Archiv für den Monat: März 2023

StGB I: BGH zu „neuen psychoaktiven Stoffen“, oder: Wann beginnt die „nicht geringe Menge“?

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Heute stelle ich dann drei StGB-Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.12.2022 – 3 StR 372/21, der für die Verteidigung in BtM-Verfahren von Interesse sein dürfte. Der BGH hat Stellung genommen zur „nicht geringen Menge“ bei „neuen psychoaktiven Stoffen“, also wohl bei sog. „Designerdrogen“.

Dazu meint er – m.E. reicht hier der amtliche Leitsatz:

„Es beginnt die nicht geringe Menge der „neuen psychoaktiven Stoffe“
– 2-Fluormetamfetamin (2-FMA) bei 10 Gramm 2-FMA-Base,
– 4-Fluormetamfetamin (4-FMA) bei 10 Gramm 4-FMA-Base und
– 3-Methylmethcathinon (3-MMC) bei 25 Gramm 3-MMC-Base.

Nebenklage III: Anfechtung der Kostenentscheidung, oder: Statthaftigkeit und/oder Beschwer

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Und dann zum Schluss des Tages hier noch der OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.01.2023 – 1 Ws 309/22. Der behandelt zwei Fragen. Ich stelle ihn heute wegen der Anfechtung einer/der Kostenscheidung durch den Nebenkläger vor, wegen der anderen Frage komme ich auf den Beschluss noch einmal zurück.

In dem Verfahren sind die beiden Angeklagten durch Urteil des AG wegen einer gefährlichen Körperverletzung, begangen zum Nachteil des Nebenklägers, zu Geldstrafen verurteilt worden. Die notwendigen Kosten des Nebenklägers wurden den Angeklagten auferlegt.

Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte zunächst Berufung eingelegt, diese aber mit anwaltlichen Schreiben wieder zurückgenommen. Das LG hat den beiden Angeklagten gemäß § 473 Abs. 1 StPO die Kosten der Berufung und ihre Auslagen auferlegt. Eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers ist unterblieben. Der Nebenkläger wendet sich dann mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die unterlassene Entscheidung über seine eigenen notwendigen Auslagen.

Die GStA hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde des Nebenklägers die Kosten- und Auslagenentscheidung des LG dahingehend zu ergänzen, dass die Angeklagten die dem Nebenkläger im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen haben. Die Angeklagten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Einer der Angeklagte hat dabei  u.a. vorgetragen, die sofortige Beschwerde sei gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz i. V. m. § 400 StPO nicht zulässig.

Das Rechtsmittel hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist formgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingegangen und auch nach § 464 Abs. 3 StPO statthaft. Der Statthaftigkeit steht im vorliegenden Fall § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung unzulässig, wenn ein Rechtsmittel in der Hauptsache nicht statthaft ist. Das ist trotz § 400 Abs. 1 StPO und der durch die Berufungsrücknahmen rechtskräftigen erstinstanzlichen Verurteilungen der Angeklagten wegen der Tat, für die der Nebenkläger anschlussberechtigt war, nicht der Fall.

Der Senat hat sich bereits mit Beschluss vom 10. Februar 2021 (Az. 1 Ws 289/20, nicht veröffentlicht) der Ansicht angeschlossen, dass die §§ 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz, 400 Abs. 1 StPO der Anfechtung der Kostenscheidung durch den Nebenkläger nicht entgegenstehen. § 400 Abs. 1 StPO beseitigt nicht die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels, sondern versagt dem Nebenkläger nur für einen bestimmten Fall die Beschwer (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Oktober 1998, Az.: 3 Ws 464 – 466/98, Rn. 4; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. August 2002, Az.: 5 Ws 54/02, Rn. 5; OLG Naumburg, Beschluss vom 21. September 2001, Az.: 1 Ws 329/01, Rn. 12; OLG Jena, Beschluss vom 22. Januar 2010, 1 Ws 525/09, Rn. 12 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. Oktober 2012, Az.: 4b Ws 25/12, Rn. 5, jeweils zit. nach juris). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 464 Abs. 3 S. 1, 2. HS StPO kommt es jedoch nur auf die Statthaftigkeit an, sodass sonstige Zulässigkeitshindernisse außer Betracht bleiben.

Zwar betraf die Entscheidung des Senats vom 10. Februar 2021 konkret lediglich den Fall, dass die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen wurde und nicht die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der die Berufungen der Angeklagten zurückgenommen wurden. Auch in diesem Fall wäre aber ein ohne die Berufungsrück-nahmen ergangenes Urteil der Berufungskammer für den Nebenkläger grundsätzlich gemäß § 401 StPO mit der Revision anfechtbar, sodass ein Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung und damit auch gegen die Kostenentscheidung statthaft gewesen wäre. Bei der aufgrund der Berufungsrücknahme ergangenen Kostenentscheidung kann nichts anderes gelten (OLG Hamburg, Beschluss vom 9. Juni 2015, Az.: 1 Ws 69/15, Rn. 6; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juli 2001, Az.: 2 Ws 141/01, Rn. 7; KG, Beschluss vom 26. Mai 2000, Az.: 3 Ws 112/00, jeweils zit. nach juris).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes, der sich nach dem voraussichtlichen (Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl. 2023, § 304, Rn. 32 m. w. N., zit. nach beck-online) Kosten- und Auslagenbetrag bestimmt, dürfte den Wert von 200,- Euro (§ 304 Abs. 3 StPO) selbst dann übersteigen, wenn die Verfahrensgebühr des Nebenklägervertreters für das Berufungsverfahren gemäß Nr. 4124 VV RVG zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer wegen des bis zur Rücknahme eher geringen Umfangs der vom Nebenklägervertreter entfalteten Tätigkeit maßvoll bemessen wird.

Diese Gebühr ist auch schon entstanden…….“

Nebenklage II: Bewilligung von PKH für die Nebenklage, oder: Psychische Betroffenheit und Waffengleichheit

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Die zweite Entscheidung zur Nebenklage, der LG Stade, Beschl. v. 20.02.2023 – 102 Qs 55/22 – nimmt Stellung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Nebenkläger zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.

Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Dem Beschuldigten wird dabei zur Last gelegt, am 20.01.2022 gegen 23:45 Uhr in Stade auf offener Straße gewalttätig gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, der Nebenklägerin, gewesen zu sein. Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten erhoben. Das AG Stade das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet.

Mit Schreiben vom 21.07.2022 teilt der Kollege Breu, der mir den Beschluss geschickt hat, mit, dass er die Nebenklägern vertrete und erklärt den Anschluss der Nebenklage. Zudem beantragt er, als Beistand bestellt zu werden. Das AG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter der Beiordnung des Kollegen dann aber zurückgewiesen. Dagegen das Rechtsmittel der Nebenklägerin, das beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Gemäß § 397a Abs. 2 StPO ist dem Nebenkläger auf Antrag Prozesskostenhilfe für die Bestellung eines anwaltlichen Beistands zu bewilligen, wenn er mittellos ist und seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet sich dabei grundsätzlich nach den Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, also nach den §§114 ff. ZPO.

Die Nebenklägerin ist im Sinne der §§ 114, 115 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten eines Rechtsanwaltes aufzubringen. Die Nebenklägerin ist Studentin und erhält Unterhaltszahlungen in Höhe von 429,00 Euro von ihrem Vater sowie Kindergeld in Höhe von 219,00 Euro. Darüber hinaus verdient sie im Rahmen eines Nebenjobs 205,00 Euro. Die monatlichen Wohnkosten der Nebenklägerin belaufen sich auf 130,00 Euro und 32,00 Euro fallen für das Semesterticket an. Auch verfügt die Nebenklägerin nicht über ein Vermögen, das die Grenze des § 90 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII übersteigen würde, sodass Mittellosigkeit im Sinne der Vorschriften vorliegt.

Ferner muss die Nebenklägerin entweder unfähig sein, ihre Interessen ausreichend wahrzunehmen oder es muss ihr unzumutbar sein. Die Unfähigkeit der Nebenklägerin ihre Interessen selber ausreichend wahrzunehmen, etwa aufgrund eingeschränkter geistiger Kräfte, ist auch aus Sicht der Kammer nicht ersichtlich. Die eigene Wahrnehmung ihrer Interessen ist ihr jedoch nicht zuzumuten.

Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit der Nebenklägerin durch die Tat ab, diese sie also unvertretbar belasten würde (Valerius in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2019, § 397a Rn. 27; Wenske in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 397a Rn. 14). Dies kann insbesondere bei Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie von schwerwiegenden Nachstellungen eine Rolle spielen. Vorliegend ist die Nebenklägerin mutmaßlich Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden, sodass grundsätzlich kein Fall vorliegt, in dem die Unzumutbarkeit im Sinne von § 397a Abs. 2 StPO regelmäßig vorliegen dürfte. Die Nebenklägerin führte mit dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt jedoch eine Liebesbeziehung, die erst im Anschluss an den angeklagten Vorfall endete. Die in der Anklage beschriebenen Gewalteinwirkungen durch den Angeklagten auf die Nebenklägerin sind von erheblichem Ausmaß und weisen zudem eine hohe Brutalität auf. Aus Sicht der Kammer dürfte bereits die Tat als solche, gerade auch weil sie innerhalb der Beziehung geschehen sein soll, eine erhebliche psychische Betroffenheit der Nebenklägerin nahelegen. Im Übrigen zeigt sich das Vorliegen einer hohen psychischen Betroffenheit aber auch dadurch, dass unmittelbar im Anschluss an den Vorfall im Elbeklinikum ein psychiatrisches Gespräch mit der Nebenklägerin geführt wurde, ein solches durch den behandelnden Arzt aufgrund des Gesamteindrucks von der Nebenklägerin also offensichtlich für notwendig erachtet wurde. Zudem nimmt die Nebenklägerin Unterstützung durch die Opferhilfe in Anspruch.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat. Zwar ist § 121 Abs. 2 StPO nicht anwendbar, sodass allein der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat, kein zwingender Grund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist. Die Hauptverhandlung und insbesondere die Zeugenaussage dürfte für die Nebenklägerin aber ohnehin eine hohe Belastung darstellen, die sich durch die Anwesenheit eines Pflichtverteidigers auf Seiten des Angeklagten bei Ausbleiben eines eigenen anwaltlichen Beistands verstärken dürfte und ihr daher im Ergebnis nicht zuzumuten ist.“

Nebenklage I: Begründung der Nebenklägerrevision, oder: Wieder mal eine unzulässige Revision…..

Und dann

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heute Entscheidungen zur StPO, mit der „Unterkategorie“ Nebenklage.

Den Opener zum Warmwerden mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 01.12.2022 – 3 StR 471/21. 

Das ist der Klassiker aus dem Bereich, nämlich die Frage nach den Anforderungen an die Revisionsbegründung des Nebenklägers. Man fragt sich, wie oft der BGh dazu eigentlich noch Stellung nehemn muss; offenbar wird das, was er dazu schreibt, von denjenigen, die es angeht, nicht gelesen. So auch hier.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung verurteilt. Dagegen die auf die Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers, die (mal wieder) unzulässig ist. Denn:

„Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder dass ein Angeklagter wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Die Begründung der Revision des Nebenklägers muss daher erkennen lassen, dass er mit seinem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt, also einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, die die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss an das Verfahren begründet; wird eine derartige Präzisierung bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht vorgenommen, ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2012 – 3 StR 360/12, juris Rn. 2 f.; Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 221/07, NStZ 2007, 700, 701). So liegt es hier. Der Nebenkläger hat lediglich die allgemeine Sachrüge erhoben. Weitere Ausführungen, aus denen sich das konkrete Ziel seines Rechtsmittels entnehmen ließe, sind bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht eingegangen. Ein Ausnahmefall, in dem auf eine derartige Klarstellung verzichtet werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1989 – 3 StR 148/89, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 3), liegt nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Nebenkläger hat danach auch die durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Zwar hat auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, so dass der Nebenkläger sein Rechtsmittel nicht „allein“ im Sinne des § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO durchgeführt hat. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist jedoch nicht nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO erfolglos geblieben; auf ihr Rechtsmittel hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag das Urteil des Landgerichts teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung zurückverwiesen. In einer solchen Konstellation findet § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO keine Anwendung.“

Wie gesagt: Wie oft den noch?

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Verdiene ich die Verfahrensgebühr zweimal?

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So, am Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Verdiene ich die Verfahrensgebühr zweimal?

Und hier dann meine Antwort:

„Ich würde es mal mit beiden versuchen. Begründung: die Nr. 4124 VV RVG ist entstanden und fällt durch die Abgabe an das LG nicht nachträglich wieder weg. Zudem ist das zunächst eingeleitete Berufungsverfahren eine eigene Angelegenheit. Sie müssten dazu auch etwas im RVG-Kommentar bei „Zurückverweisung…“ finden. Das ist ein ähnlicher Fall.

Im Übrigen ist das ähnlich, als wenn nach von Ihnen eingelegter Revision dann von der StA Berufung eingelegt wird. Da entstehen auch die Nr. 4124 VV RVG und die Nr. 4130 VV RVG.

Und <<Werbemodus an>>: ich verweise dann mal wieder auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, den man hier bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.