Archiv für den Monat: Juli 2023

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit dem EuGH und der Belehrung des Mandanten?

© AllebaziB – Fotolia

Mich hat vor einiger Zeit im Anschluss an diesen Blogbeitrag: EuGH zur Vergütungsvereinbarung (mit Verbrauchern), oder: Auf jeden Fall belehren, belehren, belehren!, folgende Anfrage erreicht:

Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

vielen herzlichen Dank für Ihren sehr gelungenen Beitrag zur jüngsten Entscheidung des EuGH. In diesem Zusammenhang würde ich mich sehr, sehr über einen Erfahrungsaustausch zur folgenden Konstellation freuen.

Ich habe ursprünglich mit meinem Mandanten, der rechtsschutzversichert ist, eine Honorarvereinbarung (auf Stundenbasis im Zehntel-Stunden-Takt) wg. Kündigung und Abberufung als Fremd-GF einer GmbH geschlossen. Außerdem sollte über die geleisteten Stunden dem Mandanten monatlich eine Abrechnung erteilt werden.

Nach erfolgreichem Abschluss der Angelegenheit hat die Rechtsschutzversicherung (RV) zunächst das Honorar (nach Abzug einiger Monierungen) bezahlt. Ca. 6 Monate später hat sie sich jedoch eines anderen besonnen und meint nunmehr, dass die Bezahlung des Honorars (wg. Überschreitung um mehr als das 6-fache der RVG-Gebühren) angemessen sein sollte und erhob Anfang Mai 2022 Klage auf Rückzahlung des gezahlten Honorars. Im letzten Replik-Schriftsatz (Mitte April 2023) stellt sie sich weiter auf den Standpunkt, dass die Stundensatzabrede zusätzlich im Lichte des aktuellen EuGH-Urteils (C-395/21) unwirksam sei. Danach sei die Stundenklausel intransparent, weil ich den (rechtsschutzversicherten) Mandanten nicht vorab die Gesamtschätzung der Kosten informiert habe.

Aus meiner Sicht ist die Auffassung der RV unter Bezug auf die EuGH-Entscheidung unzutreffend, da, wie bereits erwähnt, in der Honorarvereinbarung die Verpflichtung übernommen wurde, dem Mandanten monatliche Abrechnungen zu erteilen.

Was meinen Sie dazu? Was sind Ihre Erfahrungswerte in solchen Konstellationen mit RV? Würde ihrer Meinung nach die Entscheidung des EuGH auch auf die RV Anwendung finden? Ich fände dieses Ergebnis ziemlich schräg, da die RV nicht „Verbraucher“ ist und folglich der Schutzbereich eines Verbrauchers gar nicht eröffnet ist, insbesondere, wenn der Verbraucher einen Freistellungsanspruch gegen einen Unternehmer (RV) hat und der Unternehmer (RV) letztlich zahlen muss und die Zahlung zusagt. Außerdem hat die RV bei ihrer Deckungsschutzzusage keinen Vorbehalt vorgenommen, dass sie das Stundenvolumen begrenzen werde. Tatsächlich hat sie dies ja auch nicht getan und die Stunden bezahlt.

Über Ihren Input/Unterstützung würde ich mich sehr, sehr freuen.“

I. Instanz im Asyl-Klageverfahren dauert 58 Monate, oder: Welche Entschädigung für die Verfahrensdauer?

© Thomas Jansa – Fotolia.com

Und dann – passt einigermaßen – der OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.05.2023 – 13 FEK 496/21 – zur Frage der Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines asylrechtlichen Gerichtsverfahrens, also §§ 198, 199 GVG.

Zum Sachverhalt verweise ich auf den Volltext. Nur so viel: Das Verfahren, ein erstinstanzliches asylrechtliches Klageverfahren, lief insgesamt etwa 58 Monate. Das beklagte Land hat bereits die Verfahrensdauer im Zeitraum zwischen Juli 2019 bis November 2022, also 41 Monate, als unangemessen anerkannt und insoweit eine Entschädigung gezahlt. Es war also allein noch zu beurteilen der Zeitraum zwischen Februar 2018 und Juni 2019, also 17 Monate. Dazu sagt adas OVG: Noch keine unangemessene Verfahrensdauer. Hier der Leitsatz

Zur angemessenen Verfahrensdauer eines asylrechtlichen Klageverfahrens mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und noch durchschnittlicher Bedeutung für die Kläger und ohne ein zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beitragendes Prozessverhalten der Beteiligten.

 

Geschäftsreise des Anwalts nach Leipzig zum BVerwG?, oder: Kanzleisitz außerhalb?

Bild von Hands off my tags! Michael Gaida auf Pixabay

Und heute dann RVG – allerdings vorab mit dem Aufruf – nochmals -: Ich brauche bitte Entscheidungen. Mein Ordner ist ziemlich leer.

Ich stelle dann hier zunächst eine Entscheidung des BVerwG zur Frage einer Geschäftsreise und der Erstattung der insoweit angefallenen Kosten vor.

Von den Rechtsanwälten, die den Kläger beim BVerwG vertreten haben, waren verschiedene Auslagenpositionen geltend gemacht. Die sind nicht festgesetzt worden. Dagegen dann die Erinnerung, die mit dem BVerwG, Beschl. v. 27.03.2023 – 3 KSt 1/22 – nur geringen Erfolg hatte.

Zu den geltend gemachten Reisekosten führt das BVerwG aus:

„1. Die Kosten für die Reise der Rechtsanwälte B. und S. von Würzburg nach Leipzig zur mündlichen Verhandlung vom 25. bis 27. Oktober 2017 in Höhe von 850,68 € sind keine Auslagen im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, Teil 7 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – im Folgenden: VV). Die Reise war keine Geschäftsreise im Sinne von Vorbemerkung 7 Absatz 2 VV. Nach dieser Vorschrift liegt eine Geschäftsreise vor, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet. Der Begriff Kanzlei umfasst nicht nur den Hauptsitz, sondern auch an anderen Orten betriebene Zweigstellen (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2017 – 9 KSt 4.17NJW 2017, 3542 Rn. 3). Da ein Rechtsanwalt im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten muss, kann eine weitere Niederlassung allerdings auch eine selbständige Kanzlei sein. Voraussetzung hierfür ist, dass eine in der Niederlassung tätige Rechtsanwältin bzw. ein dort tätiger Rechtsanwalt Mitglied der für die Niederlassung örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2017 a. a. O.). Dass Rechtsanwältin Dr. H., die im Briefkopf des Schriftsatzes vom 29. September 2017 – dem letzten Schriftsatz vor der mündlichen Verhandlung – neben Rechtsanwalt B. der Zweigstelle Leipzig zugeordnet war, Mitglied der Rechtsanwaltskammer Sachsen (gewesen) sei, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Nach dem Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis gehört Rechtsanwältin Dr. H. der Kammer Bamberg an. Hiernach ist davon auszugehen, dass die Niederlassung in Leipzig keine gegenüber der Kanzlei in Würzburg selbständige Kanzlei, sondern – wie im Briefkopf angegeben – eine Zweigstelle dieser Kanzlei war, das Reiseziel also nicht außerhalb der Gemeinde lag, in der sich die Kanzlei befand. Der Auffassung, dass eine Geschäftsreise unabhängig vom Ort der Kanzlei vorliege, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich der Wohnsitz des Rechtsanwalts befindet (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2012 – 10 W 97/11NJW-RR 2012, 764), folgt der Senat nicht (wie hier OLG Koblenz, Beschluss vom 27. April 2015 – 7 WF 407/15 – NJW-RR 2015, 1408; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. Februar 2016 – 3 Ws 409/15 – juris Rn. 6; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 7003-7006 Rn. 10). Aufwendungen für Reisen zwischen der Wohnung eines Rechtsanwalts und seiner Kanzlei gehören zu den allgemeinen Geschäftskosten; einem besonderen Geschäft können sie nicht zugeordnet werden. Liegt das Gericht in der Gemeinde, in der sich der Sitz seiner Kanzlei befindet, entstehen durch die Fahrt vom Wohnsitz zum Gericht keine zurechenbaren Mehrkosten (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 7003-7006 Rn. 18).

2. Die Auslagen für die Teilnahme einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts an der Vorbesprechung bei der Klägerin am 11. Juli 2017 sind in Höhe von insgesamt 294,64 € erstattungsfähig. Für die Fahrtkosten Leipzig – Fürth (177,60 €) ergibt sich das aus § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, Vorbemerkung 7 Absatz 1 Satz 2 VV i. V. m. § 675 und § 670 BGB, Nr. 7003 VV, für das Abwesenheitsgeld (70 €) aus Nr. 7005 VV und für die Umsatzsteuer (47,04 €) aus Nr. 7008 VV. Gemäß Vorbemerkung 7 Absatz 1 Satz 2 VV kann der Rechtsanwalt, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist, Ersatz der entstandenen Aufwendungen (§ 675 i. V. m. § 670 BGB) verlangen. Nach § 670 BGB, der gemäß § 675 Abs. 1 BGB auf einen Geschäftsbesorgungsvertrag entsprechende Anwendung findet, ist der Auftraggeber, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, zum Ersatz verpflichtet (vgl. OVG Münster, Beschlüsse vom 15. März 1991 – 16 B 23603/90NVwZ-RR 1992, 54 <55> und vom 25. Februar 2013 – 12 E 28/13 – juris Rn. 8). Unter den hier gegebenen Umständen durften die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Besprechung mit deren Mitarbeitern zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung für erforderlich halten, allerdings nicht – wie geltend gemacht – mit drei Rechtsanwälten, sondern nur mit einer Rechtsanwältin bzw. einem Rechtsanwalt. Es ging um eine umfangreiche Planfeststellungssache mit einer Vielzahl von in tatsächlicher Hinsicht streitigen Fragen. Das Gericht hatte die mündliche Verhandlung auf zwei Tage angesetzt mit etwaiger Fortsetzung an einem dritten Verhandlungstag. Die mündliche Verhandlung hat auch tatsächlich drei Tage gedauert. Die Klägerin hatte umfangreiche Einwendungen erhoben, insbesondere gegen eine Nutzen-Kosten-Untersuchung, auf die die Beklagte ihre Abwägung zugunsten der Verschwenk- und gegen die Bündelungstrasse gestützt hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2017 – 3 A 4.15BVerwGE 160, 263 Rn. 97 – 146). Die Einwendungen waren fachlich maßgebend von zwei Mitarbeitern des Stadtplanungsamtes der Klägerin vorbereitet worden. Eine Besprechung bei der Klägerin abzuhalten, um die Präsentation dieser Einwendungen in der mündlichen Verhandlung vorzubereiten, war sachdienlich und auch aus Sicht eines kostenbewussten Beteiligten angemessen. Warum die Teilnahme von mehr als einer Rechtsanwältin bzw. einem Rechtsanwalt erforderlich gewesen sein soll, ist hingegen weder dargelegt noch ersichtlich; die insoweit entstandenen weiteren Auslagen (Fahrtkosten 123,60 €, Abwesenheitsgelder 140 €, Umsatzsteuer 50,08 €) sind nicht erstattungsfähig.“

Wegen der restlichen geltend gemachten Positionen verweise ich auf den Volltext.

OWi III: Umfang der Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Verteidiger bekommt alles

Bild von Alexa auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch etwas zur (Akten)Einsicht (in Messunterlagen) im Bußgeldverfahren. Nichts Neues, aber ein kleiner Reminder an die Problematik.

Das AG Köln hat im AG Köln, Beschl. v. 21.06.2023 – 805 OWi 96/23 [b]  – beschlossen, dass dem Verteidiger auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen ist:.

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Dem Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Wird ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt, muss der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt in diesem Sinne eine Beweislastumkehr, da der Betroffene konkret die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann, was wiederum voraussetzt, dass ihm alle vorhandenen Daten, insbesondere die gesamte Messreihe, zugänglich gemacht werden. Auch ist eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, bspw. lauf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, nicht statthaft. Der Betroffene muss selbst die Messreihe sichten können, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte um die Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht, indem dem Betroffenen nur eine bestimmte Anzahl anderer Messungen oder nur Messungen an bestimmten Positionen der Messreihe zugänglich gemacht werden, würden eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten darstellen, da andere Messungen, ohne dass diese hätten geprüft werden können, von vorne herein aus der möglichen Beweisführung ausgenommen werden.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020 ändert hieran nach Auffassung des Gerichts nichts. Soweit die PTB anführt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, stellt dies keinen Grund gegen‘ die Herausgabe dar. Die Auswertung, auch wenn sie ggf. lange dauert oder umfangreich ist, ist die Entscheidung des Betroffenen. Hinsichtlich der weiteren dort aufgeführten Punkte haben gerichtliche Sachverständige in der Vergangenheit die gesamte Messreihe untersucht und vorgetragen, diese zur Auswertung zu benötigen. Diese sachverständige Auskunft kann das Gericht mangels technischer Kenntnisse nicht überprüfen. Sie erscheint aber auch nicht von vorneherein unplausibel.

Gründe des Datenschutzes sprechen nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Messreihe zu anonymisieren. Die Daten werden zudem nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis (Rechtsanwalt und Sachverständiger) zur Verfügung gestellt. Letztlich handelt es sich um Daten, die durch die freiwillige Teilnahme am Straßenverkehr entstanden sind.

Diese Rechtsauffassung wird auch vom OLG Köln geteilt, Beschluss vom 30.05.2023, Az.: III-1 RBs 288/22.“

OWi II: Die Ablehnung eines Entbindungsantrags, oder: Rein spekulative Erwägungen reichen nicht

Bild von Szilárd Szabó auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2023 – 1 ORbs 48/23 – vom OLG Braunschweig. Es handelt sich mal wieder um einen „Entbindungsfall“, also § 73 OWiG.

Der Verteidiger des Betroffenen hatte beantragt, den von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin zur Hauptverhandlung zu entbinden. Er räume seine Fahrereigenschaft zum vorgeworfenen Zeitpunkt ein, werde ansonsten aber in Person unter keinen Umständen Angaben zur Sache und zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen. Zugleich übersandte der Verteidiger eine Vertretungsvollmacht, aus der sich ergibt, dass er bevollmächtigt ist, den Betroffenen in seiner Abwesenheit zu vertreten.

Das AG hat den Antrag abgelehtn und zur Begründung ausgeführt, dass die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes erforderlich sei. Da die geladenen Zeugen nach Aktenlage vor Ort persönlich im Kontakt mit dem Betroffenen gestanden haben sollten, sei die Anwesenheit des Betroffenen – auch wenn er sich nicht einlassen wolle – zur Sachaufklärung erforderlich.

Nachdem weder der Betroffene noch der Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen, hat das AG den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Rüge ist auch begründet. Der Betroffene war vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden. Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gern. § 74 Abs. 2 OWiG nach abschlägiger Bescheidung des Entbindungsantrages war rechtsfehlerhaft.

Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf seinen Antrag von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Dieses ist vielmehr verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 8. März 2005, Ss (OWi) 141/05, juris, Rn. 6; KG Berlin, Beschluss vom 11. Dezember 2017, 3 Ws (B) 310/17, juris, Rn. 8 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen lagen vor. Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag vom 4. Januar 2023 im Hinblick auf die anberaumte Hauptverhandlung erklärt, er werde weder Angaben zur Sache noch zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen. Damit war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in dem Hauptverhandlungstermin keine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Februar 2012, 2 Rbs 13/12, juris, Rn. 4).

Zwar kann die Anwesenheit eines Betroffenen in der Hauptverhandlung, der sein Schweigen zum Tatvorwurf angekündigt hat, im Einzelfall unverzichtbar sein, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist (vgl. Senge in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl., § 73, Rn. 31) und ist auch dem Tatrichter bei der Beurteilung der Frage, ob die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes erforderlich ist, grundsätzlich ein weiter Ermessenspielraum einzuräumen. Jedoch genügen rein spekulative Erwägungen, die Anwesenheit eines Betroffenen könne in der Hauptverhandlung zu einem Erkenntnisgewinn führen, nicht (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juli 2007, 2 Ss 160/07, juris, Rn. 7f.; OLG Naumburg, Beschluss vom 23. Januar 2007, 1 Ss (B) 210/06, juris, Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. August 2007, 3 Ss OWi 764/07, juris, Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 10. März 2011, 3 Ws (B) 78/11, juris, Rn. 5).

So liegt der Fall hier. Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 16. Januar 2023 (nur) ausgeführt hat, dass die Zeugen nach Aktenlage persönlichen Kontakt zu dem Betroffenen gehabt hätten, ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand weitere Sachaufklärung verspricht. Insbesondere bedurfte es — nachdem der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte — keiner Gegenüberstellung mit den Zeugen. Eine nähere Begründung, aus welchen Gründen das Amtsgericht sich trotz der Angabe des Betroffenen, er werde sich nicht weiter einlassen, eine weitere Sachaufklärung erhofft hat, fehlt.“

Das Ganze ist – wie man an der vom OLG zitierten Rechtsprechung sieht – nichts Neues. Man fragt sich allerdings, warum das AG die nicht kennt.