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Corona I: Maskenpflicht auf dem Wochenmarkt, oder: Die galt/gilt u.a. nur für den Kunden

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Ich habe schon etwas länger keine Entscheidungen zu Corona-Fragen mehr vorgestellt. Die Berichterstattung ist aber – wie man ggf. meinen könnte – dazu nicht ein gestellt. Es lag nur nichts Passendes vor. Heute habe ich dann wieder zwei Entscheidungen, mit denen ich die Berichterstattung in der 32. KW. eröffne.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.07.2021 – 202 ObOWi 756/21 – zur Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf Wochenmärkten. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am Dienstag, den 08.09.2020, hielt sich die Betroffene gegen 12:05 Uhr an einem Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in O. auf. Die Betroffene, die keine Mund-Nasen-Bedeckung trug, unterhielt sich mit dem Standbetreiber, der sich außerhalb des Verkaufswagens befand. Sie wusste um die Pflicht zur Tragung einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Wochenmarkt, weil sie bereits eine Woche vorher von einem Beamten des Ordnungsamtes darauf hingewiesen worden war.“

Aufgrund dieser Feststellungen hat das AG wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Tragung eines Mund-Nasen-Schutzes auf dem Wochenmarkt nach § 22 Nr. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom 19.06.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 14.07.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 403) verurteilt. Das BayObLG hat aufgehoben:

„a) Die nach § 22 Nr. 4 BayIfSMV bußgeldbewehrte Verpflichtung zur Tragung einer Maske auf Wochenmärkten nach § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV betraf nicht etwa jedermann, der sich auf dem Wochenmarkt aufhielt oder diesen passierte. Vielmehr ist die Maskenpflicht ausdrücklich beschränkt auf das Verkaufspersonal, die Kunden und ihre Begleitpersonen.

b) Dass die Betroffene, bei der sich mangels gegenteiliger Feststellungen noch ableiten lässt, dass sie nicht zum Verkaufspersonal gehört, sich als Kundin oder als Begleitperson eines Kunden auf dem Wochenmarkt aufhielt, kann den Urteilsgründen indes nicht entnommen werden. Als Kunde ist eine Person dann anzusehen, wenn sie entweder in konkrete Kaufverhandlungen eintritt oder sich wenigstens auf dem Wochenmarkt in der Absicht aufhält, dort Waren zu erwerben. Der bloße Umstand, dass die Betroffene sich mit einem Standbetreiber auf dem Marktplatz unterhielt, lässt auch bei lebensnaher Betrachtung nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass sie Kundin oder Begleiterin eines Kunden in dem genannten Sinne war. Dies gilt umso mehr, als sie sich nach den Urteilsfeststellungen mit dem Standbetreiber, der sich zudem außerhalb des Verkaufsstandes befand, lediglich unterhielt.

c) Auch wenn es unter Berücksichtigung des Zwecks der Infektionsschutzvorschriften im Einzelfall möglicherweise keinen Unterschied macht, ob sich eine Person als Kunde oder als Passant oder gar nur zum Zeitvertreib auf einem Wochenmarkt aufhält, kann sich die Rechtsprechung schon wegen des aus dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) resultierenden Analogieverbots über die ausdrückliche Einschränkung des Täterkreises in § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV nicht hinwegsetzen (vgl. allgemein zum Analogieverbot bei infektionsschutzrechtlichen Bußgeldnormen zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 ObOWi 660/21 bei juris).“

Unfallschadenregulierung zu Corona-Zeiten, oder: Was ist mit den Desinfektionskosten?

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Zum Wochenausklang – zumindest hinsichtlich der Berichte über Entscheidungen – dnan noch zwei zivilrechtliche Entscheidungen zur Unfallschadenregulierung.

Zunächst hier das AG Vaihingen, Urt. v. 29.06.2021 – 1 C 129/21 –,  das eine coronabedingte Problematik behandelt, nämlich die Frage, ob nach einer Repartatur von der Werkstatt in Rechnung gestellte Desinfektionskosten auch zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten, die vom Schädiger zu ersetzen sind, zählen. Das AG hat das bejaht:

„….. Konkret angefallene Reparaturkosten sind auch dann erstattungsfähig, wenn sie zur Beseitigung des Unfallschadens zwar objektiv nicht erforderlich waren, sich aber aus Sicht des Geschädigten subjektiv als erforderlich dargestellt haben. Dies ist Ausfluss der subjektbezogenen Bestimmung der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB. Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten durch die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht worden sind, hat grundsätzlich der Schädiger zu tragen; ihn trifft das Prognose- und Werkstattrisiko (BGH aaO).

2. Auch Desinfektionskosten sind deshalb erforderliche Kosten und nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos zu ersetzen.

Wäre das klägerische Fahrzeug nicht während der Pandemie beschädigt worden und zu reparieren gewesen, so wären die Kosten nicht angefallen. Die zusätzlichen Kosten sind darauf zurückzuführen, dass sich der Unfall gerade in der Zeit des erhöhten Infektionsrisikos ereignete, in der in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens kostensteigernde Hygienemaßnahmen ergriffen wurden, um Viren abzutöten bzw. das Infektionsrisiko zu senken. Weder die Klägerin noch die Beklagte haben einen Einfluss auf das Entstehen dieser zusätzlichen Kosten. Angesichts drohender Schließungen durch die Ordnungsämter bleibt auch Werkstätten nichts anderes übrig, als sich die Erkenntnisse über Möglichkeiten der Minimierung des Infektionsrisikos zu eigen zu machen und in den Betrieben umzusetzen. Dass die dadurch entstehenden Mehrkosten wie sämtliche Beschaffungskosten – ganz gleich ob es sich um Raumkosten, Material- oder Personalkosten handelt, auf die Kunden durch Preiserhöhungen umgelegt werden, entspricht den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Es kann dahinstehen, ob es sich um Maßnahmen des Arbeitsschutzes oder um Aufwendungen zum Schutz der Kunden handelt, der komplette Aufwand muss von der Reparaturwerkstatt mitkalkuliert werden (aA: AG Pforzheim, Urteil vom 2.12.2020 – 4 C 231/20). Es spielt im Ergebnis auch keine Rolle, ob diese Mehrkosten z.B. durch eine Erhöhung der Lohnkosten oder durch eine gesonderte Position „Desinfektionsmaßnahme Covid19″ berechnet werden. Die gesonderte Ausweisung schafft mehr Transparenz und dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die zusätzlichen Hygienemaßnahmen eines Tages nicht mehr notwendig sein werden.

3. Zwar wird auch vertreten, dass Desinfektionskosten nicht zum Unfall kausalen Schaden gehören (Landgericht Stuttgart 19 O 145/20 – juris), der Unfall habe sich rein zufällig im Zeitraum der Corona-Pandemie ereignet, so ein Fall trete statistisch nur einmal in einem Zeitraum von 100 -1000 Jahren ein, es handle sich um höhere Gewalt, die das jeweilige Lebensrisiko des einzelnen betreffe, billigerweise könnten dem Schädiger solche gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverläufe nicht zugerechnet werden (AG Stuttgart, Urteil vom 30. Dezember 2020 – 43 C 4029/20 –, Rn. 16 – 25, juris).

Diese Einordnung ist mit dem Grundsatz des BGH (aaO) nicht vereinbar. Der Geschädigte hat auf die Entstehung der zusätzlichen Desinfektionskosten keinen Einfluss, sie entstehen nur deshalb, weil er sein Fahrzeug zum Zwecke der Reparatur in eine Werkstatt geben muss. Auch die pandemiebedingten Zusatzkosten gehören deshalb zum erforderlichen Schadensbeseitigungsaufwand. Der Sachverständige hat diese Kostenposition in seinem Gutachten berücksichtigt und die Werkstatt hat sie genauso ausgeführt und in die Rechnung übernommen. Der Geschädigte hatte praktisch keine Möglichkeit, diese Kosten zu vermeiden, da sämtliche Werkstätten Hygienemaßnahmen betreiben und in Rechnung stellen.

4. Der weitere Einwand der Beklagten, die Kosten seien maßlos übersetzt, weil Desinfektionsmittel nicht mehr als ca. 1 € pro Liter kosteten, berücksichtigt nicht, dass die Werkstatt vor allem den Zeitaufwand ihrer Mitarbeiter in Rechnung stellt (4 AW = 66 €), sie ist kein Großhändler für Desinfektionsmittel. Die Position 245 GOÄ ist anders kalkuliert, eine Oberflächendesinfektion des Fahrzeuginnenraumes ist im medizinischen Bereich nicht vorgesehen. Dort sind Hygienemaßnahmen sowieso erforderlich und es geht nur um den erhöhten Aufwand, der mit 6,41 € im Einzelfall (zusätzlich) vergütet wird.“

Corona I: Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkung, oder: Nur der „Versorgungsgang“ zählt, sonst nichts

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So, heute dann mal wieder zum Wochenauftakt zwei „Corona-Entscheidungen“. Passt zu den steigenden Inzidenzen.

An der Spitze der BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 ObOWi 660/21 – zu Auslegung des Merkmals „triftiger Grund“ in § 4 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung  (fürchterliches Wort 🙂 ). Das AG hat den Betroffenen von dem gegen ihn in einem Bußgeldbescheid geamchten Tatvorwurf, vorsätzlich gegen die vorläufige Ausgangsbeschränkung nach § 5 Nr. 9 i.V.m. § 4 Abs. 2 der BayIfSMV verstoßen zu haben, frei gesprochen. Dem Betroffenen war zur Last gelegt worden, seine Wohnung am 13.04.2020 ohne triftigen Grund verlassen, sich gegen 13:20 Uhr zusammen mit 2 anderen Personen auf einem Parkplatz eines Schnellimbissrestaurants aufgehalten und dabei einen Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten zu haben.

Das BayObLG hat auf die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft den Freispruch aufgehoben:

„1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO) an ein freisprechendes Urteil genügt.

a) Das Urteil des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es keine ausreichenden Feststellungen enthält, welche die Beurteilung zuließen, ob der Freispruch zu Recht erfolgt ist. Auch wenn ein Gericht den Betroffenen aus Rechtsgründen freispricht, muss es Feststellungen zur Sache treffen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet wurde (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 22.03.2018 – 5 StR 566/17 = BGHSt 63, 107 = NJW 2018, 1767 = AnwBl 2018, 423 = StraFo 2018, 308 = wistra 2018, 346 = DNotZ 2018, 708 = JR 2018, 641 = StV 2019, 46 = WM 2019, 84 m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen wird das amtsgerichtliche Urteil nicht gerecht. Denn es wird schon nicht ausreichend mitgeteilt, welche Feststellungen zum maßgeblichen Tatgeschehen getroffen wurden. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich lediglich, dass der Betroffene sich am Tattag auf dem Parkplatz aufhielt und an Ort und Stelle zusammen mit zwei anderen Personen zuvor in einem Schnellrestaurant erworbene Speisen verzehrte. Die entscheidungserhebliche Frage, ob das Zusammentreffen und der gemeinsame Verzehr der Speisen vorher mit den anderen verabredet war oder es sich um ein zufälliges Treffen handelte, ließ das Amtsgericht ausdrücklich offen, weil es für beide Konstellationen davon ausging, dass ein Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkung aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Da dieser Ausgangspunkt des Amtsgerichts aber aus den nachfolgenden genannten Gründen nicht zutrifft, kann das angefochtene Urteil schon wegen des Mangels an hinreichenden Feststellungen keinen Bestand haben.

2. Bei der Beurteilung, ob der Betroffene durch sein Verhalten gegen die zum Tatzeitpunkt geltende Ausgangsbeschränkung verstoßen hat, kann – entgegen den Überlegungen des Tatrichters – nicht außer Betracht gelassen werden, ob der Betroffene – über das beabsichtigte Einkaufen von Speisen, das vom Amtsgericht noch ausreichend festgestellt wurde – mit dem Weggang aus der Wohnung noch weitere Ziele verfolgte.

a) Nach § 4 Abs. 2 BayIfSMV in der zur Tatzeit geltenden Fassung war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Gemäß § 5 Nr. 9 BayIfSMV war eine vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung bußgeldbewehrt im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG in der zur Tatzeit maßgeblichen Fassung vom 29.03.2020 (BGBl. 2020 I S. 587). Im Ansatz noch zutreffend geht das Amtsgericht unter Beachtung dieser Vorschriften davon aus, dass es aufgrund des Wortlauts der Normen allein darauf ankommt, ob im Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung triftige Gründe vorlagen oder nicht. Hätte sich der Betroffene deshalb mit triftigem Grund aus der Wohnung entfernt, wäre ein nachträglicher Motivwechsel, also ein weiteres Verweilen außerhalb der Wohnung nach Wegfall des triftigen Grunds, etwa wegen Zweckerreichung oder dergleichen, nicht von der Bußgeldvorschrift erfasst.

aa) Die gegenteilige Auffassung der Rechtsbeschwerde, wonach „nicht nur das bloße Verlassen der Wohnung sanktioniert ist, sondern jeder Aufenthalt im öffentlichen Raum ohne triftigen Grund“, ist mit dem Wortlaut der Regelungen zur Ausgangsbeschränkung nicht in Einklang zu bringen. Dem dort zum Ausdruck kommenden Koinzidenzprinzip in Bezug auf das Verlassen der Wohnung einerseits und das Vorliegen triftiger Gründe andererseits trägt die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte „Auslegung“ der eindeutigen und damit schon deswegen keiner Interpretation zugänglichen Norm nicht Rechnung. Eine zwar auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht prinzipiell zulässige und unter Umständen sogar gebotene Auslegung findet indes wegen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ihre Grenze im möglichen Wortsinn der Vorschriften (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschl. v. 01.09.2008 – 2 BvR 2238/07 = StraFo 2008, 463 = DAR 2008, 641 = NJW 2008, 3627 = EuGRZ 2008, 627 = NStZ 2009, 83 = NZV 2009, 47 = StV 2009, 126 = JR 2009, 206 = BVerfGK 14, 177; BGH, Urt. v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14 = BGHSt 63, 29 = WM 2018, 169 = NZG 2018, 156 = NJW 2018, 480 = wistra 2018, 214), die bei einer Gleichsetzung von Verweilen im öffentlichen Raum mit dem Verlassen einer Wohnung ohne triftigen Grund zweifelsfrei überschritten wäre. Die Anwendung der Vorschriften über die Ausgangsbeschränkung auf solche Fälle würde eine unzulässige Analogie in Form einer teleologischen Extension zulasten des Betroffenen darstellen. Dass aufgrund der Beachtung des Wortsinns als Grenze der Gesetzesinterpretation gegebenenfalls Ahndungslücken entstehen, muss demgegenüber hingenommen werden (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 = BVerfGE 126, 170 = ZIP 2010, 1596 = WM 2010, 1663 = StV 2010, 564 = wistra 2010, 380 = NJW 2010, 3209 = EuGRZ 2010, 656 = NStZ 2010, 626 = NWB 2010, 3719 = NZG 2010, 1143).

bb) Die Unrichtigkeit der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung wird auch dadurch belegt, dass die Bußgeldnorm ein aktives Tun, nämlich das Verlassen der Wohnung, umschreibt, während das bloße Verweilen außerhalb der Wohnung de jure lediglich als Unterlassen gewertet werden kann, was gemäß § 8 OWiG – unbeschadet der Frage, ob das Unterlassen überhaupt dem Tun entsprechen würde – nur dann relevant wäre, wenn eine Garantenpflicht bestünde. Für eine solche Rechtspflicht zum Handeln bestehen aber im Falle einer rechtmäßigen, weil mit triftigem Grund erfolgten Entfernung aus der Wohnung, keine Anhaltspunkte. Insbesondere kommt eine Garantenposition aus Ingerenz schon deswegen nicht in Betracht, weil es beim Verlassen der Wohnung mit triftigem Grund, sollte ein solcher vorgelegen haben, an einem pflichtwidrigen Vorverhalten fehlt, was nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz aber erforderlich wäre (vgl. nur BGH Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20, bei juris; Urt. v. 03.07.2019 – 5 StR 132/18 = BGHSt 64, 121 = NJW 2019, 3092 = GesR 2019, 638 = NStZ 2019, 662 = JZ 2019, 1042 = StV 2020, 106; FamRZ 2019, 1810 = BtPrax 2019, 250 = PflR 2019, 785 = ZMGR 2020, 48 = MedR 2020, 120 = JR 2020, 203; 09.05.2017 – 1 StR 265/16 = wistra 2017, 390 = StV 2018, 36 = BGHR AO § 371 Abs 2 Nr 2 Tatentdeckung 5 = NZWiSt 2018, 379 = ZStV 2019, 148 – m.w.N.).

b) Die Annahme des Amtsgerichts, die mit dem Verlassen der Wohnung verbundene Absicht, Nahrungsmittel zu beschaffen, stelle in jedem Fall einen triftigen Grund dar und es komme deshalb nicht darauf an, ob der Betroffene daneben weitere Zwecke verfolgt habe, trifft indessen nicht zu. Das Amtsgericht verkennt insoweit Bedeutung und Reichweite des Merkmals des „triftigen Grunds“.

aa) Die Bestimmung des § 4 Abs. 3 BayIfSMV enthielt eine exemplarische Aufzählung der anerkennenswerten Gründe, wobei in § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV „Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs“ genannt sind. Das Amtsgericht hat – isoliert betrachtet – freilich völlig bedenkenfrei die Auffassung vertreten, dass die Besorgung von Nahrungsmitteln hiervon erfasst wird. Allerdings hat der Tatrichter dann vorschnell aus dem Umstand, dass der Betroffene seine Wohnung offensichtlich zu diesem Zweck verlassen hat, den Schluss gezogen, dass jedenfalls ein triftiger Grund vorgelegen habe und deshalb eine Ahndung des Verhaltens – unabhängig von etwaigen weiteren Beweggründen, die möglicherweise keinen triftigen Grund ausmachen würden – ausscheiden müsste.

bb) Weil die Bußgeldbestimmung des § 5 Nr. 9 BayIfSMV nur das Verlassen „ohne triftigen Grund“ erfasst, schlussfolgert das Amtsgericht im Ergebnis zu Unrecht, dass weitere Motive ohne Bedeutung seien. Es spaltet ein einheitliches Geschehen in rechtlich anerkennenswerte Beweggründe einerseits und sonstige Motive des Normadressaten andererseits auf, ohne eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, und verstellt sich so den Blick auf eine am Wortlaut des § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV, der Normsystematik und vor allem an der ratio legis orientierte Auslegung. Schon die – wenn auch nur exemplarische – Aufzählung der vom Normgeber insbesondere anerkannten triftigen Gründe in § 4 Abs. 3 BayIfSMV deutet auf ein eher enges Verständnis hin. Bei einer Gesamtbetrachtung der dort umschriebenen Konstellationen zeigt sich, dass es sich jeweils um wichtige Angelegenheiten handelt, die in aller Regel keinen Aufschub dulden und denen aus der Sicht des Normgebers Vorrang vor einer etwaigen Gefährdung durch eine potentielle Verbreitung des Corona-Virus zukommen sollte. Insbesondere belegt die vom Amtsgericht selbst herangezogene Bestimmung des § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV, die explizit Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs erfasste, dass es dem Normgeber darauf ankam, das Verlassen der Wohnung eben nur zu dem Zweck der Beschaffung entsprechender Güter zu gestatten. Hieraus lässt sich zwanglos ableiten, dass allein der „Gang“ zum Geschäft und zurück zur Wohnung, als ausreichender Grund anzuerkennen ist, nicht aber, wenn darüber hinaus Betätigungen beim Verlassen der Wohnung beabsichtigt waren, die ihrerseits keinen triftigen Grund darstellten, nicht in zwingendem Zusammenhang mit dem Versorgungsgang standen und den Aufenthalt außerhalb der Wohnung über das für die Beschaffung erforderliche Maß hinaus ausdehnten. Dies gebietet insbesondere der mit den Infektionsschutzmaßnahmen verbundene Zweck, Kontakte, welche die Gefahr der Ausbreitung des Corona-Virus begünstigen, weitestgehend zu untersagen und diese nur dann zuzulassen, wenn das beabsichtigte Verlassen der Wohnung insgesamt von triftigen Gründen getragen war. Einem an diesem Schutzzweck orientierten Verständnis würde es aber eklatant zuwiderlaufen, falls der Betroffene sich zum Zwecke des gemeinsamen Verzehrs noch zu erwerbender Lebensmittel mit anderen außerhalb der Wohnung verabredet haben sollte. Denn gerade derartige Zusammenkünfte sollten, wie auch ein aus Gründen der Systematik gebotener Blick auf die – freilich nicht bußgeldbewehrte – Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 1 BayIfSMV belegt, unterbunden werden. Hiernach war ausdrücklich geregelt, dass „jeder angehalten wird, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.“

cc) Unzutreffend ist schließlich der vom Amtsgericht zur Stützung seiner Auffassung gezogene Umkehrschluss zu § 4 Abs. 3 Nr. 7 BayIfSMV. Nach dieser Bestimmung war das Verlassen der Wohnung zum Zweck des Sports und der Bewegung an der frischen Luft erlaubt, wobei jedoch die Einschränkung gemacht wurde, dass dies ausschließlich alleine, mit einer weiteren nicht im selben Hausstand lebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbildung erfolgte. Das Amtsgericht will hieraus den (Umkehr-)Schluss ziehen, es sei nicht verboten gewesen, „zum Zweck des gemeinsamen Einkaufens von Nahrungsmitteln die Wohnung zu verlassen.“ Die darin zum Ausdruck kommende Annahme, dem Normgeber wäre es darum gegangen, nur beim Sport Gruppenbildungen zu unterbinden, bei sonstigen Betätigungen außerhalb der Wohnung aber zuzulassen, ist indes nicht vertretbar. Es liegt auf der Hand, dass der Normgeber gerade bei sportlichen Betätigungen außerhalb der Wohnung, die nicht selten in Gemeinschaft mit anderen erfolgen, eine dahingehende Einschränkung für geboten erachtete. Hieraus kann insbesondere mit Blick auf den Normzweck aber keinesfalls abgeleitet werden, die Kontaktaufnahme mit anderen Personen anlässlich von Versorgungsgängen sei vom Normgeber erwünscht gewesen oder zumindest gebilligt worden.“

Gebühren nach Freispruch im „Corona-Verfahren“, oder: Unterdurchschnittlich/Rechtsfragen ausgetragen

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Heute dann „RVG-Tag“.

Den beginne ich mit dem LG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2021 – 2b Qs 160/21. Den Beschluss hätte ich auch an einem Montag unter der Thematik „Corona“ vorstellen können. Denn es geht um die Erstattung der anwaltlichen Gebühren nach einem Freispruch wegen eines Verstoßes gegen die Corona-VO Niedersachsen. Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid erlassen worden, weil er sich mit zwei weiteren Personen in einem Pkw befunden und dabei nicht den erforderlichen Mindestabstand eingehalten habe. Mit dem Bescheid wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt.

Nach Freispruch hatte der Verteidiger die notwendigen Auslagen geltend gemacht und zwar für sich als Abtretungsempfänger. Festgesetzt worden ist zugunsten des Betroffenen, und zwar nur in einer geringeren Höhe als beantragt. Lassen wir mal die Frage der Abtretung außen vor – insoweit bitte selbst lesen, was das LG auf die sofortige Beschwerde meint – was m.E. falsch ist. Hier soll es nur um die Gebührenhöhe gehen. Dazu wird ausgeführt:

„2. Die vom Verteidiger angesetzten Gebühren sind unbillig gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit liegt jedenfalls insgesamt eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vor. Es handelt sich nämlich um ein einfach gelagertes Ordnungswidrigkeitsverfahren, das keiner besonderen Vorbereitung bedurfte. Inhaltlich war lediglich zu klären, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt, wobei es sich um eine reine Rechtsfrage handelte. über die es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits Ausführungen in zwei Beschlüssen des Amtsgerichts Stuttgart (Az.: 4 OWi 177 Js 68534/20) und Amtsgericht Reutlingen (4 OWi 23 Js 16246/20) gab. Es handelte sich daher auch nicht um eine. wie der Verteidiger meint, nicht ausgetragene Rechtsfrage. Darüber hinaus ergibt sich aus der Akte kein Hinweis darauf, dass an dem Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse bestand. Die Dauer der Hauptverhandlung betrug lediglich 10 Minuten, wobei Zeugen nicht vernommen worden sind und der Betroffene von dem persönlichen Erscheinen entbunden worden ist. Der Schriftverkehr mit dem Verteidiger beschränkte sich auf den Einspruchsschriftsatz vom 29.06.2020 und eine Einspruchsbegründung vom 02.07.2020 deren Inhalt äußerst überschaubar war. Der Aktenumfang war mit 34 Blatt bis zum Beginn der Hauptverhandlung gering, wobei sich ein nicht unerheblicher Teil des Umfanges aus den Folgen der teilweisen mehrfachen Heftung von ergänzenden Sachverhaltsmitteilungen/Stellungnahmen ergab.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist angesichts der verhängten Geldbuße in Höhe von 200,00 € noch als unterdurchschnittlich zu bewerten. Es drohten weder berufliche noch andere einschneidende Konsequenzen. Der Verteidiger hat in der Beschwerdeschrift vom 23.05.2021 zwar vorgetragen, dass die Angelegenheit für den Betroffenen von hoher Bedeutung gewesen sei, da im Wiederholungsfalle (anders als im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht) dramatische Bußgelderhöhungen gedroht hätten. Dieses Vorbringen ist jedoch zu allgemein gehalten, um daraus ein billiges Ermessen für die Gebührenbestimmung abzuleiten. Der Verteidiger hat bereits nicht vorgetragen, warum es bei dem Betroffenen im Verurteilungsfalle zu Wiederholungsfällen hätte kommen sollen, wäre er doch in diesem Falle besonders sensibilisiert gewesen.

Die genauen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind unbekannt. Sie bleiben daher als Gebührenbemessungskriterien außer Betracht. Für die Angemessenheit einer Gebühr ist der Rechtsanwalt darlegungs- und beweispflichtig.“

Dazu nur: Die Ausführungen des LG zur Gebührenbemessung sind ebenfalls falsch. Sie kranken schon daran, dass das LG den falschen Maßstab zugrunde legt. Auszugehen ist nämlich auch im Bußgeldverfahren von der Mittelgebühr. Auf der Grundlage sind dann die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Dabei hat dann m.E. die Schwierigkeit des Verfahrens hier so erhebliches Gewicht, dass – selbst wenn die anderen Umstände unterdurchschnittlich wären, was sie nicht sind – die geringfügige Überschreitung der Mittelgebühr durch den Verteidiger zumindest aber die Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen wäre. Denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Verteidigers haben, was das LG geflissentlich übersieht, die beiden von ihm erwähnten Entscheidungen des AG Stuttgart und des AG Reutlingen noch nicht vorgelegen, auch gab es noch keine OLG-Rechtsprechung zu der Problematik, so dass die anstehenden Rechtsfragen eben doch „nicht ausgetragen“ waren und eine umfassende Auseinandersetzung auch mit der verfassungsrechtlichen Problematik erforderten. Das mag heute nach einem Jahr „Pandemie-Rechtsprechung anders sein. Im Frühjahr 2020 waren die Fragen Neuland.

Fazit: Gewogen und zu leicht befunden. Und: Ganz schlaues LG.

Corona: Maskenpflicht auch bei Inzidenz unter 50, oder: Reicht das Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht?

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Die zweite Entscheidung zum Wochenauftakt befasst sich mit Corona dem nächsten Dauerbrenner. Das AG Lüneburg hat im AG Lüneburg, Urt. v. 10.06.2021 – 34 OWi 260/21 –zur Frage eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen eine „Maskenpflicht“ und zu den Anforderungen an ein Attest zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Maske Stellung genommen.

Im Bußgeldbescheid war der Betroffenen vorgeworfen worden, sich am 16.11.2020 gegen 16:35 Uhr in Lüneburg im Bereich Am Ochsenmarkt ohne Maske aufgehalten zu haben. Das AG hat frei gesprochen. Das AG bezweifelt, ob ein bußgeldbewehrter Maskenverstoß bei einem Inzidenzwert von unter 50 – wie am Tattag – überhaupt vorliegt. Jedenfalls sei aber die Betroffene wirksam von einer etwaigen Maskenpflicht befreit.

Ich lasse jetzt hier mal die Ausführungen des AG zur Frage, ob überhaupt ein Maskenverstoß vorliegen konnte, außen vor. Denn die sind/waren m.E. überflüssig bzw. auf die Frage kam es nicht an, wenn man von einer wirksamen Befreiung ausgegangen ist. Und das hat das AG getan:

„3. Unabhängig von einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung oder deren Folgen für das Bußgeldverfahren liegt jedenfalls im konkreten Fall im Ergebnis kein bußgeldrelevanter Maskenverstoß vor. Selbst wenn man davon ausginge, dass zum Tattag eine Maskenpflicht bestanden haben sollte und diese bußgeldrechtlich hätte geahndet werden können, ist die Betroffene wirksam von einer etwaig bestehenden Maskenpflicht befreit. Aufgrund Ziffer 4 der Allgemeinverfügung in Verbindung mit § 3 Abs. 6 der Corona-Verordnung vom 30.10.2020 in der Fassung vom 06.11.2020 gilt die Maskenpflicht nicht für Personen, die vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung oder Vorerkrankung wegen Unzumutbarkeit befreit sind, und den Nachweis zur Glaubhaftmachung mitführen. Die Betroffene hat durch Vorlage einer Kopie des ärztlichen Attestes einer ortsansässigen Allgemeinmedizinerin datiert vom 04.06.2020 glaubhaft gemacht, von der Maskenpflicht befreit zu sein.

Soweit die Behörde der Auffassung ist, dass das seitens der Betroffenen vorgelegte Attest den Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes von der Pflicht zur Nutzung eines Mund-Nasen-Schutzes nicht genüge, kann dem nicht gefolgt werden.

Anders als andere Corona-Verordnungen verlangt weder § 3 Abs. 6 der Niedersächsische Corona-Verordnung noch die Allgemeinverfügung in den jeweils damals geltenden Fassungen die Angabe einer konkreten Diagnose. Bereits aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes kann nicht ohne Weiteres eine über den Wortlaut hinausgehende Voraussetzungen zur Maskenbefreiung verlangt werden.

Der auch in anderen Verfahren seitens der Behörde vorgelegte Aufsatz über das ärztliche Attest in der COVID-19 Pandemie, auf den sich die Behörde in Bezug auf das Erfordernis der konkreten Angaben in dem Attest bezieht, ist als eine „Interdisziplinäre Handreichung betreffend der Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung“ betitelt und damit lediglich als Anleitung für die Ärzte beim Ausstellen eines Attestes zu verstehen, um den prüfenden Behörden die Arbeit zu erleichtern. Diese Angaben mögen im verwaltungsrechtlichen Verfahren sinnvoll sein und eine Arbeitserleichterung darstellen. Hierdurch wird aber kein verpflichtender Inhalt eines Attests definiert.

Unabhängig davon kann nach hiesiger Auffassung ein derart detailliertes Attest aber auch insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verlangt werden. Etwaige Entscheidungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zur Befreiung von der Maskenpflicht im Schulunterricht können nicht ohne Weiteres auf das bußgeldrechtliche Verfahren übertragen werden. Denn die dortige Rechtsprechung bezog sich auf Anträge auf Feststellung zur Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen im jeweiligen Einzelfall, bei denen die Prüfung des Befreiungstatbestandes jeweils von dem ohnehin den datenschutzrechtlichen Bindungen unterliegenden Gericht vorgenommen wurde. Mittlerweile hat aber auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Eilverfahren, insbesondere für den – auch hier maßgeblichen – außerschulischen Bereich entschieden, dass das zum Nachweis einer Befreiung von der Maskenpflicht vorzulegende ärztliche Zeugnis keine konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose) sowie keine konkreten weiteren Angaben beinhalten müsse (vgl. dazu nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 04.01.2021 – 11 S 132/20). Die Abwägung zwischen den Rechten eines Betroffenen an der Geheimhaltung seiner besonders sensiblen Gesundheitsdaten einerseits und dem Interesse der Verfolgungsbehörden, der Gefahr von Gefälligkeitsattesten vorzubeugen andererseits, fiel eindeutig zu Gunsten der Betroffenen aus. Inzwischen haben auch andere Länder klargestellt, dass sogar ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine konkrete Diagnose mehr zu enthalten hat (vgl. dazu nur Ebert/Rinne in „Offenbarungspflichten bei medizinischen Masken-Attesten, ARP 2021, 124 ff. und beck-online mit weiteren Nachweisen).

Die Argumentation des Landkreises Lüneburg, das Attest müsse lediglich der Polizei und den Verfolgungsbehörden vorgelegt werden, verfängt nicht und ist überdies nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat die Betroffene das Attest jeder Person in jeder Situation vorzulegen, sobald sie ohne Maske Zugang begehrt. Demnach trifft zwar zu, dass die Betroffene indirekt selbst entscheidet, wem sie das Attest zeigt. Nachdem – wie allseits bekannt ist – aber jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt bis noch vor kurzem eine sehr umfangreiche fast flächendeckende Maskenpflicht sowohl in geschlossenen Räumlichkeiten als auch im öffentlichen Raum bestand, und die Betroffene demnach lediglich die Wahl hatte und hat, ohne Vorlage eines Attests von vorneherein auf Zugang gänzlich zu verzichten oder doch die Maske aufzusetzen, dürfte offensichtlich sein, dass das Verlangen eines derart detaillierten Attests unzumutbar ist. Inwieweit der Betroffenen ggf. von Privaten nach Vorlage des Attests der Zugang dennoch tatsächlich verwehrt wird bzw. werden könnte, ist unerheblich.

Hätten tatsächlich begründete Zweifel an der Kopie oder der inhaltlichen Richtigkeit des Attestes bestanden, wären weitere Ermittlungen angezeigt gewesen. Hätten diese ergeben, dass es sich tatsächlich um eine gefälschte Kopie bzw. ein gefälschtes Attest (wovon offenbar nicht einmal der Landkreis Lüneburg ausgegangen ist) oder um ein „Gefälligkeitsattest“ handelt, hätten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Hierfür lagen und liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor. Die Betroffene oder die Ärztin aufgrund eines angeblich zu „pauschalen“ Attests unter Generalverdacht immerhin einer Straftat (jedenfalls § 278 StGB) zu stellen, ist nicht nur völlig ungerechtfertigt, sondern könnte aufgrund der drohenden pauschalen Kriminalisierung im Einzelfall sogar dazu führen, dass ein Arzt das Ausstellen eines Attests trotz bestehender Diagnose verweigert und eine betroffene Person hierdurch kein berechtigtes Attest erhält bzw. eine Maske aufsetzt bzw. aufsetzen muss, obwohl dies aufgrund der vorliegenden Diagnose gesundheitsgefährdend wäre. In diesem Zusammenhang darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Arzt immerhin einen verpflichtenden Eid abgelegt hat, der ihn unabhängig von etwaiger strafrechtlichen Bewertung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet…..“