktivisten: Straßenblockade als Nötigung, oder: Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Die zweite Entscheidung befasst sich dann noch einmal mit einer Straßembockade durch sog. Klimakleber.

Das BayObLG ist im BayObLG, Beschl. v. 11.12.204 – 203 StRR 250/24 – von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen haben die vier Angeklagten gemeinsam mit weiteren gesondert verfolgten Personen am 22.02.2022 ab 7:20 Uhr den Verkehr während der morgendlichen Hauptverkehrszeit auf der Abfahrt Westring der Bundesautobahn A 73 in Fahrtrichtung Nürnberg blockiert. Ohne eine Versammlung anzumelden, haben die zur Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ gehörenden Angeklagten die dort vorhandenen beiden Rechtsabbiegerspuren und die Linksabbiegerspur dadurch blockiert, dass sie sich mit jeweils einer Hand auf der Straße auf Höhe der Fussgängerfurt der Jansenbrücke festklebten. Um ihrem Anliegen, die Regierung zur Verabschiedung eines „Essen-Retten-Gesetzes“ zu veranlassen, größtmögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, verhinderten die Angeklagten und ihre Mittäter von 7:20 Uhr bis etwa 8:20 Uhr die Durchfahrt von zumindest 18 namentlich genannten Verkehrsteilnehmern. Die Angeklagte W. wurde um 8:36 Uhr von der Fahrbahn gelöst, der Angeklagte S. um 8:38 Uhr. Vollständig freigegeben konnte die Straße für den Verkehr erst wieder um 9:37 Uhr.“

Dagegen die Revision mit der die Verfahrensrüge und die Sachrüge erhoben worden ist. Wegen der Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge, die keinen Erfolg hatte, komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück. Die Sachrüge hatte einen Teilerfolg. Das LG war von 18 Fällen der Nötigung ausgegangen, das BayObLG sieht nur 15 Fälle. Daher ist insoweit aufgehoben worden und dann natürlich auch der Rechtsfolgenausspruch.

Da auch diese Entscheidung umfangreich begründet ist, stelle ich die Begründung hier nicht ein, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Zur Sache hat das BayObLG seinem Beschluss folgende Leitsätze gegeben:

1. Die Teilnahme an gezielten Verkehrsblockaden zum Zweck des Protests gegen den Klimawandel kann nach § 240 StGB strafbar sein. Zur Feststellung der Verwerflichkeit bedarf es dabei einer an den Umständen des Einzelfalls orientierten Abwägung.

2.  Im Hinblick auf die sog. „Zweite Reihe“-Rechtsprechung des BGH muss das Tatsachengericht Feststellungen dazu treffen, ob die an der Weiterfahrt gehinderten Verkehrsteilnehmer in der ersten Reihe vor den Demonstrationsteilnehmern oder in einer der folgenden Reihen standen. Nach der Rechtsprechung des BGH kommen nur die an der Weiterfahrt gehinderten Verkehrsteilnehmer in der zweiten und den folgenden Reihen als Geschädigte in Betracht.eit ihres Handelns.

Corona: Falsche Dokumentation von Coronaimpfung, oder: Verstoß gegen § 74 Abs. 2 IFSG

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Und dann am Montag zum Wochenstart zwei StGB-Entscheidungen zu Themen, die uns in den letzten Jahren besonders beschäftigt haben.

Da ist hier zunächst der BGH, Beschl. v. 4 StR 75/24, der sich noch einmal mit der Coronapandemie befasst.

Das LG hatte den Angeklagten wegen unrichtiger Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen, davon in 190 Fällen in Tateinheit mit dem Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte.

Das LG hat – so führt der BGH aus – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte ist approbierter Arzt und betreibt in R. eine Privatarztpraxis mit Schwerpunkt Naturheilverfahren. Ungeachtet seiner Skepsis gegenüber Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ließ er sich als „Impfarzt“ registrieren und bezog ab Juni 2021 in großem Umfang Impfstoffe.

Entsprechend seines jeweils zuvor gefassten Tatentschlusses „bescheinigte“ der Angeklagte im Zeitraum vom bis zum in 207 Fällen bewusst wahrheitswidrig seinen Patienten auf deren Wunsch die Durchführung einer Impfung gegen das Coronavirus, ohne eine solche tatsächlich vorgenommen zu haben. Dabei trug er im Wissen darum, dass eine Impfung tatsächlich nicht von ihm vorgenommen worden war, das vermeintliche Datum der Impfung, den vermeintlich verwendeten Impfstoff (Spikevax von Moderna, Comirnaty von Biontech oder Janssen von Johnson & Johnson) in den jeweiligen Impfausweis der Patienten ein bzw. klebte den entsprechenden Chargenaufkleber in den Impfausweis; die jeweilige Eintragung versah er mit einem Stempel seiner Praxis sowie seiner Unterschrift. In sämtlichen Fällen handelte er in der Absicht, seinen Patienten die Vorlage einer Impfdokumentation zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen. In einigen Fällen bescheinigte der Angeklagte auf Wunsch seiner Patienten auch die Impfung von Familienangehörigen, die in der Praxis des Angeklagten gar nicht vorstellig geworden waren.

Das Landgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten als unrichtige Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen gemäß § 74 Abs. 2 IfSG gewertet und in den nach Inkrafttreten des § 278 StGB nF begangenen 190 Fällen tateinheitlich den Straftatbestand des § 278 Abs. 1 StGB als verwirklicht angesehen, weil der Angeklagte zugleich zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausgestellt hat.“

Der BGH sagt:

„Der Schuldspruch wegen unrichtiger Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die beweiswürdigend belegten Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 IfSG. Die wissentlich wahrheitswidrige Dokumentation einer tatsächlich nicht durchgeführten Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine impfberechtigte Person, die zur Täuschung im Rechtsverkehr erstellt wird, erfüllt den Straftatbestand des § 74 Abs. 2 IfSG.

Und das begründet der BGH dann im Einzelnen recht umfangreich. Ich stelle die Begründung hier nicht ein, sondern verweise auf den Volltext. Wer noch Interesse an dem Thema hat, der kann es ja dort nachlesen.

Verkehrsrecht III: Entziehung der FE nach 9 Monaten, oder: Verstoß gegen des Verhältnismäßigkeitsgebot

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Und dann noch der LG Hamburg, Beschl. v. 05.08.2024 – 612 Qs 67/24  – ebenfalls zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach längerem Zeitablauf nach der Anlasstat.

Das AG hat dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort vorläufig entzogen. Dagegen dann die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten durch das Amtsgericht Hamburg stellt sich im vorliegenden Fall mit Blick auf die Verfahrensdauer als nicht mehr verhältnismäßig dar.

a) Es besteht indes der dringende Tatverdacht, dass der Beschuldigte eine Straftat nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen hat.

…..

3. Der Beschuldigte ist nach vorläufiger Würdigung der Beweislage auch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Dies folgt aus der vorliegend einschlägigen und nicht widerlegten Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in Verbindung mit § 142 StGB.

…..

4. Die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht Hamburg genügt jedoch mit Blick auf die Verfahrensdauer nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufzuheben, wenn durch schwerwiegende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens eintritt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.02.2006 – Az. 1 Ws 119/06, Rn. 21, juris). Dies gilt insbesondere für eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens, die den Beschuldigten sodann in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren verletzt (BVerfG, Beschluss vom 15.03.2005 – 2 BvR 364/05, NJW 2005, 1767 (1768)). Es sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Darüber hinaus ist grundsätzlich in den Blick zu nehmen, dass wenn der Beschuldigte nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitz seiner Fahrerlaubnis ist und beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilnimmt, sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis wächst, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert (zum Ganzen: KG, Beschluss vom 08.02.2017 – Az. 3 Ws 39/17, BeckRS 2017, 113772).

Gemessen an diesen Maßstäben stellt sich die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend als nicht mehr verhältnismäßig dar.

Dabei ist die erhebliche, gegen das Beschleunigungsgebot verstoßende Verfahrensdauer zwischen der hochwahrscheinlich begangenen Tat und den ersten Maßnahmen der Strafermittlungsbehörden in den Blick zu nehmen. Die Tat wurde seitens der Zeugin pp. durch eine E-Mail ihres Rechtsanwaltes pp. am 20.09.2023 dem Polizeikommissariat 43 zur Kenntnis gebracht (Bl. 5 ff. d.A.). Als nächstes Schriftstück befindet sich ein Schreiben des Rechtsanwalts pp. vom 13.11.2023 in der Akte, in dem dieser mitteilt, dass die Akte nicht mehr benötigt werde (Bl. 11 d.A.). In der Akte folgt sodann ein Vermerk der Polizeidienststelle VD 42 vom 09.04.2024, in dem mitgeteilt wird, dass die Sachbearbeitung übernommen wurde. Demzufolge sind fast sieben Monate vergangen, ohne dass ersichtliche Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Der Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erging sodann am 16.06.2024 (Bl. 31 d.A.) und damit mehr als neun Monate nach der hochwahrscheinlich begangenen Tat, was bereits für sich genommen in erheblicher Spannung zum Charakter des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO als Eilmaßnahme steht.

Hinzu kommt, dass der Beschuldigte zumindest laut der in der Akte befindlichen Auskunft des Kraftfahrbundesamtes vom 07.05.2024 seit der hochwahrscheinlich begangenen Tat am 05.09.2023 beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, wodurch neben der langen Verfahrensdauer zusätzlich Vertrauen in den – zumindest vorläufigen – Bestand der Fahrerlaubnis beim Beschuldigten entstanden ist.“

Tja, vielleicht ein Phyrrussieg? Einerseits sicherlich sehr schön die Aufhebung, andererseits macht das LG aber – an sich nicht notwendige – Ausführungen zur Tat und zur Beweiswürdigung, die das AG – je nach Einlassung des Beschuldigten – wahrscheinlich mit Freuden lesen wird. Denn da kann es ggf. schän „abschreiben“.

Verkehrsrecht II: Vorläufige Entziehung der FE, oder: Nach längerem Zeitablauf erhöhte Anforderungen

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Und im zweiten Posting dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2024 – 2 Ws 355/24 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. zur Aufhebung eines entsprechenden Beschlusses, der im Berufungsverfahren ergangen war.

Der Angeklagte war durch Urteil des AG vom 25.03.2024 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, begangen am 10.04.2023, zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Zuvor hatte weder die Staatsanwaltschaft mit dem Strafbefehlsantrag vom 05.10.2023 einen Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gestellt, noch hatte das AGmit der Urteilsverkündung einen solchen Beschluss erlassen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das AG-Urteil Berufung eingelegt und der Angeklagte Revision. Der seit dem Eingang am 10.06.2024 mit dem Berufungsverfahren am LG befasste Vorsitzende der Strafkammer hat den Angeklagten, seinen Verteidiger und die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 26.07.2024 auf die in Betracht kommende vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hingewiesen. Er hat zunächst von einer Entscheidung nach § 111a StPO abgesehen und mit Verfügung vom 04.09.2024 Termin zur Hauptverhandlung am 18.11.2024 bestimmt. Mit Verfügung vom 30.09.2024 hat die Staatsanwaltschaft dann beantragt die (schweizerische) Fahrerlaubnis für das Bundesgebiet vorläufig zu entziehen. Aufgrund einer unvorhergesehenen Operation des Vorsitzenden wurde der Hauptverhandlungstermin mit Verfügung vom 12.11.2024 auf den 27.01.2025 verlegt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.11.2024 wurde die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die zulässige Beschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet.

Zwar hat das Landgericht im Hinblick auf die erstinstanzlichen Feststellungen in dem Urteil vom 25.03.2024 mit zutreffenden Ausführungen angenommen, dass weiterhin dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass dem Angeklagten gemäß §§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 69a Abs. 1, 69b Abs. 1, 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB auch in der Berufungsentscheidung die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird.

Liegt – wie hier – ein mit der Berufung angefochtenes Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die zu treffende Beschwerdeentscheidung zwar keine Bindungs- aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht auf Grund der durchgeführten Hauptverhandlung über eine größere Sachnähe und bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann.

Indes hat das Landgericht im Hinblick auf die Frage des nach § 111a StPO notwendigen vorläufigen Sicherungsbedürfnisses den Zeitablauf seit dem Tatvorwurf vom 10.04.2023 bis zu der angefochtenen Entscheidung am 13.11.2024 von über 18 Monaten nicht ausreichend gewürdigt. Die Frage des vorläufigen Sicherungsbedürfnisses nach diesem längeren Zeitablauf seit der Tat wurde in der angefochtenen Entscheidung nur formelhaft mit einem Satz begründet.

Zwar rechtfertigt ein längerer bloßer Zeitablauf nicht zwangsläufig die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel sei im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 1 Ws 513/07 -, NZV 2008, 47; KG Berlin, Beschluss vom 8. Februar 2017, – 3 Ws 39/17 -, juris). Auch das Bundesverfassungsgericht hat keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO im Einzelfall der Sicherheit des Straßenverkehrs der Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der zu beobachtenden Verfahrensverzögerung eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. März 2005 – 2 11/R 364/05 -, juris).

Wenngleich eine Fahrerlaubnis auch noch mit Erhebung der Anklage oder später noch in der Berufungsinstanz vorläufig entzogen werden kann, sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Bleibt dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nimmt nach Aktenlage beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wächst sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 1. April 2011 – 3 Ws 153/11 -, juris).

Der Zeitablauf zwingt damit zu einer besonders sorgfältigen Prüfung, ob dem Angeklagten nun unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden kann. Insoweit konnte vorliegend zunächst nicht übersehen werden, dass der vom Amtsgericht für angemessen erachtete Zeitraum der Sperrfrist von nur sechs Monaten zwischenzeitlich rechnerisch um das Dreifache überschritten wäre. Zudem resultiert die Verfahrensverzögerung im vorliegenden Fall nicht etwa aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten (vgl. auch zu einer Anordnung nach § 111a StPO nach 16 Monaten aufgrund einer verteidigungsbedingten Verzögerung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Oktober 2021 -1 Ws 153/21 -, juris). Da die Berufungskammer nach der Einholung des negativen schweizerischen Strafregistereintrages weit über ein Jahr nach der Tatbegehung zunächst mit der Terminierung der Hauptverhandlung am 04.09.2024 zwei Monate später auf den 18.11.2024 keine Veranlassung für ein zeitnahes Sicherungsbedürfnis gesehen hat, rechtfertigt die bloße Verlegung des Hauptverhandlungstermins und die damit einhergehende weitere Verzögerung um etwa zwei Monate, die wiederum nicht der Sphäre des Angeklagten geschuldet ist, kein dringendes vorläufiges Sicherungsbedürfnis.“

Verkehrsrecht I: Steinewerfen auf Linienbus, oder: Rücktritt vom (unbeendeten) versuch.

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Heute seit längerem dann mal wieder ein Verkehrsrechtstag. Ich merke am „Eingang“ von Entscheidungen zu der Thematik, dass es dort im Moment recht ruhig ist, im OWi-Bereich übrigens auch. Heute habe ich dann aber mal wieder drei Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht, die ich vorstellen kann.

Zunächst kommt hier der BGH, Beschl. v. 08.10.2024 – 4 StR 318/14. In dem hat der BGH sich mit der Frage befassen müssen, ob das Werfen von Steinen auf einen Linienbus die Voraussetzungen für einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bzw. eine versuchte gefährliche Körperverletzung erfüllt hat.

Nach den Feststellungen des LG war dem Angeklagten die Beförderung in einem Linienbus wegen seiner Verweigerung des pandemiebedingten Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes verwehrt worden. Daraufhin warf er aus Rache für den Busverweis jeweils einen etwa faustgroßen Stein gegen die fahrenden Linienbusse. Hierzu lauerte der mit dem Streckenverlauf vertraute Angeklagte der Rückkehr des Busses nach Passieren des Wendepunktes auf. In einem Fall betrat er plötzlich die Fahrbahn und warf den Stein von vorn gegen die Frontscheibe im Bereich des Sichtfeldes des Busfahrers des ihm mit einer Geschwindigkeit von mindestens 20 km/h entgegenkommenden Busses, wodurch die Scheibe splitterte. In einem anderen Fall warf der „seitlich stehende“ Angeklagte den Stein gegen die vordere rechte Seitenscheibe des sich ihm mit der gleichen Mindestgeschwindigkeit nähernden Busses, so dass der Stein die Scheibe durchschlug, gegen die Fahrerkabine prallte und von dort auf den Boden fiel. Durch die Steinwürfe kam es zu Sachschäden, wobei sich beim Wurf von der Seite fahrdynamische Kräfte auf die Schadensentstehung nicht auswirkten. In beiden Fällen konnten die den Bus steuernden Personen ihre Fahrzeuge gefahrlos zum Stehen bringen. Diese und Passagiere blieben unversehrt. Anschließend lief der Angeklagte weg.

Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen, hiervon in einem Fall versucht, jeweils in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt: Der BGH hat das LG-Urteil aufgehoben, weil das LG die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt nicht geprüft habe:

„Der festgestellte Sachverhalt lässt ausdrückliche Ausführungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227) gänzlich vermissen. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Darlegungen zum Vorstellungsbild drängten sich hier aber schon deshalb auf, weil nach dem mitgeteilten Sachverhalt der Busfahrer bzw. die Busfahrerin infolge des Schadensereignisses den von ihnen geführten Bus gefahrlos zum Stehen brachten, ohne dabei die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Daher bleibt offen, ob die jeweiligen Körperverletzungsversuche und zudem der Versuch des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II.2.c) der Urteilsgründe fehlgeschlagen, unbeendet oder beendet waren. Dies durfte indes nicht dahinstehen, da im Fall eines unbeendeten Versuchs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB bereits das freiwillige Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen als Rücktrittsleistung für eine Strafbefreiung ausreichend wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 – 4 StR 82/24 Rn. 7; Beschluss vom 15. Januar 2020 – 4 StR 587/19 Rn. 5 mwN).

3. Der dargelegte Rechtsfehler führt in beiden Fällen zur Aufhebung des Schuldspruchs, die sich auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen (vollendeten) schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II.2.b) der Urteilsgründe erstreckt. Dies zieht die Aufhebung der deswegen verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe nach sich.“

Nun ja, ich weiß. Es ist nicht unbedingt eine verkersrechtliche Problematik, die der BGH behandeln musste. :-).