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Selbstmordgefahr ist kein Grund, die Strafvollstreckung aufzuschieben

 © jtanki - Fotolia.com

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Die mit einem Strafaufschub zusammenhängenden Fragen sind in § 455 StPO geregelt. Danach ist nach § 455 Abs. 2 StPO die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt; dasselbe gilt bei anderen Krankheiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist. Mit der Frage, ob eine Selbstmordgefahr bei einem Verurteilten einen Strafaufschub rechtfertigt, hat sich nun der OLG Koblenz, Beschl. v. 21.04.2015 – 2 Ws 122/15 – befasst und die Frage – im entschiedenen Fall – verneint:

„Diese Abwägung muss vorliegend dazu führen, dass die gesundheitlichen Belange der Verurteilten zurückzustehen haben.
Dabei sieht der Senat durchaus, dass nach der Stellungnahme des Gesundheitsamtes der Kreisverwaltung B. vom 9. Januar 2015 mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Verurteilte erneute Suizidversuche begehen könnte, wenn sie die Haftstrafe antreten muss (Bl. 8 d. Stellungnahme, Bl. 230 Rücks. d.A.). Dies wiegt umso schwerer, als sie schon einmal – am 29. September 2014 – einen Selbstmordversuch unternommen hat, um sich der drohenden Strafvollstreckung zu entziehen. Einzustellen in die Abwägung ist auch, dass nach der Stellungnahme der Universitätsmedizin M. vom 3. Februar 2015 zur Stabilisierung des Zustands der Angeklagten – auch im Hinblick auf die Behandlung der mittelgradigen depressiven Episode – der stationäre Aufenthalt in der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsklinik M. empfohlen wird.

Den Interessen der Verurteilten stehen jedoch gewichtige öffentliche Belange gegenüber, denen hier der Vorrang einzuräumen ist. Der Strafvollzug ist kein Selbstzweck, sondern dient der Resozialisierung des Täters und damit auch dem Ziel, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten eines rechtskräftig Verurteilten zu schützen. Darüber hinaus gebieten das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und das Gebot der Gerechtigkeit, dem die Verfassung und mit ihr die gesamte Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, dass rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafen grundsätzlich auch zu vollstrecken sind, um die Gleichbehandlung aller verurteilten Straftäter zu gewährleisten (Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG, 2 BvR 1007/03 v. 27.6.2003 – NStZ-RR 2003, 345 <Rn. 2 n. […]>; BVerfGE 51, 324 [BVerfG 19.06.1979 – 2 BvR 1060/78] <343 f.>).

In Rechtsprechung und Schrifttum ist deshalb übereinstimmend anerkannt, dass Selbstmordgefahr grundsätzlich auch dann kein Grund ist, die Strafvollstreckung aufzuschieben, wenn sie – wie vorliegend – ernsthaft geäußert wird (vgl. OLG Hamm, 2 Ws 211/09 v. 13.8.2009 – NStZ-RR 2010, 191; OLG Schleswig, 2 Ws 436/06 v. 12.11.2006 – SchlHA 2007, 292; OLG Köln, 2 Ws 623/03 v. 25.11.2003; KG, 5 Ws 4/94 v. 5.1.1994 – NStZ 1994, 255; KK-Appl, § 455 Rn. 7; Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, § 455 Rn. 10; Klein in: BeckOK StPO § 455 Rn. 3). Denn in der Regel kann dieser Gefahr durch entsprechende Behandlungs- und Sicherungsmaßnahmen im Strafvollzug wirksam begegnet werden (vgl. für den Strafvollzug in Rheinland-Pfalz: § 88 LJVollzG). Darüber hinaus darf es der rechtskräftig Verurteilte nicht in der Hand haben, sich durch Suiziddrohungen der Strafvollstreckung zu entziehen (OLG Hamm aaO.). Von einem Täter, dessen Schuld rechtskräftig festgestellt ist, muss daher grundsätzlich erwartet werden, dass er sich den mit der strafrechtlichen Sanktion verbundenen negativen Folgen seiner Taten stellt….“

Also ganz wohl ist mir bei der Entscheidung nicht. Und ein Hinweis: Die Leitsätze zu dem eingestelltem Volltext sind übrigens „amtlich“.

Zwei-Drittel sind Zwei-Drittel, oder: Vorverbüßen geht nicht.

© Stefan Rajewski Fotolia .com

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Um den genauen Zeitpunkt einer „Zwei-Drittel-Entlassung“ (§ 57 Abs. 2 StGB) ging es im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 21.01.2015 – 1 Ws 8/15. Man sollte meinen, dass es da an sich keine Probelem geben sollte/dürfte. Aber hier wurde um die Auswirkung von so. Freistellungstagen gestritten. Der Verurteilte verbüßte eine mehrjährige Haftstrafe und sollte zum Zwei-Drittel-Termin, der auf den 20.01. 2015 notiert war, auf Bewährung entlassen werden. Während der Haftzeit hatte er insgesamt sechs Freistellungstage gem. § 43 Abs. 6 StVollzG erworben. Die StVK hatte die Vollstreckung des Strafrests zunächst mit Wirkung bereits vom 14.01.2015 zur Bewährung ausgesetzt. Es erging dann aber noch am selben Tag ein weiterer Beschluss, der sich von der ersten Entscheidung lediglich dadurch unterschied, dass der Strafrest mit Wirkung erst vom 20.01.2015 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG den ersten Beschluss dahingehend abgeändert, dass der Zeitpunkt der Reststrafenaussetzung auf den 20. 01. 2015 festgesetzt wurde.

Aus der Begründung, wobei ich mal die Frage der Zulässigkeit – Stichwort: Prozessuale Überholung – außen vor lasse:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe bereits mit Wirkung vom 14.01.2015 statt erst mit Wirkung zum 20.01.2015, dem Erreichen des Zweidrittelzeitpunkts, zur Bewährung ausgesetzt.

a) Da die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung des Rests der verhängten Freiheitsstrafe vor Erreichen des Zweidrittelzeitpunkts nach 57 Abs. 2 StGB nicht vorlagen, kam lediglich eine Strafaussetzung zum Zweidrittelzeitpunkt nach § 57 Abs. 1 StGB in Betracht. Hiervon ist auch die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss ausgegangen. Obwohl sie ferner zutreffend angenommen hat, dass der Zweidrittelzeitpunkt im vorliegenden Fall erst am 20.01.2015 erreicht sein wird, hat sie die Vollstreckung der Reststrafe bereits mit Wirkung vom 14.01.2015 zur Bewährung ausgesetzt. Maßgeblich hierfür war offensichtlich, auch wenn die Strafvollstreckungskammer dies in dem angefochtenen Beschluss nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hat, der Umstand, dass der Verurteilte ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken vom 02.07.2014 (Bl. 56 ff. d. A.) sechs Freistellungstage im Sinne des § 43 Abs. 6 StVollzG erworben hatte.

b) Dies führte indes – was die Strafvollstreckungskammer verkannt hat – nicht zur Vorverlegung des Zweidrittelzeitpunkts. Gemäß 43 Abs. 9 StVollzG wird, wenn der Gefangene von der Möglichkeit, sich nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG oder nach § 43 Abs. 7 Satz 1 StVollzG von der Arbeit freistellen zu lassen, keinen Gebrauch gemacht hat oder ihm die Freistellung gemäß § 43 Abs. 7 Satz 2 StVollzG nicht gewährt werden konnte, die Freistellung durch die Anstalt auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet. § 119 Abs. 3 des am 1. Juni 2013 in Kraft getretenen Saarländischen Strafvollzugsgesetzes (SLStVollzG) bestimmt, dass bei seinem Inkrafttreten bereits erworbene Freistellungstage nach § 43 Abs. 6 StVollzG auf Antrag des Gefangenen auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden können und insoweit § 43 Abs. 9 und Abs. 10 StVollzG in entsprechender Anwendung fortgelten. Die Anrechnung bedeutet, dass die Dauer der Strafverbüßung um die Anzahl der nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG erworbenen Freistellungstage abgekürzt, der Entlassungszeitpunkt also vorverlegt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. April 2006 – 1 Ws 67/06 – und vom 29. September 2006 – 1 Ws 210/06 -; KG NStZ 2004, 228, 229; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 43 Rdnr. 4). Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme des Strafvollzugs, so dass sie keine Auswirkungen auf die Berechnung des Halb- oder Zweidrittel-Strafzeitpunkts im Sinne des § 57 StGB hat (vgl. KG NStZ-RR 2009, 390 f. – Rn. 9 f.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 43 Rn. 25). Die Strafvollstreckungskammer hat daher zu Unrecht den errechneten Zweidrittelzeitpunkt um die Anzahl der von dem Verurteilten erworbenen Freistellungstage vorverlegt.“

Also: „Vorarbeiten“ geht, aber nicht „vorverbüßen“.

Der Toaster in der Sicherungsverwahrung

entnommen wikimedia.org Uploaded by Michiel1972

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Vor ein paar Wochen erreichte mich die Anfrage einer Kollegin wie folgt:

Guten Tag Herr Kollege Burhoff,

hat Ihnen schon gemand die Entscheidung des OLG Hamm zum Thema Toaster in der Sicherungsverwahrung zugespielt?  OLG Hamm III- 1 Vollz (Ws) 576/14

Ich finde sie leider in keiner der mir zur Verfügung stehenden Datenbanken und muss auf eine Stellungnahme der JVA erwidern, in der diese Rechtsprechung zitiert wird.

Dies ist schon schwierig genug, weil ich Tränen lache bei dem Versuch, eine Stellungnahme zu diktieren in der ich erläutere, dass es zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Toasters gehört, Gegenstände in ihn hineinzustecken, was schon im Ansatz die Möglichkeit einer Verplombung vereitelt, wohingegen es im vorliegenden Fall um ein Keyboard geht, gegen dessen Verplombung meines bescheidenen Wissens nach nichts spricht. Ich musste daher sofort an Ihren aktuellen Blogbeitrag und die Vergleichbarkeit von Äpfeln und Birnen denken.

Aber ich würde dennoch gern die ganze Entscheidung kennen.

 Falls Sie darüber verfügen, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie sie mir zukommen lassen können.“

Also: Ich hatte die Entscheidung auch nicht, aber das ist ja kein Problem. Man kann sie ja erbitten. Das habe ich dann getan – per Mail, aber ohne „Hallo“, weil ich ja weiß, dass das Schwierigkeiten machen kann (zumindest in Bayern antwortet man ja auf „Hallo-Mails“ nicht (ich erinnere an meine Geschichte mit dem AG München – Die Dickfelligkeit des AG München – An der Antwort drückt man sich präsidial vorbei). Und in Hamm ist es dann ganz schnell gegangen. Drei oder vier Tage später hatte ich die Nachricht – per Email!! -, dass der OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.2015 – III- 1 Vollz (Ws) 576/14 – bei NRWE online steht. Da habe ich ihn mir dann besorgt und der Kollegin den Link geschickt.

Ich hoffe, der Beschluss hat der Kollegin weiter geholfen, wenn es dort heißt:

„Bei der Frage, ob ein Toaster oder ein Dampfbügeleisen Gegenstände sind, die die Sicherheit beeinträchtigen und deren Besitz deswegen untersagt werden kann (§ 15 Abs. 2 SVVollzG) handelt es sich um eine einzelfallbezogene Frage, die alleine schon abhängig ist (insbesondere bzgl. des Toasters) von der konkreten Beschaffenheit und Bauweise dieser Geräte. Es handelt sich um Fragen, die der Aufstellung rechtlicher Leitsätze unzugänglich sind. Die Entscheidung lässt auch nicht erkennen, dass sie verkannt hätte, dass im Rahmen der Sicherungsverwahrung ein erhöhter Kontrollaufwand ggf. hinzunehmen ist (LT-Drs. 16/1283 S. 72). Dass dies gesehen wurde, zeigt sich daran, dass das Landgericht Ausführungen zur Unmöglichkeit der Verplombung macht (welche den Kontrollaufwand ggf. reduziert hätte) und dazu, dass dann ggf. bei einer Vielzahl von Sicherungsverwahrten entsprechende Toaster kontrolliert werden müssten.“

Müsste er an sich.

Klatsche aus Karlsruhe: Einen Tag nackt – Guantanamo lässt grüßen

© chris52 - Fotolia.com

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Im Moment „rappelt“ es im Strafvollzug, meint: Derzeit werden doch eine ganze Reihe von Entscheidungen des BVerfG veröffentlicht, die ein in meinen Augen nicht allzu gutes Licht auf den Strafvollzug werfen und auch nicht auf die Art und Weise, wie damit bei den LG und OLG umgegangen wird. Nach dem BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 BvR 746/13 (vgl. dazu Der entkleidete Gefangene, oder: Guantanamo ist wohl doch überall) ist gestern die PM zum BVerfG, Beschl. v. 18.03.2015 – 2 BvR 1111/13 – über die Ticker gelaufen.

In ihm geht es mal wieder um einen entkleideten/nackten Gefangenen. Der mittlerweile entlassene Gefangene war 2010 in der JVA Kassel I, Abteilung für psychisch auffällige Gefangene, untergebracht, wo er für den 08. 09. 2010 zur Zahnarztsprechstunde vorgesehen war. Nachdem die JVA die Behandlung an diesem Tag nicht gewährleisten konnte, begann der Gefangene gegen seine Haftraumtür zu schlagen und zu treten. Im weiteren Verlauf wurde er unter Anlegung von Handfesseln in einen besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände mit durchgehender Kameraüberwachung verbracht und dort nach Entfernung der Handfesseln vollständig entkleidet. Am 09. 10. 2010 erhielt er eine Hose und eine Decke aus schnell reißendem Material. Am 10. 09. 2010 wurde er in seinen Haftraum zurückverlegt. Eine nach seiner Rückverlegung erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde wies der Anstaltsleiter zurück. Es sei kein dienstaufsichtsrechtliches Fehlverhalten der von dem Gefangenen genannten Bediensteten ersichtlich.  Letztlich hat dann sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung weder beim LG noch beim OLG Frankfrut Erfolg. Das OLG hat seine Rechtsbeschwerde als unzulässig, u.a. weil die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet war, verworfen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte dann jetzt aber Erfolg. Nach Ausführungen zur Zulässigkeit führt das BVerfG zur Begründetheit u.a. aus:

Die weiteren Ausführungen des Landgerichts, bei der Feststellung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sei zu berücksichtigen, dass die Eingriffsintensität dadurch abgemildert worden sei, dass der besonders gesicherte Haftraum dauerhaft beheizt gewesen und von außen nur durch einzelne Vollzugsbedienstete per Kameraüberwachung einsehbar gewesen sei, gehen ebenfalls fehl. Die ausreichende Beheizung eines besonders gesicherten Haftraums (die im Übrigen vorliegend strittig war), ist eine Selbstverständlichkeit und gerade nicht dazu geeignet, als besonderes Entgegenkommen der Justizvollzugsanstalt einen so schwerwiegenden Eingriff wie die vollständige Entkleidung eines Gefangenen als verhältnismäßig zu rechtfertigen. Sie steht in keiner Beziehung zu der hier in Frage stehenden Verletzung der durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intimsphäre des Betroffenen und ist im Übrigen Mindestvoraussetzung dafür, dass bei der einschneidenden Unterbringung nicht noch weitere Grundrechte des Gefangenen – etwa dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – verletzt werden. Ebenso wenig sind die Ausführungen des Landgerichts, das Schamgefühl des Beschwerdeführers sei dadurch geschont worden, dass der Haftraum nur durch einzelne Vollzugsbedienstete per Kameraüberwachung einsehbar gewesen sei, geeignet, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu begründen. Die diesbezügliche Feststellung des Landgerichts entbehrt bereits einer Tatsachengrundlage. Aus dem Vorbringen der Justizvollzugsanstalt ist nicht ersichtlich, wie viele Vollzugsbedienstete den besonders gesicherten Haftraum des Beschwerdeführers einsehen konnten. Insbesondere geht aus dem Vortrag der Justizvollzugsanstalt nicht hervor, dass die Überwachung des Beschwerdeführers nur durch gleichgeschlechtliche Bedienstete erfolgt ist (vgl. zu diesem Gebot zur Wahrung des Schamgefühls des Betroffenen Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 88 Rn. 8). Im Übrigen ändert die Frage, wie viele Bedienstete durch die Kamera tatsächlich den besonders gesicherten Haftraum einsehen konnten, nichts daran, dass sich der Beschwerdeführer bereits durch das Bewusstsein der permanenten Beobachtung durch die Videokameras bei gleichzeitig vollständiger Entkleidung erniedrigt und in seiner Intimsphäre verletzt fühlen musste….“

Das alles wird man in Kassel und in Frankfurt nicht so gerne lesen: „grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts„, „nicht nachvollziehbar„, „verkennt“ , „gehen fehl“ sind deutliche Worte, die, wenn nicht eine „schallende Ohrfeige“ und/oder „Klatsche“, dann aber doch einen „dicken Rüffel“ aus Karlsruhe bedeuten.

Das einzig unschöne an der Entscheidung des BVerfG: Warum kommt sie erst nach gut zwei Jahren?

Der entkleidete Gefangene, oder: Guantanamo ist wohl doch überall

© cunaplus - Fotolia.com

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Die vorhin gestellte Frage, warum manche Dinge erst vom OLG entschieden werden (vgl: Die Besuchserlaubnis für die (mitangeklagte) Verlobte – warum erst vom OLG?), kann man noch toppen und fragen: Und warum ist manches so schwierig (?), dass erst das BVerfG die Lösung findet oder, um es salopp auszudrücken: Ran muss und dem jeweiligen Betroffenen zu seinem Recht verhelfen muss, obwohl die Lösung an sich auf der Hand liegen müsste. Ein Paradebeispiel ist dafür der BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 BvR 746/13, den man unter die Überschrift einordnen kann: Guantanamo ist wohl überall. Aufmerksam gemacht worden bin ich auf die Entscheidung in Zusammenhang mit dem Posting Causa Middelhoff, oder: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg. Besten Dank an den „Informanten“.

Und es stimmt: Es ist nicht weit weg, sondern die Geschichte spielt in der JVA Gera, also in Thüringen. Der Gefangene, der dann später Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, war bis April 2014 in der JVA Mannheim inhaftiert. Am 06. 09. 2011 wurde er für eine Zeugenvernehmung in einem Verfahren vor dem AG Altenburg in die JVA Gera überstellt. Während der Zeit in der JV Gera erhielt er Besuch von seiner Großmutter. Jeweils kurz vor der Besuchsdurchführung und vor der Vorführung bei Gericht durchsuchten ihn Beamte der JVA. Nach seinen Angaben musste er sich bis auf die Unterhose ausziehen und seine Kleidung zur Kontrolle an einen Beamten weiterreichen. Danach musste er die Arme heben. Schließlich wurde er aufgefordert, die Unterhose herunterzuziehen, so dass seine unverdeckten Genitalien und nach einer Drehung auch seine unverdeckte Rückenansicht in Augenschein genommen werden konnten. Der Gefangene hat dann gegenüber dem Leiter der JVA beanstandet, dass er vor der Besuchsdurchführung einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen worden sei. Für die Durchsuchung sei ihm kein Grund genannt worden. Auch sei ihm auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass eine einzelfallbezogene Anordnung des Anstaltsleiters nicht vorliege. Vielmehr würden Durchsuchungen vor und nach jedem Kontakt mit Besuchern aufgrund einer allgemeinen Anordnung des Anstaltsleiters vorgenommen. Das BVerfG habe jedoch entschieden, dass eine Anordnung auf der Grundlage des § 84 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StVollzG jedenfalls nicht zur Durchsuchung aller oder fast aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt und damit nicht zu einer Durchsuchungspraxis führen dürfe, die das Strafvollzugsgesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nur in den Konstellationen des § 84 Abs. 3 StVollzG erlaube.

Und dann geht es los: Die Thüringer Justiz – das LG Gera – war der Auffassung, eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung liege nicht vor, wenn der Gefangene zwar seine Kleidung komplett ablegen, seine Unterhose indes „lediglich herunter-, aber nicht vollständig ausziehen“ müsse. Dass der Gefangene hierbei „vorübergehend unbekleidet“ sei, sei unerheblich. Denn eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung sei nur dann gegeben, „wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren oder Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln“. Der Prozessbevollmächtigte des Gefangenen findet das „kreativ“ und geht zum OLG, wo aber aus formalen Gründen die Rechtsbeschwerde scheitert und PKH abgelehnt wird.

Das sieht dann das BVerfG anders und schreibt mit einem schönen Gruß an das OLG Jena:

„Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe stelle eine unzulässige Verkürzung des Rechtswegs dar. Bei der in Streit stehenden Untersuchungspraxis der Thüringer Justizbehörden handele es sich zweifelsfrei um eine rechtswidrige Anwendung materiellen Strafvollzugsrechts bei der Auslegung des § 84 StVollzG. Dies sei ein schwerer Rechtsfehler, der die Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig mache. Für die Intensität des Grundrechtseingriffs mache es keinen Unterschied, ob die Entkleidung Zweck oder Folge der Maßnahme der Justizvollzugsanstalt sei.“

Und in der Sache. Nun, das BVerfG setzt das „Kreativität“ des LG Grenzen und sieht die Rechte des Verurteilten verletzt, denn:

„….Jedenfalls die explizite visuelle Kontrolle des Körpers des Gefangenen muss jedoch für die Bejahung einer ‚körperlichen Durchsuchung‘ im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG ausreichen. Zudem ist § 84 Abs. 2 StVollzG hinsichtlich des Entkleidungsgrades mindestens dann einschlägig, wenn die Genitalien des Gefangenen – unabhängig von der zeitlichen Dauer – entblößt werden müssen, da die visuelle Kontrolle dieser Körperteile durch Andere eine der schwerwiegendsten, mit einer Entkleidung verbundenen Beeinträchtigungen des menschlichen Schamgefühls darstellt….

c) Mit der Annahme, eine körperliche Durchsuchung im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG liege nur dann vor, wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren und Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln, hat das Landgericht diesen eindeutigen Sinn der vom Gesetzgeber getroffenen differenzierten, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Regelung verkannt. Auch die Annahme, es handele sich jedenfalls – selbst wenn der Beschwerdeführer seine Unterhose herunterziehen müsse und seine unbedeckten Genitalien und seine unbedeckte Rückenansicht kontrolliert würden – nicht um eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 StVollzG, lässt sich mit den dargestellten Grundsätzen nicht vereinbaren und die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers vermissen. Die vom Landgericht ebenfalls zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Umstände, dass weder Unbefugte im Untersuchungsraum anwesend gewesen seien noch Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Beschwerdeführer willkürlich oder diskriminierend behandelt worden sei, sind zwar notwendige, jedoch in keiner Weise hinreichende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der erfolgten Durchsuchung.“

Und was sagt man nun dazu, wenn man die Worte wieder gefunden hat? Einmal: Warum erst das BVerfG? Und: Unerklärlich/unfassbar, dass nicht nur die JVA, sondern auch das LG, das OLG und das Justizministerium Thüringen die vom BVerfG als unhaltbar angesehene Rechtsauffassung bis zum Schluss hartnäckig vertreten und verteidigt haben! Und zum Schluss: Guantanamo ist wohl doch überall.