Archiv der Kategorie: beA/elektronisches Dokument

Berechnung der Vergütung durch den Anwalt, oder: Reicht ein Schriftsatz per beA mit einfacher Signatur?

Bild von LEANDRO AGUILAR auf PixabaybUnd heute zum Wochenausklang wieder ein wenig RVG.

Ich beginne mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2022 – 3 W 111/22, der sich zum „Zusammenspiel“ zwischen § 10 RVG – also Berechnung der Vergütung durch den Rechtsanwalt – und dem Zugang der Berechnung in Schriftform beim Mandanten allein über das beA/elektronisches Dokument. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren nach § 11 RVG. Die Rechtspflegerin war davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Gebührenfestsetzung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht vorliegen. Sie hatte das Vorliegen einer vom beantragenden Rechtsanwalt unterzeichneten Berechnung verneint, weil sich seine Kostenaufstellung allein in einem aus dem beA des Rechtsanwalts mit einfacher Signatur versehenen, an das LG im (Kosten(Festsetzungsverfahren versendeten Schriftsatz befand.

Das hat das OLG ebenso gesehen:

„Hier mangelt es, wie die Rechtspflegerin zutreffend ausgeführt hat, an einer von ihm unterzeichneten Berechnung.

Normzweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Übernahme der Verantwortung für die Richtigkeit der Berechnung in strafrechtlicher (§ 352 StGB), zivilrechtlicher und berufsrechtlicher Hinsicht durch den Rechtsanwalt. Der Inhalt der Berechnung muss durch die Unterschrift des Rechtsanwalts gedeckt sein. Ein Faksimilestempel oder ein Handzeichen reichen als Unterschrift nicht aus (BeckOK RVG/v. Seltmann, 57. Ed. 1.9.2021, RVG § 10 Rn. 6 f.). Insoweit handelt es sich um dieselben Voraussetzungen des Schriftformerfordernisses des § 126 Abs. 1 1. Fall BGB, wonach eine Unterzeichnung durch eigenhändige Namensunterschrift des Ausstellers erforderlich ist (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, § 10 Rn. 5, 11).

Vorliegend befindet sich die Kostenaufstellung allein in dem aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Antragstellers mit einfacher Signatur versehenen, an das Landgericht versendeten Schriftsatz vom 30. Dezember 2021 im Festsetzungsverfahren (Bl. 123 GA). Diese Übermittlung genügt zwar den prozessualen Anforderungen des § 130a ZPO an die elektronische Einreichung von Schriftsätzen: Gemäß § 130a Abs. 3 2. Alt. i.V.m Abs. 4 Nr. 2 ZPO kann anstatt der Übermittlung des elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur auch dessen (einfache) Signatur durch die verantwortende Person und die Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg, wie dem beA erfolgen.

Diese auf die Abgabe prozessualer Erklärungen beschränkte Vorschrift berührt die förmlichen Voraussetzungen für die Abgabe von materiellrechtlichen Erklärungen allerdings nicht (BeckOK ZPO/von Selle, 46. Ed. 1.9.2022, § 130a Rn. 6 f.; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 f. beck-online). So sieht § 126a Abs. 1 BGB ausdrücklich und unverändert vor, dass die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form (s.o.) durch die elektronische Form nur dadurch ersetzt werden kann, dass das elektronische Dokument vom Aussteller mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird.

Der Festsetzungsantrag ist hier nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern nur mit einer einfachen Signatur versehen worden. Eine solche meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann – wie hier – der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein (vgl. BAG, Beschluss vom 14. September 2020 – 5 AZB 23/20, Rn. 15, juris; BeckOK ZPO/von Selle, a.a.O., § 130a Rn. 16). Dadurch ist dem Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG weder nach § 126 Abs. 1 BGB noch nach § 126 Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB genügt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung, die in diesem Zusammenhang zu in Papierform eingereichten Schriftsätzen ergangen ist: Danach kann die Berechnung auch in einem vom Rechtsanwalt unterzeichneten prozessualen Schriftsatz enthalten sein (BGH, Versäumnisurteil vom 4. Juli 2002 – IX ZR 153/01, Rn. 13, juris zu § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Hierzu zählt auch ein Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 59, juris; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 6, 30 m.w.N.). Mit der Zustellung der Klage oder eines anderen Prozessschriftsatzes ist die Berechnung dem Auftraggeber mitgeteilt (BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 10 Rn. 8). Die Unterzeichnung soll (nur) sicherstellen, dass die Rechnungen von dem Rechtsanwalt (oder einem bevollmächtigten Vertreter) erstellt und überprüft worden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 61, juris).

Diese Rechtsprechung erfolgte auf der Prämisse, dass der eingereichte (Papier-) Schriftsatz eine der Form des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG entsprechende Berechnung enthält, diese also der – materiellrechtlich erforderlichen – Schriftform entspricht. Ferner legt sie zugrunde, dass die Zustellung des (Papier-)Schriftsatzes an den Mandanten in Form einer vom Rechtsanwalt beglaubigten Abschrift des Schriftsatzes zugeht, die entsprechend der Vorgabe in § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Praxis üblicherweise dem Antrag beigefügt ist. Dies entspricht insoweit der Rechtsprechung zu empfangsbedürftigen formgebundenen Willenserklärungen, die gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nur wirksam werden, wenn sie dem Empfänger in der vorgeschriebenen Form zugehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – XI ZR 139/05, Rn. 13, juris zum Verbraucherkreditvertrag; MüKoBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, § 568 Rn. 5 zur Wohnraumkündigung; zweifelnd HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 8. Aufl. 2021, § 11 Rn. 81; BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 11 Rn. 35).

Übertragen auf den elektronischen Rechtsverkehr ist vorliegend beides nicht der Fall: Der bei Gericht eingegangene Schriftsatz entsprach mangels qualifizierter elektronischer Signatur nicht der – materiellrechtlich erforderlichen – Form des § 126a Abs. 1 BGB. Ferner gelangte er auch nicht in der entsprechenden Form an den Antragsgegner. §298 ZPO sieht vor, dass, wenn die Akten, wie vorliegend, in Papierform geführt werden, von einem elektronischen Dokument ein Ausdruck für die Akten zu fertigen ist. Wird dem Prozessgegner, wie hier, das elektronische Dokument in Papierform zugestellt, erhält er einen Ausdruck des elektronischen Dokuments mit einem Transfervermerk (vgl. BT-Drs. 15/4067, 32; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 beck-online). Aus diesem ergibt sich vorliegend ohne weiteres die Nichteinhaltung der Form des §126a Abs. 1 BGB.

Demnach wird bei Einreichung eines mit gültiger (einfacher) Signatur des Absenders versehenen Schriftsatzes bei Gericht und Übermittlung dieses Schriftsatzes durch das Gericht an einen dritten Empfänger die elektronische Form im Verhältnis zwischen Absender und Empfänger nicht eingehalten. Denn die Legitimationswirkung der Absendersignatur (§ 130a Abs. 3 2. Fall, Abs. 4 ZPO) besteht nur gegenüber dem Gericht. Der hier vom Gericht per Postzustellung übersandte Ausdruck genügt weder der Schriftform noch der elektronischen Form (Bl. 129 GA, vgl. AG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2022 – 48 C 304/21, Rn. 40, juris zur Wohnraumkündigung).

Der Antragsteller hat von der Möglichkeit, die Abrechnung in schriftlicher Form im Beschwerdeverfahrens nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1998 – IX ZR 63/97, Rn. 38, juris), keinen Gebrauch gemacht, obwohl die Rechtspflegerin in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 11. Juli 2022 Ausführungen zum Formmangel gemacht hat. Eines weiteren gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht.“

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit?, oder: „PER FAX DA BEA DERZEIT HIER OHNE FUNKTION“

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Und die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 30.08.2022 – 4 StR 104/22 – befasst sich auch mit der Frage der Formwirksamkeit von Rechtsmittelerklärungen und, wie man Fehler ggf. beheben kann.

Hier hatte der Verteidiger die Revisionsbegründung nicht in elektronischer Form (§ 32a StPO)  eingelegt. Und dann ist Weiteres schief gelaufen. Folge: Wiedereinsetzungsantrag und Revision werden verworfen:

„1. Seine hiergegen eingelegte Revision ist nicht fristgerecht begründet worden und daher unzulässig. Denn die beiden Revisionsbegründungen sind dem Landgericht zwar innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 3 StPO, aber nicht in elektronischer Form (§ 32a StPO) und damit gemäß § 32d Satz 2 StPO nicht wirksam übermittelt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2022 — 4 StR 59/22 Rn. 2; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Februar 2022 -1 Ss 28/22, StraFo 2022, 147, 148 mit zutreffendem Hinweis auf die Gesetzes-begründung, BT-Drucks. 18/9416, S. 51).

Ein Ausnahmefall gemäß § 32d Satz 3 StPO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Übermittlung in Papierform nur dann zulässig, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Diese vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 32d Satz 4 Halbs. 1 StPO). Dies ist jeweils nicht geschehen. Die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt K. vom 21. Januar 2022 enthält keine Ausführungen dazu, warum die Einreichung mittels Telefax erfolgt ist. In der Revisionsbegründung von Rechtsanwalt M. vom 3. Februar 2022 ist lediglich auf dem ersten Blatt links oben in fettgedruckten Großbuchstaben vermerkt: „PER FAX DA BEA DERZEIT HIER OHNE FUNKTION“. Aus dieser stichwortartigen Zustandsbeschreibung ergibt sich nicht, dass im Zeitpunkt der Übermittlung eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur existierte und eine nur vorübergehende technische Störung gegeben war. Die weiteren Ausführungen der Verteidiger in den — überdies nicht an das Landgericht, sondern an den Generalbundesanwalt gerichteten — Schriftsätzen vom 4., 7. und 12. April 2022 sind erst mehr als zwei Monate nach der Übermittlung der Revisionsbegründungen vom 21. Januar 2022 und vom 3. Februar 2022 und damit jedenfalls nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 32d Satz 4 StPO erfolgt.

2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist ebenfalls unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Ver-schulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dabei kommt es auf die Kenntnis des Angeklagten an (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2019 — 3 StR 560/18, StraFo 2019, 280). Diese Wochenfrist ist vorliegend nicht gewahrt. Der zum Wegfall des Hindernisses führende Hinweis des Generalbundesanwalts ist dem Angeklagten am 1. April 2022 zugestellt worden. Der daraufhin angebrachte Wiedereinsetzungsantrag vom 12. April 2022 ist erst am 13. April 2022 und damit nach Fristablauf beim Landgericht eingegangen.

3. Für eine gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist besteht schon deshalb kein Anlass, weil insoweit ein Mitverschulden des Angeklagten mit Blick auf die ihm durch den Hinweis des Generalbundesanwalts bereits vermittelte Kenntnis von der formunwirksamen Revisionseinlegung rch seinen Verteidiger nicht ausgeschlossen erscheint (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1972 — 1 StR 267/72, BGHSt 25, 89, 90 ff.; Beschluss vom 9. Juli 2022 — 4 StR 68/22, juris Rn. 7).“

beA I: Formunwirksame Einlegung der Revision per Fax, oder: Frist- und formwirksame Nachholung?

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Und im „Kessel Buntes“ dann heute etwas zum bea und/oder, was damit zu tun hat.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 09.08.2022 – 6 StR 268/22. Schon etwas älter, aber ich habe ihn jetzt erst gefunden. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach einer vom Verteidiger noch im Februar 2022 per Fax eingelegten Revision. Der Beschluss ziegt noch einmal sehr schön, worauf es dabei ankommt:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig und begründet.

1. Der Angeklagte hat die Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) versäumt. Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (vgl. BT-Drucks. 18/9416 S. 51; BGH, Beschlüsse vom 20. April 2022 – 3 StR 86/22; vom 28. April 2022 – 4 StR 59/22; vom 24. Mai 2022 – 2 StR 110/22; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 32d Rn. 2). Diesen Anforderungen entspricht die am 23. Februar 2022 per Telefax übermittelte Revisionseinlegung nicht. Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach § 32d Satz 3 StPO sind nicht dargetan.

2. An dieser Fristsäumnis traf den Angeklagten, wie sein Verteidiger fristgerecht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), allerdings kein Verschulden. Den Auftrag zur Revisionseinlegung hatte der Beschuldigte demzufolge rechtzeitig erteilt; es ist deshalb allein auf Anwaltsverschulden zurückzuführen, dass die Revision nicht formgerecht und mithin nicht wirksam eingelegt wurde.

3. Die versäumte Handlung hat der Verteidiger frist- und formwirksam nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1992 – 1 StR 704/91, BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 11). Die innerhalb der Wochenfrist nach § 45 Abs. 1 StPO eingelegte Revision erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse der § 32d Satz 2, § 32a StPO.

a) Nach § 32a Abs. 3 StPO muss die schriftlich abzufassende Revisionseinlegung bei einer Übermittlung als elektronisches Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder aber von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg bei dem elektronischen Gerichts- oder Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht werden. Ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 32a Abs. 3 StPO ist etwa gemäß § 32a Abs. 4 Nr. 2 StPO die Übersendung über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (§ 31a BRAO). Dabei muss die elektronisch übermittelte Revisionsbegründung gemäß § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 14 ElektronischeRechtsverkehr-Verordnung (ERVV) ein Dokument im Dateiformat PDF sein (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 3 StR 89/22 Rn. 12; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 130a Rn. 4).

b) Dem entspricht die eingelegte Revision. Dies ergibt die gebotene Zusammenschau von Verteidigerschriftsatz und dem zu den Akten zu nehmenden Prüfvermerk des EGVP (vgl. BGH, aaO Rn. 13 mwN), der hier namentlich Angaben zur Einreichung über das besondere elektronische Anwaltspostfach durch den signierenden Verteidiger und zum Dateiformat des übermittelten Dokuments enthält.“

beA II: Wirksamkeit der Berufungsrücknahme per Fax, oder: Berufungsrücknahme per Fax zulässig

folgenden Text dazu nutzen:
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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 Ws 312/22. das hat sich in dem Beschluss zur Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme geäußert.

Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen versuchter Nötigung und vorsätzlicher Gefährdung verurteilt worden. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt A., legte am 29.04.2022 fristgerecht unter Wahrung der Form des § 32d Satz 2 StPO gegen das Urteil Berufung ein. Nach Vorlage der Akten an das LG zeigte Rechtsanwalt B. am 04.07.2022 die Verteidigung des Angeklagten an und reichte nach Gewährung von Akteneinsicht mit am 08.08.2022 beim LG eingegangenem Schreiben die Kopie einer vom Angeklagten am 30.06.2022 unterzeichneten Vollmacht für das Berufungsverfahren vor, in welcher Rechtsanwalt B. ausdrücklich ermächtigt wurde, Rechtsmittel zurückzunehmen. Wenige Tage vor dem anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung erklärte Rechtsanwalt B. mit Telefax vom 05.10.2022, eingegangen beim Landgericht am 07.10.2022 (11.21 Uhr): „Nehmen wir namens und in Auftrag des Angeklagten die eingelegte Berufung zurück“.

Nach Aufhebung des Hauptverhandlungstermins im Hinblick auf die Berufungsrücknahme, den Verteidigern mitgeteilt per Fax vom 07.10.2022 (12.35 Uhr), „korrigierte“ mit Fax vom 07.10.2022, Rechtsanwalt B. seine Erklärung wie folgt: „Der Beschuldigte nimmt die eingelegte Berufung nicht zurück. Der Beschuldigte wird vom Unterzeichner nicht weiter anwaltlich vertreten. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen, es gab ein Kommunikationsmissverständnis mit dem Mandanten.“ Mit Schreiben vom 14.10.2022 teilte Rechtsanwalt B. ergänzend Folgendes mit: „….wird nochmals klargestellt, dass der Verteidiger Rechtsanwalt B. vom Angeklagten nicht ausdrücklich zur Rücknahme beauftragt wurde. Der Unterzeichner ging fälschlicherweise davon aus, dass eine Berufungsrücknahme gewünscht sei. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Die Berufungsrücknahme erfolgte alleine durch einen Kanzleifehler des Verteidigers.“

Das LG hat die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme und die Erledigung des Berufungsverfahrens festgestellt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde (§ 346 Ans. 2 StPO) hatte keinen Erfolg.

Das OLG äußert sich zur Frage der Ermächtigung zur Berufungsrücknahme. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur den Leitsatz des OLG dazu ein:

Die in einer formularmäßigen Strafprozessvollmacht enthaltene Ermächtigung des vom Angeklagten speziell für das Berufungsverfahren beauftragten (weiteren) Verteidigers zur Rücknahme von Rechtsmitteln ermächtigt als ausdrückliche Ermächtigung i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO diesen zur Rücknahme einer (vom anderen Verteidiger zuvor eingelegten) Berufung.

Und dann äußert sich das OLG zur Form der Berufungsrücknahme, und zwar wie folgt:

„4. Die Rücknahme der Berufung konnte wirksam durch von Rechtsanwalt B. unterzeichnetes und per Telefax an das Gericht übermitteltes Schreiben erfolgen; eine Verpflichtung zur Übermittlung der Erklärung in der von § 32d S. 2 StPO vorgeschriebenen Form (über „beA“) besteht nicht. Zwar strebt der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des Rechtsverkehrs v. 05.07.2017 (BGBl. I, 2229) mit dem am 01.01.2022 in Kraft getretenen und mit „Pflicht zur elektronischen Übermittlung“ überschriebenen § 32d StPO ausdrücklich eine Übermittlung aller Dokumente in elektronischer Form an. Dass S. 1 dennoch nur als Sollvorschrift ausgestaltet ist, ist darauf zurückzuführen, dass die strenge Nutzungspflicht nach S. 2 auf Dokumente beschränkt bleiben sollte, bei denen von vornherein ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation abzugeben sind, in der die Infrastruktur für eine elektronische Einreichung nicht zur Verfügung steht (BT-Drs. 18/9416, 50). Zwar kann die Erklärung über die Rücknahme der Berufung eine solche Sondersituation nicht für sich in Anspruch nehmen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der obligatorisch elektronisch vorzunehmenden Verfahrenshandlungen in § 32d S. 2 StPO ausdrücklich und abschließend auf lediglich einzelne ausgewählte schriftliche Erklärungen beschränkt und auch andere Verfahrenshandlungen wie etwa den Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 StPO), bei dem ebenfalls eine besonders eilbedürftige Situation auszuschließen ist, von dieser Verpflichtung – wegen seiner offensichtlichen praktischen Relevanz sicherlich nicht unbewusst – ausdrücklich ausgenommen. Mit der in § 32d StPO geschaffenen Regelung hat sich der Gesetzgeber – bewusst unvollkommen, gleichwohl abschließend – für bestimmte Prozesserklärungen entschieden, welche er in S. 2 exklusiv der strengen Form als Voraussetzung ihrer Zulässigkeit unterwirft.

5. Wortlaut und Systematik des § 32d StPO lassen daher eine erweiterte Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass die Form der Rücknahme eines Rechtsmittels sich nach der für dessen Einlegung geltenden Form richte, nicht zu. Soweit die Rechtsprechung den Rechtsmittelverzicht und die Rücknahme eines Rechtsmittels in Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich an die gleiche Form wie die Einlegung des Rechtsmittels bindet (BGHSt 18, 257, 260; BGH NStZ 2009, 51; BeckRS 2016, 06313; KG NStZ 2015, 236; KG BeckRS 2020, 9976; BeckOK StPO/Cirener, 45. Ed. 1.10.2022, StPO § 302 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022 § 302 Rn. 7), gilt dies nur für Erklärungen des Angeklagten selbst. Dieser muss – zum eigenen Schutz vor Abgabe einer übereilten oder nicht überprüften Erklärung – die Rücknahme eines Rechtsmittels schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären. Schutzbelange des Angeklagten sind aber nicht tangiert, wenn der vom Angeklagten hierzu ausdrücklich ermächtigte Verteidiger die Erklärung über die Rechtsmittelrücknahme nicht über „beA“, sondern per Telefax dem Gericht übermittelt.“

Aber dennoch Vorsicht: Man sollte ggf. doch das beA benutzen. Denn man weiß ja nie….. 🙂

beA I: Der Verteidiger hat keine Ahnung vom beA, oder: Kein Verschulden des Angeklagten

Smiley

Ich starte in die neue Woche dann mit zwei „beA-Entscheidungen“. Man merkt, die Rechtsprechung hat mit den Neuregelungen zu tun.

Hier stelle ich zunächst den BGH, Beschl. v. 02.11.2022 – 6 StR 413/22 – vor. Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes  verurteilt. Gegen das Urteil vom 17.05.2022 hat der Angeklagte mit einem am 20.05.2022 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Verteidiger, der Rechtsanwälte K. und F.  Revision eingelegt. Mit einem am 23.06.2022 über das beA übermittelten Dokument hat Rechtsanwalt K.  erneut – nunmehr formgerecht – Revision eingelegt. Mit einem weiteren Schriftsatz vom selben Tage hat er beantragt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren. Zur Begründung hat er anwaltlich versichert, dass er am 22.06.2022 im Anschluss an die Urteilsverkündung in einer anderen Strafsache beim LG Neubrandenburg beiläufig einen kollegialen Hinweis auf § 32d StPO und das zum 01.01.2022 geänderte Formerfordernis für Revisionen und ihre Begründung erhalten habe. Dadurch sei ihm sofort klargeworden, dass die Revision mit dem Schriftsatz vom 19.05.2022 nicht formgerecht eingelegt worden sei; beide Verteidiger hätten sich seinerzeit nicht bewusst gemacht, dass das Formerfordernis zum 01.01.2022 geändert worden sei; daraufhin habe er sofort seinen Kollegen F.informiert. Der Antrag hatte beim BGh Erfolg:

„Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom 7. Oktober 2022 ausgeführt:

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Nach § 45 Abs. 2 StPO bedarf es der Darlegung und Glaubhaftmachung der Tatsachen, die ein Verschulden des Verurteilten an der Versäumung der Frist ausschließen. Die Begründung des Antrags erfordert daher grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Säumnis gekommen ist (vgl. KK-StPO/Maul, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 6 m. w. N.). Der Verteidiger hat zwar nur für seine eigene Person eine Verhinderung zur form- und mithin fristgerechten Einlegung des Rechtsmittels dargetan. Auf den Kenntnisstand des Angeklagten kam es vorliegend ausnahmsweise nicht an, weil das Fristversäumnis allein auf der rechtlichen Unwissenheit und damit auf einem Verschulden der Verteidiger beruhte. Dieses ist dem Angeklagten nicht zuzurechnen (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 43. Ed., Stand 1. April 2022, § 44 Rn. 29).

(…)

Für die Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist hat der Verteidiger binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses, nämlich der Unkenntnis von der Geltung des § 32d StPO auch für die Revisionseinlegung, beseitigt durch einen kollegialen Hinweis am 22. Juni 2022 im Rahmen eines anderen Strafverfahrens, die versäumte Handlung nachgeholt.“

Dem schließt sich der Senat an.“

Mann, Mann: Im Juni 2022 noch keine Ahnung von den geänderten Formvorschriften. Ich fasses es nicht. Im Übrigen aber ohne weitere Worte, nicht wegen des Beschlusses, sondern wegen des Kenntnisstandes des Verteidigers.