Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Fortdauer der U-Haft? Ja, aber nur, wenn noch verhältnismäßig…

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Vor einigen Jahren hat das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen „Pflöcke eingehauen“ im Bereich der Rechtsprechung zur U-Haft. Die Flut von Entscheidungen zu der Thematik ist ein wenig abgeflaut, die Rechtsprechung  zum Beschleunigungsgrundsatz scheint bei den Instanzgerichten angekommen zu sein.

Na ja, dann doch nicht so ganz, wie dann aber immer wieder noch BVerfG-Entscheidungen beweisen. So der BVerfG, Beschl. v. 04.06.2012 – 2 BvR 644/12, der zu einer Entscheidung des OLG Dresden ergangen ist.

Was allerdings immer wieder noch übersehen wird: Die LG/OLG setzen sich nicht ausreichend mit den Voraussetzungen der Untersuchungshaft auseinandersetzen. Insbesondere muss die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, die im Raum stehende konkrete Straferwartung und für den Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe auch das mögliche Strafende berücksichtigt werden. Dabei ist auch die Möglichkeit der Anrechnung der U-Haft nach § 51 StGB sowie die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung heranzuziehen.

Darauf weist das BVerfG in seinem Beschluss noch einmal hin und moniert eine fehlerhafte Abwägung und vor allem auch eine nicht ausreichende Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beschuldigte schon seit gut 15 Monaten in U-Haft befindet.

 

Kein Vorratshaftbefehl wegen versäumter Hauptverhandlung

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Der Angeklagten wird gemeinschaftlicher Betrug vorgeworfen. Nachdem eine erste Hauptverhandlung nicht zu Ende geführt werden konnte, beraumte das AG neuen Hauptverhandlungstermin auf den 25.9.2009 an.  In diesem Termin erschien die Beschwerdeführerin nicht. Ihr Verteidiger erklärte im Termin, dass die Angeklagte erkrankt sei und daher den Termin nicht wahr­nehmen könne. Das AG forderte darauf hin die Angeklagte auf, ihre Erkrankung und ihre Verhandlungsunfähigkeit binnen einer Woche durch Vorlage eines ärztlichen Attests zu belegen. Dieser Nachweis erfolgte bis zum 10.10.2008 nicht; der Verteidiger der Angeklagten hatte zwischenzeitlich um eine ent­sprechende Verlängerung der Frist nachgesucht.  Unter dem 4.11.2008 erließ das AG einen Haftbefehl gegen die Beschwer­deführerin und ordnete gleichzeitig an, dass dieser nicht vor dem 20.1.2009 vollstreckt werden dürfte, weil ein neuer Termin vor diesem Tag nicht stattfinden könne. Dagegen das Rechtsmittel der Angeklagten.

Der schon etwas ältere LG Kleve v. 12.02.2009 – 110 Qs-303 Js 826/06-16/09 -, den mir der Kollege, der ihn erstritten hat, aber erst jetzt geschickt hat, führt dazu aus:

Der angefochtene Haftbefehl ist auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin hin aufzuheben. In diesem Zusammenhang kommt es auf die von dem Verteidiger der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob die Angeklagte der ihr vorgeworfenen Tat dringend verdächtig ist, nicht an. Selbst wenn man dies bejaht, kann der Haftbe­fehl, der allein deshalb ergangen ist, weil die Beschwerdeführerin in einem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen ist (§ 230 Abs. 2 StPO), jedenfalls im vorliegenden Fall nicht bestehen bleiben, solange ein neuer Hauptverhandlungstermin noch nicht bestimmt ist. Das Amtsgericht hat dies im Ansatz ebenfalls so ge­sehen, als es angeordnet hat, dass der Haftbefehl vor dem 20.1.2009 nicht vollstreckt werden dürfte. Es erscheint jedoch angesichts des bisherigen Verlaufs des Verfahrens fraglich, ob ein neuer Hauptverhandlungstermin zeitnah anberaumt wer­den kann; dagegen spricht schon der Umstand, dass das vorliegende Verfahren sehr umfangreich ist, weil eine Vielzahl von Zeugen zu vernehmen ist. Bereits der Termin vom 25.9.2008 war ein Fortsetzungstermin gewesen, nachdem in einem früheren Termin am 17.7.2008 Zeugen nicht vernommen werden konnten, weil sie verhindert waren. Im Termin vom 25.9.2009 hat das Amtsgericht darüber hinaus das Verfahren nicht nur terminslos vertagt, weil die Angeklagten nicht erschienen waren, sondern auch angeordnet, dass ein Zeuge durch den ersuchten Richter vernommen werden sollte. Diese Vernehmung ist zwar zwischenzeitlich (am 14.1.2009) erfolgt, jedoch hat das Amtsgericht gleichwohl noch keinen neuen Hauptverhandlungstermin be­stimmt. Bei dieser Sachlage ist der Erlass eines Haftbefehls zur Sicherung des Ver­fahrens unverhältnismäßig. ….

Hinzu kam noch, dass die Angeklagte ihr fernbleiben inzwischen auch entschuldigt hatte.

1 Jahr 9 Monate minus 10 Monate = noch 11 Monate = Fluchtgefahr?

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Die Frage, ob die der Straferwartung so hoch, dass sie einen Beschuldigten/Angeklagten zur Flucht führt und damit die Annahme von Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gerechtfertigt ist, stellt sich insbesondere häufig dann, wenn die Strafe nicht (sehr) hoch ist, aber der Beschuldigte/Angeklagte bereits einige Zeit in U-Haft verbracht hat, was dann über § 51 StGB angerechnet werden muss. Dann geht es um die Reststrafenerwartung und darum, ob die noch so hoch ist, dass die Annahme von Fluchtgefahr begründet ist. In meinen Augen tun sich die OLG damit schwer, die Frage zu verneinen. So auch der OLG Jena, Beschl. v.25.06.2012 – 1 Ws 291/12.

Das LG hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt. Es sind bereits mehr 10 Monate U-Haft vollzogen worden, so dass noch eine Reststraferwartung von unter 11 Monate besteht. Die reicht dem OLG aber aus, um Fluchtgefahr anzunehmen.

Auch wenn zurzeit bereits mehr als 10 Monate Untersuchungshaft anzurechnen sind, geht von der Gesamtstraferwartung, die sich durch das Urteil des Amtsgerichts Weimar auf 1 Jahr und 9 Monate konkretisiert hat, weiterhin ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus. Dass es bei Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu einer deutlichen Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe kommen könnte, ist derzeit nicht zu erkennen. Dafür, dass es sich bei dem Angeklagten hinsichtlich der Tat vom 10,8.2011 um eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person gehandelt hat, die durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet worden ist, so dass ein in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellender und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensierender Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt (vgl. BGHSt 45, 321 ff), ist angesichts der Einlassungen des Angeklagten im Termin zur Verkündung des Haftbefehls, im Haftprüfungstermin und in der Hauptverhandlung nicht zu erkennen. Die derzeitige Beweislage spricht vielmehr dafür, dass der Angeklagte sich völlig unabhängig von jeglicher Beeinflussung durch die Vertrauensperson „Paulus“ bereits zuvor das später an diesen abgesetzte Betäubungsmittel zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs von einem Dritten verschafft hatte. Der Angeklagte war mithin bereits grundsätzlich bereit, den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu begehen, bevor die Vertrauensperson „Paulus“ bei ihm am 10.8.2011 24,2 Gramm Methamphetamin gekauft hat, hatte also bereits mit Erlangen des Methamphetamins zum Zwecke des Weiterverkaufs den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt.

 Gewichtige Umstände, die geeignet wären, dem Fluchtanreiz wirksam zu begegnen, sind nicht ersichtlich.  Die Ausführungen der Beschwerde, wonach der Angeklagte sich nur nicht in der Gemeinschaftsunterkunft aufgehalten habe, da er bei seiner Lebensgefährtin gewohnt habe, er sich in der Gemeinschaftsunterkunft wieder anmelden wolle und er im Falle einer Flucht seines Rechtsmittels verlustig ginge, sind nicht geeignet, hinreichend Vertrauen zu begründen, der Angeklagte werde sich dem weiteren Straf- bzw. Vollstreckungsverfahren nicht entziehen. Im Hinblick auf die Vorstrafen des Angeklagten, der schon mehrfach Strafhaft verbüßt hat und ausweislich des Zentralregisterauszugs bereits fünfmal teils erheblich vorbestraft ist, erscheint insbesondere der mögliche Verlust des Rechtsmittels im Vergleich zu der Höhe des bei Eintritt der Rechtskraft noch zu verbüßende Strafdauer als den Fluchtanreiz minderndes Mittel untauglich.

M.E. keine tragfähige Begründung, warum denn nun gerade dieser geringe Strafrest ausreichend für die Annahme sein soll, der Angeklagte werde, wenn er auf freien Fuß kommt, fliehen. Ich verkennen nicht, dass der Angeklagte russischer Staatsangehöriger ist, also vermutlich keine Schwierigkeiten hätte, in seinem Heimatland unterzutauchen und zu leben. Aber wenn das (auch) Grund für die Annahme von Fluchtgefahr sein soll, dann sollte man es auch schreiben.

 

Polen / Deutschland 1 : 1

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Immer wieder findet man auf der Homepage des BGH Entscheidungen zur Anrechnung von im Ausland erlittener Freiheitsentziehung auf die hier in der Bundesrepublik verhängte Strafe. So z.B. den BGH, Beschl. v. 12.07.2012 – 2 StR 622/11 – zur Anrechnung von Freiheitsentziehung in Polen. Die wird 1 : 1 angerechnet, also ganz normal.

Der etwas andere Knastbesuch, oder: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um

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In die Abteilung „Kurioses“ gehört die Meldung (vgl. u.a. hier) zu einem etwas anderen Knastbesuch eines 67-Jährigen, der mit Haftbefehl gesucht wurde.

Hinter Gittern endete der Besuch eines 67-Jährigen bei einem Bekannten im Gefängnis in Werl. Als die JVA-Beamten am Freitag (13.07.2012) routinemäßig die Personalien des Mannes aus Wetter prüften, stellten sie fest, dass dieser wegen verschiedener Delikte per Haftbefehl gesucht wird. Die herbeigerufene Polizei dankte und nahm den Mann nach eigenen Angaben vom Sonntag (15.07.2012) gleich mit.

Statt im Besucherraum landete er so zunächst auf der Wache und dann selbst in einer Zelle, wie es in der Mitteilung weiter hieß.“

Dumm gelaufen, kann man da nur sagen.