Archiv der Kategorie: Strafvollzug

Strafvollzug, oder: „Haftkontostatus aktiv“ anfechtbar?

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Und als letzte Vollzugsentscheidung dann noch eine vom KG, nämlich der KG, Beschl. v. 25.09.2017 – 2 Ws 145/17 Vollz. Es geht um die Anfechtbarkeit des „Haftkontostatus“. Auf dem Haftkonto des Antragstellers ist für eine Pfändung der Kosteneinziehungsstelle der Justiz in Höhe von 2.590,58 € der Status „aktiv“ vermerkt. Von seinem „Überbrückungsgeld“ in Höhe von 1.123 € hat er 484 € angespart. Über „Eigengeld“ verfügt er nicht. Die  Vollzugsbehörde hat gegenüber dem Antragsteller mündlich die Löschung des Status „aktiv“ für diese Pfändung abgelehnt. Dagegen beantragt er die gerichtliche Entscheidung. Die StVG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hatte auch beim KG keinen Erfolg. Denn:

„Es fehlt bereits an einem zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der zugrundeliegende Antrag war unzulässig, weil er keine „Maßnahme“ im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG zum Gegenstand hatte.

Eine „Maßnahme“ im Sinne von § 109 StVollzG ist eine Regelung mit Rechtswirkung. Es muss sich deshalb um den Akt einer Vollzugsbehörde handeln, der in das Rechtsverhältnis zwischen dem Gefangenen und dem Staat gestaltend eingreifen soll, also um eine Regelung einer einzelnen Angelegenheit, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist und diesbezüglich Verbindlichkeit beansprucht (vgl. z.B. Bachmann in LNNV, Strafvollzugsgesetze 12. Aufl., Abschn. P Rdn. 28, 29; Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 109 Rdn. 6, 7, jeweils mit weit. Nachweisen).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs fehlt der als „aktiv“ geführten Pfändung der Kosteneinziehungsstelle, wie sie in der Auskunft der Vollzugsbehörde vom 12. Mai 2016 zum Ausdruck kommt, jedwede rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Antragsteller. Dieser Status gibt lediglich im Rahmen der Führung des Haftkontos vollzugsintern (zutreffend) wieder, dass eine Pfändung existiert und diese – sei es in Form von Ratenzahlung – bedient wird. Eine Außenwirkung auf den Antragsteller entwickelt dieser Status nicht. Jedenfalls ist der Antragsteller durch ihn nicht beschwert. Denn er verfügt mangels Bildung des Überbrückungsgeldes/Eingliederungsgeldes nicht über Eigengeld. Entgegen seines Vorbringens stellt dieser Status auch keinen erkennbaren Hinderungsgrund für Geldüberweisungen seiner Familie dar, die bis zur Bildung des Überbrückungsgeldes/Eingliederungsgeldes unpfändbar wären (für das Eingliederungsgeld: § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG Bln in Verb. mit § 851 ZPO; für das Überbrückungsgeld: § 51 Abs. 4 Satz 1 StVollzG).“

Strafvollzug, oder: Der rückenkranken Strafgefangene hat ein Recht auf eine orthopädische Matratze

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Author Denis Barthel

In der zweiten vollzugsrechtlichen Entscheidung geht es um das Recht eines rückenkranken Strafgefangenen auf eine orthopädische Matratze. Dazu sagt das KG im KG, Beschl. v. 07.09.2017 – 2 Ws 122/17 (VollZ): Bei entsprechender medizinischer Indikation steht einem rückenkranken Strafgefangenen aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln ein Anspruch auf eine optimierte Schlafunterlage zu:

„Es ist obergerichtlich geklärt, dass der Gefangene einen Anspruch auf Krankenbehandlung hat, sofern die Maßnahme notwendig ist, um Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. zu § 58 StVollzG: Senat, Beschluss vom 27. April 2012
2 Ws 168/12 –). Daran hat sich durch das Inkrafttreten des StVollzG Bln nichts Maßgebliches geändert (vgl. § 70 StVollzG Bln: Senat, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 2 Ws 67/17 –).

Nach dem orthopädischen Sachverständigengutachten von Dr. med. S. vom 7. Mai 2017 leidet der Antragsteller unter einer degenerativen Veränderung mit Strukturschäden an der Wirbelsäule und kleinen Wirbelgelenken der Lendenwirbelsäule. Zur Linderung der daraus resultierenden Rückenbeschwerden ist eine optimierte Schlafunterlage, insbesondere eine Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze mit Lattenrost, medizinisch indiziert. Bereits zuvor bestätigte der Anstaltsarzt die medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Rückenleidens und verfolgte zuletzt eine medikamentöse Schmerztherapie. Angesichts dessen steht dem Antragsteller schon aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln ein Anspruch des Antragstellers auf die von ihm begehrte Schlafunterlage zu. Danach kann es offen bleiben, ob es sich hierbei zudem um ein „medizinisches Hilfsmittel“ im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln handelt.

2. Die Rechtsbeschwerde wäre aus den genannten Erwägungen insoweit auch unbegründet. Der Antragsteller hat – wie unter II. 1. dargestellt – einen aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln resultierenden Leistungsanspruch auf eine optimierte Schlafunterlage. Die von der Vollzugsbehörde erhobenen Sicherheitsbedenken stehen dem nicht entgegen. Die Matratze kann mit Überzügen gegen ein Verstecken von Gegenständen in den Zwischenräumen gesichert werden. Eine Kontrolle auf versteckte Gegenstände ist möglich. Der erhöhte Aufwand hat sich den Belangen der Gesundheitssorge zugunsten des Antragstellers unterzuordnen, zudem sich dieser noch lange in der Obhut der Vollzugsanstalt befinden wird. Dem Brandschutz kann durch die Auswahl einer schwer entflammbaren Matratze genüge getan werden. Soweit die Vollzugsanstalt erstmals mit der Rechtsbeschwerde Einwendungen gegen den vom Gefangenen gewünschten Matratzentyp erhebt, handelt es sich um beschlussfremdes Vorbringen. Ein solches Nachschieben von neuen Tatsachen oder Beweismitteln – so wie hier – ist im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlich (vgl. Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 119 Rdn. 3 mit weit. Nachweisen). Im Übrigen hat das Landgericht den einen Matratzentyp nur als ein Beispiel aufgeführt, mit dem der Anspruch des Antragstellers erfüllt werden kann.“

Urinkontrolle im Strafvollzug, oder: Wer nicht pinkeln will, wird bestraft

entnommen wikimedia.org Autor: Jove

Vollstreckungsrecht kommt immer ein wenig kurz hier im Blog. Daher dann heute mal ein „Vollstreckungstag“, den ich mit dem KG, Beschl. v. o5.10.2017 – 2 Ws 92/17 (Vollz) beginne. Es geht um die Zulässigkeit von Urinproben im Strafvollzu, ein Thema, das in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt.

Dazu die Leitsätze der KG, Entscheidung:

Nach § 84 StVollzG Bln sind Vollzugsbehörden berechtigt, von Strafgefangenen die Abgabe von Urinproben zur Feststellung des Konsums von Suchtmitteln zu verlangen; Strafgefangene sind verpflichtet, diesem Verlangen nachzukommen.

Kommt ein Strafgefangener dieser Mitwirkungspflicht schuldhaft nicht nach oder manipuliert er Urinproben, stellt dies eine Verfehlung dar, die disziplinarisch geahndet werden kann.

Die Entscheidung basiert (natürlich) auf Berliner Landesrecht. Die entsprechenden Vorschriften gibt es in den Vollzugsgesetzen der anderen Bundesländer aber ähnlich.

Wenn der Strafgefangene Jura studiert, oder: Immer Ausbildungsbeihilfe?

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Urheber Photo: Andreas Praefcke

Schon etwas älter ist die Entscheidung, mit der ich heute die 43. KW. eröffne. Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2017 – 1 Vollz (Ws) 127/17. In ihm hat das OLG zu der  Frage Stellung genommen, ob ein Strafgefangener, der ohne Genehmigung seitens der JVA ein Fernstudium aufnimmt und betreibt, keinen Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsbeihilfe hat. Der Strafgefangene verbüßt(e) wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz eine mehrjährige Freiheitsstrafe in der JVA Bochum. Im Herbst 2015 hatte er ohne Genehmigung der JVA ein Jura-Fernstudium aufgenommen. Eine ihm zugewiesene Tätigkeit in einem Unternehmensbetrieb der Anstalt stellte der Strafgefangene im Januar 2016 ein, um sich seinem Studium in Vollzeit widmen zu können. Seinen Antrag, ihm eine Ausbildungshilfe für sein Studium zu gewähren, wies die JVA unter Hinweis auf das nicht genehmigte Studium zurück. Die StVK des LG Bochum verpflichtete die JVA, den Antrag des Strafgefangenen auf Gewährung einer Ausbildungsbeihilfe erneut zu prüfen, wobei sie die Auffassung vertrat, dass ein selbst organisiertes Studium eines Gefangenen – soweit Ordnungs- oder Sicherheitsbelange nicht berührt seien – grundsätzlich genehmigungsfrei und zulässig sei. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Leiters der JVA, die erfolgreich war:

„Die Rechtsbeschwerde erweist sich auch als begründet. Die JVA hat den Antrag des Betroffenen auf Gewährung einer Ausbildungsbeihilfe zu Recht zurückgewiesen, da ihm ein Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe für das Studium in Vollzeit als Aus- oder Weiterbindungsmaßnahme nicht zusteht. § 32 Abs. 2 StVollzG NW gewährt Gefangenen einen Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe nur, wenn die betroffenen Gefangenen zum Zwecke der Ausbildung von der Arbeitspflicht freigestellt sind und mithin die Durchführung der Ausbildung während der üblichen Arbeitszeit seitens der Vollzugsanstalt zumindest konkludent genehmigt worden ist.

Während der bis zum Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes NRW maßgebliche § 44 Abs. 1 StVollzG (Bund) die Zahlung einer Ausbildungsbeihilfe ausdrücklich nur für den Fall vorsieht, dass der Gefangene aufgrund seiner Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme von seiner Arbeitspflicht freigestellt, und zudem wegen der Bezugnahme auf § 37 StVollzG die Teilnahme an der Maßnahme genehmigt worden ist, weist § 32 Abs. 2 Satz 1 StVollzG NW seinem Wortlaut nach eine solche Einschränkung nicht auf. Aus dieser geänderten Formulierung ergibt sich aber nicht die Pflicht der JVA, für jede Bildungsmaßnahme auch eine Ausbildungsbeihilfe zu zahlen. Vielmehr ist § 32 Abs. 2 Satz 1 StVollzG dahin auszulegen, dass eine Ausbildungsbeihilfe nur gewährt wird, wenn dem Gefangenen die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme genehmigt und er zur Teilnahme an dieser Bildungsmaßnahme von seiner Arbeitspflicht gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NW freigestellt worden ist.

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass beabsichtigt war, auf das Erfordernis einer Freistellung von der Arbeitspflicht gemäß § 44 Abs. 1 StVollzG (Bund) oder einer Genehmigung zu verzichten. Vielmehr wird dort ausgeführt, dass die §§ 32 ff. StVollzG NW die in § 43 StVollzG (Bund) getroffenen Regelungen aufgreifen und neu ordnen (vgl. LT- Drucksache 16/5413, S. 114). Aus der weiteren Begründung ergibt sich, dass den Gefangenen, die an einer schulischen oder beruflichen Fortbildungsmaßnahme teilnehmen, ein Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe zustehen soll, „der an die Stelle des Arbeitsentgelts tritt“. Hiermit wird jedoch der Grundsatz des § 44 StVollzG aufgegriffen, dass Ausbildung und Arbeit grundsätzlich gleichwertig sind und dementsprechend die Ausbildungsbeihilfe an die Stelle des Arbeitsentgelts tritt (Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 44 Rn. 1, Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 44 Rn. 2).

Im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 StVollzG (Bund) ist aber allseits anerkannt, dass eine Ausbildungsbeihilfe nicht bereits dann zu bewilligen ist, wenn dem Gefangenen die Genehmigung zur Teilnahme an einer Weiterbildung erteilt wird. Zusätzlich ist erforderlich, dass er zu diesem Zweck von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird (vgl. Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 44, Rn. 1 u. 2; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl., § 44 Rn. 3, Däubler/Spaniol in Feest, StVollzG, 5. Aufl., § 44 Rz. 1, Arloth/Krä a.a.O., Rn. 2, KG Berlin ZfStrVo 1988, S. 312 f.). Denn die Vorschrift des § 44 StVollzG (Bund) verfolgt das Ziel, Ausbildungsmaßnahmen gleichwertig neben Arbeitsleistung treten zu lassen. Dem Gefangenen soll kein Nachteil daraus erwachsen, dass er anstelle einer Arbeit, für die er Lohn erhalten würde, einer genehmigten Ausbildung nachgeht.

Die Auslegung des § 32 Abs. 2 Satz 1 StVollzG NW hat sich an diesen Vorgaben zu orientieren und ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NW sind Gefangene verpflichtet, eine ihnen zugewiesene Beschäftigung auszuüben, so dass in Nordrhein-Westfalen für Strafgefangene grundsätzlich eine Arbeitspflicht besteht. Für die Ausübung zugewiesener Arbeit besteht ein Anspruch auf Arbeitsentgelt gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NW. Da aber Arbeit und Ausbildung grundsätzlich gleichgestellt sein sollen (vgl. Arloth/Krä, a.a.O.), soll derjenige, der statt der Arbeit eine Ausbildungsmaßnahme gemäß § 30 StVollzG NW durchläuft, ebenso entlohnt werden und zu diesem Zweck eine Ausbildungsbeihilfe erhalten. Dies ergibt sich  für das Strafvollzuggesetz NW zudem aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 Satz 1 StVollzG NW, der voraussetzt, dass die Teilnahme an der Maßnahme während (Unterstreichung durch den Senat) der Arbeitszeit zu erfolgen hat („Gefangenen, die während der Arbeitszeit ganz oder teilweise an einer schulischen oder beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen, wird Ausbildungsbeihilfe gewährt, …“). Insofern soll die Ausbildungsbeihilfe sicherstellen, dass ein Gefangener, der an einer Maßnahme der beruflichen oder schulischen Fortbildung teilnimmt, nicht schlechter gestellt ist als der Gefangene, der eine ihm zugewiesene Arbeit verrichtet (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10.02.1999 – 5 Ws 4/99 -, Rn. 7, juris). Hieraus folgt, dass bei Bestehen einer Arbeitspflicht Gefangene zum Zwecke der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme von der Arbeitspflicht freigestellt werden müssen und darüber hinaus auch die Teilnahme an der schulischen oder beruflichen Fortbildungsmaßnahme genehmigt sein muss. Aus diesem Grund erhält z.B. auch ein Gefangener, der arbeitslos ist und aus eigener Initiative ein Fernstudium aufnimmt, keine Ausbildungsbeihilfe (vgl. Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 7. Auflage, Teil II, § 55 Rn. 4, 5).

Vorliegend ist dem Betroffenen die Aufnahme des Studiums nicht gemäß § 30 Abs. 1 StVollzG NW genehmigt worden. Er hat das Studium aus eigener Initiative heraus ohne Genehmigung seitens der JVA aufgenommen und betreibt es weiter ohne Genehmigung seitens der Vollzugsbehörde. Mangels Genehmigung besteht daher auch kein Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsbeihilfe im Sinne des § 32 Abs. 2 StVollzG NW.

Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Betroffene seit dem 17.03.2016 als unverschuldet ohne Arbeit geführt wird. Insoweit besteht keine Arbeitspflicht des Betroffenen mehr. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass das Studium nunmehr quasi als konkludent durch die Vollzugsbehörde genehmigt und der Betroffene als von der Arbeitspflicht freigestellt zu gelten hat.

Da der Betroffene aus eigener Initiative die Arbeit niedergelegt hat und zudem seit dem 17.03.2016 als unverschuldet ohne Arbeit geführt wird, ist der Betroffene dementsprechend als arbeitslos einzustufen. Als arbeitsloser Strafgefangener hat er allerdings auch keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt gemäß § 32 Abs. 1 StVollzG NW, so dass auch eine Ausbildungsbeihilfe nicht gewährt werden kann, da durch diese – wie oben ausgeführt wurde – an die Stelle des Arbeitsentgelts tritt, um zu verhindern, dass allein aus monetären Erwägungen heraus durch den Gefangenen die Aufnahme einer Maßnahme der beruflichen oder schulischen Bildung abgelehnt wird. Durch die Justizvollzugsanstalt wurde der Antrag auf Gewährung einer Ausbildungsbeihilfe ab dem 01.01.2016 daher zu Recht abgelehnt.

Strafvollzug III: Im JVA-Disziplinarverfahren nicht belehrt ==> Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren

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Bei der dritten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das LG Detmold, Urt. v. 17.05.2017 – 22 Ns 35/17, das mit der Kollege Dr. Pott aus Detmold übersandt hat. Es geht in der Entscheidung nicht unmittelbar um „Strafvollzug“. Das Verfahren, in dem das Urteil des LG ergangen ist, hat aber seinen Ausgang im Strafvollzug genommen. In der sache geht es um die Unverwertbarkeit einer Aussage im Strafverfahren, die ein JVA-Insasse im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ohne Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht gemacht hat.

Festgestellt worden ist vom LG in etwa folgender Sachverhalt: Der spätere Angeklagte ist Insasse in einer JVA. Bei einer Kontrolle wird ein Handy gefunden. Es besteht der Verdacht, dass dieses Handy durch einen Strafvollzugsbeamten in die JVA geschmuggelt und an den Angeklagten gegen Zahlung eines Geldbetrages übergeben worden ist. Gegen den Angeklagten wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Disziplinarverfahrens wird er zweimal von einer Strafvollzugsbeamtin vernommen, aber zu keinem Zeitpunkt über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Der Angeklagte gibt auf mehrfache Nachfrage bei der zweiten Vernehmung dann an, welcher Vollzugsbeamte ihm das Handy in die JVA geschmuggelt habe. Daraufhin wird ein Straf- und Disziplinarverfahren gegen Strafvollzugsbeamten eingeleitet. Da man dem bestreitenden Strafvollzugsbeamten glaubt, wird das Verfahren gegen diesen eingestellt. Gegen den Angeklagten wrid ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung eingeleitet und Anklage erhoben. Der Angeklagte macht in dem Strafverfahren selbst keine Angaben zur Sache. Der Verwertung der Zeugenaussage der Strafvollzugsbeamtin, die den Angeklagten in dem Disziplinarverfahren vernommen hatte, wird vom Verteidiger widersprochen. Das LG spricht den Angeklagten A daraufhin frei, nachdem das AG Detmold den Angeklagten noch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt hatte.

Das LG führt zur Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten bei seiner Anhörung aus:

aa) Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, wurde der Angeklagte im Rahmen der disziplinarischen Befragung nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Dies führt dazu, dass seine Angaben über die Herkunft des Mobiltelefons, die in den Vermerken vom 14.03. und 15.03.2016 niedergelegt sind, nicht verwertbar sind. Sie unterliegen aufgrund eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 StPO einem umfassenden Verwertungsverbot.

Im Einzelnen:

Das Verfahren bei Disziplinarverstößen innerhalb einer Justizvollzugsanstalt ist in § 106 StVollzG geregelt. Eine dem § 136 StPO entsprechende Belehrung im Rahmen einer disziplinarischen Anhörung eines Strafgefangenen ist darin zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein belehrender Hinweis des Gefangenen zu seinem Aussageverweigerungsrecht jedoch dann geboten, wenn dieser Vorwurf zugleich ein mit Strafe bedrohtes Verhalten betrifft (BGH, Urteil vom 09.04.1997 — 3 StR 2/97). Dies folgt daraus, dass der Betroffene aufgrund des Freiheitsentzuges in seiner Rechtsstellung allgemein schon einschneidend beschränkt ist und er sich im Disziplinarverfahren der Gefahr einer Ahndung mit strafähnlichem Charakter gegenüber sieht.

Dies war auch vorliegend der Fall. Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, bestand spätestens zum Zeitpunkt der zweiten Vernehmung am 15.06.2016 gegen den Angeklagten nicht nur der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 115 OWiG durch Entgegennahme des Mobiltelefons (dazu Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 115 Rn. 7 ff.). Vielmehr stand auch der Vorwurf einer Bestechung nach § 334 Abs. 1 StGB im Raum, nachdem der Angeklagte angegeben hatte, dem Justizvollzugsbeamten für das Mobiltelefon 150,00 € bezahlt zu haben, obwohl das Mobiltelefon möglicherweise einen deutlich geringeren Wert hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt handelte es sich nicht mehr um eine informatorische Vorabbefragung des Angeklagten, sondern um eine Vernehmung im Rahmen des disziplinarischen Verfahrens. Dass auch die vernehmende Beamtin, die Zeugin pp. dies entsprechend einstufte, zeigt sich bereits daran, dass beide Vermerke über die Befragungen mit „Vernehmungsnotiz“ überschrieben sind. Dem entsprechend hätte der Angeklagte, der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend, spätestens vor der zweiten Vernehmung über sein Schweigerecht belehrt werden müssen.

Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht begründet — nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs — im Falle des rechtzeitigen Widerspruchs grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 38, 214 m.w.N.). Dies gilt nur dann nicht, wenn feststeht, dass der Beschuldigte sein Recht zu schweigen auch ohne Belehrung gekannt hat (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 136 Rn. 20 m.w.N.). Das ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht festzustellen. Der Angeklagte ist zwar insoweit erfahren, als gegen ihn ausweislich des Registerauszugs bereits mehrere Strafverfahren geführt wurden und er auch bereits mehrere Jahre in Haft saß. Alleine diese ist jedoch nicht ausreichend, um eine sichere Kenntnis von seinen Rechten anzunehmen. Bei der Vernehmung durch die Zeugin pp. handelte es sich gerade nicht um den „klassischen“ Fall einer polizeilichen Vernehmung, wie ihn § 136 StPO vorsieht. Aufgrund der unmittelbar drohenden Disziplinarmaßnahme und seiner Inhaftierung befand sich der Angeklagte vielmehr in einer besonderen Drucksituation. Selbst die Zeugin pp.  als erfahrene Justizvollzugsbeamtin dachte in dieser Situation nicht an das Schweigerecht des Angeklagten, sodass ihm diese Kenntnis nicht ohne weiteres unterstellt werden kann.

Der Verteidiger hat der Verwertung der Aussage der Zeugin pp. als Vernehmungsbeamtin des Angeklagten in beiden Instanzen rechtzeitig widersprochen, sodass auch die formalen Voraussetzungen des Verwertungsverbots erfüllt sind.

Das in der Folge eingreifende Verwertungsverbot ist umfassend und bezieht sich auf sämtliche Angaben des Angeklagten im Rahmen der Vernehmung durch die Zeugin pp. Es betrifft insbesondere auch seine Angaben bezüglich der Täterschaft des Zeugen pp.. Eine Aufspaltung des Verwertungsverbots dahingehend, dass sich das Verwertungsverbot nur auf Angaben zu bereits in der Vergangenheit begangenen Straftaten und nicht auf Angaben bezieht, durch die der Vernommene neue Straftaten begeht, ist nicht möglich. Das Verwertungsverbot ist insoweit spiegelbildlich zu dem Schweigerecht, welches dem Angeklagten zusteht und über welches er zu belehren ist. Auch dieses Schweigerecht ist umfassend und bezieht sich nicht auf einzelne Beweisfragen. Hätte der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, hätte  er den Zeugen pp. auch nicht belastet, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und der etwaigen falschen Verdächtigung besteht. Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte aufgrund der Vernehmungssituation in der Justizvollzugsanstalt und der drohenden disziplinarrechtlichen Maßnahmen — wie bereits dargestellt — in einer besonderen Drucksituation befand.“

Sehr schön begründet vom LG. Ich frage mich, auf welcher Grundlage das AG zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Die BGH-Entscheidung ist immerhin von 1997.