Archiv für den Monat: Juni 2024

OWi II: Keine allgemeine Erkundigungspflicht, oder: Ausnahmsweise muss man schauen, was gilt

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Berlin. Das KG hat sich im KG, Beschl. v. 28.05.2024 – 3 ORbs 83/24 – 122 SsBs 13/24 – mit der Frage auseinandergesetzt, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Das KG sagt: Nein, aber…:

„Das Gericht hat festgestellt, dass der Betroffene am Tattag innerorts in 13053 Berlin die S-straße Richtung Buschallee aus Unachtsamkeit unter Überschreitung der dort nach § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 7 Nr. 49 geltenden Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h befahren hat und hierbei mit einem Lasermessgerät Riegl FG 21-P angemessen wurde.

Aus der Beweiswürdigung ergibt sich, dass sich der Betroffene dahin eingelassen hat, er habe das Fahrzeug aus der S-straße abgeholt, nachdem seine Ex-Frau es dort am Abend zuvor habe stehenlassen. Er sei mit dem Bus gekommen, durch einen Park gelaufen und dann in den Wagen gestiegen, der zwischen der Kreuzung S-straße/Am F. S. und S-straße/E-straße gestanden habe. Er sei nicht ortskundig und auf der von ihm befahrenen Strecke – bis zu der Messung –  hätten keine regelnden Verkehrsschilder gestanden.

Nachdem das Urteil zunächst – ohne weitere Erläuterung – ausführt, die Einlassung des Betroffenen sei als Schutzbehauptung zu werten, legt es weiter dar, dass dessen Angaben zwar möglich seien, ihn aber – als Ortsunkundigen – die Pflicht getroffen habe, sich bezüglich der geltenden Geschwindigkeitsregelung kundig zu machen. Angesichts vorhandener Straßenschäden – derentwegen überhaupt die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h erfolgt sei –  habe das auch nahegelegen, so dass der Betroffene nicht gutgläubig von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h habe ausgehen dürfen. Hinter der Kreuzung S-straße/Am F. S. sei tatsächlich keine Beschilderung mehr vorhanden gewesen, dem Betroffenen sei es aber möglich gewesen, von dieser nur wenige Hundert Meter entfernten Anordnung Kenntnis zu nehmen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – zumindest vorläufig – Erfolg. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h.

1. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich entnehmen, dass das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass dem Betroffenen das regelnde Verkehrsschild nicht bekannt gewesen sein könnte, weil sein Fahrzeug möglicherweise einige Hundert Meter hinter diesem stand und kein weiteres Schild an der befahrenen Strecke vorhanden war. Soweit das Gericht zuvor von einer Schutzbehauptung ausgeht, wird dies nicht weiter ausgeführt und auch nicht zur Grundlage der Entscheidung und der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen gemacht.

2. Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen hat der Betroffene daher weder bei seiner Anfahrt mit dem Bus, noch in der S-straße selbst oder auf seiner anschließenden Fahrt vom Parkplatz bis zur Geschwindigkeitsmessstelle ein die Geschwindigkeit regelndes Verkehrszeichen passiert.

a) Der Senat folgt in dieser Konstellation nicht der Auffassung des Amtsgerichts, dass der Betroffene sich vor Fahrtantritt – gegebenenfalls durch Aufsuchen der nächstgelegenen Kreuzung – über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hätte erkundigen müssen. Eine derartige allgemeine Erkundigungspflicht besteht nicht; dies ist obergerichtlich für diejenigen Fälle entschieden, in denen ein Kraftfahrzeugführer eine Fahrt innerhalb einer geschwindigkeitsbeschränkten Zone (Tempo 30-Zone) antreten will (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 18. Juni 2014 – III-1 RBs 89/14 – und vom 27. Dezember 2012 – III-3 RBs 249/12 –, jeweils juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 1997 – 5 Ss (OWi) 75/97-(OWi) 43/97 I –, juris; vgl. auch Krenberger in BeckOK StVR 23. Ed., § 39 Rn. 100-103). Ähnlich verhält es sich für den Beifahrer, den nach einem Fahrerwechsel nicht die allgemeine Verpflichtung trifft, sich nach einer etwaigen Beschilderung zu erkundigen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2014, a.a.O.)

Dieser Bewertung schließt sich der Senat für die hiesige Fallkonstellation an. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb bei einer Sachlage wie der vorliegenden eine andere Bewertung hinsichtlich der Erkundigungsverpflichtungen des Fahrzeugführers gelten sollte. Denn eine anders gelagerte (erheblichere) Gefahrensituation, die eine weitergehende Prüfungsobliegenheit als in den vorgenannten Fällen nach sich ziehen könnte, ist jedenfalls im Regelfall nicht gegeben. Auch dass hier – anders als in den Fällen, in denen die Geschwindigkeit in einer verkehrsberuhigten Zone lediglich durch Schilder an deren Grenze gekennzeichnet wird, wodurch der Sichtbarkeitsgrundsatz eine Einschränkung erfährt – an zwei Kreuzungen vor und nach der gefahrenen Strecke eine sichtbare Verkehrsbeschilderung angebracht war, ändert nichts an dem konkreten Umstand, dass der Betroffene diese in der spezifischen Situation nicht wahrnehmen konnte.

b) Ungeachtet dessen kann sich im Einzelfall einem Kraftfahrer selbstverständlich aufgrund bestimmter Umstände die Erkenntnis aufdrängen, dass es sich um eine geschwindigkeitsregulierte Straße oder Zone handelt. Dies kann – insbesondere in Tempo 30-Zonen – angesichts durchgehender Bebauung, enger Straßen, Aufpflasterungen, Verkehrsschikanen oder besonderer Fahrbahnmarkierungen der Fall sein. Auch das Vorhandensein von Straßenschäden – wie hier – ist grundsätzlich geeignet, eine derartige Erkenntnis auszulösen. Dies ergibt sich schon aus § 1 Abs. 1 StVO, der ein grundsätzliches Vorsichts- und Rücksichtnahmegebot enthält, sowie aus § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO, der die Grenze von 50 km/h innerorts als Maximalgeschwindigkeit unter günstigsten Umständen normiert. Soweit das Urteil hier das Lichtbild Bl. 63 d.A. (versehentlich als Bl. 65 bezeichnet) unter Hinweis auf dort sichtbare Fahrbahnschäden in Bezug nimmt, kann sich hieraus aber vorliegend eine Nachforschungspflicht nicht ergeben. Die Aufnahme zeigt die Kreuzung S-straße/Am F. S., die der Betroffene nach den Feststellungen jedoch gerade nicht passiert hatte, so dass er – ungeachtet der tatsächlichen Erheblichkeit dieser Schäden – hiervon keine Kenntnis hatte. Auch die in § 39 Abs. 1a StVO enthaltene Bestimmung, wonach innerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Vorfahrtstraßen mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen zu rechnen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass es sich vorliegend nicht um eine solche Zone handelt und die Norm daher ohnehin nur eingeschränkt herangezogen werden kann, handelt es sich bei der S-straße um eine Vorfahrtstraße. Dies ergibt sich aus dem in Bezug genommenen Lichtbild, welches Bestandteil der Urteilsurkunde geworden ist (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl., § 267 Rn. 17 m.w.N.) Weitere Umstände, aus denen sich ein „Aufdrängen“ hinsichtlich der Geschwindigkeitsbeschränkung ergeben könnte, finden sich in dem Urteil nicht.“

OWi I. Messprotokoll ohne eigenhändige Unterschrift, oder: Standardisiertes Messverfahren?

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Und dann auf in einen OWi-Tag, den ich mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.05.2024 – 1 (Ss) OWi Ws 12/24 – eröffne. Es geht u.a. um die Verlesung eines Messprotokolls ohne Unterschrift.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 150 EUR festgesetzt. Dabei stützt sich das AG auf die Annahme einer mittels standardisiertem Messverfahren festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde verworfen. Ein Zulassungsgrund i.S.d. § 80 Abs. 1 OWiG liegt nach Auffassung des OLG nicht vor. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen einer vom Verteidiger des Betroffenen ausdrücklich geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) sei nicht geboten. Dazu führt das OLG u.a. aus:

„Soweit die Verteidigung vorbringt, das Messprotokoll enthalte keine Angaben zur Eichung des Messgerätes, ist dies, wie bereits dargelegt, unzutreffend.

Auch darin, dass die bei der Verfahrensakte befindliche Ausfertigung des Messprotokolls elektronisch erstellt wurde und keine eigenhändigen Unterschriften der mit Namenswiedergabe benannten Messbeamten trägt, liegt keine durchgreifende Abweichung von der Betriebsanleitung oder sonstigen, gar gesetzlichen Vorgaben, die die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens und der damit verbundenen Beweis- und Darlegungserleichterungen hätte entfallen lassen oder zur Vernehmung der Messbeamten hätte Anlass geben können.

Der Senat vermag dem mit der Rechtsmittelbegründung vorgetragenen Inhalt der Betriebsanleitung bereits nicht sicher zu entnehmen, dass die danach zwingenden Angaben nicht bloß die in dem in der Betriebsanleitung abgedruckten Muster enthaltenen inhaltlichen Daten und Informationen umfassen. Zweifel daran, dass allein der Darstellung eines mit „Unterschrift“ unterschriebenen Platzhalters im Musterprotokoll der Betriebsanleitung zu entnehmen ist, dass die Betriebsanleitung zwingend eine eigenhändige Unterschrift auch bei elektronischer Erstellung des Messprotokolls fordert, sind bereits deshalb veranlasst, weil die Form des Protokolls ausweislich des von der Verteidigung zitierten Inhalts der Betriebsanleitung ausdrücklich freigestellt ist. Im Übrigen stellen Abweichungen von Vorgaben der Betriebsanleitung des Geräteherstellers das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist (vgl. BayObLG NZV 2023, 271). Inwieweit die elektronische Erstellung eines Messprotokolls ohne eigenhändige Unterzeichnung durch die Messbeamten die Korrektheit der Messung berühren soll, ist nicht ersichtlich.

Auch die für den hilfsweise gestellten Antrag auf Vernehmung des Messbeamten maßgebliche Eignung des Messprotokolls zu seiner eine solche Vernehmung ersetzenden Verlesung ist allein dadurch, dass das Messprotokoll nicht unterschrieben, sondern elektronisch mit Wiedergabe der Namen der zuständigen Messbeamten erstellt ist, nicht in Zweifel gezogen. Ein Messprotokoll stellt eine Erklärung über eine Ermittlungshandlung dar, die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 22. März 2018 – 1 OWi 6 SsRs 27/18 –, juris Rn. 12 m.w.N.). Eine besondere (Unterschrifts-)Form erfordert § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18 –, juris). Da aufgrund der Namenswiedergabe der zuständigen Messbeamten in dem elektronisch erstellten Protokoll erkennbar ist, auf wessen Erkenntnissen und Auswertungen die in dem Protokoll niedergelegten Daten und Erkenntnisse beruhen, bestehen keine Zweifel an der Urheberschaft und der Authentizität.  Beweis-, Garantie- und Identifizierungsfunktion sind insoweit gewahrt, dass erkennbar ist, dass es sich um ein von dem nach der inneren Organisation der Behörde zuständigen Amtswalter mit Wissen und Wollen in den Rechtsverkehr gebrachtes Dokument handelt.

Eine fachgesetzliche Regelung, die darüber hinaus eine eigenhändige Unterzeichnung verlangt, ist nicht ersichtlich. Ein Unterschrifterfordernis folgt insbesondere nicht aus dem Verwaltungsverfahrensrecht. Anderes folgt im vorliegenden Verfahren auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ein Unterschrifterfordernis aus dem hessischen Verwaltungsverfahrensrecht abgeleitet und angenommen hat, dass Messprotokolle, die entgegen § 37 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG nicht vom Messbeamten eigenhändig unterzeichnet sind, nicht geeignet sein sollen, die Vernehmung des Messbeamten zum Beweis der Tatsache eines den Vorgaben des Gesetzes, der Betriebsanleitung und den Verwendungsvorgaben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entsprechenden Messvorgangs durch Verlesung des Messprotokolls zu ersetzen, ohne den Anspruch eines die fehlende Unterzeichnung rügenden Betroffenen auf rechtliches Gehör zu verletzten (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 3 Orbs 289/23 –). Dem hessischen Landesrecht kommt keine Bedeutung für den vorliegenden Fall zu, weshalb weder der Einzelrichter zur Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Übertragung der Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern im Hinblick auf die Zuständigkeitsregelung des § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG, noch der Senat zu einer Vorlage gem. § 121 GVG gehalten war.

Dabei kann dahinstehen, ob einem Messprotokoll inhaltlich überhaupt eine Regelungswirkung innewohnt und damit dem Grunde nach Verwaltungsaktcharakter zukommt (vgl. kritisch Kreiner, jurisPR-StrafR 6/2024 Anm. 3). Stellt sich die Erstellung des Messprotokolls bereits als Tätigkeit der Verwaltungsbehörde zur Ahndung und Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 35 OWiG dar, handelt es sich nicht um die verwaltungsmäßige Ausführung von Bundes- und Landesgesetzen, sondern um die Anwendung des Gesetzes auf einen „Unrechts- oder Pflichtwidrigkeitstatbestand“ (vgl. BVerfGE 4, 74, 92?f.; KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. 2018, OWiG § 2 Rn. 5). Diese ist dem Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze von vornherein entzogen. In Übereinstimmung damit nimmt § 2 Abs. 2 Nr. 2 SVwVfG ebenso wie es § 2 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG auch für den Bereich des Bundesrechts anordnet, die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, mithin die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden nach § 35 OWiG deklaratorisch von der Anwendung des Saarländischen Verwaltungsverfahrensgesetzes aus; es gilt allein die Verfahrensordnung des Ordnungwidrigkeitengesetzes und der Strafprozessordnung (vgl. zum Bundesrecht Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 2 Rn. 78). Für diese gilt aber, wie bereits dargelegt, nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei der Verlesung von Erklärungen über eine Ermittlungshandlung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO kein Unterschriftserfordernis (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18 –, juris). Ist die Erstellung des Messprotokolls hingegen noch als Teil präventiv-polizeilicher Verkehrsüberwachung einzuordnen (zur Zuordnung der Einrichtung von Geschwindigkeitsmessstellen als Teil präventiv-polizeilicher Verkehrsüberwachung vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Februar 1992 – 2 Ws (B) 91/92 OWiG –, juris; OLG Stuttgart, NZV 1990, 439) und damit dem Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes bzw. des Landes unterworfen (vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 2 Rn. 80 und 113), bedürfte ein solcher Verwaltungsakt nach hier maßgeblichem Landesrecht, für dessen Inhalt und Auslegung dem hessischen Landesrecht ebenfalls keine Bedeutung zukommt, einer eigenhändigen Unterschrift des Messbeamten gleichfalls nicht. Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 SVwVfG muss ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Damit steht die bloße Namenswiedergabe, die typischerweise im Computerausdruck erfolgt und nicht mit Beglaubigungsvermerk oder Dienstsiegel versehen werden muss, der Unterschrift gleich, sofern das Fachrecht, was hier nicht der Fall ist, nicht ausdrücklich eine Unterschrift verlangt (vgl. U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 37 Rn. 104; Tiedemann, BeckOK VwVfG, 62. Ed. Stand 01.10.2023, § 37 Rn. 48). Einer elektronischen Signatur bedarf es gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 SVwVfG nur, wenn für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet wird. Eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform besteht für ein im Ordnungswidrigkeitenverfahren erstelltes Messprotokoll nicht.

Die spezifisch landesrechtlich bestimmte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. kann in beiden Fällen keine rechtserhebliche Divergenz begründen. ….“

Den Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Akte verloren gegangen, und was ist mit meinen Gebühren?

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Und hier die Lösung zum Rätsel vom Freitag. Gefragt hatte ich: Ich habe da mal eine Frage: Akte verloren gegangen, und was ist mit meinen Gebühren?.

Geantwortet habe ich dem Kollegen:

„Da die Akte bei der Justiz verloren gegangen ist, sind Sie ohne Zustimmung des  Mandanten nicht berechtigt (und schon gar nicht verpflichtet), Ihre Ablichtungen pp. zur Rekonstruktion zur Verfügung zu stellen. Und schon gar nicht auf so eine pampige Anforderung.

Wenn überhaupt und dann nur mit Zustimmung und gegen Kostenerstattung. Eine Gebühr entsteht allerdings nicht.

Wer hat Ihnen so geschrieben? Ich würde ggf. Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Und vor allem: Denken Sie an die Verzögerungsrüge (§§ 198, 199 GVG).“

Mann, Mann, Mann. Wenn ich so etwas lese, springt mir der sprichwörtliche Drath aus der Mütze. Was meinen eigentlich Geschäftsstellenbeamte (?) was und wie sie etwas verlangen können. So erreicht man sicherlich nichts. Insbesondere wenn man (= die Justiz) selbst Fehler gemacht hat, backt man doch kleine Brötchen.

KCanG II: Neufestsetzung von Strafen nach dem KCanG, oder: Einzel-, Gesamtstrafe, geringerer Strafrahmen

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In der zweiten Entscheidung des Tages nimmt das LG Karlsruhe im LG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 20 StVK 228/24 – zur Neufestsetzung von Strafen nach dem KCanG Stellung.

Der Angeklagte ist mit Urteil vom 27.04.2022 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen (Taten Ziffern 1 bis 12), wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat Ziffer 13) und wegen unerlaubten Besitzes von 1,6 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz eines Schlagrings (Tat Ziffer 14) unter Einbeziehung einer wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden.

Für die Taten Ziffern 1, 3, 4, 8, 10 und 11 setzte das verurteilende AG es jeweils Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, für die Taten Ziffern 2, 5, 6, 7 und 9 jeweils Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und einem Monat, für die Tat Ziffer 12 eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und für die Tat Ziffer 13 unter Annahme eines minder schweren Falls eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten fest. Für die Tat Ziffer 14 setzte das Amtsgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten, die es dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnahm, fest.

Bei der Strafzumessung wertete das verurteilende AG zu Gunsten des Verurteilten dessen weitgehendes bzw. hinsichtlich Tat Ziffer 14 umfassendes Geständnis, dass es sich durchweg um eine sog. weiche Droge gehandelt hatte, dass es sich in den Fällen der Taten Ziffern 1 bis 12 und 14 jeweils um kleine bzw. sehr kleine Mengen gehandelt hatte, dass es in den Fällen der Taten Ziffern 1, 4, 8, 10 und 13 zu einer Übergabe der Drogen jeweils nicht gekommen war und dass im Fall der Tat Ziffer 14 das Marihuana und der Schlagring hatten sichergestellt werden können und der Verurteilte bereitwillig auf den Schlagring verzichtet hatte. Entsprechend gelangte das Amtsgericht zu dem Ergebnis, dass sämtliche Strafen am untersten Rand des jeweils eröffneten Strafrahmens verbleiben könnten. Zulasten des Verurteilten wertete das Amtsgericht hingegen, dass der Verurteilte mit erheblicher krimineller Energie und professionell vorgegangen war, zumal die Tat Ziffer 13, auch wenn das Geschäft letztlich nicht vollzogen worden war, eine große Menge Drogen zum Gegenstand gehabt hatte. Bei der Bildung der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Vorverurteilung nahm es aufgrund des zeitlichen und situativen Zusammenhangs der Taten einen straffen Zusammenzug vor und erachtete unter Berücksichtigung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten für tat- und schuldangemessen.

Die Staatsanwaltschaft hat der Strafvollstreckungskammer am 05.04.2024 die Akten vorgelegt mit dem Antrag festzustellen, dass eine Ermäßigung der für die Tat Ziffer 14 verhängten Einzelstrafe nicht geboten sei. Das LG hat die für unter o.a. Ziffer 14 abgeurteilte Tat festgesetzte Einzelstrafe neu auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen und die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf einen Euro festzusetzen festgesetzt (siehe dazu 1.). Zugleich hat es  ausgesprochen, dass es trotz Neufestsetzung der Einzelstrafe im Ergebnis bei der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verbleibt (dazu 2.):

„1. Wurde die verurteilte Person vor In-Kraft-Treten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) am 01.04.2024 wegen einer Handlung verurteilt, die – neben einer anderen Strafvorschrift – zugleich auch eine nach In-Kraft-Treten des KCanG nicht mehr anwendbare Vorschrift des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) verletzt hat – Art. 313 Abs. 3. S. 1 EGStGB verweist auf § 73 Abs. 2 StGB in der bis zum 01.01.1975 geltenden Fassung, der Gesetzgeber hatte jedoch bei Erlass des KCanG § 52 StGB in der aktuell geltenden Fassung im Blick (siehe BT-Drs- 20/8704, S. 155) -, und wurde die Strafe der nicht mehr anwendbaren Vorschrift des BtMG entnommen, setzt das Gericht nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB die auf die andere Gesetzesverletzung entfallende Strafe neu fest.

a) Der Besitz der 1,6 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum war zum Zeitpunkt des Urteils noch nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar. Seit In-Kraft-Treten des KCanG am 01.04.2024 ist der bloße Besitz einer solchen Menge zum Eigenkonsum nach §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 3 KCanG von dem in § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG verankerten grundsätzlichen Verbot des Besitzes von Cannabis ausgenommen und entsprechend nicht nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG, mithin nicht mehr strafbar.

b) Soweit der Verurteilte durch die Tat Ziffer 14 zugleich auch die Vorschrift des §§ 52 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Ziff. 1.3.2 verletzt hat, war – entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft – die für diese Tat zu verhängende Einzelstrafe neu festzusetzen. Verringert sich der Schuldumfang, weil etwa wie vorliegend eine tateinheitlich begangene Tat nicht mehr strafbar ist, führt dies zwar nicht zwingend zur Herabsetzung der für die strafbare Handlung verhängten Strafe (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 331 Rn. 11 m.w.N.). Maßgeblich für die Erforderlichkeit, die Einzelstrafe neu festzusetzen, waren jedoch folgende Erwägungen:

Während § 29 Abs. 1 BtMG Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe vorsieht, sieht § 52 Abs. 3 WaffG lediglich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Infolge des Wegfalls der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas zum Eigenkonsum erschöpft sich der Schuldgehalt der Tat im unerlaubten Besitz des Schlagrings. Die Tat ist unter Berücksichtigung ihres jetzt geringeren Schuldgehalts in den nunmehr anzuwendenden, im Vergleich zu demjenigen des § 29 Abs. 1 BtMG milderen Strafrahmen des § 52 Abs. 3 WaffG einzuordnen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von (weiterhin) drei Monaten erscheint vor diesem Hintergrund weder tat- noch schuldangemessen.

c) Bei der Neufestsetzung der nunmehr dem Strafrahmen des § 52 Abs. 3 WaffG zu entnehmenden, für die Tat Ziffer 14 zu verhängenden Strafe hat die Kammer sämtliche vom Amtsgericht bei der Strafzumessung berücksichtigten, für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände ebenfalls berücksichtigt. Insoweit hat sie insbesondere auch berücksichtigt, dass der Verurteilte die Tat vor dem Amtsgericht vollumfänglich eingeräumt und bereitwillig auf den sichergestellten Schlagring verzichtet hatte.

Unter Abwägung sämtlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände erschien es der Kammer tat- und schuldangemessen, die für die Tat Ziffer 14 zu verhängende Einzelstrafe mit zwei Monaten Freiheitsstrafe zu bemessen. Nach § 47 Abs. 2 S. 2 HS. 2 StGB war dementsprechend eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festzusetzen.

Die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB war demgegenüber nicht geboten. Nach dieser Vorschrift verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Besondere Umstände sind solche, die die Tat oder die Täterpersönlichkeit aus dem Durchschnitt sämtlicher ab- bzw. zu beurteilender Fälle herausheben (Fischer, StGB, 71. Auflage 2024, § 47 Rn. 6). Die Unverzichtbarkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe liegt umso ferner, je geringfügiger die konkrete Tatschuld ist (OLG Hamburg, StraFo 2006, 465 [465]; OLG Naumburg, Beschl. v. 11.06.2008 – 2 Ss 484/07 –, juris Rn. 3; vgl. auch KG Berlin, Beschl. v. 31.05.2006 – (5) 1 Ss 68/06 (8/06) –, juris Rn. 4 und OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 73 [73]). Die gleichzeitige Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe macht die Erörterung nicht entbehrlich; die Prüfung ist vielmehr für jede einzelne Tat vorzunehmen (BGH, Beschl. v. 03.05.2023 – 6 StR 161/23 –, juris Rn. 11 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben liegen weder in der Person des Verurteilten noch in der Tat solche Umstände vor, die die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Verurteilten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Mag es sich vor dem Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas in Ansehung der übrigen abgeurteilten Taten noch um eine Tat gehandelt haben, die Teil einer Tatserie war und die – wie vom Amtsgericht letztlich vorgenommen – die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe nahelegte (vgl. BGH, NJW 2009, 1979 [1984]), ist dies nach dem Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas jedenfalls nicht mehr der Fall. Sämtliche übrigen abgeurteilten Taten hatten ein Handeltreiben mit Cannabis zum Gegenstand. Tat Ziffer 14 hat hingegen – zum jetzigen Zeitpunkt – alleine einen Verstoß gegen das Waffengesetz, mithin einen gänzlich anderen Deliktsbereich zum Gegenstand. Abgesehen davon, dass der Schuldgehalt des bloßen Besitzes des Schlagrings gering ist, wurde der Schlagring sichergestellt und der Verurteilte hat auf ihn verzichtet, sodass insoweit durch den Schlagring und den Verurteilten für die Allgemeinheit keine weitere Gefahr ausgeht. Aber auch sonst liegen in der Person des Verurteilten keine besonderen Umstände vor, die es gebieten, die Tat mit einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zu ahnden. Zwar war der Verurteilte vor dem Urteil des Amtsgerichts vom 27.04.2022 schon wegen eines Raubes, mithin wegen einer gewichtigen Straftat verurteilt worden. Der Raub ereignete sich indes am 02.09.2020, mithin innerhalb des Zeitraums, in dem der Verurteilte die Taten beging, die mit dem Urteil vom 27.04.2022 abgeurteilt wurden. Bei Begehung sämtlicher Taten, derer wegen der Verurteilte bislang verurteilt wurde, war er jeweils noch nicht vorbestraft.

d) Die Höhe des einzelnen Tagessatzes, die auch dann festzusetzen ist, wenn die Einzelstrafe – wie hier – in eine Gesamt(freiheits)strafe einbezogen wird (BGH, NStZ-RR 2014, 208 [209] m.w.N.), hat die Kammer unter Berücksichtigung der gegenwärtigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten auf die Mindesthöhe von einem Euro (vgl. § 40 Abs. 2 S. 4 StGB) festgesetzt. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (BGH, NJW 1979, 2523 [2523]). Der Verurteilte ist gegenwärtig inhaftiert. Strafgefangene sind in aller Regel nur in geringem Umfang leistungsfähig (vgl. zu § 52 GKG: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.05.2018 – 2 Ws 112/18 –, juris Rn. 17), sodass, sofern der Verurteilte ein solches in Haft überhaupt erzielt, allenfalls ein geringfügiges Nettoeinkommen (vgl. § 40 Abs. 2 S. 2 StGB) erzielt.

e) Demgegenüber kommt eine Ermäßigung der für die Taten Ziffern 1 bis 12 verhängten Einzelstrafen vor dem Hintergrund, dass das Amtsgericht sie der seinerzeit noch anwendbaren Vorschrift des § 29 Abs. 3 BtMG entnommen hat, die für das gewerbsmäßige unerlaubte Handeltreiben mit Cannabis Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren vorsah, wohingegen § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 1 KCanG nunmehr lediglich noch Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht – § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 4 KCanG sieht hinsichtlich des unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge entsprechend dem vom Amtsgericht angenommenen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 3 BtMG ebenfalls Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, wobei es nach der Neuregelung keinen minder schweren Fall mehr gibt -, nicht in Betracht.

Die abschließenden Regelungen der Art. 316p i.V.m. 313 EGStGB eröffnen lediglich die Möglichkeit, eine Strafe zu erlassen oder zu ermäßigen, wenn die Strafbarkeit einer Handlung infolge des In-Kraft-Tretens des KCanG nachträglich zumindest teilweise entfallen ist. Die Möglichkeit, eine Strafe alleine aufgrund einer Abmilderung der Strafrahmens herabzusetzen, während das geahndete Verhalten auch nach dem KCanG weiterhin unter Strafe gestellt ist, eröffnen die Regelungen hingegen nicht. Zwar hat der Gesetzgeber die Strafrahmen für Cannabis aufgrund einer neuen Risikobewertung des Umgangs mit Cannabis im Vergleich zum Strafrahmenregime des BtMG bewusst herabgesetzt (BT-Drs. 20/8704, S. 74), sich insbesondere bewusst dagegen entschieden, die Strafrahmen des BtMG eins zu eins ins KCanG zu übernehmen (BT-Drs. 20/8704, S. 130). Diese Überlegungen haben jedoch weder in Art. 316p EGStGB noch in Art. 313 EGStGB, an die die Gerichte und somit auch die Kammer nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sind, Niederschlag gefunden.

Insoweit vermag die Kammer auch auszuschließen, dass es sich hierbei um ein Versehen des Gesetzgebers, mithin um eine planwidrige Regelungslücke handelt. Neben der Entkriminalisierung des Besitzes bestimmter Mengen Cannabis zum Eigenkonsum verfolgt der Gesetzgeber mit dem KCanG das Ziel, dem Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz Rechnung zu tragen und den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen (BT-Drs. 20/8704, S. 69f.). Während der Besitz von Cannabis unter Geltung des BtMG schlechthin verboten und unter Strafe gestellt war, unter Geltung des KCanG jedoch nur noch außerhalb der durch §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 3 KCanG gezogenen Grenzen untersagt und nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nur noch ab bestimmten Mengen unter Strafe gestellt ist, ist das Handeltreiben mit Cannabis – der gesetzgeberischen Intention konsequent folgend – nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG weiterhin ausnahmslos untersagt und in § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG weiterhin ausnahmslos unter Strafe gestellt. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch solche Täter nachträglich privilegieren wollte, die wegen Verhaltensweisen nach dem BtMG verurteilt wurden, die er auch unter Geltung des KCanG weiterhin ausnahmslos für strafwürdig erachtet.

2. Trotz Neufestsetzung der Einzelstrafe für Ziffer 14 auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verblieb es bei der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

a) Enthält eine Gesamtstrafe eine Einzelstrafe im Sinne der Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB, mithin eine solche Einzelstrafe, die für eine nach In-Kraft-Treten des KCanG nicht mehr strafbare Tat verhängt wurde und deshalb zu erlassen ist, sowie weitere Einzelstrafen, die nicht zu erlassen sind, ist nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB eine neue Gesamtstrafe festzusetzen. Geht man strikt nach dem Wortlaut von Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB, der ausdrücklich auf Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB verweist, nicht jedoch auch auf Art. 313 Abs. 3 EGStGB, wäre im vorliegenden Fall nicht über die Bildung einer neuen Gesamtstrafe zu befinden, da die unter Ziffer 14 abgeurteilte Tat weiterhin strafbar ist und lediglich die für sie verhängte Strafe nach Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB neu festgesetzt, die Strafe jedoch nicht insgesamt erlassen wurde.

Indes hat der Gesetzgeber in Art. 316p EGStGB bestimmt, dass Art. 313 EGStB „entsprechende“ Anwendung findet in Fällen, in denen vor dem In-Kraft-Treten des KCanG Strafen für solche Handlungen nach dem BtMG verhängt wurden, die nach dem KCanG „nicht mehr strafbar“ sind. Die Vorschrift ist im Lichte des KCanG und dem mit ihm durch den Gesetzgeber verfolgten Zweck auszulegen, der unter anderem darin liegt, den Besitz bestimmter Mengen Cannabis zum Eigenkonsum zu entkriminalisieren (BT-Drs. 20/8704, S. 69f.). Entsprechend soll Art. 316p EGStGB und über ihn Art. 313 EGStGB in entsprechender Anwendung die Möglichkeit eröffnen, solche Strafen zu erlassen oder zu ermäßigen, die für Handlungen verhängt wurden, die nach dem BtMG noch strafbar waren, es unter Geltung des KCanG jedoch nicht mehr sind. Es würde dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zuwiderlaufen, wenn Art. 316p EGStGB zwar die Möglichkeit eröffnete – wie hier – bei tateinheitlicher Tatbegehung nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB eine Einzelstrafe zu ermäßigen, dem Gericht jedoch die Möglichkeit verwehrt bliebe nach Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB darüber zu befinden, ob sich die Neufestsetzung einer (niedrigeren) Einzelstrafe auch auf eine verhängte Gesamtstrafe, in die diese Einzelstrafe einbezogen ist, auswirkt. Diese Fallgestaltung hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des Art. 316p EGStGB offenkundig nicht im Blick, sodass insoweit eine Regelungslücke besteht, von der mit Blick auf die gesetzgeberische Intention anzunehmen ist, dass diese planwidrig ist. Die Interessenlage ist dabei vergleichbar mit derjenigen in den von Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB nach dessen Wortlaut erfassten Fällen: Wenn und soweit sich das Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis auf eine Gesamtstrafe auswirken kann, soll dem Gericht die Möglichkeit eröffnet sein, die Gesamtstrafe neu festzusetzen. Somit liegen insgesamt die Voraussetzung für eine analoge Anwendung der Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStB dahingehend vor, dass eine Gesamtstrafe auch dann neu festzusetzen ist, wenn eine solche eine Einzelstrafe enthält, die nach Art. Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 EGStB ermäßigt oder neu festgesetzt wurde.

b) Im Ergebnis führt die Neufestsetzung der Einzelstrafe für Tat Ziffer 14 jedoch nicht zu der Festsetzung einer geringeren Gesamtfreiheitsstrafe als diejenige, die das Amtsgericht S. ausgesprochen hat.

Die Kammer hat bei der von ihr zu treffenden Entscheidung sämtliche für die Strafzumessung bedeutsamen, für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände, die schon das Amtsgericht seinerzeit berücksichtigt hat, berücksichtigt und abgewogen. Unter maßvoller Erhöhung der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten erschien der Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten als tat-, persönlichkeits- und schuldangemessen.

Hierbei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass im Falle tatmehrheitlicher Verurteilung der Wegfall – und erst recht nicht die erfolgte Reduzierung – einer Einzelstrafe nicht ohne Weiteres zu einer Herabsetzung einer Gesamtstrafe zwingt (OLG Hamm, Beschl. v. 17.12.2018 – III-1 RVs 78/18 –, juris Rn. 5). Das Amtsgericht hat für die abgeurteilten Taten Ziffern 1 bis 13 jeweils Einzelfreiheitsstrafen zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten verhängt. Auch die einbezogene, unter anderem wegen Raubes verhängte Einzelfreiheitsstrafe betrug ein Jahr und drei Monate. Die von der Kammer für die Tat Ziffer 14 neu auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzte Einzelstrafe, die das Amtsgericht schon mit „nur“ drei Monaten bemessen hatte, weicht von den übrigen verhängten Einzelstrafen deutlich nach unten ab. Auch unter Berücksichtigung des straffen Zusammenzugs der einzelnen Strafen, der aufgrund des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs sämtlicher Taten geboten ist, fällt die Reduzierung der für die Tat Ziffer 14 verhängten Strafe in Ansehung der übrigen Einzelstrafen nicht derart ins Gewicht, dass sie zu der Festsetzung einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe führt.“

KCanG I: Einziehung von sichergestelltem Marihuana, oder: Bisschen schnell geschossen…

Und zum Start in die 24. KW zwei Entscheidungen zum neuen KcanG.

Nun ja, nicht ganz, denn in der ersten Entscheidung, dem LG Hagen, Beschl. v. 21.05.2024 – 40 Qs 18/24 – hat die Kammer die Frage der Auswirkungen des KCanG auf die Einziehung elegant 🙂 offen lassen können. Sie ist aber dennoch (auch) im Zusammenhang mit dem KCanG interessant.

Das AG hatte in einem Beschluss vom 22.04.2024 die Einziehung von sichergestellten 19,05 Gramm Marihuana nebst Verpackungsmaterial angeordnet. Dagegen hatte der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelgt wurde. Im Einzelnen ging es um folgenden Sachverhalt:

Der ehemalige Angeklagte sowie ein Mitangeklagter wurden am 14.07.2023 in Iserlohn kontrolliert, wobei insgesamt 19,05 Gramm (netto) Marihuana sichergestellt wurden.

Das Marihuana war nach ihren Angaben zum Eigenkonsum bestimmt. Aufgrund dessen erhob die Staatsanwaltschaft am 31.08.2023 Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Iserlohn, wobei die Anklageschrift bezüglich der beabsichtigten Einziehung wie folgt formuliert war: „Die nachfolgend aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung: sichergestellte Betäubungsmittel samt Verpackungsmaterial“

Nachdem die Anklageschrift am 07.10.2023 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, wurde die Hauptverhandlung schließlich auf den 02.04.2024 anberaumt. Die Hauptverhandlung vom 02.04.2024 endete mit der Aussetzung des Verfahrens. Der zuständige Amtsrichter teilte unter dem 03.04.2024 seine Rechtsansicht gegenüber der Staatsanwaltschaft Hagen mit, wonach der in der Anklageschrift geschilderte Tatvorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht mehr strafbar sei und eine Einstellung nach § 206b StPO beabsichtigt sei. Eine Einziehungsentscheidung sei nicht möglich, da § 37 KCanG nicht einschlägig sei.

Nach diesen Ausführungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 15.04.2024 die sichergestellten 19,05 Gramm (netto) Marihuana gemäß § 435 StPO in Verbindung mit § 37 KCanG in Verbindung mit § 74a Nr. 2 StPO einzuziehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer sowie der Mitangeklagte pp. nach Aktenlage eingeräumt hätten, dass sie das Marihuana von einer unbekannten Person gekauft hätten. Diese Person habe sich mithin wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar gemacht. Dadurch, dass die Cannabinoide bei dieser Person hätten eingezogen werden können, sei gemäß § 74a Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 37 KCanG auch eine Einziehung beim Angeklagten sowie dem Mitangeklagten pp. möglich.

Ohne den Angeklagten oder seinem Verteidiger diesen Antrag zu übersenden, erließ das Amtsgericht am 22.04.2024 den o.a. Beschluss. Gegen den wurde Rechtsmittel eingelegt. Das hatte Erfolg:

1. Das Verfahren leidet bereits an einem nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis. Denn das Amtsgericht Iserlohn hat entgegen §§ 435 Abs. 3, 203 StPO im selbstständigen Einziehungsverfahren durch Beschluss entschieden, ohne zuvor über die Eröffnung des Einziehungsverfahrens zu entscheiden und eine förmliche Beteiligung des Beschwerdeführers herbeizuführen. Das selbstständige Einziehungsverfahren setzt über §§ 435 Abs. 3, 203 StPO voraus, dass das Gericht durch eine Willenserklärung deutlich macht, ob es den Antrag auf Durchführung des (selbstständigen) Einziehungsverfahrens zulässt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 3 ff, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.08.2020 -1 Ws 265/20, Rn. 9 ff., juris). Dies ist vorliegend unterblieben.

Das Amtsgericht hat lediglich die ursprüngliche Anklageschrift, in der die Betäubungsmittel nur abstrakt als Einziehungsgegenstand benannt wurden, eröffnet, nicht hingegen das später seitens der Staatsanwaltschaft beantragte selbstständige Einziehungsverfahren. Es existiert auch keine konkludente Eröffnungsentscheidung, vielmehr hat das Amtsgericht ohne weiteren Verfahrensschritt nach Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft entschieden. Abgesehen von der Tatsache, dass das Verfahren somit bereits unter einem erheblichen Verfahrensfehler leidet, wurde dem Beschwerdeführer hierdurch jegliches rechtliche Gehör verwehrt.

Der Verzicht auf eine Eröffnungsentscheidung ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich dann, wenn das Gericht durch Urteil eine Entscheidung ausspricht und hierin eine selbstständige Einziehungsentscheidung vornimmt, da in diesen Fällen das subjektive Strafverfahren auch objektiv wirkt und die Vorschriften für das selbstständige Einziehungsverfahren insoweit keine Anwendung finden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.05.2023 – GSSt 1/23, Rn. 29, juris). Wird allerdings – wie im vorliegenden Fall -die Hauptverhandlung ausgesetzt und gerade keine Entscheidung durch Urteil getroffen, ist es dem Amtsgericht verwehrt, ohne Berücksichtigung der strafprozessualen Voraussetzungen in das selbstständige Einziehungsverfahren zu wechseln und unmittelbar zu entscheiden (vgl. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 435 StPO, Rn. 61).

Durch die erfolgte Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Iserlohn ist ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis eingetreten. Die Kammer kann weder die Eröffnungsentscheidung nachholen noch die Sache insoweit zurückverweisen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 6, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 – 1 Ws 165/1, Rn. 4, juris).

2. Auf die materiell-rechtliche Frage der Möglichkeit einer Einziehung über § 74a Nr. 2 StGB kam mithin es nicht mehr an.“

Tja. bisschen schnell geschossen das AG 🙂 .