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Kopien der digitalisierten Akte, oder: Leider wie gehabt.

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Und als zweites Posting dann eine weitere Entscheidungen, die mit der Erstattung von Kosten der Akteneinsicht pp. zu tun hat.

Im OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.04.2018 -2 Ws 1/18 – geht es mal wieder um die Festsetzung der Vergütung betreffend die Dokumentenpauschale Nr. 7000 Nr. lit a in den Fällen, in denen dem Verteidiger die Verfahrensakte komplett in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt worden ist. Das OLG Frankfurt sagt/meint (mal wieder): In der Regel wird nicht erstattet.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Wird dem Verteidiger die komplette Verfahrensakte in digitalisierter Form zum weiteren Verbleib überlassen, sind Kopierkosten nach Nr. 7000 Nr. 1 lit. a VV RVG vom Grundsatz her keine erforderlichen Auslagen im Sinne von § 46 Abs. 1 RVG.
  2. Dieser Grundsatz kann durch entsprechenden Sachvortrag durchbrochen werden, da derzeit noch keine gesetzliche Verpflichtung eines Rechtsanwalts zur ausschließlichen Verwendung einer elektronischen bzw. digitalisierten Verfahrensakte besteht.
  3. Aus dem Regelausnahmeprinzip folgt (insoweit Fortführung von OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. März 2012, 2 Ws 49/12), dass den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, eine besondere Begründungs- und Darlegungslast trifft, warum dies „zusätzlich“ zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er diese zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt.

Ist leider schwer und für mich nicht nachvollziehbar, in den Fällen die Festsetztung der Dokumentenpauschale zu erreichen. Die OLG lehnen es fast einheitlich ab. Ggf. ändert sich da aber etwas durch ein hoffentlich kommendes 3. KostRMoG.

…„die zwei Flitzpiepen vor Ort“, oder: Ist das eine Beleidigung von Polizeibeamten?

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Und hier dann mal wieder eine Entscheidung aus dem Bereich „Beleidigung“, und zwar Beleidigung von Polizeibeamten. Der Angeklagte hatte in einer an die Bußgeldbehörde gerichteten E-Mail im Rahmen eines Bußgeldverfahrens – wegen des Vorwurfs der Benutzung eines Mobiltelefons beim Führen eines Fahrzeugs – die beiden den Verstoß aufnehmenden Polizeibeamten als „Flitzpiepen“ bezeichnet. Deswegen ist er vom AG Wiesloch wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 83 € unter Bewilligung von Ratenzahlung verurteilt worden. Dagegen die Sprungrevision des Angeklagten, die beim OLG Karlsruhe mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v.  22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18 – Erfolg hatte.

„1. Der Tatbestand der Beleidigung verlangt, dass der Täter durch die gewollte Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung einen anderen rechtswidrig in seiner Ehre angreift (BGHSt 1, 288; 36, 145; BayObLGSt 1983, 32; NJW 2005, 1291). Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung bringt eine Äußerung dann zum Ausdruck, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt der betroffenen Person der ethische, personale oder soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt wird (BayObLG a.a.O.; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1335; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, StGB, 29. Aufl. § 185 Rn. 2 m.w.N.). Ob eine Kundgabe solchen Inhalts vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BayObLG a.a.O.).

Die Feststellung des Sachverhalts einschließlich des Wortlauts der Äußerung eines Angeklagten ist grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Bei der Auslegung der festgestellten Äußerung ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter versteht (BVerfGE 93, 266; NZV 1994, 486; BGHSt 3, 346; 16, 49; BayObLG NJW 2005, 1291; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 316). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Ist eine Äußerung nicht eindeutig, muss ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei sind alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation zu berücksichtigen. Will sich ein Strafgericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung für die zur Bestrafung führende entscheiden, muss es dafür besondere Gründe angeben (BVerfGE 82, 43; 93, 266), d.h. es muss sich mit allen in Frage kommenden, insbesondere den sich aufdrängenden Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen und in rechtsfehlerfreier Weise diejenigen ausscheiden, die nicht zur Bestrafung führen können (BVerfG NZV 1994, 486; BayObLGSt 1994, 121; NJW 2005, 1291).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

a) Für sein Verständnis, dass der Begriff „Flitzpiepen“ als Synonym für Dummkopf, Trottel oder Depp verwendet werde und deshalb grundsätzlich als abwertende Äußerung zu verstehen sei, stützt sich das Amtsgericht auf zwei Internetseiten, deren sprachwissenschaftlicher Hintergrund unklar bleibt. Vom Angeklagten vorgebrachte „Internetausdrucke, die auch abweichende Wortbedeutungen bzw. Wortverwendungen belegen“ (UA S. 5), finden in den Urteilsgründen zwar Erwähnung, ohne dass aber diese abweichenden Bedeutungsgehalte aufgezeigt werden und der Tatrichter sich mit ihnen auseinandersetzt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war dies auch nicht ohne Weiteres deshalb entbehrlich, weil sich der abwertende Bedeutungsgehalt nach der Bewertung des Amtsgerichts aus dem textlichen Zusammenhang der E-Mail ergab, in deren Rahmen die Äußerung gemacht wurde. Denn auch dabei kann es eine Rolle spielen, ob hinsichtlich eines Begriffs unterschiedliche Deutungsvarianten bestehen.

b) Als durchgreifender Darlegungsmangel erweist sich indes, dass das Amtsgericht sich für seine Deutung des sprachlichen Gehalts des Ausdrucks „Flitzpiepen“ zwar auf den konkreten Kontext der Äußerung beruft, es jedoch versäumt, diesen Kontext in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise durch Wiedergabe des Inhalts der E-Mail des Angeklagten wiederzugeben. Mangels Mitteilung der tatsächlichen Grundlagen kann daher die vom Amtsgericht vorgenommene Bewertung nicht nachvollzogen und rechtlich überprüft werden.“

Und:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungsgehalte (auf der vom Bibliographischen Institut GmbH Dudenverlag erstellten Duden-Homepage wird „Flitzpiepe“ zwar einerseits als Synonym für Dummkopf angeführt, andererseits wird als Bedeutungsübersicht „Person, die man wenig ernst nimmt und über die man sich ärgert“ genannt) die Äußerung im konkreten Zusammenhang als abwertendes personales Urteil auszulegen sein sollte, besonders sorgfältig zu prüfen sein wird, ob die Äußerung gleichwohl von der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist und deshalb eine strafrechtliche Verurteilung unter Anwendung von § 193 StGB ausscheidet. Nach der Auslegung von Art. 5 GG, an der sich ungeachtet der hieran geäußerten Kritik (dazu BayObLGSt 1994, 121; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 193 Rn. 25 m.w.N.) auch die Fachgerichte zu orientieren haben, genießen Meinungsäußerungen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfGE 90, 241). Auch die polemische und verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung nicht ohne Weiteres dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfGE 54, 129; Kammerbeschluss vom 28.09.2015 – 1 BvR 3217/14, juris). Dabei gehört das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG NJW 1992, 2815). Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Werturteile im Rahmen von Auseinandersetzungen handelt, die sich auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise beziehen (OLG Düsseldorf a.a.O., BayObLG NJW 2005, 1291 – Bezeichnung von Polizisten als „Wegelagerer“ im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen). Die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit überschreiten hingegen Äußerungen, die sich jenseits sachlicher Kritik in einer persönlichen Schmähung erschöpft. Eine solche nur unter engen Voraussetzungen anzunehmende Schmähkritik liegt aber nicht schon bei überzogener oder selbst ausfälliger Kritik, sondern erst dann vor, wenn das sachliche Anliegen völlig hinter die persönliche Kränkung zurücktritt (BVerfGE 82, 272; Kammerbeschluss vom 28.09.2015 a.a.O.; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1335).

Da danach der Ausgang des Verfahrens mindestens offen erscheint und der Angeklagte sich unmittelbar nach der Konfrontation mit dem Beleidigungsvorwurf für seine Äußerung entschuldigt hat, wird nach Auffassung des Senats – auch aus prozessökonomischen Gründen – zu erwägen sein, ob das Verfahren – nach entsprechender Zustimmung der Beteiligten – gemäß § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO (mit der Kostenfolge gemäß § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO) einzustellen ist.“

Wochenspiegel für die 25. KW. 2015, das war (damals): NSU, Tuğçe, ein frustrierender Einzeiler und der “Coverboy” Gerhard Schröder

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Wenn ich unterwegs ist das mit den Wochenspiegeln immer etwas schwierig. Die kann man schlecht vorbereiten, vor allem, wenn man schon Dienstags den „Laden schließt“. Daher heute kein Wochenspiegel für die ablaufende 25. KW. 2018, sondern ich greife zurück auf die 25. KW. 2015. Also: Ein Blick zurück, aber nicht im Zorn 🙂 . Und in der Woche waren aktuell:

  1. Konflikt um Zschäpe-Verteidigerin spitzt sich zu,
  2. dazu passt: Schweigen als Waffe? ,
  3. den Fall Tugce mit: Urteil im Fall Tugce: 3 Jahre Jugendstrafe für Sanel M. – ein gerechtes Urteil?, oder: Warum ist der Fall Tugce zu dem geworden, was er ist?, oder: Tuğçe: Sanel M. zu 3 Jahren Jugendstrafe verurteilt, und auch: Jeder, der heute 3 Jahre Haft in einem gewissen Urteil skandalisiert….,
  4. OLG Köln: Über­ho­len trotz Gegen­ver­kehr – not­falls muss der Gegen­ver­kehr ausweichen,
  5. Frustrierende Einzeiler, in der Tat ,
  6. Szenetypische Stückelung,
  7. LG Münster: Wenn eine Kanzlei die Andere „vernichten“ will…,
  8. Gerhard Schröder ./. DER SPIEGEL: Coverstory – Update,
  9. Haftung von Forenbetreibern: (k)eine Revolution aus Straßburg, oder auch: “Ihr beschissenen Heuchler” – Verhindert das neue Urteil des EGMR Hasskommentare besser?,
  10. und dann war da noch: Griechenland-Krise gelöst: Merkel und Tsipras einigen sich in persönlichem Telefonat – leider dann wohl doch nicht 🙂 .

Der Vorsitzende der DPolG Rainer Wendt äußert sich zum „Fall Susanna“, oder: Unfassbar

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Ich eröffne den Tag mit einem Posting/einer Thematik, bei dem/der ich lange überlegt habe, ob ich dazu etwas bringe bzw. mich äußere. Und wenn ja wie. Ich habe mich dann entschlossen, es zu tun. Mal sehen, was daraus wird.

Es geht um den „Fall Susanna“. Mehr muss man ja inzwischen nicht mehr schreiben, dann weiß nach der aufgeheizten Berichterstattung der letzten Tage – an der Spitze m.E. (natürlich) die „Bild-Zeitung“, die die kochende „Volksseele“ mal wieder vorzüglich bedient – jeder , worum es geht. In dem „Fall“ bin ich durch eine Nachricht/einen Hinweis des Kollegen Carsten R. Hoenig auf das Posting von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der DPolG, vom 07.06.2018 zu der Thematik aufmerksam geworden, das ich hier dann mal zitiere. Herr Wendt schreibt:

„Susanna ist tot. Und was bleibt, ist nicht nur Trauer und Fassungslosigkeit. Da ist auch riesige Wut und Empörung. Und zugleich Ratlosigkeit. Man ist wie gelähmt vor Entsetzen.

Ja, ich weiß, man darf keine solcher Taten instrumentalisieren für irgendeine politische Forderung oder Aussage. Und manchmal gebietet in der Tat der Respekt vor dem Opfer und seinen Angehörigen, innezuhalten und zu schweigen.

Und doch stockt der Atem, denkt man nur eine Sekunde lang an die unbeschreiblichen Qualen, die die junge Susanna, die noch am Beginn ihres Lebens stand, erleiden musste.

Als Vater und Großvater türmt sich wie eine riesige schwarze Wand die Furcht auf, wenn ich daran denke, welche Bestien da noch unterwegs sind, jederzeit bereit, zu töten, zu quälen und ihrer menschenverachtenden Brutalität freien Lauf zu lassen.

Und auch Wut baut sich auf, wenn man an das Strafregister desjenigen denkt, der hier angeblich Schutz gesucht hat und jetzt so einfach abhauen konnte, in ein Flugzeug steigt, wie ein Tourist.

Was wird aus unserem Land, wenn geduldet wird, dass Menschen einreisen, jede Menge Straftaten, sogar schreckliche Verbrechen begehen und trotzdem frei herumlaufen, offensichtlich jederzeit bereit, erneut zuzuschlagen?

Was wird aus unserem Rechtsstaat, wenn er die Menschen nicht mehr schützen kann, wenn er nur noch aus Papier, schnöden juristischen Ausführungen, bürokratischen Verfahren und stillschweigender Hinnahme himmelschreienden Unrechts und lebensbedrohlicher Gefahr zu bestehen scheint?

Was wird aus unserer Demokratie, wenn diejenigen, die gewählt sind, den Willen derjenigen beharrlich ignorieren, die ihnen Macht übertragen haben?

Jetzt wieder die bekannten Rituale, die wiederkehrenden Floskeln, die abgenutzten Worte? Und dann zurück zur Tagesordnung? Wie oft? Wie lange noch? Was wird aus unserem Land?

Susanna ist tot. Und meine Gedanken sind bei ihrer Familie, ihren Freunden, den Menschen, denen sie für immer fehlen wird.
Und meine Gedanken sind auch bei den Tätern. Will ich sie wirklich vor einem unserer Gerichte stehen sehen? Mit höhnischem Grinsen für das Opfer und Verachtung für unser Land im Gesicht? Will ich wirklich erleben, wie Gutachter und Anwälte relativieren, verharmlosen und zu erklären versuchen, was nicht erklärbar ist?

In der Hölle sollen sie schmoren. Das will ich.“

Wie gesagt und nochmals ausdrücklich, ein Zitat: Das Posting wirft für mich dann doch eine ganz Reihe Fragen auf, und zwar u.a.:

  1. Ist das Posting eigentlich strafbar? Man denkt da sofort an § 130 StGB – Volksverhetzung. Aber die Voraussetzungen dafür dürften nicht erfüllt sein. Und: Es dürfte auch noch durch Art. 5 GG gedeckt sein.
  2. Welches Verständnis hat eigentlich der Vorsitzende der DPolG von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit? Wenn man nur die beiden letzten Absätze seines „Postings“ liest, dann kann man m.E. nur die Antwort geben: Gar keines bzw. ein ganz schlechtes. Aber das überrascht bei den Äußerungen, die Rainer Wendt bisher schon zu „Flüchtlings-“ und sonstigen Fragen/Themen gemacht hat, nicht.
  3. Was macht eigentlich die DPolG mit einem solchen Posting bzw. wie geht man damit um? Ich habe nichts dazu gefunden, dass man sich ggf. distanziert hätte oder dazu Stellung genommen hätte. Auf deren Homepage gibt es (derzeit) Stellungnahmen zum Asylplan von H. Seehofer, den Herr Wendt natürlich lobt, zu den Ankerzentren und einem MusterpolizeiG, das Herr Wendt natürlich auch fordert, und zum Streikurteil des BVerfG. Mehr ist da nicht.

Und das soll an Fragen hier genug sein. Für mich persönlich kann ich nur sagen: Unfassbar. Mehr nicht. Ich hätte auch noch andere Dinge in die Überschrift packen können, aber dann begibt man sich im Grunde genommen auf das Niveau von Rainer Wendt und das will ich nun wirklich nicht.

Was mich ein wenig beruhigt: Unter den über 13.000 Reaktionen auf den Beitrag sind immerhin auch über 2.000 „traurige“ und „wütende“ und unter den über 1.700 Kommentaren dann doch sehr viele, die die Dinge – zum Glück – anders sehen als Rainer Wendt. Darunter auch meiner 🙂 .

BVV II: Nicht richtig belehrt, oder/aber: „Dummheit schützt vor Strafe“, sagt der BGH

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 StR 163/17. Kommt also vom 2. Strafsenat. Der ist auch nicht mehr das, was er mal war 🙂 : Das LG hat den Angeklagten im „zweiten Durchgnag“ wegen „gemeinschaftlich begangenen Mordes“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner dagegen gerichteten Verfahrensrüge hat der Angeklagte geltend gemacht, seine Angaben bei seiner Vernehmung seien unverwertbar, weil er entgegen § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. (jetzt: § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO) im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen nicht darüber belehrt worden sei, dass ihm unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden könnte. Die Rüge hatte natürlich keinen Erfolg:

„Tatsächlich sind zwar die notwendigen Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. nicht erfolgt. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revision – kein Verwertungsverbot.

Die Frage, ob das Unterbleiben des gesetzlich vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden; er hat allerdings bereits vor der gesetzlichen Einführung dieser Belehrungspflicht auch ohne gesetzliche Vorgabe im Einzelfall eine Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigung bejaht und bei einem Verstoß hiergegen ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot abgelehnt (BGH NStZ 2006, 236, 237). Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass nur gravierende Verfahrensverstöße zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten und die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nicht annähernd einer Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Verteidigerkonsultation gleich komme, die grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich ziehe.

Der Senat hält auch nach der Einfügung der Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. die Annahme eines absoluten Beweisverwertungsverbots nicht für geboten (ebenso: Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 136 Rn. 21). Weder dem Gesetz, das Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren umsetzt, noch den Gesetzgebungsmaterialien oder auch der genannten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung das Ziel verfolgt, die Verletzung der Belehrungspflicht hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen den von der Rechtsprechung für Verstöße gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entwickelten Grundsätzen gleichzustellen. Dies gilt auch, wenn davon auszugehen ist, dass die neu eingefügte Regelung der Sache nach eine Erweiterung der Pflicht zur Belehrung über die Verteidigerkonsultation nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darstellt (so im Ergebnis auch Schuhr, in: Münchener Kommentar zur StPO, § 136, Rn. 38). Hieraus folgt nicht, dass auch hinsichtlich der Rechtsfolgen an diese Regelung anzuknüpfen wäre (a.A. aber Schuhr, aaO). Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen zur alten Rechtslage ausgeführt hat, bleibt die Verletzung der Pflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StPO a.F. in ihrer Bedeutung hinter derjenigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurück, die die grundsätzliche Zugangsmöglichkeit zu einem Verteidiger als solchen betrifft. Es handelt sich insoweit um eine für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutive Bestimmung, deren Verletzung in aller Regel zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots führen muss (vgl. dazu Schneider, NStZ 2016, 552, 554). Damit sind die Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die nicht absolut gelten und vom Vorliegen der in § 140 Abs. 1 und 2 StPO genannten Voraussetzungen abhängig sind, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat, sondern lediglich anregen kann, dass die Staatsanwaltschaft von ihrem Antragsrecht Gebrauch macht. Hieran sollte im Übrigen – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – die Ergänzung der Vorschrift nichts ändern (vgl. BT-Drucks. 17/12578, 16).

Die nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. bzw. § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des Angeklagten begründet deshalb kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt hier nicht in Betracht. Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben ist und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagten hätten im Rahmen ihrer ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil sie mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätten, sich eines Verteidigers zu bedienen. Auch die Revision hat hierzu nichts vorgetragen.“

Mich machen solche Entscheidungen ärgerlich und lassen mich dann auch ratlos zurück. Denn ich frage mich: Was sollen eigentlich die ganzen neuen Belehrungspflichten, die in Umsetzung der Vorgaben aus Brüssel eingeführt werden durch Gesetze, die wie hier das „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“ v. 2.7.2013 (BGBl I, S. 1938) auch noch das Wort „Stärkung der Beschuldigtenrechte“ o.Ä. im Namen führen, wenn diesen Worten dann nicht auch Taten folgen. Oder anders gefragt: Wie will man eigentlich die Ermittlungsbehörden anhalten, die Vorgaben neuer gesetzlicher Vorschriften umzusetzen, wenn man sie nicht bestraft, wenn sie dies nicht tun? Also die Angaben, die Beschuldigte trotz unzureichender Belehrungen dann als unverwertbar ansieht.

Tut man dies nicht kann man sich m.E. die gesetzlichen Neuregelungen, die – wie dieser Fall anschaulich zeigt, den Vernehmungsbeamten häufig ja noch nicht einmal bekannt sind – ersparen. Zumal der BGH den allgemeinen Satz „Dummheit schützt vor Strafe nicht“ umgekehrt und nach dem Satz verfährt: „Dummheit schützt vor Strafe“. Wenn es dem Gesetzgeber wirklich mit der Stärkung von Beschuldigtenrechten ist, dann würde er endlich gesetzliche Beweisverwertungsverbote einführen und dem obergerichtlichen „Eiertanz“ der Abwägungslehre, den wir hier auch wieder lesen müssen, ein Ende bereiten. Aber das ist im Grunde nicht gewollt. Und das wird sich auch in den kommenden Jahren der GroKo nicht ändern. Deren Koalitionsvertrag lässt vielmehr Schlimmes erahnen.

Verteidiger müssen sich auf die Situation einstellen und zumindest die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, um in der Revision ein Beweisverwertungsverbot überhaupt geltend machen zu können, also Widerspruch einlegen gegen die Verwertung der inkriminierten Angaben. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.

Und natürlich auch hier wieder: Nicht ausreichend vorgetragen…..