Archiv für den Monat: August 2023

Wochenspiegel für die 31. KW., das war beA, Corona, KI, Online-Portal, Fachklinik und ein Faustschlag

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Und zum Wochenausklang der Wochenspiegel für die inzwischen schon 31. KW aus 2023. Da gibt es folgende Hinweise:

  1. Am 3. August 2023 erhält das beA wieder ein Update

  2. BGH: Keine Entschädigung für Berufsmusiker wegen coronabedingter Einnahmeausfälle aufgrund von Veranstaltungsverboten und -beschränkungen während des ersten Lockdowns
  3. OLG Karlsruhe: Unzureichende Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand geschäftlicher E-Mails können Schadensersatzansprüche auslösen
  4. BAG: Videoüberwachung verwertbar trotz Datenschutzverstoß

  5. LG Frankenthal: Schlechte Bewertung im Online-Portal: Verfasser muss Tatsachen beweisen können

  6. KI-Verordnung – Endspurt für die Regulierung von KI

  7. Kein Unterlassungsanspruch bei unzulässiger Datenübermittlung an Dritte

  8. Kein Job mehr in der „Fachklinik für Bossing & Mobbing“

  9. Verdacht auf Arbeitszeitbetrug als Kündigungsgrund?

  10. und dann aus meinem Blog: StGB II: Der „Faustschlag eines Amateurboxers“, oder: Gefährliche Körperverletzung?

Gesetze II: Was der Gesetzgeber geschafft hat, oder: Neuregelung der Unterbringung in der Entziehung

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Und im zweiten Posting dann auch etwas zu neuen Gesetzen, aber nicht zu Gesetzesvorhaben, sondern zu gesetzlichen Neuregelungen, die die „Ampel“ geschafft hat.

Und zwar: Am 02.08.2023 ist das „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ (BGBl. 2023 I Nr. 203) in Kraft getreten. Das Gesetz bringt zahlreiche Neuregelungen. Kurz gefasst (vor allem):

  • Die in § 64 StGB geregelten Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sind mehrfacher Hinsicht verschärft worden.
  • Überdies ist die in § 67 Abs. 5 Satz 1 a.F. noch gegebene Möglichkeit, im Falle eines erfolgreichen Therapieabschlusses bereits nach Verbüßung der Hälfte der ausgeurteilten Strafe eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung zu erhalten, massiv eingeschränkt bzw. für die allermeisten Verurteilten praktisch abgeschafft worden.

Das Gesetz tritt am 01.10.2023 in Kraft. Bis dahin ist ja noch ein wenig Zeit. Aber: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Und daher hatten wir bereits in der aktuellen Ausgabe des StRR einen Beitrag eines meiner Coautoren aus den Handbüchern Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung RiLG T. Hillenbrand aus Stuttgart mit dem Titel:

Die Neuregelung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Kollege Hillenbrand stellt in dem Beitrag – sicherlich der erste zu der Thematik – die Neuregelungen vor. Und als besonderen Service das ZAP-Verlages, von StRR und vom BOB ist der Volltext hier verlinkt.

Viel Spaß 🙂 beim Lesen.

Gesetze I: Was der Gesetzgeber an Neuem plant, oder: Nebenklage/VStGB, V-Leute, digitale Hauptverhandlung

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Der derzeitige BMJ hat sich in der laufenden Legislaturperiode m.E. bisher noch nicht mit Ruhm bekleckert. Von ihm ist bisher wenig gekommen. Aber nun – na ja, die Legislaturperiode hat ja (erst) Halbzeit – ist doch noch das ein oder andere angekündigt worden.

Dazu mache ich dann heute – bezogen auf Straf- und/oder Bußgeldverfahren – folgenden Überblick, und zwar:

Ich weise zunächst hin auf die „Vorschläge zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“. Dazu gibt es diese PM v. 17.07.2023. Von den dort gemachten Vorschlägen interessieren mich die geplanten materiellen Änderungen wenig, sondern mir geht es um die verfahrensrechtlichen Pläne. Und da sieht der Referentenentwurf des BMJ zu einem „Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vor:

  • Stärkung der Opferrechte: Nebenklagebefugnis u.a.

    • Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden.  Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 StPO geändert werden.
    • Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Abs. 1 StPO geändert werden.
    • Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
    • Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen ein gemeinschaftlicher Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin als Beistand mehrerer Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
  • Stren­gere Regeln für den Ein­satz von V-Leuten

    • Außerdem sind, wie z.B. LTO berichtet hat, strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten geplant. Es befindet sich dazu wohl ein Referentenentwurf in der sog. Kabinettsabstimmung. Der sieht wohl vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der StA nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt demnach grundsätzlich nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.Um zu starke persönliche Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten zu verhindern, dürfen V-Leute künftig auch nur noch maximal fünf Jahre lang tätig sein. Der Entwurf richtet sich – so LTO -an den Maßstäben der Rechtsprechung des BGH zu den Fragen.
  • Digitalisierung der Hauptverhandlung

    • Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne zur „Digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“. Denn da gibt es inzwischen einen Regierungsentwurf zu einem „Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG“. Der ist bereits am 07.07.2023 im Bundesrat beraten worden (dortige Drucksache 227/23)
    • Mit der Neuregelung soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den LG und OLG geschaffen und ausgestaltet werden. Die Dokumentation soll durch eine Tonaufzeichnung erfolgen, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird. Zusätzlich ist auch eine Bildaufzeichnung möglich, die von den Ländern durch Rechtsverordnung jederzeit teilweise oder flächendeckend eingeführt werden kann.

Das ist es m.E., es sei denn, dass BMJ hat noch irgendwo etwas in der Pipeline.

Ich habe da mal eine Frage: Entsteht für die Teilnahme an der richterlichen Ermahnung eine Terminsgebühr?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar heute zur Vernehmungsterminsgebühr:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

ich wende mich auf mehrfachen Rat mit einer gebührenrechtlichen Frage an Sie. Ich habe hierzu bislang weder Literatur, Rechtsprechung oder sonst irgendwelche hilfreichen Informationen gefunden, auch auf Ihrem Blog konnte ich nichts zu dem Thema finden (hoffentlich habe ich nichts übersehen) und der Jour Dienst zum RVG der RAK konnte hier ebenfalls nicht weiterhelfen. Lediglich im FoReNo Fachblog wurde zu dem Thema diskutiert, allerdings ohne Lösung.

Es geht um die Frage, ob die Teilnahme an der richterlichen Ermahnung nach § 45 III JGG eine Terminsgebühr nach Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG (Teilnahme an richterlicher Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung) auslöst. Da eine Voraussetzung des § 45 III JGG ein Geständnis ist, ist eine Einlassung zur Sache erforderlich, was mE einer Vernehmungssituation, insb. bei Nachfragen des Richters, gleichkommt bzw. sogar darstellt.

Ich weiß, dass diese Nummer eher restriktiv ausgelegt wird. Es handelt sich aber immerhin um ca. 270 EUR, weshalb ich diese Thematik gerne geklärt bzw. fachlich eingeschätzt wüsste, bevor ich die Gebühr (nicht) abrechne. Da ich direkt mit dem Mandanten abrechne, kann ich es auch nicht vom Rechtspfleger „entscheiden“ lassen.

Ich bin gespannt auf Ihre Antwort und Danke Ihnen bereits im Voraus!“

Erst „beschränkter, dann „voller“ Pflichtverteidiger, oder: Keine Anrechnung, sagt auch das LG Frankenthal

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Nach dem „Reparaturpost“ von heute Morgen – siehe Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: OLG Nürnberg sagt dem LG Amberg, wie es geht – hier jetzt der Bestätigungspost.

Ergangen ist die „Bestätigungsentscheidung“ in dem Verfahren, in dem das AG Speyer mit dem AG Speyer, Beschl. v. 27.3.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 – und dem AG Speyer, Beschl. v. 5.4.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 – zu den Gebühren des Pflichtverteidigers entschieden hatte. Ich erinnere an den Sachverhalt:

Dem Beschuldigten ist der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden. Ihm wurde mit Beschluss des AG vom 16.12.2020 der Kollege Flory für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beigeordnet. Nach Abrechnung der insoweit entstandenen gesetzlichen Gebühren ist der Kollege dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21.o4.2021 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dafür sind dann seine weiteren Gebühren und Auslagen wie folgt vom AG festgesetzt worden: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, zweimal Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit einem Zuschlag Nr. 4110 VV RVG und Auslagen. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Vertreterin der Staatskasse hatte keinen Erfolg (das sind die o.a.  AG Speyer Beschlüsse). Gegen den Beschluss des AG hat die Staatskasse natürlich Beschwerde eingelegt. Diese hat das LG Frankenthal mit dem LG Frankenthal, Beschl. v. 05.07.2023 – 2 Qs 144/23 – zurückgewiesen:

„Die Kammer teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die ihrerseits auf den Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2023 Bezug genommen hat, vollumfänglich bei.

Ergänzend bemerkt die Kammer: Soweit die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 20.01.2023 (BI. 422 ff. d.A.) auf die Entscheidung des Landgerichts Mannheim vom 21.01.2019 (BI. 426 ff. d.A.) rekurriert, ist die Kammer der Auffassung, dass die der Entscheidung zugrunde-liegende Konstellation mit der hiesigen nicht vergleichbar ist, da vorliegend der Geltendmachung der Gebühren eine (erste) Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO am 16.12.2020 und eine mehrere Monate später (am 21.04.2021) erfolgte vollumfängliche Beiordnung zugrunde liegt.

Sofern der Rechtsanwalt nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, handelt es sich jedoch nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um Tätigkeiten im Sinne von VV Teil 4 Abschnitt 1 RVG mit der Folge, dass der Rechtsanwalt dann ggf. Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr verdient (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4301 Rn. 15).

Aus diesem Grund scheidet jedoch nach Auffassung der Kammer eine „Deckelung“ der Gebühren nach § 15 Abs. 6 RVG mangels Vorliegen von Einzelhandlungen im Sinne der vorgenannten Vorschrift vorliegend aus.

Wie bereits im Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2023 ausgeführt, kommt nach Auffassung der Kammer – entgegen den Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 23.06.2023 (BI. 442 ff. d.A.) – auch eine Anrechnung nicht in Betracht, da es sich bei der nachfolgenden Beiordnung vom 21.04.2021 nicht um dieselbe Angelegenheit handelt.

Aufgrund des Umstandes, dass diese Rechtsfrage nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung hat, ist die weitere Beschwerde zugelassen worden.“

Man darf gespannt sein, ob die Staatskasse in die weitere Beschwerde geht. Im Zweifel ja, denn einen solchen Beschluss wird man „nicht hinnehmen“.