Archiv für den Monat: August 2023

Beleidigung I: „Hurensöhne“ nach Polizeikontrolle, oder: Strafloses Selbstgespräch?

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Heute dann StGB-Delikte, und zwar drei Entscheidungen zur  Beleidigung (§ 185 StGB).

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.03.2023 – 203 StRR 38/23. Das AG hat die Angeklagte wegen Beleidigung in drei Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte. Das BayObLG hat die Revision gem. § 349 Abs. 2 StGb verworfen:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Angeklagte durch die Äußerung gegenüber ihrer Freundin der Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen gemäß § 185 StGB schuldig gemacht hat.

Dass mit den Worten „Hurensöhne“ sämtliche mit der vorhergehenden Kontrolle der Angeklagten befassten Beamten, also auch die Geschädigte POM`in I. gemeint waren, wird von der Beweiswürdigung getragen. Die funktionsbezogene Individualisierung der betroffenen Beamten ist hinreichend dargetan. Spontane Formalbeleidigungen gehen nicht zwingend mit einem geschlechtersensiblen Formulieren einher.

Entgegen der Rechtsauffassung der Revision ist der Tatbestand der Beleidigung auch dann erfüllt, wenn die Kundgabe der Missachtung nicht unmittelbar gegenüber dem Geschädigten, sondern gegenüber einem Dritten in Bezug auf den Geschädigten erfolgt (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Beleidigung Rn. 10; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 185 Rn. 6). Ein Selbstgespräch, das von niemandem gehört werden sollte, liegt auch nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht vor. Selbst wenn die Angeklagte nicht damit rechnete, dass ein Beamter die Äußerungen hörte, ist der Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nur darauf richten, dass ein Dritter, hier die Freundin, die Ehrverletzung zur Kenntnis nimmt und den ehrverletzenden Gehalt versteht. Es ist ohne Bedeutung, wenn die Äußerung – auch – einem anderen zugeht (vgl. Regge/Pegel in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl., § 185 Rn. 40 f.).

2. Der von der Revision in Betracht gezogene Ausnahmefall, dass die Angeklagte die Äußerung ihrer Freundin gegenüber innerhalb einer „beleidigungsfreien Sphäre“ getätigt hätte, ist hier nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Tatgerichts nicht gegeben. In der Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf (vgl. KG, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –, juris Rn. 22; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Januar 2019 – 16 W 54/18 –, juris Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 24. April 2008 – 6 U 81/08 –, juris Rn. 29; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Februar 1995 – 2 Ws 30/95 –, juris Rn. 14; Hilgendorf a.a.O. Rn. 11 ff.; Eisele/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., Vorbem. §185 Rn. 9a m.w.N.). Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Voraussetzung für die Straffreiheit ist jedoch, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen die Wahrnehmung von Seiten weiterer Personen abgeschirmt ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 2010 – 2 BvR 1413/09 –, BVerfGK 17, 311-319 Rn. 20 zitiert nach juris; KG a.a.O. Rn. 23 und 25 m.w.N.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 23. Januar 1990 – 2 Ss 103/89 –, juris Rn. 13 m.w.N.; Eisele/Schittenhelm a.a.O.Rn. 9b). Dies war hier nach den Feststellungen nicht der Fall. Die Angeklagte äußerte sich nicht vertraulich in einer Sphäre, in der sie davon ausgehen konnte, dass ihre Worte gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen und Dritte abgeschirmt waren, sondern schreiend im öffentlichen Raum beim Verlassen einer Polizeidienststelle.

3. Der Ehrangriff auf die Polizeibeamten war nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt (§ 193 StGB). Die Angeklagte hat hier die ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch § 185 StGB gesetzte Grenze überschritten, Art. 5 Abs. 2 GG.

Bei der Bezeichnung der Beamten als „Hurensöhne“ handelt es sich – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme angenommen hat – um eine Formalbeleidigung. Die Angeklagte hat ein nach allgemeiner Auffassung besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort verwendet, das eine kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit darstellt. Die verwendete Beschimpfung verlässt das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts und kann unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Amtsträgers als Hurensohn gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist nicht denkbar (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19-, juris Rn. 21, 23; BayObLG, Beschluss vom 07. September 2020 – 206 StRR 220/20-, juris Rn. 13, 14). Bei einer solchen Formalbeleidigung tritt ohne weitere Gewichtung und kontextspezifische Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter den Ehrenschutz zurück (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 15 m.w.N.; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 12).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – hilfsweise – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen (Ehrenschutz / Meinungsfreiheit, vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., juris Rn. 25; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 15) auf der Grundlage der im Urteil insoweit noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte. Das Recht des Bürgers, gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist. Dabei fallen grundsätzlich auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (BayObLG, a.a.O., juris Rn. 18). Die betroffenen Beamten bedürfen als Träger einer hervorgehobenen staatlichen Funktion im Interesse einer wirkungsvollen Erfüllung öffentlicher Aufgaben des besonderen staatlichen Schutzes (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Februar 2022 – 204 StRR 20/22 –, juris Rn. 16).

Im konkreten Fall sind zwar die Rechtmäßigkeit und der Ablauf der Kontrolle nicht feststellbar. Jedoch fällt als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes und des sozialen Geltungsanspruches der Beamten der als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerung beträchtlich ins Gewicht. Der abschätzige Begriff „Hurensohn“ weist inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu der Polizeikontrolle auf, sondern trifft die Person (vgl. BVerfG a.a.O., juris Rn. 28; BayObLG a.a.O. Rn. 16) und insbesondere die Abstammung der Beamten und verletzt auch den sozialen Achtungsanspruch von deren Müttern (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Rn. 43; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl. § 185 Rn. 10). Selbst wenn es im Kontext von Auseinandersetzungen mit Amtsträgern grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, wäre situationsunabhängig das Betiteln mit unflätigen Schimpfwörtern unter der Einbeziehung von Verwandten der Geschädigten nicht mehr gerechtfertigt. Die Angeklagte hätte mit der Verwendung der Schimpfwörter das Maß und die Form durch die Meinungsfreiheit gedeckter Kritik und Empörung eindeutig verlassen.“

Rechtsmittel III: Rechtsmitteleinlegung durch Dritten, oder: Überwachungspflicht

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 15.06.2023 – 3 Ws 168/23 – zum Verschulden an der Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels, wenn man einen Dritten mit der Einlegung beauftragt hat

Das OLG hat die gegen einen Beschluss einer Strafkammer eingelegte Beschwerde als unzulässig verworfen und auch keine Wiedereinsetzung gewährt:

„1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der X. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 18. April 2023 ist unzulässig.

Die einwöchige Beschwerdefrist der §§ 460, 462 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO ist versäumt. Nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Verurteilten am Montag, den 24. April 2023 (Gefangenen-Zustellungsurkunde Bl. 461 der Akte), hätte die sofortige Beschwerde – da es sich bei dem darauffolgenden Montag, den 01. Mai 2023, um einen allgemeinen Feiertag gehandelt hat – gemäß § 43 Abs. 2 StPO spätestens bis Dienstag, den 02. Mai 2023, bei dem Landgericht Bielefeld eingehen müssen. Tatsächlich ging die sofortige Beschwerde aber erst am 03. Mai 2023 dort ein (Bl. 463 der Akte).

Maßgeblich für den Beginn der einwöchigen Beschwerdefrist ist die am 24. April 2023 an den Verurteilten bewirkte Zustellung. Ausweislich der Zustellungsverfügung vom 20. April 2023 und der Gefangenen-Zustellungsurkunde war der Beschlussausfertigung auch eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Eine Anwendung des § 37 Abs. 2 StPO kam vorliegend nicht in Betracht. Eine förmliche Zustellung an die Verteidigerin des Verurteilten war ausweislich der Zustellungsverfügung nicht beabsichtigt und wurde auch tatsächlich nicht bewirkt. Die formlose Übersendung einer Beschlussabschrift an die Verteidigerin beruhte auf der Regelung des § 145a Abs. 3 S. 2 2. Hs. StPO und war nicht geeignet, eine Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen.

2. Der Antrag vom 23. Mai 2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ist bereits unzulässig, weil er nicht den Anforderungen der §§ 44, 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO entspricht.

Gemäß § 44 S. 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Dementsprechend hat der Antragsteller einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 45, Rn. 5 f.). Dabei muss der Antrag Angaben über die versäumte Frist, den Hinderungsgrund und den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Die Begründung des Antrags erfordert deshalb eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumnis gekommen ist (BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 336/13 -, juris). Beauftragt der Verurteilte einen Dritten, der nicht Verteidiger ist, mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, so hat er die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen; andernfalls ist die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 S. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 13. September 1995 – 3 StR 393/95 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 3 Ws 512/08 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 44, Rn. 12c). Ebenso wenig unverschuldet handelt, wer seinen Verteidiger erst kurz vor Fristablauf mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels beauftragt, ohne auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen (OLG Hamm, Beschluss vom 24. Januar 2017 – III-4 Ws 412/16 -, juris; Cirener in: BeckOK, StPO, 47. Edition Stand 01. April 2023, § 44, Rn. 32.1).

Vorliegend wird im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags lediglich vorgetragen, dass der Verurteilte den ihm am 24. April 2023 zugestellten Beschluss – wann auch immer – per Post an seinen Vater gesandt habe; der Vater des Verurteilten habe der Verteidigerin am Sonntag, den 30. April 2023, per WhatsApp wiederum mitgeteilt, dass ein Beschluss vorliege und ihr ein Foto der letzten Seite des Beschlusses übersandt; hätte die Verteidigerin ein Problembewusstsein bezüglich einer Zustellung des Beschlusses zeitlich vor dem 26. April 2023 entwickelt, hätte die sofortige Beschwerde noch rechtzeitig am 02. Mai 2023 eingelegt werden können.

Entgegen den eingangs dargestellten Begründungserfordernissen fehlt es vorliegend an jeglichem Vortag dazu, ob der Verurteilte überhaupt – und wenn ja, welche – Vorkehrungen bei der postalischen Versendung des angefochtenen Beschlusses an seinen Vater getroffen hat, dass der angefochtene Beschluss seine Verteidigerin noch innerhalb der ab dem 24. April 2023 laufenden einwöchigen Beschwerdefrist erreicht und dass seine Verteidigerin über die sich bei der gewählten Übermittlung des angefochtenen Beschlusses durch seinen Vater geradezu aufdrängenden Gefahr einer Fristversäumnis – etwa durch einen Hinweis auf das Zustellungsdatum – informiert wird. In Anbetracht dessen stellt sich der Wiedereinsetzungsantrag bereits als unzulässig dar, da der Vortrag im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags die Überprüfung, ob der Verurteilte durch eigenes Verschulden zu der Fristversäumnis durch seine Verteidigerin beigetragen hat (vgl. hierzu Cirener, a.a.O., Rn. 32), durch das Beschwerdegericht nicht zulässt.“

Rechtsmittel II: Unwirksame Rechtsmitteleinlegung, oder: Nach Belehrung war wirksame Nachholung möglich

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 23.03.2023 – 203 StObWs 48/23. Der ist in einem Strafvollzugsverfahren ergangen. DerGefangene hatte gegen einen Beschluss der StVK Rechtsbeschwerde eingelgt. Die ist als unzulässig verworfen worden, da keiner der Schreiben, die man Rechtsbeschwerde auslegen konnte,  von einem Rechtsanwalt unterzeichnet oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt worden war.

Zur Wiedereinsetzung von Amts wegen merkt das BayObLG an:

„Nach § 118 Abs. 1 StVollzG beträgt die Rechtsbeschwerdefrist für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels einen Monat nach förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses. Nach Abs. 3 der Regelung hat der Antragsteller die Begründung der Rechtsbeschwerde in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift zu veranlassen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle vorzunehmen. Entspricht eine auch fristgerecht eingelegte Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, ist bei einer unverschuldeten Fristversäumnis nach § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, §§ 44 ff. StPO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig, wenn den Antragsteller an dem Formfehler kein Verschulden trifft und er die formgerechte Begründung innerhalb der Frist von einer Woche (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) nachholt (vgl. dazu Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 118 Rn. 4 m.w.N.). Geht die Versäumung der formgerechten Rechtsbeschwerdebegründung auf einen dem Gericht zuzuordnenden Fehler zurück, ist der Betroffene nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu belehren; erst die Zustellung dieser Belehrung setzt die Frist zur Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdefrist in Lauf (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04, 2 BvR 907/04 -, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 2911/10 -, juris, Rn. 8; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 -, juris, Rn. 5; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Oktober 2013 – 2 BvR 28/13 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Oktober 2013 – 2 BvR 1541/13 -, juris, Rn. 3; abw. insoweit, als die Frist zur Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist in Lauf gesetzt wird BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 -, juris, Rn. 15; OLG Hamm, Beschluss vom 3. Mai 2016 – III – 1 Vollz (Ws) 135/16-, juris Rn. 7). Bei rechtzeitiger Nachholung der zuvor nicht wirksam eingelegten Rechtsbeschwerde ist die Wiedereinsetzung dann auch ohne Antrag von Amts wegen zu gewähren; es gilt die unwiderlegbare Annahme einer unverschuldeten Versäumung (§ 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, § 44 S. 2 StPO).

Nach diesen Vorgaben kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gegen die Versäumung der Frist von § 118 StVollzG hier nicht in Betracht. Sollte dem Beschwerdeführer am 8. September 2022 zunächst eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung übermittelt worden sein, wäre die Zustellung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer an diesem Tage gleichwohl wirksam erfolgt mit der Folge, dass die Monatsfrist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 43 StPO am 10. Oktober 2022 geendet hätte. Das handschriftliche Schreiben des Beschwerdeführers vom 9. September 2022 ist demnach zwar innerhalb der Monatsfrist von § 118 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen, entspricht jedoch nicht den formalen Anforderungen von § 118 StVollzG. Jedenfalls am 22. Dezember 2022 ist dem Beschwerdeführer die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene Belehrung, dass und wie der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung erlangen konnte, nämlich mit der Nachholung einer den Anforderungen von § 118 StVollzG entsprechenden Rechtsbeschwerde innerhalb einer Frist von einer Woche, im Wege der förmlichen Zustellung erteilt worden. Danach hätte der Beschwerdeführer spätestens mit Ablauf des 29. Dezember 2022 eine formwirksame Rechtsbeschwerde einreichen müssen. Dies hat der Beschwerdeführer jedoch bewusst unterlassen und in seinem Schreiben vom 22. Dezember 2022 ausdrücklich die Notwendigkeit einer Hinzuziehung eines Rechtsanwalts in Abrede gestellt. Darauf, dass auch die weiteren, nach Ablauf der Wochenfrist des § 45 StPO eingegangenen Schreiben des Antragstellers nicht den Erfordernissen einer Rechtsbeschwerde nach § 118 StVollzG genügen, kommt es nicht mehr an. Die Rechtsbeschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 121 Abs. 1 und 2 StVollzG, §§ 60, 52 GKG.“

Rechtsmittel I: Nachholung von Verfahrensrügen, oder: Wiedereinsetzung dazu gibt es nicht

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Und heute dann Rechtsmittelentscheidungen, und zwar Entscheidungen zu  Fristversäumung.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 11.07.2023 – 1 StR 162/23. Es handelt sich um einen Klassiker, nämlich Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen. Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung Revision eingelegt, die von seinem Wahlverteidiger innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO mit der Sach – und der Verfahresrüge  begründet worden ist. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Pflichtverteidiger dann die Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist beantragt, unter anderem zur Anbringung weiterer Verfahrensrügen. Die Wiederesinetzung gibt es nicht:

„1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Heilung von Verfahrensrügen kommt nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2022 – 6 StR 28/22 Rn. 2 und vom 2. Dezember 2020 – 2 StR 267/20 mwN). Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, stellt allein der Umstand, dass – wie hier – bei einem mehrfach verteidigten Angeklagten die von einem Verteidiger zulässig erhobene Revision (§ 344 Abs. 1, § 345 Abs. 1 StPO) nach Ablauf der Frist von einem weiteren Verteidiger um neue, bisher nicht erhobene Verfahrensrügen ergänzt werden soll, keinen solchen Ausnahmefall dar.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Nach „Verzicht“ keine Einziehungsgebühr?

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Am Freitag hatte ich: Ich habe da mal eine Frage: Nach „Verzicht“ keine Einziehungsgebühr?, zur Diskussion gestellt. Die Frage hatte die Beanstandung einer Rechtspflegerin gegenüber der vom Kollegen geltend gemachten Einziehungsgebühr N.r 4142 VV RVG zum Gegenstand.

Darauf habe ich geantwortet:

Ich mag nicht mehr. Herr lass Hirn vom Himmel regnen.

Wenn das richtig wäre, könnte man ja auch argumentieren, dass im Fall der Ablehnung einer Einziehung die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht entstanden ist. Ist also Quatsch.

Im Übrigen: Bei der Rn 6 im Gerold/Schmidt steht das so nicht. Und bei Rn 12 steht genau der Fall – Verzicht in der HV mit Rechtsprechungsnachweisen: Ich verweise nur auf KG, Beschl. v. 18.07. 2005 – 5 Ws 256/05. Vielleicht hilft das der Rechtspflegerin. Unfassbar.

Und: Was hat die Absetzung mit den ursprünglichen Beanstandungen zu tun? Nichts.“

Ich verstehe solche Beanstandungen nicht. Die Frage ist seit langem ausgekaut. Warum wärmt man das – oder andere entschiedene Fragen – immer wieder auf. Das kostet doch nur Zeit, die man sinnvoller für andere Dinge verwenden könnte. Dass die Gebühr entsteht, mag dem ein oder anderen ja nicht gefallen, aber es ist nun mal so und man hat es zu akzeptieren.

Zum Nachlesen verweise ich auf den Gerold/Schmidt, der im Laufe des September in der 26. Auflage erscheint und natürlich <<Werbemodus an>> auf: Burhoff/Volpert, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, den man hier bestellen kann <<Werbemodus aus>>.